Die Biennale di Venezia 2024

Das Heft 149 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik ist erschienen. Es widmet sich vor allem der aktuellen Biennale, aber auch dem Film und weiteren Erscheinungen der Kunst und Kultrurpolitik.

Editorial

LA BIENNALE DI VENEZIA – PREVIEW

זריםבכלמקו – Worin noch niemand war: Heimat
Zur Programmatik der diesjährigen Biennale
Andreas Mertin [6 S.]

La Biennale di Venezia ist das Pfingsten der Kunst
Von der Vielfalt und der Einheit der Kunst
Andreas Mertin [4 S.]

Kunst als Welterkenntnis
Der Pavillon von Israel auf der Biennale 2024
Andreas Mertin [14 S.]

Doch nicht mit denen! Gegen Israel geht immer
Oder: Die Sehnsucht der Kritiker nach den Fleischtöpfen des „Nationalstaatendioramas“
Andreas Mertin [6 S.]

Thresholds – Schwellenwerte
Der deutsche Pavillon auf der Biennale di Venezia 2024
Andreas Mertin [10 S.]

Der Vatikan, zwei Päpste, ein Künstler und die Biennale
Ein komplexes Verhältnis
Andreas Mertin [8 S.]

LA BIENNALE DI VENEZIA – VIEW

Venezianische Kunst
Verstreute Beobachtungen von der Kunst-Biennale 2024
Wolfgang Vögele [10 S.]

„Die Steine von Venedig“
Mit der Summerschool Art & Religion auf der Biennale di Venezia 2024
Andreas Mertin [16 S.]

KUNST

Wenn etwas dazwischen kommt
Gedanken zur Kunst von Christian Hasucha
Karin Wendt [17 S.]

FILM
Die rächende Braut
Eine Notiz zu Truffauts „Die Braut trug schwarz“
Hans J. Wulff [4 S.]

Die toten Bräute
Überlegungen zur Seriendramaturgie halblanger deutscher TV-Serien
H.J. Wulff [12 S.]

CAUSERIEN

Eine „witch-hunting campaign“?
Das Mimimi der Blockwarte, Denunzianten und Spielverderber
Andreas Mertin [4 S.]

444
Wie ein Antisemitismusbeauftragter sein Amt missversteht
Andreas Mertin [6 S.]

RE-VIEW

Bazon Brock: „Eine schwere Entdeutschung“
Eine Buchempfehlung
Andreas Mertin [2 S.]

Man kann es auch zerreden – Nachtrag zum ESC

Boykottaufrufe sind noch kein Antisemitismus, es kommt auf den Kontext an.

Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, ist sehr begabt darin, alles was geschieht, auf die simple Formel Antisemitismus zu reduzieren. Whatever is, ist Antisemitism. Dieser inflationäre Gebrauch des Etiketts „Antisemitismus“ ist nicht hilfreich, weil dort, wo die Bezeichnung wirklich gebraucht wird, sie keine Trennschärfe mehr entwickelt. Aktuell sagt er mit Blick auf den Eurovision Song Contest und den dort stattfindenden Proteste (nach Wahl!):

»Es entspricht einem gängigen antisemitischen Muster, Israelis kollektiv in Haftung für Handlungen ihrer Regierung oder ihrer Armee zu nehmen, die sie oftmals selbst verurteilen«

Das mag ja sein, nur trifft das in diesem Fall überhaupt nicht zu. Die israelische Künstlerin ist als Vertreterin des Landes Israel dort, das hat der israelische Staatspräsident explizit so gesagt. Also dürfen die Protestierenden die Künstlerin als solche auch wahrnehmen und in den Boykott einbeziehen. Boykottaufrufe sind noch kein Antisemitismus (auch wenn die IHRA das behauptet), sondern legitimes Mittel im politischen Kampf. Das betont auch das von der amerikanischen Regierung zugrunde gelegt Nexus-Papier zum Verhältnis zum Antisemitismus. Sie ermahnen die Adressat:innen unter der Überschrift Verwechseln Sie Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus:

  • Kritik an der Politik der israelischen Regierung oder eine Ablehnung derselben ist nicht antisemitisch.
  • Harte Charakterisierungen Israels, die unfair sein mögen, sind nicht unbedingt antisemitisch.
  • Selbst Yitzhak Rabin warnte einst, dass die Aufrechterhaltung der Besatzung zu Apartheid führen würde. Er war sicherlich kein Antisemit.
  • Gewaltfreie Aktionen, die auf eine Änderung der israelischen Politik drängen, sind nicht generell antisemitisch.
  • Der Boykott von Waren, die im Westjordanland und/oder in Israel hergestellt werden, ist nicht antisemitisch, es sei denn, er richtet sich speziell gegen Israel wegen seines jüdischen Charakters.

Man kann beobachten, dass die Protestierenden das auch so machen, denn die andere jüdische Künstlerin auf dem Festival, Tali Golergant (* 2000 in Jerusalem), die Vertreterin Luxemburgs, wird ja nun gerade nicht für Israel verantwortlich gemacht. Ja, es ist so, Künstler:innen, die  für Israel auftreten. leiden enorm unter den Boykottaufrufen. Aber erkennbar geht es in diesem konkreten Fall nicht um ihr Jüdischsein, sondern um die Repräsentanz für den Staat Israel. Einen Boykott fordern dürfen die Protestierenden also, es kommt auf die Veranstalter:innen an, dass sie dem konsequent widerstehen.

