Wir wünschen allen ein schönes Weihnachtsfest – wo immer sie sich gerade befinden.
Viviano Codazzi, Die Geburt Jesu in antiken Ruinen, um 1660, Öl auf Kupfer, 27 × 19 cm
Der Engel sprach zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkünde euch große Freude, die das ganze Volk betreffen wird: Heute ist euch der Gesalbte der Lebendigen, der Retter, geboren worden, hier in der Stadt Davids. Und dies sei das Erkennungszeichen für euch: Ihr werdet ein Neugeborenes finden, in Windeln gewickelt, in einer Futterkrippe.« Plötzlich erschien zusammen mit dem Engel eine große Schar des himmlischen Chores. Sie priesen Gott mit den Worten: »Glanz in den Höhen bei Gott! Und Friede auf der Erde bei den Menschen, die Gott wohlgefallen!«
Wir wünschen allen ein schönes Weihnachtsfest – wo immer sie sich gerade befinden.
Und irgendwo dazwischen findet in der kommenden Heiligen Nacht die Geburt des Herrn statt.
Wenn wir nur auf das obige Detail mit den vier Figuren blicken, dann könnten wir schnell erkennen, um wenn es sich handelt: ein Mann (von Beruf offenbar Zimmermann), eine Frau auf einem Esel reitend und ein Ochse, der die Gruppe begleitet. Da nicht auch noch ein Kind zu sehen ist, kann es sich nicht um die Flucht nach Ägypten handeln, sondern es muss der Weg des Heiligen Paares zur Volkzählung sein. Im Auftrag von Kaiser Augustus begeben sie sich am Vorabend der Geburt Jesu nach Bethlehem, um sich in die Verzeichnisse des römischen Reichs einzutragen. Warum Josef dazu seine überdimensionale Säge mitgenommen hat erschließt sich nicht, vielleicht dient sie dem ausführenden Künstler nur dazu, dass die Betrachter:innen ihn leichter identifizieren können.
Während wir also die herausgeschnittene Gruppe relativ gut der biblischen Erzählung zuordnen können, fällt das bei der Betrachtung des Gesamtwerkes deutlich schwerer. Pieter Bruegels Bild von 1566 ist 116×164 cm groß und trägt den Titel „Die Volkszählung von Bethlehem“ (Zoom-View-Bild bei Google ArtsandCultur). Das Gemälde befindet sich heute in den Königlichen Museen der Schönen Künste Belgiens in Brüssel. Dort gehört es zu den Meisterwerken der Sammlung im Bereich der Alten Kunst, die über zahlreiche Werke der Künstlerfamilie verfügt (u.a. auch eine andere Variante desselben Sujets aus der Hand des Sohnes von 1610).
Die Volkszählung zu Bethlehem, Pieter Bruegel, 1566, 116 x 164 cm. (Weitere Infos zum Bild)
Der Vater Pieter Bruegel der Ältere hatte sich bei seinem Werk entschieden, die Szene nicht in Judäa kurz vor der Zeitenwende spielen zu lassen. Sie wurde sozusagen „aktualisiert“ und spielt nun in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts und damit mitten in der Kleinen Eiszeit. Dementsprechend stoßen wir auf eine Schneelandschaft mit zugefrorenem Fluss und zahlreichen Details aus dem Dorfleben. Denn die sich anschließende Geburt Jesu geschieht eben: mitten im Leben der Menschen mit ihren Geschäften, dem prallen Leben und den Tätigkeiten des Handwerks. Man möchte gar nicht hinschauen, so realistisch zeichnet Bruegel das Alltagsleben.
Während wir uns trotz der Dramatik der Weihnachtserzählung („denn sie hatten keinen Raum in der Herberge“) an idyllische Weihnachten gewöhnt haben, sieht Bruegel nicht ein, warum er auf dem Kunstwerk nicht auch zeigen soll, wie wir an unseren Weihnachtsbraten kommen. Und so schlitzt ein Bauer vor den interessierten Augen zweier Kinder einem Schwein den Hals auf und seine Frau fängt das Blut auf einer Pfanne ein. Das Haus im Hintergrund, das man für die Volkszählungsstelle deuten könnte, ist in Wirklichkeit eine Wechselstube, das Haus daneben eine eifrig frequentierte Kneipe.
