Der Krieg der Bilder oder: Karikatur und Israelhetze

Die Rolle von Karikaturen im Krieg der Bilder nach dem 7. Oktober.

Im Augenblick arbeite ich an einem Aufsatz über den Einsatz von politischen Karikaturen in den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten. Es sind schreckliche Karikaturen, voller Vorurteile, Stereotypen und Hass – natürlich nicht vergleichbar mit den entsetzlichen Fotos, die die mörderischen Terroristen selbst auf den Social-Media-Kanälen gepostet haben. Schrecklich sind die Karikaturen, weil sie mit Wissen und in einem gewissen zeitlichen Abstand zu den Horrortaten kalt am Schreibtisch entstanden sind. Irgendwo, Hunderte Kilometer vom Geschehen entfernt, sitzt jemand (es sind fast immer Männer) und freut sich über die Ereignisse oder verwünscht die Folgen

Im Kampf der Palästinenser gegen den Staat Israel haben Karikaturen eine lange Tradition, sie gehen weit über ein halbes Jahrhundert zurück und sind verbunden mit Namen wie Nadschi al-Ali, dem vielleicht bekanntesten palästinensischen Karikaturisten und seiner Figur des zehnjährigen palästinensischen Jungen Handala, der vor 54 Jahren zum ersten Mal gezeigt wurde. Diese Figur taucht im palästinensischen Kontext überall auf.

So auch jetzt auf den Karikaturen nach dem Massaker am 7. Oktober. Nun wird Handala so inszeniert, als sei ihm mit dem schrecklichen Geschehen endlich der Schlüssel zur Freiheit in die Hand gelegt. Und wenn man genau hinsieht, dann impliziert dieses kleine Bilddetail im Kontext des Massakers bereits den anvisierten Massenmord an den Juden in Israel. Denn der kleine palästinensische Handala, der gerade die Grenzmauer durchbrochen hat (so wie die palästinensischen Terroristen die Absperrungen des Gazastreifens), blickt über ein leergefegtes Land auf den Felsendom in Jerusalem, der wie eine Fata Morgana hinter der Staubwolke hervorlugt. Das ist der Kern der Botschaft vom Free Palestine.

Das Interessante an der Karikaturen auf der Plattform ist, dass sie sich chronologisch ordnen lassen. Wie haben arabische Karikaturisten auf das Massaker reagiert? Haben sie wirklich gedacht, wie Karikaturen vom 8.10. andeuten, nun sei Israel ein für allemal geschlagen, nun sei es den palästinensischen Paraglidern gelungen, den Davidsstern abstürzen zu lassen? Oder, wie ein anderer Karikaturist noch am 7.10. meint, nun müsse die israelische Armee die weiße Fahne hissen, denn sie sei von den Terrorkämpfern und ihren Raketen geschlagen worden? Nun habe sich der israelische Aggressor endgültig am Gazastreifen die Zähne ausgebissen? Fast schon ironisch ist die Karikatur, die unter dem Titel „Palestine resists“ Netanjahu (dargestellt als Nazi) mit Goliath und die Palästinenser mit David vergleicht. Da hat jemand die biblische Geschichte nicht verstanden. Denn David ist natürlich Jude, während Goliath ein Philister ist, also von jenem Volk, auf das sich die Palästinenser in ihrer Suche nach einer historischen Genealogie so gerne berufen.

Apropos Genealogie. Als die USA das Massaker unmissverständlich verurteilen, meint ein Karika-turist, Amerika habe kein Recht dazu, denn die Amerikaner hätten die Ureinwohner (also die In-dianer) auch gelyncht – so wie die Israelis die Araber. Nur dass die Araber die Kolonialisten des 7. Jahrhunderts in Palästina sind und die dortigen Ureinwohner vertreiben oder zur Konversion zwingen. Aber Geschichte ist nicht unbedingt die Stärke der Karikaturisten.

Schon wenige Tage später wird den arabischen Karikaturisten klar, dass der Preis, den das palästinensische Volk für seine von der Regierung beauftragten Terroristen zahlen wird, ein ungeheurer sein wird. Und sofort schlägt der Tonfall in den Karikaturen um, statt des Jubels über den gelungenen palästinensischen Widerstand ertönt nun eine visuelle Kakophonie gegen das israelische Militär. Man macht Rechnungen auf, die besagen, die palästinensischen Terroristen hätten am 7. Oktober doch nur einige wenige ermordet oder entführt und wenn man das mit den Missetaten der Israelis und der Einsperrung der Palästinenser im Gazastreifen vergleiche, sei das doch nur marginal. Und manche Karikaturisten greifen auf alte Arbeiten zurück, die sie schon zu früheren israelischen Gegenschlägen produziert hatten. Mit dem Raketeneinschlag neben dem christlichen Hospital im Gazastreifen wird der Ton noch einmal schriller – nun werden direkt die mittelalterlichen Stereotype von den kindermordenden Juden bedient, ein Lieblingsthema der arabischen Karikaturisten seit 60 Jahren. Und so zeichnet man ein jüdisches Mobile über dem Bett eines palästinensischen Kindes, nur dass die einzelnen Teile des Mobiles aus israelischen Raketen bestehen, die alle auf das Kind gerichtet sind.

Unmittelbar antisemitisch wird es spätestens dann, wenn die in Gaza einschlagenden israelischen Raketen so dargestellt werden, dass sie von Tora-Rollen ummantelt sind, die dann (muss man sagen: natürlich?) ein palästinensisches Kind mit dem Tode bedrohen

Als dann die den Terror verherrlichenden Stimmen auf Facebook gesperrt werden, hetzt man gegen die westlichen Medien, die einseitig auf Seiten Israels und der Unterdrücker stünden. Und so wird jedes aktuelle Ereignis in die vertraute Bilderwelt eingearbeitet.