Und wie die europäische Bevölkerung gezeigt hat, kann man durch simple Gesten ganz bewusst Zeichen setzen. Das ist 1000mal wirkungsvoller, als der inflationäre Gebrauch des Wortes „antisemitisch“. Meine Tageszeitung hat alle ihre Leser:innen aufgefordert, am 11.05.2024 zum Telefon zu greifen, um Israel zu wählen. Und wie ich sehe, haben sich offenbar sehr viele Menschen in Deutschland auch so entschieden. Das ist ein gutes Zeichen.

ESC ist positive Kulturpolitik

Das Televoting zum ESC gibt ein ermutigendes Zeichen in Sachen Solidarität mit Israel.

https://eurovisionworld.com/eurovision/2024#switzerland

Der Eurovision Song Contest betont immer, er sei eine unpolitische Veranstaltung. Das muss er wohl auch, um nicht zur politischen Propaganda-Plattform zu werden. Dennoch ist er natürlich durch und durch politisch. Weniger in dem, was die Gruppen singen, sondern in dem, wie die Menschen europa- und inzwischen ja auch weltweit abstimmen. Das wurde dieses Mal besonders deutlich. Während alle auf die Schreihälse vor und in der Konzerthalle starrten, stimmte die europäische Bevölkerung ab – und das ziemlich eindeutig. Gehen wir einmal davon aus, dass der israelische Beitrag für alle erkennbar nicht der beste und auch nicht der zweit- oder drittbeste war, dann kann das Abstimmungsverhalten der europäischen Bevölkerung nur als eindrückliches kulturpolitisches Zeichen gelesen werden. Was immer Grata Thunberg und ihre propalästinensischen Mitstreiter:innen vorab und parallel agitiert haben, die europäische Bevölkerung, soweit sie überhaupt am ESC interessiert war, hat das nicht gekümmert. Sie wollten ein Zeichen der Solidarität mit Israel geben. Während die deutsche Publizistik und diverse Lobbyist:innen beredt über den grassierenden Antisemitismus klagten, griffen die Menschen in Europa zum Telefonhörer und setzten ein kulturpolitisches Zeichen.

  • 15 nationale Televotings setzen Israel auf Platz 1
    (Australien, Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal, San Marino, Schweden, Schweiz, Spanien und der sog. Rest der Welt).
  • 7 nationale Televotings setzten Israel auf Platz 2
    (Albanien, Irland, Moldavia, Österreich, Slowenien, Tschechien, Zypern).
  • 3 nationale Televotings setzten Israel auf Platz 3
    (Dänemark, Georgien, Island)
  • 3 nationale Televotings setzten Israel auf Platz 4
    (Aserbaidschan, Griechenland, Lettland).

Damit haben 28 von 37 nationalen Televotings Israel aus kulturpolitischen Gründen hervorgehoben (wenn man davon ausgeht, dass Platz 5 eine angemessene Wertung wäre). Das ist ein eindrucksvolles Zeichen der Solidarität. Und die, so vermute ich, bezog sich weniger auf den Nahost-Konflikt selbst, sondern vor allem auf die unangemessenen Versuche von Aktivist:innen, Israel und Jüd:innen aus der Kultur auszuschließen. Dagegen wollte man protestieren und ein Zeichen setzen. Die Solidarität, unter den Künstler:innen des ESC nicht wirklich funktionierte (das Verhalten Griechenlands und der Niederlande während der Pressekonferenz war unsäglich), wurde stattdessen von den Menschen in Europa durch ihre Abstimmungen zum Ausdruck gebracht. Dass Jury und Publikum aus der Ukraine und aus Kroatien jeweils 0 Punkte gaben, dürfte eher aus taktischen Gründen geschuldet sein, um einen Mitkonkurrenten zu begrenzen. Israel dagegen hat alle unmittelbaren Konkurrenten bedacht. Dass Israel bei seinem Voting die einzige weitere Jüdin im Wettbewerb bevorzugt (24 Punkte für Luxemburg), kann man nachvollziehen.

Was mir aber wichtig ist, dass den Menschen europaweit der Boykott-Aktivismus a la BDS und Thunberg zunehmend auf den Keks geht. Sie setzen der kulturpolitischen Ausgrenzung ein kulturpolitisches Zeichen entgegen. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn derartige Wettbewerbe ganz frei von solchen Auseinandersetzungen wären, aber seien wir ehrlich: Der ESC ist seit mehr als zwei Jahrzehnten ein kulturelles Kampffeld – für Diversität, Queerness, für ein liberales und offenes Europa. Jene aber, die Kultur als ein rein politisches und national-politisches Kampffeld begreifen, sind dieses Mal krachend gescheitert, kaum jemand in Europa wollte ihnen folgen, selbst in jenen Ländern nicht, wo die größten Communitys der Palästinenser in Europa sind: Frankreich (mehr als 100.000), Schweden (bis zu 75.000), Großbritannien und Deutschland (offiziell 8000, geschätzt 175.000 bis 225.000) gaben im Televoting jeweils 12 Punkte für Israel.

Wäre ich pro-palästinensischer Aktivist, würde mir das zu denken geben. Offenbar ist die aktuelle Form des Aktivismus völlig kontraproduktiv, es stärkt die Seite, die man doch kritisieren will. Ich vermute, dass sich auch jenseits der kulturpolitischen Kampffelder dieser Effekt einstellt, also etwa im Blick auf die Universitäten und andere gesellschaftliche Bereiche.