Und irgendwo dazwischen findet in der kommenden Heiligen Nacht die Geburt des Herrn statt.
We’re in the backyard,
some transcendental moment?
It’s almost light. That’s right. That’s it.
Some people say It’s what we deserve For sins against God For crimes in the world I wouldn’t know I’m just holding the fort Since that day They wounded New York.
No words this time? No words. No, there are times when nothing can be done. Not this time. Is it censorship? Is it censorship? No, it’s evaporation. No, it’s evaporation. Is this leading somewhere? Yes. We’re going down the lane. Is this going somewhere? Into the garden. Into the backyard. We’re walking down the driveway. Are we moving towards We’re in the backyard, some transcendental moment? It’s almost light. That’s right. That’s it. Are we moving towards some transcendental moment? That’s right. That’s it. I Do you think you’ll be able to pull it off? Yes. Do you think you can pull it off? Yes, it might happen. I’m all ears. I’m all ears. Oh the morning glory!
Ich hab Dich heut morgen gesehn Du warst verdammt schnell Es kann nicht sein dass ich den Halt verlier´ In der Vergangenheit. Ich vermisse Dich so verdammt viel. Nichts aber auch nichts ist in Sicht. Und wir lieben uns noch immer In meinem geheimen Leben.
Ich lächle wenn ich sauer bin Ich lüge und betrüge Ich tu das, was ich tun muss Um durchzukommen. Aber ich weiß, was falsch ist. Und ich weiß auch, was richtig ist. Und ich sterbe für die Wahrheit In meinem geheimen Leben.
Wart’s ab, wart nur ab mein Bruder Meine Schwester, bleib nah dran. Ich hab endlich meinen Stellungsbefehl erhalten, Ich marschiere durch den Morgen, Marschiere durch die Nacht, Überschreite Grenzen meines geheimen Lebens.
Wenn man sich die Zeitung so durchblättert, Will man nur noch weinen. Es interessiert keine Sau, Ob die Menschen leben oder sterben. Und der Dealer will nur, dass Du Schwarz-weiß denkst. Gott sei Dank ist es nicht so einsilbig in meinem geheimen Leben.
Ich beiße mir auf die Zunge. Ich kauf das was mir gesagt wird. Vom letzten Hit Bis zur ältesten Weisheit. Aber ich bin immer alleine Und mein Herz ist wie ein Eisberg. Es ist ist kalt und bedeckt
In meinem geheimen Leben. In meinem geheimen Leben. In meinem geheimen Leben. …
Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in
Die Vögel sangen Im Morgengrauen Fang nochmal an Hörte ich sie krächzen Verweile nicht bei dem Was vergangen ist Oder noch kommen wird
Ja, die Kriege werden weitergehen Die heilige Friedenstaube Sie wird wieder eingefangen Gekauft und verkauft Und wieder gekauft werden Sie wird nie frei sein.
Läute die Glocken, die noch klingen Vergiss dein perfektes Angebot Da ist ein Riss, ein Riss in allem Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt
Wir fragen nach Zeichen Die Zeichen wurden geschickt Die Geburt verraten Die Ehe erloschen Ja, es ist ein Witwenstand In jeder Form von Herrschaft Zeichen, die wir alle sehen können
Ich kann nicht mehr fortlaufen Inmitten der gesetzlosen Masse Während die Mörder in den oberen Etagen Ihre Gebete lauthals plärren Aber sie haben etwas heraufbeschworen Einen Gewittersturm Und sie werden noch von mir hören
Läute die Glocken, die noch klingen Vergiss dein perfektes Angebot Da ist ein Riss, ein Riss in allem Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt
Du kannst eins und eins zusammenzählen Aber die Summe wirst du nie ziehen können Du kannst zum Marsch aufrufen Dazu bedarf es keiner Trommel Jedes Herz, jedes Herz Jedes liebende Herz wird herbeieilen Wenn auch wie ein Flüchtling
Läute die Glocken, die noch klingen Vergiss dein perfektes Angebot Da ist ein Riss, ein Riss in allem Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt
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Mehr zu Leonard Cohen und seiner Musik finden Sie im Magazin für Theologie und Ästhetik:
Vögele, Wolfgang (2015): Hallelujah! Theologische Marginalien über einen Song von Leonard Cohen. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 17, H. 96. Online verfügbar unter https://www.theomag.de/96/wv20.htm.