Aber es gibt natürlich auch die anderen Bilder, zunächst die aus einer Äquidistanz, von einem neutralen Standpunkt, der das Leiden bei allen Zivilisten in den Blick nimmt. Aber diese Position leidet selbst unter seinem Relativismus, denn es muss die notwendige Empathie angesichts des Geschehens am 7. Oktober abmildern zugunsten einer relativistischen Abwägung.

Und schließlich gibt es die empathischen und zugleich besonnenen Karikaturisten, die den Wahnsinn benennen und zugleich die Folgen aufzeigen. Positiv aufgefallen ist mir dabei Marian Kamensky, der heute in Wien lebt und auf eine lange Karriere als Karikaturist zurückblicken kann. Schon mit seinem ersten Bild am 7.10. konterkariert er die Aktionen der wahnsinnigen Terroristen, indem er sie statt in einen Tunnel in das offene Rohr eines israelischen Panzers laufen lässt. Er hält die Hamas schlicht für hirnlos (brainless) wie er auf einer späteren Karikatur zeigt.

Greta Thunberg, how dare you?

Die Empathielosigkeit Greta Thunbergs gegenüber den Opfern in Israel diskreditiert ihr politisches Engagement.

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg solidarisiert sich wiederholt im Rahmen der Fortsetzung ihrer wöchentlichen Aktionen mit dem Gazastreifen. Das ist im Rahmen der Meinungsfreiheit vielleicht ihr Recht, beweist aber eine bemerkenswerte Empathielosigkeit gegenüber den vorangegangenen Ereignissen. Thunberg ordnet sich ein in eine Tradition der Linken, die sich mit Palästinenser:innen solidarisieren, weil sie sie für die Unterdrückten im Konflikt im Nahen Osten halten, und empathielos gegenüber der Geschichte der Juden und Jüdinnen reagieren, das Existenzrecht Israels ignorieren oder sogar bestreiten. Auffällig ist zunächst, dass die Hamas selbst gar nicht erwähnt wird. Ähnlich wie bei linken Reaktionen in Deutschland bemüht man sich, zwischen Palästinensern und der Hamas zu unterscheiden. Die Hamas ist aber nicht nur eine palästinensische islamistische Bewegung, sie wurde auch von der Mehrheit der Bevölkerung im Gaza-Streifen 2006 an die Macht gebracht. In Deutschland waren es nach 1945 die Rechten, die immer zwischen den Deutschen und den Nazis unterschieden und suggerierten, nicht die Deutschen, sondern nur die Nazis seien für die Verbrechen verantwortlich. Das ist aber eine schiefe Perspektive und wird auch in der Übertragung auf die Verhältnisse im Nahen Osten nicht plausibler. Es wäre schon sinnvoll, auch in der Berichterstattung immer von der palästinensischen Hamas zu schreiben. Man kann die Palästinenser:innen nicht pauschal exkulpieren, indem man so tut, als hätten sie mit der Hamas nichts zu tun. Ja, auch viele Palästinenser:innen leiden unter der palästinensischen Hamas, die nach der Machtergreifung 2007 begann hat, ihr eigenes Volk zu unterdrücken. Das muss benannt werden. Und dennoch ist es eine an der Macht befindliche palästinensische Regierung, in deren Auftrag im Oktober tausende Zivilisten in Israel angegriffen wurden. Und deren Schergen verübten ein Massaker. Das wurde in der Narratio etwa der demokratischen Sozialisten in den USA schon Anfang des Jahres vorbereitet, indem sie von der Nichtunterscheidbarkeit von Militär und Zivilbevölkerung in Israel sprachen. Unter Verweis auf die Siedlerbewegung werden alle Israelis zu legitimen Zielen erklärt. Die Folgen davon erleben wir aktuell.

Im Rahmen einer Kritik an der europäischen Kolonialpolitik wird der Staat Israel sowohl als Profiteur des Kolonialismus wie auch selbst als kolonialistische Macht dargestellt, weshalb er zu bekämpfen sei. Das ist aber eine verkürzte Sicht. Als ob nicht die arabischen Palästinenser:innen selbst die Erben einer großen kolonialen Bewegung wären, die Mitte des 7. Jahrhunderts Palästina eroberte. Kolonialismus kann nicht auf das 19. und 20. Jahrhundert begrenzt werden, er durchzieht die gesamte Geschichte. So wie die europäische Kolonialgeschichte nicht erst im 15. Jahrhundert beginnt, beginnt auch die Kolonialgeschichte im Nahen Osten viel früher. Anders aber, als es die Bibel darstellt, ist die Bildung der jüdischen Staaten in der Antike nicht Ergebnis einer kolonialen Eroberung, sondern einer Ausdifferenzierung der regionalen Bevölkerung.

Indem Greta Thunberg auf ihrem Foto nun die Solidarität mit den Palästinenser:innen mit dem Engagement für die Umweltbewegung verknüpft hat, schädigt sie letztere. Wäre das Eintreten für bestimmte nationalistische Gruppen in Palästina das Schibboleth des Engagements für die Umwelt, werden alle, denen die Solidarität mit Israel und die Erinnerung an Millionen in der Shoa getöteter Juden und Jüdinnen unverzichtbar ist, ausgeschlossen. Hier werden zwei ethische Dilemmata auf fatale Weise miteinander verknüpft.

Aufgabe aller Erziehung ist, so hat es Theodor W. Adorno 1966 in seinem berühmten Rundfunkvortrag gesagt, dass Auschwitz sich nicht wiederhole.