Für die pro-israelisch Engagierten gäbe es dagegen Anlass zu viel mehr Gelassenheit und Souveränität. Man agiert aus einer Situation, in der ein Großteil der europäischen Bevölkerung hinter einem steht und dort Zeichen setzt, wo die liberale Kultur bedroht ist. Das spricht dafür, weniger auf kulturpolitische Begrenzungen und Vorgaben zu setzen, sondern den Rezipient:innen in Europa zuzutrauen, selbst Stellung zu beziehen. Das ist immerhin ein ermutigendes Zeichen.

P.S. Wie ich gerade sehe, geht der Kommentar von Jan Feddersen in der taz in dieselbe Richtung: Volksabstimmung pro Israel.

ESC oder: War früher alles besser?

Die aktuelle Kritik des ESC als queere Veranstaltung ist bigott – früher war es auch nicht anders.

In seiner Vögel-Kolumne beschäftigt sich Klaus Kelle mehr oder weniger unwillig mit dem aktuellen Eurovision-Song-Contest. Ist auch nicht mehr das, was es mal war, schreibt er, seitdem da auch queere Menschen zugelassen sind. Früher war das noch anders, da waren das noch echte werteorientierte Veranstaltungen für deutsche Sexisten, während heute diese Werte auf den Kopf gestellt sind. Und Kelle schwelgt in Erinnerungen an frühere ESC-Lieder, an France Gall (die auch schon mal in ihren Liedern für Fellatio Reklame machte) oder auch das „blonde Gift“ aus der Abba-Gruppe. Heute dagegen ist der ESC eine queere Veranstaltung und damit will ein wertekonservativer Katholik nichts zu tun haben. Marianne Rosenberg zum Beispiel, deren Queerhymne „Er gehört zu mir“ 1975(!) Teil des deutschen ESC-Vorlaufs war, wird verschwiegen, wie vieles andere auch. Ja, die früheren Zeiten waren – nein nicht besser, aber auch nicht schlechter als heute. Cora, das erste lesbische Paar in der Hitparade 1984 (Amsterdam. Liebe hat total versagt), hat immerhin in Sachen Beziehung eine wertebeständigere Biographie als Kelle, der gerne in seinen in Erinnerungen schwelgenden Texten darauf hinweist, mit wem er nach und nach so befreundet war. Heute, so meint Kelle, lohne der Blick auf den ESC nicht, weil er sich nur noch „zwischen androgynen Wesen, Trans- und Intersexuellen, lesbischen Außerirdischen, Menschen, die während des Auftritts ihr Geschlecht wechseln, oder was heute so alles denkbar und möglich ist“, abspiele. Wie viel Verachtung für das Leben seiner Mitmenschen artikuliert sich da. Gelobt sei der Kandidat, der verheiratet ist und Kinder hat, so wünscht es sich der Kleinbürger. Was ihn nicht daran hindert, Popmusikerinnen, die verheiratet waren und zwei Kinder haben, als „blondes Gift“ zu begehren. In solchen Kleinigkeiten war der konservative Mann schon immer großzügig. An deren Musik erinnert er sich nicht mehr, wohl aber an das „blonde Gift“. Das ist in Ordnung, die Gegenwart dagegen ist in Unordnung.

Angesichts der sexuellen Verwirrung in der Gegenwart seht sich mancher Konservative offenbar zurück zu Tony Marshall.

Dieser hatte schon vor mehr als vierzig Jahren Frauen am liebsten damit anbaggert, dass er sang, ich will „in deinem Wald“ der Oberförster sein. Wie unappetitlich. Wie gut, dass angesichts geänderter Hygieneverhältnisse das heute niemand mehr versteht.

Wer ernsthaft meint, in diesen Fragen sei die Welt früher besser gewesen, hat die Welt freilich noch nie verstanden. Man muss nicht die ursprünglich elfbändigen(!) „Viktorianischen Ausschweifungen“ von 1890 lesen, um zu wissen, dass gerade die Zeiten, die sich als keusch und wertekonservativ ausgeben, die wildesten und repressivsten zugleich waren. Aber das mindeste, was man wohl doch erwarten kann, auch von einem angeblich Wertekonservativen, ist, dass er die subjektiven Werte Anderer achtet und anerkennt, er muss sie ja nicht teilen. Aber diesen Minimalkonsens verweigert die rechte Schwarmintelligenz.

Die Doppelmoral mit der Doppelmoral

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Die Seite der rechten Schwarmintelligenz The Germanz veröffentlicht mal wieder einen Text von BorisRreitschuster, der sich mit einem Nazi-Vergleich der SPD-Co-Vorsitzenden Esken beschäftigt. Der gesamte Text ist eher der Kategorie des rasenden Gefasels der Gegenaufklärung zuzurechnen, voller logischer Sprünge und unsinniger Sätze wie dem, dass sich von Adolf Hitler über Stalin und Mao bis hin zu Mussolini und Pol Pot alle für die Guten gehalten hätten. Das wird er wohl kaum belegen können, ohne dabei das Wort Gut einigermaßen zu verdrehen. Jedenfalls verbinde dies die gerade Genannten mit allen Gutmenschen der Gegenwart, die sich für Übermenschen hielten. Wer das für einigermaßen verquast hält, dürfte Recht haben.