Vögele, Wolfgang (2017): Nebensonnen. Theologische Bemerkungen zu Franz Schubert und Leonard Cohen. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 19, H. 105. Online verfügbar unter https://www.theomag.de/105/wv31.htm.
Die Künstliche Intelligenz sagt einem, dass Angriffe auf Kunstwerke „generally not accetable“ sind.
Ich setze mein Frage-und-Antwort-Spiel von gestern fort und frage den KI-Bot nun, was ist eigentlich wichtiger: Kunst oder Leben? Die Antwort darauf ist erstaunlich differenziert, vor allem, wenn man sich schon an das Schwarz-Weiß-Denken der Letzten Generation gewöhnt hat:
It is impossible to say whether art or life is more important, as the value and significance of each depends on one’s perspective and priorities. For some people, art may be a central and essential part of their life, providing them with a sense of meaning and fulfillment that is unparalleled by other experiences. For others, the basic necessities of life, such as food, shelter, and safety, may be of paramount importance. Ultimately, the relative importance of art and life will vary depending on an individual’s circumstances and needs. It is not a question that can be answered definitively, but rather one that each person must answer for themselves based on their own values and experiences.
Das bedeutet aber auch, dass der Angriff auf Kunstwerke eine elementare Attacke auf essentielle Teile der Lebensdeutung von Menschen sind – auch dann, wenn man selbst vielleicht ein ganz anderes Kunstverständnis hat.
Ich schiebe nun die Frage nach, ob es legitim ist, Kunstwerke anzugreifen, um Leben zu retten. Und auch hier erweist sich der KI-Bot als wesentlich differenzierter als die öffentliche Debatte:
It is generally not acceptable to attack works of art, regardless of the reason. Art is a significant part of human culture and history, and it is important to protect and preserve it for future generations. However, there may be situations in which the destruction of a work of art is necessary in order to prevent harm to human life. In such cases, the decision to destroy the work of art would need to be carefully considered and justified, and it is likely that it would be a last resort option. It is important to remember that there may be other ways to protect human life without causing harm to cultural heritage.
Da hätte man sich ja gewünscht, die Letzte Generation hätte sich vorher bei einer Künstlichen Intelligenz erkundigt, bevor sie die eigene, natürliche in Anschlag gebracht hat.
Ach ja, wer selbst Gespräche mit dem KI-Bot führen will, kann dies nach dieser Anleitung tun. Probieren Sie es einfach aus, es macht Spaß.
Ich führe eine Unterhaltung mit einem KI-Bot über allgemein interessierende Fragen.
Im Augenblick unterhalte ich mit einem KI-Bot. Am Anfang dachte ich, es wäre ja ganz interessant, einmal zu erfahren, was die KI vom Thema ‚Theologie treiben‘ hält und wie sie theologische, religionspädagogische und theo-ästhetische Fragen beurteilt, die gerade zufällig auf meinem Schreibtisch liegen. Dann wurde mir klar, dass die KI lexikalisch vorgeht, sie vermeidet Stellungnahmen im engeren Sinne und verweist in der Regel auf so etwas wie den Common sense. Es ist eigentlich nie falsch, was sie antwortet, aber geht auch nicht weit über das hinaus, „was jedermann meint“. Ich habe das Gespräch dennoch einfach fortgesetzt, weil ich dachte, ich lerne etwas darüber, wie man mit einer KI redet. Und so war es auch, nach und nach wurde das Frage-und-Antwort-Spiel interessanter.