„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.“

Auch Greta Thunbergs nachgeschobene Erklärung, sie sei natürlich gegen Antisemitismus, macht es nicht besser, im Gegenteil. Dass sie gegen Antisemitismus sind, erklären auch fast alle. Antisemitismus wird nicht durch formelhafte Bekenntnisse aufgehoben, sondern misst sich an den Folgen, die bestimmte Äußerungen haben. Der auf dem Foto von Thunberg sichtbare Slogan „Free Palestine“ lässt sich mit aller Vernunft nur so deuten, dass Palästina von Israel (und den Juden) befreit werden soll. Das ist eine völkerrechtswidrige Forderung, die man als israelbezogenen Antisemitismus charakterisieren muss. Dem entkommt man nicht, indem man abstrakt erklärt, man sei aber doch gegen Antisemitismus. Nach dem Motto: Ich habe nichts gegen Juden, viele meiner Freunde sind Juden, aber Juden (oder Israelis) gehören nicht nach Palästina. Man muss nicht Vertreter der IHRA-Definition des Antisemitismus sein, um darin israelbezogenen Antisemitismus zu erkennen. Das humanistische Schibboleth für alle ist hier notwendig die Anerkennung des völkerrechtlich verbürgten Existenzrechts Israels.

Anders als manche in den konservativen Medien es jetzt darstellen, diskreditiert das in seiner Abstraktheit und Empathielosigkeit fatale exklusive Engagement Greta Thunbergs für die palästinensische Sache nicht das Engagement der jungen Generation für die Klimawende. Man muss nur – anders als Thunberg es getan hat – das eine vom anderen trennen. Auch wer in Sachen Palästina zu anderen Schlussfolgerungen als Greta Thunberg kommt, ja ihnen diametral widerspricht, bleibt dennoch auf das Engagement zugunsten einer Klimawende verpflichtet – so ambivalent und schwierig das nach den jüngsten Äußerungen der internationalen (nicht der deutschen) FFF-Bewegung auch geworden ist. Es fällt freilich schwer, sich in (internationalen) Organisationen zu engagieren oder auch mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn ih­nen das Schicksal einer Religion und eines ganzen Landes egal ist.

Rechtsfragen

Was ist Recht und was ist Unrecht bei den Ereignissen in Israel und bei den Diskussionen zum Thema Naher Osten?

Ab und an ist es ganz gut, von Juristen auf den Boden der (Rechts-) Tatsachen geholt zu werden. Es ist ja das eine, was einem das das eigene, oft durch Moral bestimmte (Rechts-) Gefühl sagt, was man in der konkreten Situation des Nahost-Konflikts sagen darf bzw. sollte und was nicht, was man bekunden kann und was strafbare Billigung von Straftaten wäre. Da ist es gut, wenn Experten einem die Sachlage erläutern. Zu diesen Experten zählt unbestritten der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer. Auf Legal Tribune Online gibt es eine Kolumne, die sich „Eine Frage an Thomas Fischer“ nennt, und in der er aktuelle Fragen des Rechts und der Rechts-Kultur erörtert. Aktuell lautet die Frage „Ist der Jubel über Terror strafbar?“ Ich empfehle seine Darlegungen sehr zur Lektüre. Sein Fazit lautet:

1. Das Bejubeln von konkreten bzw. von hinreichend konkretisierbaren Tötungsdelikten der „Hamas“-Miliz in Israel ist nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar.
2. Die öffentliche Verbreitung der Parole „from the river to the sea / Palestine will be free“ ist im konkreten Bedeutungszusammenhang nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar. …
3. Allgemeine „Solidaritäts“-Bekundungen mit den politischen, humanitären oder rechtlichen Anliegen „der Palästinenser“ oder einzelner Gruppen von ihnen sind nicht strafbar, sondern unterfallen Art. 5 Abs. 1 GG. Entsprechende öffentliche Demonstrationen sind über Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG auch dann gerechtfertigt, wenn die dort vertretenen politischen Positionen einer Mehrheit der (deutschen) Bevölkerung abwegig erscheinen. Die palästinensische Flagge ist kein Kennzeichen der Organisation Hamas und daher nicht nach § 86a StGB strafbar.

Aus der Perspektive des Völkerrechts räumt Wolff Heintschel von Geinig im Gespräch mit der taz mit einigen auch von den Medien eifrig kolportierten Vorurteilen auf: „Es ist nach dem humanitären Völkerrecht nicht verboten, bei Angriffen gegen zulässige militärische Ziele auch Zivilpersonen oder zivile Objekte in Mitleidenschaft zu ziehen … Selbst hohe Verluste unter der Zivilbevölkerung müssen also nicht per se rechtswidrig sein.“ Zur Frage der Völkerrechtswidrigkeit der Aufforderung an die Bevölkerung, in den Süden zu gehen: „Selbst das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sagt, dass dieses Verbot nicht mehr gilt, wenn es der Sicherheit der betroffenen Zivilpersonen dient oder überragende militärische Gründe dies fordern. Und hier haben die Israelis gute Argumente auf ihrer Seite.“ Grundsätzlich aber gelte das humanitäre Völkerrecht aber für alle am Konflikt Beteiligten: „Das humanitäre Völkerrecht findet gleichmäßig auf alle Konfliktparteien Anwendung. Es kann nicht eine Konfliktpartei erklären, sich darum nicht mehr zu scheren, weil es der Gegner auch nicht tue.“

Zur Codeformel „Free Palestine“

Was meint jemand eigentlich, wenn er von „Free Palestine“ redet? Über die schrecklichen Implikationen einer politischen Formel.

Inzwischen mehren sich die Bekundungen mancher als prominent Geltender, die durch Tweets oder Fotos trotz der Gräueltaten der Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung ihre Solidarität mit den Palästinensern bekunden. Sie machen das, indem sie sich auf die eine oder andere Art und Weise des Slogans „Free Palestine“ bedienen.

