Fundstück aus der aktuellen Arbeit VI

Eine Persiflage aus Frankreich auf die diversen Zensurversuche gegenüber der Literatur.

Charles-Joseph Traviès, 1814 – 1859: Persiflage op de censuur (Detail)
Charles-Joseph Traviès, 1814 – 1859: Persiflage op de censuur (Detail)

Dieses Bild fand ich im Grafikbestand des Amsterdamer Rijksmuseums. Es stammt von dem in der Schweiz geborenen, dann aber in Frankreich lebenden Künstler Charles-Joseph Traviès (1804-1859). Er illustriert ein Zitat des französischen Schriftstellers Jean de La Bruyère (1645-1696), der festhält, dass es kein Werk der Kunst gibt, das noch Bestand hätte, wenn es sich der Kritik der Zensoren unterwerfen würde, denn diese entfernten alles aus dem Werk, was ihnen nicht passt, was anstößig sei.

Das Bild zeigt nun ganz viele Leute, die mit sehr unterschiedlichen Ansätzen versuchen, ein Buch nicht nur zu durchstöbern, sondern es auch zu zensieren: indem sie es schwärzen oder beschneiden, unleserlich machen oder auch zerstören, indem sie es verbrennen.

Heutzutage ist die Kritik an der Kunst natürlich sowohl subtiler wie auch grobmaschiger. Es geht nicht mehr um das direkte staatliche Verbieten, nicht mehr um Zensur oder Vorzensur als solche, sonder um scheinbar berechtigte konkurrierende Interessen. Heute würden die Zensoren einen problematischen Punkt im Werk suchen, einen Satz, eine These, ein Sprachbild und dann würde die Kritik zuschlagen, so dass vom ursprünglichen Werk kaum etwas übrigbliebe. Und wie auf dem Bild von Traviès dargestellt, machen dies nicht individuelle Kritiker:innen, sondern Netzwerke, die sich koordiniert der Zerstörung oder Verhinderung von Kunst widmen. Das macht dieses Bild von Traviès heute wieder so aktuell.

Pierre Soulages

Der Künstker Pierre Soulages ist im Alter von 102 Jahren verstorben.

Jürgen Taube hat in der F.A.Z. den einzig richtigen Titel für den Nachruf auf den verstorbenen Künstler Pierre Soulages gewählt: „Und Finsternis lag auf der Tiefe“. Dieses Zitat aus Genesis 1,2 beschreibt wie kaum ein anderes die Herausforderung, vor der jeder Künstler steht. Die leere Leinwand, die uns weiß erscheint, ist für den Künstler / die Künstlerin jene Finsternis, über die der Geist schwebt und die gestaltet werden muss. Und das ist ein hartes Ringen, von dem einmal William Kentridge in seinen Harvard Lectures Auskunft gegeben hat. Wie kann es gelingen dem Hang zur Figuration, zur Illustration, zum Abbild von etwas zu entgehen? Zu verhindern, etwas abzubilden, was es schon gegeben hat, eine Welt zu schaffen, die es schon gibt.

Ausstellungskatalog des Centre Pompidou Paris

Pierre Soulages, am 24. Dezember 1919 in Rodez geboren, ist am 25. Oktober 2022 in Nimes gestorben. Sein gesamtes Werk zeichnet sich dadurch aus, gerade nicht etwas abbilden zu wollen, keine Darstellungen von etwas, sondern autonome Werke, die für sich stehen, eine eigene Welt, ein eigener Kosmos, Werke am Rande des Verstummens. Schwarze Löcher, die alles in sich aufnehmen, was es gibt, dunkel, schwarz und dennoch „jenseits von Schwarz“, leuchtend und die Welt reflektierend. Und auch in einer Kirche hat Soulages gearbeitet, in der Abbatiale Sainte-Foy de Conqueshat hat er einen ganz eigenen Kosmos geschaffen, abhängig vom Licht, von dem dann die folgenden Verse des ersten Kapitels der Genesis schreiben.