Irgendwann kam ich auf die Idee, den KI-Bot solche Fragen zu stellen, die für die „Letzte Generation“ schon entschieden schienen. Das war ganz interessant, weil die KI komplexer denkt, als die Schwarz-Weiß-Kategorien der Apokalyptiker der „Letzten Generation“. Ich frage also die KI: Was ist eigentlich die tiefere Bedeutung der visuellen Künste für die Menschen und die Menschheit? Und sie antwortet:
The deeper meaning of visual art for humans and humanity is a complex and multifaceted topic. At its core, visual art is a way for people to express their emotions, thoughts, and ideas, and to communicate them to others. It can serve as a powerful tool for self-expression and self-discovery, and can provide a means of exploring and understanding the world around us. Visual art can also be used to challenge and inspire us, to stimulate our imagination and creativity, and to foster connections and empathy between people. Ultimately, the meaning and significance of visual art will vary from person to person and from culture to culture, but its power and potential to enrich our lives and the human experience is undeniable.
Das reicht mir noch nicht und deshalb will ich wissen, ob denn ein menschliches Leben ohne Künste denkbar ist. Und die Maschine antwortet:
It is difficult to say for certain whether humanity without art is conceivable. While art has been a part of human culture for thousands of years, it is not essential for our survival in the same way that food, water, and shelter are. It is possible to imagine a world in which people do not create or appreciate art, but it is difficult to imagine a world in which the impulse to create and appreciate art does not exist at all. Art is a fundamental aspect of what makes us human, and it is closely tied to many other aspects of our identity, such as our creativity, our emotions, and our ability to communicate and connect with others. It is unlikely that humanity could ever completely lose the desire or ability to create and appreciate art.
Natürlich sagt die Maschine nicht mehr und nicht weniger, als was jeder vernünftige Mensch sagen müsste. Aber es sind eben nicht alle vernünftig. Irgendwie erinnert mich die Kommunikation mit der Maschine an einen weisen Satz von Theodor W. Adorno:
Der menschenwürdige Sinn des Computers wäre es, das Denken der Lebendigen so sehr zu entlasten, dass es Freiheit gewinnt zu dem nicht schon impliziten Wissen.
Immerhin wissen wir jetzt, was das implizite Wissen eines Computers ist.
Was produziert eigentlich so ein Celebrity-Leben an CO2-Ausstoß? Und wer stört sich daran?
Heute mal etwas ganz anderes. Gerade finde ich im RSS-Feed eine Meldung einer Tageszeitung, dass sich die Sängerin Taylor Swift um ihre Sicherheit sorgt. Da ich vor kurzem über sie geschrieben habe, frage ich mich interessiert, worum es wohl geht. Und dann bekommt das Ganze kafkaeske Züge.
Es gibt eine Website, die sorgfältig notiert, wie viel CO² unsere Prominenten mit ihren Privatjets verbrauchen und so unsere Umwelt nachhaltig zerstören. Und auf dieser Website ist Taylor Swift die Nummer eins. Sehr einleuchtend zeigt die Webseite, wie rücksichtslos die Künstlerin mit der Umwelt umgeht – wirklich brutal und unerträglich. Ich kann nur allen jugendlichen und erwachsenen Fans der Künstlerin empfehlen, einmal eine Sekunde innezuhalten und nachzudenken, was dieses Verhalten eigentlich bedeutet. Es ist schockierend, man könnte kotzen. Den durchschnittlichen CO²-Verbrauch der Menschen auf dieser Erde findet man übrigens hier.
Und Taylor Swift sorgt sich nun, und das ist das Kafkaeske daran, dass jemand Anstoß daran nehmen könnte, dass durch ihre Flugaktivitäten die Zukunft künftiger Generationen zerstört wird und deshalb darauf irgendwie reagiert. Sie empfindet das als Stalking durch die Website. Ich nicht.