Direkt am zweiten Tag der verbrecherischen Angriffe der Hamas auf die Bewohner (und Gäste) Israels tat dies die Rapperin Nura auf Instagram, indem sie einen Screenshot aus ihrem neuesten Musikvideo postete, der sie und ihre Sänger:innen vor dem Slogan „Free Palestine“ zeigte. Das war eine empathielose Geste, im besten Fall war sie nur gedankenlos, viel wahrscheinlicher gerade im Blick auf die abgeschlachteten Opfer bösartig.

Der Fußballer Mesut Özil, der schon öfter mit merkwürdigen Stellungnahmen aufgefallen war, bittet am 13.10.2023 auf X unter dem Hashtag #FreePalestine um Frieden im Nahen Osten, und postet dabei eine Fotomontage, die ihn vor dem Felsendom vor den miteinander verschränkten Fahnen der Türkei und der Palästinenser zeigt – Israel kommt nicht (oder allenfalls in Gestalt eines Soldaten) vor. Das zeigt in welche Richtung das freie Palästina gedacht wird: frei von Juden und Israelis. Bei Özil kann nicht mehr von Unbedachtheit gesprochen werden, es ist die bewährte Agitation, die sich nur vordergründig als humanitäre Geste kaschiert. Schon die Ästhetik des Bildes ist pure AgitProp-Ästhetik allein im Dienst der palästinensischen Sache.

All das verweist darauf, dass wir uns nicht nur in einem militärischen Konflikt im Nahen Osten wiederfinden, sondern auch in einen weltweiten Krieg mit Bildern, Worten und vor allem Slogans verwickelt sind. Worte und Bilder werden zu Waffen, der humanitäre Impuls als solcher wird zweitrangig.

Ich möchte deshalb auf eine Analyse des Slogans „Free Palestine“ verweisen, eine Auslegung, die ich teile. Ich fand sie auf dem empfehlenswerten Blog „Chaims Sicht“. Dort veröffentlicht Chajm Guski regelmäßig des Nachdenkens werte Impulse. Im Blogbeitrag „Ein leeres Land?“ setzt er sich am 12. Oktober 2023 mit dem Slogan „Free Palestine“ auseinander. Und er macht das unter dem m.E. zutreffenden Teaser: „Manchmal muss man Dinge bis zum Ende denken, um zu verstehen, um was es eigentlich geht.“ Er fragt, wie muss man sich das denken mit dem freien Palästina? Wie geht das praktisch, wenn eine Zwei-Staaten-Lösung nicht angestrebt und von der Hamas auch explizit abgelehnt wird? Wovon befreit man das Land? Und er sagt zu Recht: die Hamas-Lösung besteht darin, die israelische Bevölkerung auszulöschen. Das ist Genozid. Die zweite „Lösung“ wäre die Rückkehr der Juden in die Länder, aus denen sie gekommen sind. Aber was heißt das? Rückkehr in die arabischen Länder, aus denen sie gewaltsam vertrieben wurden? Bekommen sie dann den Besitz zurück, so wie die Palästinenser den Besitz zurückfordern, den sie angeblich vor 1948 hatten? Wenn aber ein Teil der jüdischen Bevölkerung im Land verbliebe, wie würde man mit ihnen umgehen? So wie mit anderen minoritären Gruppen in den arabischen Ländern? Fragen über Fragen. Lesen Sie den ganzen Beitrag ….>

Das elfte Gebot: Du sollst keine Ausstellung abbrechen

Aus Anlass der Schließung der Nürnberger Ausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim einige Überlegungen zur Arbeit mit Kunst in der Kirche.

Ende Juli vermeldet die Presse die Schließung einer Kunstausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim in der evangelischen Nürnberger Kulturkirche St. Egidien. Nun waren Irritationen im Blick auf Künstler und Ausstellung vorab zu erwarten und ich bin mir sicher, dass die Kurator:innen der Nürnberger Kulturkirche das auch sorgfältig bedacht haben. Sie sind letztlich das Risiko eingegangen und irgendetwas (vermutlich handfeste Proteste) muss sie dann dazu gebracht haben, dennoch die Ausstellung wieder zu schließen. Das halte ich nun wiederum für einen Skandal. Nicht wegen der Schließung einer Ausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim, sondern grundsätzlich wegen der Schließung einer Ausstellung in einer evangelischen Kirche. Das berührt und verletzt das protestantische Selbstverständnis, aber auch die erarbeiteten Standards der Begegnung von evangelischer Kirche und zeitgenössischer Kunst zutiefst. Wir sind eine Kirche der Freiheit und das ist nicht nur so dahingeredet. Man klärt alle kontroversen Dinge, das ist Teil der kuratorischen Arbeit, im Vorfeld einer Ausstellung. Mit der Eröffnung hat man sich aber zu diesem Gast, seinem / ihrem Beitrag zur Kulturarbeit der evangelischen Kirche bekannt und lädt diesen Gast nicht wieder aus. Punktum. Das hat etwas mit cortesia, mit zuvorkommender Gastfreundschaft zu tun, die aus ganz archaischen Gründen nicht verletzt werden darf.

Mit den Worten von George Steiner: „Wo Freiheiten einander begegnen, wo die integrale Freiheit der Schenkung oder Verweigerung des Kunstwerkes auf unsere eigene Freiheit der Rezeption oder der Verweigerung trifft, ist cortesia, ist das, was ich Herzenstakt genannt habe, von Essenz … Von Angesicht zu Angesicht im Gegenüber zur Gegenwart gebotener Bedeutung, die wir einen Text nennen (oder ein Gemälde oder eine Symphonie), streben wir danach, seine Sprache zu hören. Wie wir auch die des auserwählten Fremden hören wollen, der zu uns kommt“.