Saskia Erben hatte nun in Österreich die AfD als Nazi-Partei bezeichnet, genauer, sie hatte sie mit Goebbels verglichen. Das, so meint Reitschuster, gehe gar nicht: „Den Gegner ‚Nazi‘ zu nennen – das ist die vernichtendste Beschimpfung, die in Deutschland möglich ist. Das ultimative Totschlag-Argument. Die ultimative Verrohung der Sprache.“ Es sei denn, so würde ich jedenfalls meinen, das Argument träfe zu. Wenn man einen Nazi einen Nazi nennt, dürfte das wohl kaum eine Beschimpfung sein, kein Totschlag-Argument und keine Verrohung der deutschen Sprache. (Die Ansammlung von Superlativen in Reitschusters Satz deutet an, dass er genau weiß, dass sein Argument Unsinn ist, man soll gar nicht darüber nachdenken, denn es ist ja so superlativ schlimm.) Reitschuster nennt das eine „verbale Atombombe“. Nun ist es ja gerichtsfest, dass man einige der führenden AfD-Funktionäre Faschisten nennen darf, die angebliche Atombombe also längst von bundesdeutschen Gerichten gezündet wurde, lange bevor Frau Esken das nur wiederholte und es auf die gesamte Partei anwendete. Reitschuster weist nun darauf hin, dass gegen Esken in Osterreich wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt werde. Das besagt aber gar nichts, ich könnte heute gegen Herrn Reitschuster wegen irgendetwas eine Anzeige erstatten und es würde gegen ihn ermittelt. Ermittlungen sind ein normaler staatsanwaltschaftlicher Vorgang, noch nichts Ehrenrühriges. Die Mehrzahl der Verfahren werden eingestellt.

Aber man kann ja mal schauen, wer eigentlich Anzeige gegen Frau Esken gestellt hat. Da ist z.B. Gerald Grosz, ein früherer rechtspopulistischer Politiker, der 2023 beim Aschermittwoch der AfD Markus Söder als „Södolf“ und Landesverräter bezeichnet hatte. Daraufhin hat Söder Strafanzeige gestellt und Grosz wurde nach aktuellem, bisher allerdings noch nicht rechtskräftigem Beschluss des Amtsgerichts zu 36.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Vorwürfe lauten auf Beleidigung von Personen des politischen Lebens sowie auf Verstoß gegen das Versammlungsgesetz – Grosz soll bei der Veranstaltung unerlaubt ein Messer bei sich gehabt haben.

Somit haben wir den Fall, dass jemand, der von einem deutschen Gericht dafür verurteilt wurde, dass er einen deutschen Politiker mit Adolf Hitler verglich und dies für rechtens hielt, nun Strafanzeige gegen eine deutsche Politikerin stellt, weil diese die AfD mit der NSDAP verglich, was dieser nicht für rechtens hielt. Vermutlich handelt es sich aber simpel um eine Retourkutsche, nach dem Motto: Wenn die mich anzeigen, zeige ich die auch an. Man wird sehen. Mir scheint, Frau Erben hat dabei wesentlich größere Chancen als Herr Grosz.

Theolog:innen sind etwas ganz Besonderes

Vom Missbrauch des Kirchenamtes für politische Positionen.

Und schon wieder ist es passiert. Nach dem Erscheinen der ForuM-Studie waren sich doch alle irgendwie einig, dass ein Teil des Problems des Missbrauchs und des Umgangs mit Missbrauch in der Evangelischen Kirche in der unangemessen hervorgehobenen Rolle der Pfarrer:innen in der Kirche und in den Gemeinden bestand. Trotz aller Egalisierungsbemühungen des Protestantismus im 16. Jahrhundert sei man, was die Rolle der Pfarrer:innen angeht, ganz unsensibel wieder in Hierarchisierungen verfallen. Das habe zu einer Situation geführt, die nicht nur paternalistisch geprägt gewesen sei, sondern auch zum Missbrauch der eigenen hervorgehobenen Stellung für Verbrechen und Vergehen eingeladen habe.

Soweit der damalige Konsens, unmittelbar nach Erscheinen der ForuM-Studie. Und da haben auch viele Engagierte ihre Stimme erhoben, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Evangelische Kirche daran arbeiten müsse, den Mythos der besonderen Rolle ihrer Theolog:innen und Pfarrer:innen zu dekonstruieren und alle religiösen Subjekte wieder zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Überraschenderweise finde ich einige der Namen derer, die damals für die Dekonstruktion der hervorgehobenen Rolle der Pfarrer:innen und Theolog:innen in der Kirche plädiert haben, auf einer Unterschriftenliste wieder, die gerade vehement die CDU für ihre angekündigten Asylbeschlüsse auf ihrem Parteitag kritisiert und dazu dekretiert: Die CDU ist unchristlich.

Und was steht nun unter dieser Liste, schön fett gedruckt, damit es auch jeder lesen kann und beachtet? Diese Liste ist

Und man muss das ausgelassene „nur“ mitlesen, sonst hätte man ja schreiben können: Bitte unterzeichnen Sie diesen Appell. Das ist aber nicht gemeint, sondern man meint: möglichst keine Nicht-Theolog:innen auf unseren Listen. Wo kämen wir denn auch hin, wenn hier jedes Gemeindeglied unterschreiben würde. Das finde ich cool, dass das so unverhohlen eingeräumt wird. Nur den Theolog:innen kommt die Aura und die Kompetenz zu, die CDU als unchristlich zu verwerfen.

