Wer ein klassisches Beispiel für „Whataboutism“ studieren will, kann dies an einem Debattenbeitrag auf z(w)eitzeichen. Da geht es um die Energiepauschale für Studierende an bundesdeutschen Universitäten, die immer noch nicht ausbezahlt ist. Das ist kritikwürdig und wer sich da ein stärkeres Engagement wünscht, der kann eine Petition aufsetzen und andere zur Unterschrift auffordern. Whataboutism wäre es, wenn ich dem entgegen würde: Und was ist mit all den Obdachlosen? Darum geht es hier aber nicht. Stattdessen wird im Text kritisiert, dass „sich so mancher männliche Ordinarius bemüßigt [fühlt], sein theologisches Fachwissen in die öffentliche Debatte einzuspeisen“. Ich wusste noch gar nicht, dass das kritikwürdig ist. Dafür gibt es doch die Universitäten, damit die dort Forschenden und Lehrenden ihr Fachwissen erweitern und vermitteln. Man kann den Forschenden und Lehrenden, die sich in theologischer Perspektive etwa zu Umweltfragen äußern, nicht entgegentreten, indem man sie fragt: Und was ist mit der Energiepauschale für die Studierenden? Das ist nun wirklich klassischer Whataboutism.
Und was soll die hämische Fokussierung auf die „männlichen Ordinarien“? Wir haben – von regionalen Ausnahmen abgesehen – seit bald einem halben Jahrhundert keine Ordinarien mehr. Wer heute an Universitäten lehrt, mag Lehrstuhlinhaber sein, aber kein Ordinarius. Wer dennoch auf dieses Wort rekurriert, bedient ein Klischee, das sich unter dem Stichwort „Ordinarien-Herrlichkeit“ fassen lässt. Bereits als ich Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts zu studieren anfing, gab es die Ordinarien-Herrlichkeit nicht mehr. Warum also diese demonstrative Denunziation einiger Professoren als „männliche Ordinarien“? Es soll den Diskurs ersparen und Ressentiment dort erzeugen, wo Argumente notwendig wären. Dass es um Ressentiments geht, zeigt auch der weitere Text, der wild über narzisstische Kränkungen der Kritisierten fantasiert oder deren angeblichen Bedeutungsverlust spekuliert. Das ist ad-hominem-Polemik. Lustig wird es, wenn dann folgender Satz als Gesinnung der Kritisierten ausgegeben wird:
Wie furchtbar, dass man sich nicht mehr wie in seligen Zeiten von Assistenten den Weg durch die Studi-Massen zum Katheter bahnen lassen kann!
Ich wusste gar nicht, dass Theologieprofessoren auch Medizin lehren. So ein Rechtschreibfehler kann natürlich mal passieren, aber vor der Veröffentlichung lesen doch mehrere Instanzen den Text, warum korrigiert es keiner? Abgesehen davon, dass es etwa in der Ruhr-Universität Bochum, an der einer der Kritisierten forscht und lehrt, schon seit Gründung der Hochschule keine Katheder, sondern allenfalls Pulte gibt. So aber dient die Wortwahl ausschließlich der Herabsetzung des Gegenübers.
Den Studierenden jedenfalls ist mit diesem Text nicht geholfen, allenfalls wird ihnen ein Weltbild vermittelt, dass selbst in heutigen Zeiten Professoren (oder wie es im Text heißt „Theo-Profs“) sich paternalistisch um das Wohlergehen der Studierenden zu kümmern hätten. Da halte ich es doch lieber mit der Internationalen:
Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!