Ab und an berate ich Kirchengemeinden oder halte Vorträge in Pastoralkollegs, was man berücksichtigen muss, wenn man in der Kirche zeitgenössische Kunst ausstellt. Das sind einfache Grundsätze, die man m.E. beherzigen sollte. Ich fasse sie hier einmal knapp zusammen, um dabei auch die Problemzonen und die Regeln zu beleuchten, um die es bei der Kulturarbeit der evangelischen Kirche geht.

Der erste Punkt steht unter der Überschrift: Man muss es auch wollen. Und das heißt: Klären Sie vorab und fragen Sie sich: Wollen wir wirklich Kunst ausstellen? Was erhoffen wir uns davon? (Mehr Besucher, interessante Impulse, Gespräche in der Gemeinde, neue Perspektiven …). Andernfalls planen Sie lieber einen Ausflug in eine Ausstellung! Oder einen Besuch im Museum! Oftmals ist es ja so, dass man Kunst nur ausstellen will, weil man sonst mit (s)einer Kirche nichts mehr anfangen kann. Das ist eine schlechte Voraussetzung für den Dialog von Kunst und Kirche. Wenn man sich vorher fragt, will man das überhaupt, dann bereitet man sich eben auch schon auf all die Herausforderungen vor, die ein solcher Dialog notwendig mit sich bringt.

Der nächste Punkt ist: Eine Ausstellung braucht Ideen. Und die Fragen lauten: Welches Modell wollen Sie kultivieren? Geht es Ihnen um: Religion in der Kunst? Geht es Ihnen um: Zeitgenössische Kunst? Geht es Ihnen um: Regionale Kunst? Geht es Ihnen um: Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen? Haben Sie ein Thema, ein Motiv, eine Konstellation, die Sie uisammen mit Künstler:innen bearbeiten wollen? Das ist insofern entscheidend, als dass dieses Modell darüber Auskunft gibt, worüber anlässlich der Ausstellung diskutiert werden soll und inwiefern die Kunst als Kunst dafür unentbehrlich ist. Man kann natürlich einfach prominente Namen ausstellen, aber dann ist man Teil der Kulturindustrie und nicht an einer Begegnung von zeitgenössischer Kunst und heutiger Religion interessiert. Wenn man ein Thema wählt, wäre das eben auch theologisch und theo-ästhetisch zu bearbeiten. Was unterscheidet die Ausstellung dieser Arbeiten von einer Ausstellung derselben Arbeiten in einer Galerie? Darüber muss man Auskunft geben können.

Der nächste, in der Gegenwart oftmals entscheidende Punkt, lautet: Nicht gegen die Gemeinde! Bereiten Sie die Gemeinde vor! Das Modell der fortschrittlichen Kunst und der rückschrittlichen Gemeinde ist überholt, es stammt aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Gemeinde muss informiert werden. Sie sollte aber nicht über Kunst abstimmen, das zeigt ein völlig falsches Verständnis von Kunst; sie sollte aber wissen, was auf sie zukommt. Nach evangelischem Verständnis wird die Gemeinde vom Presbyterium repräsentiert. Es wird Ängste geben – haben Sie keine Angst davor! Viele Befürchtungen entstehen aus der Unkenntnis zeitgenössischer Kunst – hier kann man Informationen liefern. Dann gibt es Ängste, was den Raum betrifft. Da hilft es, über das evangelische Raumverständnis nachzudenken und zu arbeiten. Dieser Punkt macht zwei grundlegende Dinge deutlich: Zum einen muss die Gemeinde und das heißt nach evangelischem Verständnis: das Presbyterium vorab informiert werden. Presbyter.innen sind Bedenkenträger.innen und das muss man ernst nehmen. Viel wichtiger ist m.E. aber der zweite Punkt: man muss in der Gemeinde am Raumverständnis arbeiten. Was ist ein religiöser Raum nach protestantischem (nicht nach bürgerlichem) Verständnis? Hier kursieren immer noch Vorstellungen von Sakralität, die Martin Luther bereits im 16. Jahrhundert aufgegeben hat, die reformierte Tradition natürlich ebenso. Es gibt im Protestantismus schlicht keine heiligen Räume. Kirchen sind auch keine Ruheräume (das ist eine bürgerliche Idee, als die Kirche nichts mehr inhaltlich zu sagen hatte). Es sind religiöse und kommunikative Räume, insofern sie dem Gottesdienst und dem Gemeindeleben dienen, aber Gott wohnt nicht zwischen diesen Mauern. Gott ist den Menschen in einer Galerie ebenso nah wie in einem Kirchengebäude. Aber religiöse Räume sind Heterotope, in denen wir über die Welt nachdenken. Und das können wir anhand von und gemeinsam mit Kunst.

Das führt uns zum nächsten Punkt: Wir sollen der Galerie keine Konkurrenz machen. Und das meint: Kirchenräume sind keine Ausstellungsräume, sondern religiöse Räume, die für Gäste offen sind. Das hat Konsequenzen für die spätere Inszenierung. Wenn Sie nur die freien Wände, die Sie haben, mit Bildern füllen wollen, handeln Sie wie eine Galerie. Dann sollten Sie gleich der Galerie Ihre Räume als Ausstellungsraum zur Verfügung stellen. Wenn Sie mit religiösen Atmosphären Ihres Raumes arbeiten, überlegen Sie, wie historisch Kunst in der Kirche Platz fand. Das ist lehrreich auch für die Gegenwart. In diesem Punkt geht es darum, zeitgenössische Kunst als solche, aber auch sich selbst als religiöse Institution ernst zu nehmen. Kirchen sind keine Galerien, sondern Heterotope, in denen über die Welt nachgedacht wird. Und das kann man auch mit Hilfe von Kunst machen.