Direkt darunter ist ein Link auf die Liste derer, die bis zum Abend des 5.5.2024 bereits unterschrieben haben. Und auch hier bittet man darum, dass „Ort, Kirchengemeinde und Position“ angegeben werden. Plötzlich spielt die Position wieder eine ausschlaggebende Rolle.

Nun kann man fragen, ob die zahlreichen Pfarrer:innen, die unter Angabe ihrer Kirchengemeinde diese Liste unterschrieben haben, dies auch im Auftrag ihrer Gemeinde tun. Haben sie im Presbyterium ihrer Gemeinde abgestimmt, ob sie für die Gemeinde unterschreiben? Ich vermute nicht. Es dürften genügend Vertreter:innen in den Gemeindegremien sitzen, die es gar nicht so lustig finden, wenn die CDU frei weg als „unchristlich“ bezeichnet wird.

Wenn also ein Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Berlin Süd-Ost diese Liste unterschreibt, als was tut er dies? Wenn ein promovierter Pastor einer Hamburger Kirchengemeinde dies unter Angabe seiner Gemeinde signiert, wer hat ihn beauftragt? Ich glaube nicht, dass dies das korrekte Amtsverständnis ist. Es ist eben keine Privatmeinung, die hier artikuliert wird, sondern eine Meinung kraft des Amtes. Das wiederum finde ich missbräuchlich.

Die Meister des ausgestreckten Zeigefingers

Wer Bibelverse zitiert, sollte doch auch den Kontext bedenken. Zur Kritik der Theologen an der CDU.

Und da sind sie wieder, die Meister des ausgestreckten Zeigefingers, die mit Vorliebe auf Andere deuten, sie als „unchristlich“ bezeichnen und sich einzelne Verse aus der Bibel picken, um ihre politischen Parolen damit abzufedern.

750 Theolog:innen haben sich zusammengetan, um die drohenden Asylbeschlüsse auf dem Parteitag der CDU als unchristlich zu denunzieren. Das kann man machen, wenn man geklärt hat, wer überhaupt über das Etikett „christlich“ verfügen darf. Das ist bei der CDU immer schon problematisch gewesen, wird aber nicht besser, wenn nun ihre Gegner:innen meinen, dasselbe tun zu können. Ob sich die CDU als christlich etikettiert, oder die Kritiker die CDU als unchristlich – beides finde ich unberechtigt.

Nun berufen sich die Kritiker:innen der CDU auf einen biblischen Vers, um ihre Etikettierung zu rechtfertigen. Diese Kalenderspruch-Rhetorik ist immer problematisch, denn Bibelverse haben einen Kontext und der ist selten so, wie es sich die Zitaten-Sammler:innen wünschen. Im vorliegenden Fall picken sie sich Jesaja 16, 3f. heraus. Das ist – kontextbefreit – ein netter Satz zur Apologie der eigenen Haltung in der Flüchtlingsfrage, aber mehr auch nicht.

Sobald man näher hinschaut und den Kontext berücksichtigt, wird es schwierig. Schon der Tonfall gegenüber dem Volk der Moabiter ist in Jesaja 16 schwer erträglich. Er ist paternalistisch durch und durch, mit stolzgeschwellter Brust bietet man dem feindlichen, nun aber bedrohten Volk die Hilfe an. Lass sie nur kommen, sie werden auch wieder gehen, wenn der Herr die rechten Leute dort an die Regierung und Macht gebracht hat. Die EU könnte es nicht besser sagen.

Ist es das, was uns die Kritiker:innen der CDU vermitteln wollen? Oder haben sie gar nicht an die Moabiter gedacht, sondern fanden den Spruch nur einfach cool – so wie der Killer in Pulp Fiction immer einen coolen Spruch aus der Bibel zitiert, bevor er abdrückt.

Die CDU könnte die Steilvorlage ihrer Kritiker:innen aber durchaus aufgreifen, und darauf hinweisen, dass es in der biblischen Geschichte ganz unterschiedliche Fraktionen gab, die in der Flüchtlingsfrage gegensätzliche Positionen vertraten.

Als Israel versuchte, sich unter persischer Herrschaft neu zu konstituieren, stellte sich die Frage, ob man den Völkern gegenüber auf radikale Absonderung oder auf friedliche Koexistenz setzen sollte. Eine Richtung will die nationale Identität durch eine scharfe Abgrenzung nach außen herstellen. Als Protagonisten dieser Strömung verbieten Esra und Nehemia in Fortführung deuteronomistischer Absonderungsgedanken z.B. Ehen mit ausländischen Frauen (Esr 10; Neh 13). Die andere Richtung ist Ausländern gegenüber aufgeschlossen und setzt sich für Toleranz ein. So entwerfen die Bücher Rut und Jona in Auseinandersetzung mit nationalistischen Strömungen ein positives Ausländerbild, um so für eine offene Einstellung zu werben. In diesem Konfliktfeld, das seinen Niederschlag auch in eschatologischen Entwürfen findet, sind die unterschiedlichen Positionen gegenüber Moab zu sehen.[Wibilex, Art. Moabiter]

Und schon sieht die Welt ganz anders aus. Auch die CDU könnte sich mit ihrer Politik der nationalen Abgrenzung auf die Bibel beziehen, nur eben nicht auf dieselben Verse. Von wegen unbiblisch oder unchristlich. Persönlich finde ich die Rut-und-Jona-Haltung auch sympathischer, bin aber weit davon entfernt, die Haltung Esras und Nehemias als unbiblisch zu verwerfen.