Es wäre nicht nur der Letzten Generation anzuraten, sich einmal diesen Zusammenhängen zuzuwenden. Denn dann müssten sie sich mit einer ganzen Gruppe auseinandersetzen und anlegen, der dieses umweltschädliche Verhalten offensichtlich kein größeres Problem ist und die doch teilweise genauso alt ist wie die Letzte Generation.
Sicher, Taylor Swift ist schon 32 Jahre alt, Drake 36, Kim Kardashian 42 und Floyd Mayweather sogar schon 45, aber alle sind keine Angehörigen der Boomer-Generation, dennoch eifern sie dieser in Sachen Umweltzerstörung erkennbar nach. In dieser Liste der durch Flüge generierten CO²-Belastungen (in Tonnen) heißt es nicht, je oller, je doller, sondern je jünger, je schlimmer
Über den Zweifel des Josef und seine Rückkehr zu Maria
Das Leben des Hl. Josef (Sint-Katharinakerk Hoogstraten)
Zum dritten Advent ein Bild zum Leben des Heiligen Josef aus der Sint-Katharinakerk in Hoogstraten Es ist ein Simultanbild mit einer rätselhaften Anordnung der Szenen. Mich interessiert aber weniger die Legende des Josef als vielmehr der Zweifel des Josef, die erste Erscheinung des Engels im Traum und – eine ikonographische Besonderheit dieses Bildes – die Reue des Josef und seine kniefällige Hinwendung zur schwangeren Maria.
Josef ist immer reichhaltig mit Handwerkszeug ausgestattet, dessen Symbolik zu vielerlei Spekulationen Anlass gegeben hat. Die Geschehnisse müssen wir so rekonstruieren: Josef überfällt elementarer Zweifel, ob er sich der schwangeren Maria annehmen soll. Voller Panik rafft er sein Handwerkszeug und flieht aus der Stadt. Auf der Flucht weg vom Haus der Maria hat er sich dann zur Rast hingelegt und gerät ins träumen. Im Traum erscheint ihm ein Engel und befiehlt ihm die schwangere junge Frau zur Fürsorge. Und, so muss man aus dem unteren Teil der Szene schließen, Josef kehrt wortwörtlich um und fällt vor Maria auf die Knie. Dass er dabei immer seine Handwerksutensilien mitschleppt, ist nicht ohne Ironie. Und so stellt sich die Frage, wer hier eigentlich wen annimmt. Eine wunderbar anmutige Szene.
Getragen ist das alles, das wird aus den weiteren Szenen des Bildes deutlich, nicht nur aus der frühbyzantinischen Überlieferung, sondern auch von den Visionen der heiligen Birgitta von Schweden, die das gehobene Alter und eine leichte Schusseligkeit des Josef in den Vordergrund stellt, der zur Geburt des Herrn noch schnell eine Kerze holt, obwohl Jesus doch das Licht der Welt ist.
Die gewaltsamen Suffragetten als Vorbilder der „Letzten Generation“.
Ich habe ja in der Ausgabe 140 des Magazins für Theologie und Ästhetik über die symbolischen Bildzerstörer der „Letzten Generation“ geschrieben. Da wusste ich noch nicht, dass die „Letzte Generation“ darin historische Vorgängerinnen hatten, die nicht nur symbolisch, sondern auch real Bilder zerstörten. Und es handelt sich um solche Vorgängerinnen, auf die sich Vertreter:innen der „Letzten Generation“ auch heute explizit berufen (Vgl. dazu hier und hier). Und diese Vorbilder waren die Suffragetten vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Auch diese Bewegung unterlag einem schleichenden Radikalisierungsprozess, der am Ende auch Gewalt gegen Sachen und Personen beinhaltete.
1914 betrat Mary Richardson die National Gallery in London und verübte einen Anschlag auf das Kunstwerk „Venus vor dem Spiegel“ von Diego Velázquez aus der Zeit zwischen 1647-1651. Mit einem Fleischerbeil zerstörte sie das Glas vor dem Kunstwerk und zerschnitt dieses dann. Zur Rechtfertigung verwies sie auf die Verhaftung einer anderen Suffragette einen Tag zuvor und auf die sexistische Anlage des Bildes. Dies erschien ihr ausreichend, dieses Werk nicht nur symbolisch, sondern real zu beschädigen. Von dieser Attacke gibt es, und das ist es, worüber ich hier schreiben möchte, unterschiedliche Fotografien, genauer: von den Ergebnissen der Attacke. Und die sind etwas widersprüchlich.
Nach dem ersten ‚Foto‘ hätte sich die Suffragette auf den unteren Körperteil der Venus fokussiert. Dort sehen wir sieben Schnitte im Bild. Das zweite ‚Foto‘ zeigt aber ein ganz anderes Tatortbild. Hier sehen wir mindestens acht Schnitte vor allem im oberen Körperbereich der Venus. Es gibt keine vernünftige Logik, die diese beiden angeblichen Fotos miteinander verbinden könnte – außer der Tatsache, dass sie scheinbar dasselbe Attentat zeigen. Handelt es sich also um zwei ganz unterschiedliche Bilder vom selben Ereignis? Aber warum zeigen sie unterschiedlich verletzte Körperregionen? Müssen wir alternativ davon ausgehen, dass ein Bild ein Symbolbild ist und das andere ein Dokumentarfoto?
Faktisch, auch das soll nicht unerwähnt bleiben, gibt es sogar noch ein drittes Foto, das wiederum den beiden anderen punktuell widerspricht: Hier sieht man tiefe Brüche in der Leinwand, während sich die Schnitte über den ganzen Körper verteilen. Es passt noch am ehesten zum zweiten Bild, weicht aber in Details von ihm ab. Alle drei Bilder werden wie Fotos behandelt. Das ist etwas mysteriös. Es zeigt, wie schwierig es ist, selbst unstrittige Vorgänge zu bewerten. Am plausibelsten scheint mir angesichts der Vehemenz der Aktion das dritte Foto zu sein. Das erste Bild dürfte eine Pressemontage sein, die imaginativ „annährungsweise“ vorgegangen ist, das zweite gibt die Situation als Gesamtbild aufgrund des dritten Originalfotos wieder. Es gibt auch noch Illustrationen zum Geschehen.
In der Zwischenzeit sind andere Fragen anhand solcher Kunstwerke diskutiert worden. Heute diskutieren manche darüber, ob das Publikum nicht grundsätzlich vor derartigen ‚sexistischen‘ Werken geschützt werden müsse (vgl. hier und hier) und die Argumente sind nicht besser geworden, nur dass wir die Werke nicht mehr zerstören, sondern sie abhängen und ins Depot verbannen oder symbolisch mit Kartoffelbrei oder Torten bewerfen. Viel mehr Einsicht in die Bedeutung von Kunst kann man daraus aber nicht erkennen.
Abschließen möchte ich mit dem warnenden Hinweis, mit dem Claudia Mäder ihren entsprechenden Artikel in der NZZ beendet:
Vor allem aber sollte jeder, der sich heute in die Tradition der prominenten Suffragetten stellt, deren Geschichte bis zum Ende verfolgen. Während Emmeline Pankhurst zur nationalistischen Kriegstreiberin wurde und Männer, die keine Uniform trugen, als Feiglinge verachtete, landete Mary Richardson bei den Faschisten. 1932 trat sie der British Union of Fascists bei, ab 1934 führte sie die Frauensektion der Partei. Nach eigenem Bekunden ist es der Mut zur Tat gewesen, der die Frau, die 1914 einen Velázquez aufschlitzte, zwei Jahrzehnte später an den Schwarzhemden faszinierte. (Quelle)