Der nächste Punkt fordert noch einmal auf: Stellen Sie sich (vorab) Fragen! Welches Problem möchte ich / möchten wir in der Zusammenarbeit mit Künstler:innen bearbeiten? Worüber möchte ich / möchten wir neue Einsichten? Was ist das bisher Ungesehene / Unerhörte in meiner / unserer Gemeinde oder unserer Gesellschaft? Was mache ich ganz selbstverständlich im religiösen Raum, ohne darüber nachzudenken? Wo gibt es blinde Stellen? Inwiefern können mir Künstler:innen dabei helfen, diese wieder ins Bewusstsein zu heben? Diese Fragen zielen darauf, dass es um ein gemeinsames Unternehmen geht, nicht um einseitige Präsentationen.

Der nächste wichtige Punkt behandelt die unterschiedlichen Interessen von Aussteller:innen und Künstler:innen. Eine Ausstellung in einer Kirche ist kein Künstler:innen-Monolog. Wenn Sie nicht eine Ausstellung aus einem bereits bestehenden Bilderfundus zusammenstellen, besprechen Sie sich mit dem Künstler bzw. der Künstlerin. Beachten Sie aber: Künstler:innen haben andere Interessen als Sie. Es geht aber um einen Dialog, nicht um einen künstlerischen Monolog. Sie haben ein Erkenntnisinteresse im Blick auf das Besondere Ihres Raumes – das ist es, was Sie einbringen. Künstler:innen sind an Galerie-Inszenierungen gewöhnt, nicht mehr an Kircheninszenierungen. Hier müssen beide lernen. Der Raum ist als Heterotop nicht gleich-gültig, das ist die bleibende Erkenntnis aus Michel Foucaults Heterotopie-Konzept. Und das muss im Dialog mit den ausgestellten Künstler:innen auch deutlich bleiben, sonst kommt es nur zu Missverständnissen. Ich treffe oft auf Kolleg:innen, die nur stolz darauf  sind, diesen oder jenen berühmten unter den Künstler:innen ausgestellt zu haben. Darum geht es aber nicht. Kirchen sind keine Galerien, sondern kommunikative religiöse Räume.

Der nächste Punkt ist dem entsprechend: Was ist das Narrativ? Und das meint nicht das Narrativ der Kunst, sondern das Narrativ des konkreten Dialogs von Kunst und Religion. Jede gute Ausstellung in der Kirche hat ein Narrativ, eine Geschichte oder Erzählung. Was wollen Sie mit Ihrer Inszenierung den Besucher.innen erzählen? Versuchen Sie, einen Skopos (Leitsatz, Lehrsatz) Ihrer Ausstellung zu formulieren. Es geht um eine Art, regulative Idee der Ausstellung – die durchaus dann vom Resultat abweichen kann, aber doch das Ziel vorgibt.

Nun aber zum aktuell wichtigsten Punkt: Was tun bei Ärger? Kunst fordert uns heraus. Was immer Sie ausstellen, nicht alle werden einverstanden sein. Das ist gut so. Ziehen Sie niemals(!) ein Bild zurück. Erklären Sie, warum Sie es eingesetzt haben. Legen Sie Ihre Perspektive dar. Verteidigen Sie das Bild und den Künstler bzw. die Künstlerin. Viele Proteste gehen auf eine Verwechslung von Form und Inhalt zurück oder basieren auf einer veralteten Vorstellung von Kunst als Illustration. Sprechen Sie darüber mit den Protestierenden. Machen Sie eine Veranstaltung daraus. Die Schließung einer Ausstellung, aber auch schon das Zurückziehen nur eines Bildes ist ein kuratorischer Offenbarungseid. Denn das besagt nichts anderes, als dass man im Vorfeld als Kurator:in nicht genügend nachgedacht hat. Wenn also im Vorfeld erkennbar wird, dass ein Künstler oder eine Künstlerin in den auszustellenden Werken Probleme mit der katholischen Kirche aufarbeitet, ist eine evangelische Kirche vielleicht der falsche Inszenierungsort. Die Künstler:innen missbrauchen dann die evangelische Kirche und wollen gar keinen Dialog. Sie nehmen die evangelische Kirche in ihrer Besonderheit nicht ernst. Das kommt relativ oft vor und lebt von einem Kunstverständnis des 19. und 20. Jahrhunderts, das Kunst an Provokation knüpfte. Darüber sind wir heute längst hinaus. Man muss schon sehr eurozentristisch denken, um an diesem Modell festzuhalten. Im Rest der Welt denkt man nicht so.

Wenn man diese Punkte abarbeitet, werden einem die Chancen und Risiken der Begegnung von Kunst und Religion bewusster. Man wird Streit nicht verhindern können, aber man sollte ihn aushalten lernen. Sich zurückzuziehen, ist feige und offenbart mangelndes Selbstbewusstsein..

Feuerwerk

Einen guten Rutsch und alles Gute für das kommende Jahr 2023 wünscht das Magazin für Theologie und Ästhetik.

Ernst Oppler (1867-1929), Feuerwerk, Aquarell 1911, 24×19 cm

Nach zwei Jahren der mehr oder weniger erzwungenen Pause gibt es zu diesem Jahreswechsel wieder die Möglichkeit zu einer „richtigen“ Silvesterfeier. Die Haltungen dazu sind ja sehr kontrovers, persönlich bin ich aus vielerlei Gründen ein großer Anhänger des Feuerwerks.

Vgl. dazu Mertin, Andreas (2002): Brot statt Böller? Überlegungen zum Sinngehalt einer evangelischen Zeichenhandlung. In: tà katoptrizómena, Jg. 4, H. 20. Online verfügbar unter http://www.theomag.de/20/am73.htm.