Mit Zahlen hat es die konservative Schwarmintelligenz nicht so

Wenn zwei mehr als die Hälfte von zehn ist – dann stimmt etwas nicht mit der mathematischen Intelligenz.

Klaus Kelle verstolpert sich in seinem islamophobischen Grimm wieder mal in der Statistik. Anfangs verwechselt er Fiktion mit Realität, versteht in guter alter Sturm-und-Drang-Ästhetik Kunst als seismographisches Element künftiger Wirklichkeiten. Aber die Unterwerfung von Houellebecq ist ein Roman, keine Zukunftsforschung. Das sollte man tunlichst unterscheiden. Nun warnt uns Klaus Kelle mit eindringlichen Worten vor einer islamischen Mehrheitsgesellschaft in wenigen Jahren. Schon bald, etwa 2050 werden die muslimischen Bürger:innen in der Bundesrepublik Deutschland die Mehrheit bilden.

Das ist ja spannend. Sein Beleg für diese These? Eine Behauptung von Thilo Sarrazin aus dem Jahr 2010, als dieser schrieb, schon in 30 Jahren werde die Mehrheitsgesellschaft muslimisch sein. Und da konnte er ja von der Flüchtlingskrise noch gar nichts wissen. Nun ist die Hälfte der von Sarrazin in den Blick genommenen Zeit um und da sollte man doch denken, dass die Muslime, wenn schon nicht 50%, dann aber doch 25% der deutschen Bevölkerung ausmachen. Das haben sie nicht ganz geschafft – diese bösen Politiker:innen der Grünen, die ja ganz Deutschland ‚überfremden‘ wollen. Nach der letzten Erhebung entspricht der Bevölkerungsanteil aktuell etwa 6,7% der Gesamtbevölkerung.

Nun könnte man sagen, was nicht ist, kann ja noch werden. Aber auch Zukunftsprognosen können nicht einfach aus dem hohlen Bauch erfolgen, sondern müssen wissenschaftlich solide sein. Das Pew-Forschungsinstitut hat für 2050 eine Prognose vorgelegt. Und wie immer bei wissenschaftlichen Prognosen gibt das Institut eine Varianz an, je nachdem wie die Rahmenbedingungen sich ändern. Nach dem Szenario 1 (keine weitere Zuwanderung) kommt das Institut für 2050 aufgrund der Geburtenrate auf einen muslimischen Anteil von 8,7%. Das Szenario 2 geht von einem moderaten Anstieg aus, eher Migration als Flüchtlingsstrom. Dann käme man auf 10,8% der Gesamtbevölkerung. Im Szenario 3 geht es um einen kontinuierlichen Flüchtlingsstrom wie 2015 und hier käme man auf 19,5% der Gesamtbevölkerung. Für Christen wird für das Jahr 2050 übrigens ein Gesamtbevölkerungsanteil von 59% vermutet. Nun könnte man sagen, der Anteil der Christen sei ja heute schon geringer, aber dann verwechselt man Kirchenzugehörigkeit und religiöse Orientierung. Man wird nicht Atheist, nur weil man aus der Kirche austritt. Klaus Kelle aber müsste erklären, inwieweit 20% Muslime gegenüber 80% von Nicht-Muslimen eine Mehrheit bilden können. Aber vermutlich ist das mal wieder die schweigende (diesmal muslimische) Mehrheit, von der Kelle so gerne fantasiert.

Ein Buchstabe zu viel oder: Die EKD auf fremdem Territorium

Die EKD redet über Flugzeuggastronomie – oder doch nicht? Man weiß es nicht genau.

Das ist lustig .- kann aber vorkommen. Die EKD veranstaltet ihren ersten deutschen evan­ge­li­schen Hochschultag, Veranstaltungsort ist die Universität Heidelberg und geladen sind veritable Gäste. Es gibt einen Hauptvortrag von Christoph Markschiess, ein Podium unter dem scheinbar unvermeidlichen Titel „Hier stehe ich!“ – Freiheit und Wahrheit in schwierigen Zeiten. Und dann gibt es noch vier Module unter der Überschrift „Interdisziplinäre Entdeckungen zu Freiheit, aktueller Forschung, Religion und Gesellschaft“. Es geht in den Modulen um Künstliche In­telligenz, Nachhaltigkeitsforschung, sowie um religiöse Freiheit und Universität. Und dann gibt es ein doch etwas überraschendes Modul unter der Überschrift „Am Limit. Perspektiven aus Theologie und Astrophysik“. Damit hätte ich nicht gerechnet, denn bisher ist mir nicht bekannt, dass deutsche Professor:innen der Evangelischen Theologie sich damit beschäftigen. Zwar haben wir deutsche theologische Wissenschaftler, die dazu forschen und in New York, in Santa Barbara und Mountain View, Providence, Kopenhagen und auch Florenz mit wissenschaftlichen Vorträgen auftreten und dazu auch publiziert haben – aber die sind in dem Modul nicht vertreten. Die deutsche theologische Fach­wissenschaft zum Thema Astrophysik vertritt Malte Krüger. Nichts gegen diesen Wissenschaftler – als internationaler Experte zum Thema ist er bisher nicht aufgefallen. Aber deutsche Theologen sind ja Generalisten.

Lustig, um auf meinen Eingangssatz zurückzukommen, ist nun an der Ausschreibung, dass der Veranstalter, also die EKD, die Professur des eingeladenen fachkompetenten Gastes Alfred Krabbe verändert hat. Dieser ist in Stuttgart Professor für Flugzeugastronomie und extraterrestrische Raumfahrtmissionen.

Das fand die EKD wohl zu wenig bodenständig und formulierte es um, indem man einen Buchstaben hinzufügte. Nun ist er Professor für Flugzeuggastronomie und extraterrestrische Raumfahrtmissionen. Und das ist für die theologischen Vielflieger der EKD ja auch viel naheliegender: um die Bordverpflegung sollte sich durchaus auch ein Professor an einer bundesdeutschen Universität kümmern. Eigentlich hätte man auch bei den Raumfahrtmissionen noch ein e zufügen können, dann wäre es ein wirklich interessantes Gespräch geworden. Denn Raumfahrtemissionen sind ein wichtiges Thema für die Nachhaltigkeit.

Und immer wieder dieselbe Rede

Der Papst kehrt zur alten Rollenverteilung von Kunst und Kirche zurück: Kunst spielt für die Kirche eine wichtige Rolle, wenn sie ethisch präfiguriert ist.

Wofür sollte Kunst denn auch sonst da sein – außer eine Rolle zu spielen in den ethischen Debatten und Reflexionen dieser Welt? Seit 500 Jahren arbeitet die Kunst daran, nicht mehr automatisch diesen metaphysischen, ethischen und religiösen Präjudizierungen unterworfen zu werden, sondern selbst zu bestimmen, was Kunst als Kunst macht. Aber die Kirche kann es nicht lassen. Sie kennt keine Eigenwertigkeit der Kunst. Dabei heißt Kunstwerke zu schaffen, besondere Werke zu schaffen, Werke, die sich durch ihre Differenz zu allen anderen Bereichen menschlichen Lebens auszeichnen. Das Werk der Künstler:innen steht „neben den lebensnotwendigen Werken der eigentlichen Arbeit, neben der Wissenschaft, neben Kirche und Staat“ – „Das wagt doch der Mensch in der Kunst: die gegenwärtige Wirklichkeit in ihrem schöpfungsmäßigen Das-Sein, aber auch in ihrem So-Sein als Welt des Sündenfalls und der Versöhnung nicht letztlich ernst zu nehmen, sondern neben sie eine zweite, als Gegenwart nur höchst paradoxer Weise mögliche Wirklichkeit zu schaffen, ohne von jener loszukommen“ (so Karl Barth 1920). Letztlich geht es beim Satz des Papstes um eine metaphysische Ingebrauchnahme der Kunst: die an der Buchstäblichkeit, dem Material orientierte Kunst soll vom Geist in die Sinndeutung eingebunden werden. Dagegen geht es im Interesse der Kunst darum, die Autonomie der kulturellen Bereiche vor der theologischen und religiösen Hegemonie zu bewahren.

Nun hatte die katholische Kirche immer schon ein gebrochenes Verhältnis zu Immanuel Kant und seiner Bestimmung menschlicher Erkenntnisse in den drei Kritiken (Kritik der reinen Vernunft – Kritik der praktischen Vernunft – Kritik der Urteilskraft). Mit der Autonomie der Künste, ihrer ihr immanenten Zweckhaftigkeit ohne äußeren Zweck wusste sie nichts anzufangen. Gelobt und geliebt wird die Kunst, wenn sie zweckrational eingebunden werden kann, wenn sie also gegen »Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Ungleichheit und für das ökologische Gleichgewicht« ankämpft. Und was ist mit all der anderen Kunst (die vermutlich einen Großteil aller Kunstwerke ausmacht)? Kirchlich bzw. religiös ist sie uninteressant. Aber was macht die Kunst als Kunst noch attraktiv, wenn sie doch nur das visualisiert, was der Stellvertreter Gottes auf Erden eh‘ schon jeden Sonntag von der Kanzel kundtut? Gegen »Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Ungleichheit und für das ökologische Gleichgewicht« zu sein, ist eine Art Teilnahme am ethischen Buzzword-Bingo, aber kein Element der Kunst. Das Modell nach dem auch dieser Papst zu denken scheint, ist das der vorgängigen Themen und Texten, denen die Kunst ihre visuelle Gestaltungskraft andienen darf. Das ist ein mittelalterliches und frühneuzeitliches Verständnis von Kunst, das diese als Religions- oder Ethik-Design begreift. Vor allem aber ist es ein illiberales Verständnis von Kunst. Wenn die Kunst nur Rollen einzunehmen hat, ist sie nicht frei, allenfalls Hofnarr am Tisch der Mächtigen und der Diskursgestalter. Frei ist sie aber nur als souveräne Kunst, die sich Formwerdung und inhaltliche Bezüge selbst wählt.

Über Freiheit als „Methode der Kunst“ hat am Ende des 20. Jahrhunderts der Künstler, Theologe und Philosoph Thomas Lehnerer reflektiert. Im Anschluss an Immanuel Kant skizziert Lehnerer ästhetische Erfahrung als ein „Empfinden aus Freiheit“ und Bildende Kunst als eine „Methode aus Freiheit“. Das Empfinden von Schönheit ist danach „die vielleicht ganz alltägliche, aber unbedingte Freude daran, dass etwas ohne Not und Grund – frei – sich bewegt, dass etwas lebendig ist in dieser Welt, einfach so. – Freie Lebendigkeit spüren, das ist Schönheit … Schönheit als solche (als Empfinden aus Freiheit) beruht weder auf Natur noch auf Kultur … Schönheit ist ein an sich selbst freier, unbedingter, dennoch aber subjektiv wahrnehmbarer Glücksfall.“ Kunstwerke sind im Gegenzug Gegenstände, die den ‚Zweck‘ haben, dieses „Empfinden aus Freiheit“ auszulösen. Thomas Lehnerer hat vehement bestritten, dass sich Kunst und Religion im Sinne einer gemeinsamen Gattung konstellieren lassen: „Dort wo Kunst ihren Selbstbezug ausformuliert, wo sie ihre Autonomie zur Geltung bringt und dadurch als Totalität sich ausweitet, wo sie m.a.W. ihrem Begriff radikal folgt, ist sie bestimmte Negation von Religion“. Unter diesen Gesichtspunkten „bleiben alle religiös-theologischen Bemühungen, Kunst zu verstehen, limitiert.“ Daher besteht die Perspektive der Begegnung von Kunst und Kirche in der Anerkenntnis dieser Differenz. Geführt werden müsste „ein Diskurs zwischen Kunst und Theologie, in dem beide Seiten ihre Position stark machen und in dem deshalb wirklich etwas auf dem Spiel steht. Es sollte ein Gespräch sein, bei dem die Einigung nicht bereits im Vorhinein programmiert ist, ja vielleicht sogar nicht einmal angestrebt werden muss…, ja (das Gespräch) eigentlich keine Übereinstimmung zum Ziel haben (kann)“ (Alle Zitate Thomas Lehnerer).

Einsichtig werden muss, dass die religiöse Interpretation und in diesem Fall die päpstliche Interpretation des Engagements der Kunst den ästhetischen Charakter der Kunstwerke, ihr Kunsthaftes verfehlt. Man sucht nur das Eigene im Fremden und jubelt auf, wenn man meint, etwas Gemeinsames gefunden zu haben. Man kann aber sicher sein, dass die Kunst in ihren Werken diese scheinbare Gemeinsamkeit wieder unterlaufen wird. Genau das ist nämlich der ästhetische Prozess, der sich eben nicht ethisch stillstellen lässt: er nennt sich „Die Souveränität der Kunst“

Kunst ist eben nicht deshalb interessant, weil sie eine Verbündete im Kampf gegen »Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Ungleichheit und für das ökologische Gleichgewicht« ist, sondern weil sie Kunst ist. Nicht das „Was“ eines Werkes macht die Kunst interessant, sondern das „Wie“, nicht der Inhalt, sondern die Form.

Es gab einmal einen Papst, aber auch nur einen einzigen, der das zu würdigen wusste.

Aus der Papstrede in München 1980:
Eine grundsätzliche neue Beziehung von Kirche und Welt, von Kirche und moderner Kultur und damit auch von Kirche und Kunst wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil geschaffen und grundgelegt. Man kann sie bezeichnen als Beziehung der Zuwendung, der Öffnung, des Dialogs. Damit ist verbunden die Zuwendung zum Heute, das „Aggiornamento” … Die Welt ist eine eigenständige Wirklichkeit, sie hat ihre Eigengesetzlichkeit. Davon ist auch die Autonomie der Kultur und mit hr die der Kunst betroffen. Diese Autonomie ist, echt verstanden, kein Protest gegen Gott oder gegen die Aussagen des christlichen Glaubens: sie ist vielmehr der Ausdruck dessen, dass die Welt Gottes eigene, in die Freiheit entlassene Schöpfung ist, dem Menschen zur Kultur und Verantwortung übergeben und anvertraut. Damit ist die Voraussetzung gegeben, dass die Kirche in ein neues Verhältnis zur Kultur und zur Kunst eintritt, in ein Verhältnis der Partnerschaft, der Freiheit und des Dialogs. Das ist umso leichter möglich und kann umso fruchtbarer sein, als die Kunst in Ihrem Land frei ist und sich im Raum der Freiheit verwirklichen und entfalten kann. … Die Kirche sieht die Berufe der Künstler und Publizisten in einer Bestimmung, die zugleich die Mitte, die Größe und die Verantwortung Ihrer Berufe bezeichnet. Nach christlicher Auffassung ist jeder Mensch Bild und Gleichnis Gottes. Dies trifft hinsichtlich der schöpferischen Tätigkeit in einer besonderen Weise für den Künstler und den Publizisten zu. Ihr Beruf ist Ihrer jeweiligen Aufgabe entsprechend ein schöpferischer Beruf. Sie geben der Wirklichkeit und dem Stoff der Welt Form und Gestalt. Sie verbleiben nicht in der bloßen Abbildung oder in der Beschreibung der Oberfläche. Sie versuchen, die Wirklichkeit des Menschen und seiner Welt zu „verdichten“ im ursprünglichen Sinn des Wortes. Sie wollen in Wort, Ton, Bild und Gestaltung etwas ahnen lassen und vernehmbar machen von der Wahrheit und Tiefe der Welt und des Menschen, wozu auch die menschlichen Abgründe gehören. Dies zu sagen, bedeutet keine heimliche christliche oder kirchliche Vereinnahmung der Kunst und der Künstler, der Medien und Publizisten, sondern eine Würdigung aus der Sicht des christlichen Glaubens, eine Würdigung, die erfüllt ist von Positivität, von Respekt und Anerkennung.