Die Erscheinung des Feuerwerks hat nicht zuletzt, darauf verweist Theodor W. Adorno in der Ästhetischen Theorie, viel mit der Bildenden Kunst zu tun:

Prototypisch für die Kunstwerke ist das Phänomen des Feuerwerks, das um seiner Flüchtigkeit willen und als leere Unterhaltung kaum des theoretischen Blicks gewürdigt wurde; einzig Valéry hat Gedankengänge verfolgt, die zumindest in seine Nähe führen. Es ist apparition κατ’ ἐξοχήν: empirisch Erscheinendes, befreit von der Last der Empirie als einer der Dauer, Himmelszeichen und hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die doch nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen lässt. Die Absonderung des ästhetischen Bereichs in der vollendeten Zweckferne eines durch und durch Ephemeren bleibt nicht dessen formale Bestimmung. Nicht durch höhere Vollkommenheit scheiden sich die Kunstwerke vom fehlbaren Seienden, sondern gleich dem Feuerwerk dadurch, dass sie aufstrahlend zur ausdrückenden Erscheinung sich aktualisieren.

Es muss nicht immer Silvester sein, wenn ein Feuerwerk abgebrannt wird. In der Bildenden Kunst ist das Silvester-Feuerwerk eher die Ausnahme. Aber es ist immer ein feierlicher Anlass, wenn Feuerwerk veranstaltet wird.

Bei der Feuerwerksdarstellung des holländischen Malers Egbert van der Poel (1621-1664) sehen wir nur, dass sich einige Delfter Bürger zu einem Fest versammelt haben. Das Gemälde ist undatiert und enthält keine eindeutigen Hinweise auf die Art des dargestellten Ereignisses. Traditionell wird das Bild als Darstellung der Feierlichkeiten zum Abschluss des Friedens von Münster, der am 15. Mai 1648 unterzeichnet wurde, gedeutet. Vor dem Delfter Gemeenlandshuis hat sich eine Menschenmenge versammelt, gefesselt vom Spektakel der lodernden Fackeln und dem Feuerwerk am Nachthimmel. Die Fackeln werden aus mit Pech oder Teer gefüllten Fässern hergestellt und auf Stangen montiert. Sie wurden meist von der Stadt oder von Privatpersonen anlässlich einer Feierlichkeit bezahlt.

Vielleicht kann man sich für das kommende Jahr 2023 wünschen, dass wir wieder ein Friedensfest feiern, weil ein den Weltfrieden gefährdender Angriffskrieg abgewehrt wurde und Gerechtigkeit wieder eingekehrt ist. Das wäre allemal ein großes Feuerwerk wert.

Fehlgeschlagen

Ulrich H. Körtner zur Frage: Warum solidarisiert sich die EKD mit der Letzten Generation?

Auf z(w)eitzeichen finde ich gerade einen lesenwerten Artikel von Ulrich H.J. Körtner zu fatalen Solidarisierung von Vertretern der EKD mit den Aktivisten der „Letzten Generation“.

Körtner, Ulrich H.J. (2022): Die letzte Generation? 2022 solidarisierte sich die EKD-Synode mit Klimaaktivisten. Warum?
Online verfügbar unter https://zeitzeichen.net/node/10214

Körtner schreibt:

Jesus als geistiger Ahnherr der „Letzten Generation“, der seiner moralischen Pflicht Folge leistete. Das ist Gesetzlichkeit pur. Die neutestamentlichen Schriften stellen Jesus als den dar, der wie kein anderer Mensch in ungebrochener Beziehung und Willenseinheit mit Gott lebt und handelt und der am Ende seines Weges betet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Den Willen des Vaters tun ist aber nicht mit einer moralischen Pflicht im philosophischen Sinne zu verwechseln. Jesus verkündigt die anbrechende Gottesherrschaft, nicht Moral.

KI: Angriffe auf Kunstwerke unakzeptabel

Die Künstliche Intelligenz sagt einem, dass Angriffe auf Kunstwerke „generally not accetable“ sind.

Ich setze mein Frage-und-Antwort-Spiel von gestern fort und frage den KI-Bot nun, was ist eigentlich wichtiger: Kunst oder Leben? Die Antwort darauf ist erstaunlich differenziert, vor allem, wenn man sich schon an das Schwarz-Weiß-Denken der Letzten Generation gewöhnt hat:

It is impossible to say whether art or life is more important, as the value and significance of each depends on one’s perspective and priorities. For some people, art may be a central and essential part of their life, providing them with a sense of meaning and fulfillment that is unparalleled by other experiences. For others, the basic necessities of life, such as food, shelter, and safety, may be of paramount importance.
     Ultimately, the relative importance of art and life will vary depending on an individual’s circumstances and needs. It is not a question that can be answered definitively, but rather one that each person must answer for themselves based on their own values and experiences.

Das bedeutet aber auch, dass der Angriff auf Kunstwerke eine elementare Attacke auf essentielle Teile der Lebensdeutung von Menschen sind – auch dann, wenn man selbst vielleicht ein ganz anderes Kunstverständnis hat.

Ich schiebe nun die Frage nach, ob es legitim ist, Kunstwerke anzugreifen, um Leben zu retten. Und auch hier erweist sich der KI-Bot als wesentlich differenzierter als die öffentliche Debatte:

It is generally not acceptable to attack works of art, regardless of the reason. Art is a significant part of human culture and history, and it is important to protect and preserve it for future generations.
     However, there may be situations in which the destruction of a work of art is necessary in order to prevent harm to human life. In such cases, the decision to destroy the work of art would need to be carefully considered and justified, and it is likely that it would be a last resort option.
     It is important to remember that there may be other ways to protect human life without causing harm to cultural heritage.

Da hätte man sich ja gewünscht, die Letzte Generation hätte sich vorher bei einer Künstlichen Intelligenz erkundigt, bevor sie die eigene, natürliche in Anschlag gebracht hat.

Ach ja, wer selbst Gespräche mit dem KI-Bot führen will, kann dies nach dieser Anleitung tun. Probieren Sie es einfach aus, es macht Spaß.

Ikonoklasmus kann emanzipatorisch sein

Ralf Meisters Vorschlag einer sofortigen und endgültigen Zerstörung der sog. Wittenberger Judensau sollte unterstützt werden.

Bürger beim Bildersturm. Bild von 1630 über den Bildersturm 1566.
Bildersturm in einer Kirche. Dirck van Delen, 1630

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hat sich für die Entfernung und Zerstörung der „Judensau“ an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg ausgesprochen. „Man sollte sie nicht nur entfernen, sondern radikal vernichten, zerstören und kaputt machen“, sagte Meister am Sonntagabend in der Marktkirche in Hannover. Dies sei der richtige Umgang mit einer fehlgeleiteten, vernichtenden Ästhetik

Ralf Meister hat recht. Anders als ich es noch 2016 meinte, als ich das Thema zum ersten Mal im Magazin für Theologie und Ästhetik erörterte, reicht es nicht, die schreckliche Plastik an der Wittenberger Stadtkirche nur zu ent­fernen und sie in ein Museum zu stellen. Sie muss zerstört werden. Das macht aber nur Sinn, wenn dieser ikonoklastische Akt, dieser Bildersturm, der er ja nun einmal ist, als solcher bewusst geschieht und auch im Bewusstsein gehalten wird. So wie der reformatorische und vor allem der reformierte Bildersturm sich im Bewusstsein erhalten hat (leider etwas anders, als es die Initiatoren beabsichtigt hatten). Wir müssen uns in ebenso symbolischen wie archaischen Gesten (und das ist ein solcher Bildersturm) von einer Ausdrucksform lösen, die böse bis in das letzte Element ist. Es geht dabei überhaupt nicht darum, den christlichen Antijudaismus und den protestantischen Antisemitismus aus dem Gedächtnis zu löschen, sondern ganz im Gegenteil, durch einen ikonoklastischen Akt im Gedächtnis zu verankern. Der byzantinische Bilderstreit, der reformatorische Bilderstreit sind Belege dafür, dass das gelingen kann. Die Konsensgesellschaft sucht nach moderaten Lösungen, die niemandem wehtun, aber letztlich die Beleidigten permanent weiter verletzen. Wenn wir die Skulptur in Wittenberg als wirkmächtig ansehen, dann müssen wir dem auch begegnen. Natürlich verhindert man keinen Antisemitismus, indem man eine antisemitische Skulptur zerstört. Aber man schafft einen ikonischen Akt, der zeigt, dass der Judenhass ein zu bekämpfendes Element unserer Gesellschaft ist. Und das erreicht man nicht, indem man freundlich oder meinetwegen auch betroffen mit einer Texttafel erklärt, wie es den bedauerlicherweise zu 6 Millionen toten Juden gekommen ist, wozu dieses Objekt seit 800 Jahren seinen Beitrag geleistet hat.

Für die Beibehaltung des Objekts spräche, wenn man der Meinung wäre, dass der Antijudaismus weiter tief in der lutherischen Kirche verwurzelt wäre, wenn also die Entfernung der Skulptur einen identitätspolitischen Schaden bei der Gemeinde anrichten würde. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es genau darum geht: deutlich zu machen, dass die Abkehr vom Judentum zur eigenen Identität gehört. Und das nicht nur historisch.

Das andere ist, dass das Prozedere ja merkwürdig ist. Der Beleidigende entscheidet darüber, ob die Beleidigung an seinem Gebäude hängend bleibt, während nicht auf die die beleidigten Juden in Deutschland (und das sind nicht irgendwelche Wissenschaftler in Israel) gehört wird.

Dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein

Heute bekam ich wieder einen dieser Briefe, die sich angesichts der kommenden Weihnachtszeit häufen, und die die Adressaten um Spenden angehen für Benachteiligte in der ganzen Welt. Heutzutage sind diese Briefe immer gefüllt mit Geschichten von ganz schrecklichen Lebensverhältnissen bestimmter in der Regel mit konkreten Namen bezeichneter Menschen. Der Appell an das Mitleid ist eine feste Größe dieser Schreiben.

Aber darüber will ich gar nichts Negatives sagen, die Arbeit vieler dieser Initiativen ist gut und unterstützenswert. Nur ihr Marketing lässt manchmal zu wünschen übrig. Die Christoffel Blindenmission ist schon früher durch merkwürdiges Werben aufgefallen. Im Interesse der Sache – dem Einwerben von Spenden – ist jedes Argument recht. Dieses Mal war es der Briefumschlag, der mich störte:

Briefumschlag der Christoffel Blinden Mission: Hungrig - gefolgt von einem durchgestrichenen "nach Wissen".

Ist es wirklich notwendig, zur Generierung von Spenden für die Notleidenden der Welt, den Hunger gegen das Wissen auszuspielen? Ich glaube nicht. Das Argument lautet, die Kinder seien zu hungrig, um zu lernen. Das mag ja sein, aber dann muss man doch nicht das Wissen durchstreichen. Ich weiß, es geht in der Werbung um den ‚gesunden Biss‘, das zur Formel verknappte Argument. Aber in diesem Fall nervt mich das.

Und dann sind wir im Deutschen hungrig nach Bildung und durstig nach Wissen, so jedenfalls legen es die im Duden belegten Substantive Wissensdurst und Bildungshunger nahe. Nur wären das nicht mehr so schöne Slogans gewesen.

In der Regel werden so auf Briefen entweder nicht entwertete Briefmarken oder falsche Adressen durchgestrichen. Wissen ist hier unzustellbar soll gesagt werden, weil das Geld für das Essen fehlt. Dagegen würde ich dann doch mit dem alten und neuen Testament daran festhalten, dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein.