tà katoptrizómena-Musikwoche
People have the Power!
Heute ist Wahltag. Wie Pastti Smith schon sagt: People have the Power!
Was ich noch zu sagen hätte …
Heute ist Wahltag. Wie Pastti Smith schon sagt: People have the Power!
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Und schon ist Pink’s „Mr. President“ wieder von einer erschreckenden Aktualität.
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Hoffen kann man ja immer!
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Wenn man es als Song über das Ansinnen von Donald Trump liest, ist es geradezu apokalyptisch prophetisch.
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Auch dieses Video ist schon acht Jahre alt und noch immer aktuell.
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Migration und Schicksal. Es ist Zeit aufzuwachen!
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Robert Reichs Aufruf zum Widerstand gegen ungerechte Verhältnisse
Man ist doch immer wieder überrascht, wie weit entwickelt die Widerstandsbewegung in den USA ist und wie verkümmert sie bei uns in Deutschland ist. Bei uns reicht es, wenn 100.000 auf die Straße gehen, um gegen rechts protestieren, aber damit ist noch keinem der von den Rechten Bedrängten geholfen. Ganz anders und ganz pragmatisch geht dagegen der frühere Arbeitsminister der USA, Robert Reich, vor, der auf seiner Website „Zehn Wege, Trump zu widerstehen“ veröffentlichte. Ich nenne sie in der Folge seine 10 Gebote, weil mir das theologisch naheliegender ist. Sein Eröffnungsbild ist die amerikanische Flagge, die aber wie Erdschollen in der Sonne unter der Hitze ausdunstet und zerbricht.
Robert Reichs erstes Gebot lautet: Schützen Sie die anständigen und hart arbeitenden Mitglie-der Ihrer Gemeinschaften, die keine Papiere besitzen oder deren Eltern keine Papiere besitzen. Das hört sich so selbstverständlich an, aber ist es ganz und gar nicht. In Deutschland unterstützt der allergrößte Teil der Gesellschaft die Abschiebung derer, die keine ausreichende Legitimation haben. Die Aufforderung, gerade sie zu schützen, ist daher etwas Besonderes.
Sein zweites Gebot lautet: Schützen Sie die LGBTQ+-Mitglieder Ihrer Gemeinschaft. Trump könnte das Leben für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queers und andere Menschen durch Durchführungsverordnungen, Gesetzesänderungen, Änderungen der Bürgerrechtsgesetze oder Änderungen bei der Durchsetzung solcher Gesetze erheblich erschweren. Noch(!) ist diese Gruppe in unserer Gesellschaft durch staatliche Maßnahmen nicht so gefährdet wie in den USA, aber es ist wichtig daran zu denken und darauf vorbereitet zu sein.
Sein drittes Gebot lautet: Helfen Sie mit, Beamte in Ihrer Gemeinde oder Ihrem Bundesstaat zu schützen, gegen die von Trump und seiner Regierung zur Rache angestiftet wird. Bei einigen handelt es sich vielleicht um Beamte der unteren Ebene, wie z. B. Wahlhelfer. Wenn sie nicht über die Mittel verfügen, sich rechtlich zu verteidigen, können Sie ihnen helfen oder eine Go-Fund-Me-Kampagne in Erwägung ziehen. Wenn Sie von jemandem hören, der ihnen schaden will, alarmieren Sie sofort die örtlichen Strafverfolgungsbehörden.
Sein viertes Gebot lautet: Beteiligen Sie sich oder organisieren Sie Boykotte von Unternehmen, die das Trump-Regime unterstützen, angefangen bei Elon Musks X und Tesla sowie allen Un-ternehmen, die bei X oder auf Fox News werben. Unterschätzen Sie nicht die Wirksamkeit von Verbraucherboykotten. Unternehmen investieren viel in ihre Markennamen und den damit verbundenen Goodwill. Laute, lautstarke, aufmerksamkeitsstarke Boykotte können den Marken-namen schaden und die Aktienkurse der Unternehmen senken. Das wäre ein höchst dringlicher programmatischer Ansatz in Deutschland, konkret gegen Diskriminierung vorzugehen.
Sein fünftes Gebot lautet: Unterstützen Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten Gruppen, die gegen Trump prozessieren. In Deutschland wären das jene Gruppen, die gegen die AfD aufstehen und gegen sie prozessieren. Das zumindest erfüllen die Protestierenden auf unseren Straßen.
Sein sechstes Gebot lautet: Verbreiten Sie die Wahrheit. Besorgen Sie sich Nachrichten aus zuverlässigen Quellen und verbreiten Sie sie. Wenn Sie hören, dass jemand Lügen und Trump-Propaganda verbreitet, einschließlich lokaler Medien, widersprechen Sie ihm mit Fakten und den entsprechenden Quellen. Und dann nennt er eine Reihe von Quellen, denen er vertraut. Auch das wäre für Deutschland ein interessanter Punkt: welchen Medien können wir vertrauen?
Sein siebtes Gebot lautet: Fordern Sie Freunde, Verwandte und Bekannte auf, Trump-Propaganda-Sender wie Fox News, Newsmax, X und zunehmend auch Facebook und Instagram zu meiden. Sie sind voll von hasserfüllter Bigotterie und giftigen und gefährlichen Lügen. Manche Menschen können diese Propagandaquellen auch süchtig machen; helfen Sie den Men-schen, die Sie kennen, sich von ihnen zu entwöhnen. Gilt nicht nur in den USA, sondern überall.
Sein achtes Gebot lautet: Setzen Sie sich für fortschrittliche Maßnahmen in Ihrer Gemeinde und Ihrem Staat ein. Lokale und staatliche Regierungen haben nach wie vor große Macht. Schließen Sie sich Gruppen an, die Ihre Stadt oder Ihren Staat voranbringen, im Gegensatz zu den regressiven Maßnahmen auf Bundesebene. Betreiben Sie Lobbyarbeit, organisieren Sie und sammeln Sie Spenden für fortschrittliche Gesetzgeber. Unterstützen Sie progressive Politiker.
Sein neuntes Gebot lautet: Ermutigen Sie die Arbeiter zu Aktionen. Die meisten Gewerkschaf-ten stehen auf der richtigen Seite – sie wollen die Macht der Arbeitnehmer stärken und sich gegen Unterdrückung wehren. Sie können sie unterstützen, indem Sie sich an Streikpostenket-ten und Boykotten beteiligen und die Beschäftigten in den Betrieben, die Sie besuchen, ermuti-gen, sich zu organisieren. Auch das gilt weltweit.
Sein zehntes Gebot lautet: Behalte den Glauben. Geben Sie Amerika nicht auf. Denken Sie daran, dass Trump die Volksabstimmung mit nur 1,5 Punkten Vorsprung gewonnen hat. Nach al-len historischen Maßstäben war das eine knappe Angelegenheit. Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner mit fünf Sitzen den geringsten Vorsprung seit der Großen Depression. Im Se-nat haben die Republikaner die Hälfte der für 2024 anstehenden Senatswahlen verloren, darunter in vier Staaten, die Trump gewonnen hat. Den Kampf optimistisch angehen: Wir schaffen das!
Und am Ende fügt Robert Reich hinzu: Achten Sie bitte darauf, dass in Ihrem Leben auch Platz für Freude, Spaß und Lachen ist. Lassen Sie sich nicht von Trump und seiner Finsternis vereinnahmen. Genauso wie es wichtig ist, den Kampf nicht aufzugeben, ist es von entscheidender Bedeutung, auf sich selbst aufzupassen. Wenn Sie von Trump besessen sind und in den Kaninchenbau der Empörung, Sorgen und Ängste abtauchen, werden Sie nicht in der Lage sein, weiter zu kämpfen. Mit Wolf Biermann gesungen:„Du lass Dich nicht verhärten in dieser harten Zeit, die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich …“
Man müsste nun überlegen, was das Pendent dafür in unserer Gesellschaft wäre, was die EKD oder die DBK auf ihren Seiten programmatisch zu sagen hätte – nicht um Parteipolitik zu betreiben, sondern um die Gefährdeten und die Benachteiligten zu schützen und den Gläubigen klar zu machen, dass die Aufforderung zur Gnade, die die Bischöfin Budde an Donald Trump richtete, eben auch eine Aufforderung ist, die an jeden einzelnen Christen geht.
Ein lehrreiches Beispiel, wie Juristen mit dem Wort „Gnade“ umgehen
In der legendären Reihe “Poetik und Hermeneutik” gab es die Ausgabe „Text und Applikation“, die sich mit der je unterschiedlichen Hermeneutik von Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft auseinandersetzte. Theologen zeigten, wie sie die Paradieserzählung auslegten, Juristen besprachen ihre Hermeneutik am Fall Mephisto und Literaturwissenschaftler diskutierten über ihre Annäherung an Paul Valéry. Aber die Beteiligten schärften ihre Hermeneutik auch jeweils am fachfremden Gegenstand: also am theologischen Text, am juristischen Fall und dem Werk des Literaten. Die Grenzüberschreitungen sind meines Erachtens immer außerordentlich hilfreich. Und tatsächlich sind es diese drei Fachwissenschaften, an denen ich mich auch persönlich am stärksten orientiere. Wenn ich etwas lese, frage ich mich, was würden Theolog:innen, was würden Jurist:innen und was würden Literaturwissenschaftler:innen dazu sagen?
Daran wurde ich erinnert, als ich ein kurzes Video des Medienanwalts Jun sah, in dem er sich in juristischer Perspektive mit dem Wort Gnade auseinandersetzte, also jenes Wort, das in der Predigt im Gottesdienst nach der Amtseinführung von Präsident Trump eine Rolle spielte. Dabei war ja zunächst einmal auffällig, dass die Bischöfin keineswegs einen theologischen Gebrauch des Wortes „Gnade“ machte, sondern einen alltagssprachlichen. „In der Alltagssprache begegnet das Wort Gnade bzw. gnädig, um eine menschliche Verhaltensweise zu charakterisieren: gütig, wohlgesinnt, nachsichtig, mild, gönnerhaft, verzeihen, erbarmen“ (Ev. Kirchenlexikon, Art. Gnade). Und genau das erbat die Predigerin vom direkt adressierten Staatsoberhaupt: Sich menschlich zu verhalten. Insoweit ist dies noch keine spezifisch theologische Rede. Sie wird dies erst, wenn man es vor dem Hintergrund der Theologie sieht (also etwa einer Zwei-Reiche-Lehre oder von Barmen V oder dem anglikanischen Verständnis von Staat und Kirche), wenn diese der Kirche ein Wächteramt gegenüber dem Staat einräumt. Insoweit sich Trump mit dem Besuch des Gottesdienstes unter das Wort Gottes begibt, wird eine sinnvolle Lesart daraus.
Juristisch, auch darauf verweist das Kirchenlexikon, begegnet uns die Gnade in der „Begnadigung“ eines Menschen bzw. in der Formel, man müsse in gewissen Fällen „Gnade vor Recht“ ergehen lassen. Theologisch wäre die Rede von der Gnade, wenn sie die Beziehung zwischen Gott und Mensch betrifft und die liebende und rettende Zuwendung Gottes zu seinem Geschöpf beinhaltet. Darum ging es in der Ansprache an Trump aber nicht (oder nur indirekt an der Stelle, an der sie die von ihm so interpretierte Gnade Gottes bei der Verschonung seines Lebens beim gescheiterten Attentat als implizite Aufforderung ansah, nun auch selbst Gnade anzuwenden).
In der Sache sagt die Predigerin aber nur das, was auch viele Humanist:innen oder viele Philosoph:innen gesagt hätten. Ihre Brisanz bekommen ihre Worte aber durch den Resonanzraum, in dem sie gesagt wurden, dem Resonanzraum der von der Kirche verkündeten Gnade Gottes.
Die Frage des Medienanwalts Jun in seinem instruktiven Video lautete: Was ist das juristische Komplement für das Wort „Gnade“, also das, was die Bischöfin Budde für die Migrant:innen, die Ausgestoßenen, die Queeren einforderte. Und er meint mit guten Gründen, dass man die geforderte Gnade mit der Forderung nach der Wahrung der Menschenwürde vergleichen müsse. Exakt darum geht es.
Und das nicht nur, weil wir Theolog:innen reklamieren, dass die Idee der Menschenwürde ursprünglich eine jüdische und damit biblische Idee ist. Gnade kommt den Menschen zu, weil sie Gottes Ebenbilder sind. Das begründet ihre Menschwürde, die niemand ihnen nehmen kann und darf, kein Staat, kein Herrscher, kein US-Präsident. Die säkularisierte Gnade findet sich in vielen Gesetzen des Völkerrechts, in den Erklärungen der Menschenrechte, in staatlichen Verfassungen.
Mir geht es an dieser Stelle gar nicht so sehr um das Video von Jun (das ich jedem ans Herz lege), sondern um die Frage, woher es kommt, dass angesichts der Rede der Predigerin in Washington, Theolog:innen in eine Art schwärmerische Heldinnenverehrung verfallen, während es Nicht-Theologen gelingt, das Gesagte und Gemeinte konstruktiv in ihre Sprache zu übersetzen. Bis dahin hatte ich auf Bluesky Kommentare von Kolleg:innen gelesen, die die Bischöfin als Prophetin glorifizierten, lange über ihren Stil nachdachten, ihre Sprechweise, die medialen Referenzen und über all dem das Anliegen vergaßen, das sie ja in ganz säkularer Sprache artikuliert hatte: den Menschen ihr Recht auf Menschenwürde zukommen zu lassen. In diesem Falle gilt jedoch – anders als in der Kunst -: nicht das Wie, sondern das Was ist das Entscheidende.
Wir haben im Protestantismus (und nur über den kann ich sprechen) eine elende, um nicht zu sagen widerwärtige Art der Personalisierung – im Guten und im Schlechten geht es immer ad hominem. Während wir doch aus der ForuM-Studie lernen müssten, dass wir künftig keine Überhöhungen des Pfarramtes mehr kultivieren sollten, machen wir – wenn es uns nur in den Kram passt – genau das: wir machen eine Theologin zu einem herausgehobenen Menschen, ja zu einer Prophetin. Das finde ich falsch, es ist um es scharf zu formulieren Theologie im Verblendungszusammenhang, eine Theologie, die sich der Aufmerksamkeitsökonomie unterwirft. Wir sollten aber lernen, uns mit unserer jeweiligen Hermeneutik der Sache zuzuwenden und schauen, ob und wo wir zu Überschneidungen mit den Überzeugungen anderer Menschen kommen.
Heroisierungen helfen uns da nicht wirklich weiter. Und der Verweis auf die Figur der Prophetin auch nicht. Die Differenzierung zwischen richtigen und falschen Propheten ist eine a posteriori. Wer aus dem Konflikt verschiedener prophetischer Schulen am Ende als Sieger hervorgeht, wird zum wahren Propheten, der sich zurecht von Gott beauftragt sieht. Eine Nummer kleiner wäre besser. Freuen wir uns, dass jemand das Selbstverständliche getan hat: Menschlichkeit zu zeigen und zu fordern.
Warum es manchmal besser ist, nicht durch Schreiben berühmt zu werden.
In ihrem im vorherigen Post angesprochenen Text klagt Angela Rinn darüber, dass bei einem Lagerbrand ein guter Teil ihrer Buchauflage bei der EVA verbrannt sei und wohl auch nicht mehr aufgelegt würde. Das brachte mich dazu, einmal bei der Deutschen Nationalbibliothek nachzuschlagen, welche ihrer Bücher denn heute schon digital zugänglich sind und daher den Flammen weitgehend unzugänglich. Und siehe da, es sind nicht wenige. Die Deutsche Nationalbibliothek hat ja bei den Buchmeldungen die Rubrik „Andere Auflagen“ und da wird verzeichnet, wie es um Digitalisierungen steht.
Der andere Weg wäre natürlich in den berühmten Schattenbibliotheken des Internets zu stöbern, ob jemand nicht Werke von Angela Rinn gescannt und so (illegalerweise) der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt und damit ihr Wissen geteilt hat. Auch wenn die deutschen Netzbetreiber das zu unterbinden suchen (im Augenblick meldet der Provider beim Aufruf der Library Genesis immer aufgrund einer in Deutschland geltenden DNS-Sperre „Seite wurde nicht gefunden“), so funktioniert das dennoch ohne größere Umwege und man wird auch fündig (17 Download-Angebote), wenn auch nicht mit ihren Werken bei der EVA. Aber auch so bleibt Literatur erhalten und geht nicht unter. Raubkopien nannte man das in den 68er-Jahren und es war durchaus üblich.
Nachzutragen wäre zudem, dass die bürgerliche Klage vom Verlust des Buches zu vergleichen wäre mit Platons Klage über den Verlust der Oralität durch die Hinwendung zur Schriftlichkeit. Platon meinte, „Geschriebenes sei nicht zur Wissensvermittlung geeignet, sondern nur als Gedächtnisstütze nützlich, wenn man den Inhalt bereits verstanden hat. Das Schreiben sei nur ein mangelhaftes Abbild des Redens. Der geschriebene Text scheine zu sprechen, aber in Wirklichkeit ‚schweige‘ er, denn er könne weder Verständnisfragen beantworten noch sich gegen unberechtigte Kritik zur Wehr setzen. Auf die individuellen Bedürfnisse des Lesers könne er nicht wie ein Gesprächspartner eingehen. Weisheit lasse sich daher auf diesem Wege nicht vermitteln“ (Zusammenfassung nach der Wikipedia). Soweit zum Nach(zu)tragenden.
Nun aber zum Tröstlichen: Angela Rinn sorgt sich um den Nachruhm, den Schreibende und Publizierende ja anstreben und der verloren gehe, wenn niemand mehr ihre Bücher lese. Ja, das ist so. Man bleibt heute als Massenmörder länger im Gedächtnis als fast jeder Autor. Aber das hat auch etwas Tröstliches, wenn wir an eine der für mich schönsten Geschichten von Arno Schmidt denken. Fasziniert hat mich die Erzählung zunächst in Zeiten, in denen ich selbst noch gar nicht oder doch nur wenig publizierte. Mit der Zeit wurde meine Haltung ambivalenter, denn nun gehörte ich ja auch zu den Publizisten, die von der geschilderten Handlung in der Erzählung betroffen waren. Kenner:innen werden wissen was ich meine: Tina oder über die Unsterblichkeit.
Nicht nur Homer kannte sich aus mit der Unterwelt. Auch Arno Schmidt, knapp 3000 Jah-re später, hat seinen Lesern zu einem Blick ins Jenseitige verholfen. Sein Elysium liegt geradewegs unter Darmstadt, und wie bei Homer im Hades wollen auch die Seelen in Schmidts Erzählung, allesamt mehr oder weniger bekannte Dichter, nichts wie weg. Lei-der steht dieser Sehnsucht der im Diesseits so hartnäckig angestrebte Ruhm im Weg. Denn es gilt die Regel: »Jeder ist so lange zum Leben hier unten verdammt, wie sein Name noch akustisch oder optisch auf Erden oben erscheint.« Der Maler und Graphiker Eberhard Schlotter hat die so witzige wie bitterböse Satire auf den Dichter-traum von der Unsterblichkeit mit 25 Radierungen illustriert. Und Text wie Bild lassen keinen Zweifel: Nicht die Unsterblichkeit kann das Ziel sein, sondern das gnädige Vergessen: »endlich in Ruhe tot sein«!
Soweit der Klappentext des Buches. [Nicht verschwiegen werden sollte an dieser Stelle, dass es von Arno Schmidt eine Gegengeschichte mit Goethe gibt, aber die lasse ich einfach mal beiseite.] Es kommt mithin auf die Perspektive an. Wenn man so lange in den Limbo verdammt ist, wie noch eine einzige Zeile aus Publikationszeiten bekannt ist, dann ist es vielleicht besser, die Buchkultur nicht allzu sehr zu schätzen und zu pflegen, denn dann verlängert man automatisch den Aufenthalt im Purgatorium (das übrigens durch einen Aufzug in einer Litfaßsäule in Darmstadt zugänglich sein soll).
Ein Bücherbrand auf Erden löst in diesem Purgatorium immer einen Freudentaumel aus. Endlich wieder ein paar Dichter-Seelen frei, endlich wieder ein paar Bücher weniger, endlich Hoffnung auf ein anderes Leben. Eine Doktorarbeit über die Biografie oder das Werk von Autor:innen löst dagegen im Gegenzug Entsetzen und Verzweiflung aus. Schon wieder Hunderte von Universitätsbibliotheken, die das in ihre Archive aufnehmen müssen und dem Vergessen entgegenwirken. Es ist sozusagen das auf den Kopf gestellte „Publish or perish“: Publish and perish! Wenn das all unsere Nachwuchs-Wissenschaftler:innen wüssten, denen nichts wichtiger ist, als durch eine Vielzahl von peer-reviewten Texten zu glänzen. Aber die lesen vermutlich auch keine Texte von Arno Schmidt, sondern schreiben fleißig weiter ihre Bücher und Aufsätze und verlängern so den Aufenthalt im Purgatorium.
Der Ruhm, so meine ich jedenfalls, sollte der dargestellten Sache, der Erkenntnis, dem prophetischen Satz selbst zukommen – nicht unbedingt dem Urheber als solchem. Das scheint mir ein Überbleibsel des Geniekults zu sein. Aktuell wäre ein Beispiel dafür jene Bischöfin, die etwas menschlich ganz Selbstverständliches in einem Gottesdienst sagt. Und plötzlich geht es nur noch um die Person als Heldin oder Prophetin im Gegenüber zu einer anderen Person und nicht um die Auseinandersetzung mit der Theologie des von ihr Ausgeführten. In Deutschland wäre jetzt über die Zwei-Reiche-Lehre und über Barmen V zu sprechen und kein Personenkult zu betreiben – auch wenn ich mich natürlich auch über ihre Intervention gefreut habe.
Ein Plädoyer, bei Büchern und beim Schreiben mehr Digitaltät zu wagen – mit einer Ausnahme.
Ich lese gerade Angela Rinns Klage auf z(w)eitzeichen darüber, dass der Wert der Bücher in Zeiten der Digitalität zu sinken scheint: „Leibhaftiges Gedächtnis. Über den Wert von Büchern und Bibliotheken in der digitalisierten Welt“. Sie hat an einem Buch über Gedächtnis mitgearbeitet und fragt, welche Halbwertszeit dieses Buch wohl hat, wenn man überlegt, dass immer mehr Menschen nur noch auf das zugreifen, was digital zugänglich ist.
Als Autor kann ich diese Klage gut nachvollziehen. Das publizierte Buch ist ein Fetisch im eigenen Leben. Ich habe einen Schrank, der nur den von mir publizierten Texten in Büchern und Zeitschriften vorbehalten ist und dieser Schrank ist ganz programmatisch ein Bücherschrank, den ich von meinem Großvater übernommen und nun mit eigenen Elaboraten gefüllt habe. Diese Bücher (und dieser Schrank) haben einen elementaren Wert – für mich.
Dennoch übereigne ich Monat für Monat einen halben Regalmeter meiner sonstigen Bibliothek dem Altpapiercontainer, schlicht deshalb, weil die Bücher für den Augenblick geschrieben waren und deshalb überholt sind, weil sie auf kein Interesse bei Antiquariaten stoßen oder aus Themengebieten stammen, die mich temporär vor Jahren einmal interessiert haben und heute und auch künftig nicht mehr. Andere Bücher habe ich inzwischen digitalisiert zur Hand und kann wesentlich besser damit arbeiten, als wie in früheren Zeiten mich durch die Seiten zu quälen.
Ich bin also kein Buch-Fetischist – mit einer Ausnahme: die Andere Bibliothek von Hans Magnus Enzensberger, von der ich über 300 Bände besitze, ist tatsächlich ein Buch-Fetisch für mich. Aber nicht wegen etwaiger Inhalte (so spannend sie auch sind), sondern weil ein Großteil von ihnen noch mit Bleisatz gedruckt wurde. Und wenn man schon von Büchern schwärmt, dann doch bitte von diesen. Wo die Fingerkuppen noch den einzelnen Buchstaben folgen können, wo Lesen noch dreidimensional erfolgt und nicht wie im Computersatz sich im Zweidimensionalen erschöpft. Diese Bücher – samt all den anderen die ich aus der Zeit zwischen 1700 und 1930 habe, kann ich nicht durch Digitalität ersetzen. Hier geht es weder um Gedächtnis, um Wissen oder Poesie, sondern um Haptik.
Und dennoch bin ich im letzten Vierteljahrhundert – wie all die jungen Leute um mich herum – zu einem Menschen des Digitalen geworden. Das Stöbern in alten Büchern, an die ich nie in meinem Leben gekommen wäre, die nun aber digitalisiert zugänglich geworden sind, war einfach faszinierend (Vom besonderen Vergnügen, alte Texte zu lesen).
Manchmal kaufe ich mir dann nachträglich ein solch leibhaftes Objekt (oder lasse es mir schenken), einfach weil ich mit den Fingern durch die mit Bleisatz bedruckten Seiten blättern möchte. Um die Argumente zu begreifen würde mir jedoch eine digitale Ausgabe genügen.
Ansonsten habe ich mich für das Digitale entschieden. Ein Grund dafür ist tatsächlich Kohelet 12, 12: Zu guter Letzt, meine Schülerin, mein Schüler, lass dich warnen: Das viele Büchermachen findet kein Ende, und viel Studieren ermüdet den Leib. Die Fülle der Bücher nimmt einfach nicht ab, sondern steigert sich von Jahr zu Jahr. Und die wenigsten Bücher lese ich noch von Anfang bis Ende. Da ist es viel besser, sie digital zur Verfügung zu haben, sie auf Stichworte durchforsten zu können und Zitate per Cut & Paste in die eigene Arbeit aufzunehmen.
Leibhaft – um das Stichwort von Angela Rinn aufzugreifen – sind mir nur noch bibliophile Bücher wichtig, Bücher, die mit einem offenen Rücken gebunden sind, Bücher und Hefte, die in Kleinstauflagen gedruckt sind, Bücher und Hefte, die mit Originalgrafiken versehen sind. Das lässt sich nicht digitalisieren. Ich habe mir gerade im Zürcher Antiquariat eine Ausgabe von Spektrum – internationale Vierteljahresschrift für Dichtung und Originalgrafik Zürich gekauft. Sie besteht exklusiv aus Lyrik und originalen Grafiken. So etwas zu publizieren ist heute undenkbar oder unbezahlbar. Und es ist ein Vergnügen, das Heft überhaupt nur hier auf dem Schreibtisch liegen zu sehen und ab und an darin zu blättern.
Und dennoch. Wer Bücher und Bibliotheken sagt, muss als literarisch Kundiger natürlich sofort an „Die Bibliothek von Babel“ von Jorge Luis Borges denken, 1941 geschrieben. Ein Lobpreis der Bücher (auch der scheinbar sinnlosen) und zugleich voller Weitsicht und Einsicht. An einer Stelle seiner Erzählung gibt es aber eine Fußnote und die lautet so:
„Letizia Alvarez de Toledo hat angemerkt, dass die ungeheure Bibliothek überflüssig ist; strenggenommen würde ein einziger Band gewöhnlichen Formats, gedruckt in Corpus neun oder zehn, genügen, wenn er aus einer unendlichen Zahl unendlich dünner Blätter bestünde. (Cavalieri sagte zu Anfang des Jahrhunderts, dass jeder feste Körper die Überlagerung einer unendlichen Zahl von Flächen ist.) Die Handhabung dieses seidendünnen Vademecums wäre nicht leicht; jedes anscheinende Einzelblatt würde sich in andere gleichgeartete teilen; das unbegreifliche Blatt in der Mitte hätte keine Rückseite.“
Ich frage mich, ist das Internet, sind die digitalen Welten nicht genau das: ein einziger Band be-stehend aus einer unendlichen Zahl unendlich dünner Blätter, gefüllt mit einer unendlichen Zahl von Texten, von denen ein Großteil unverständlich bleibt, dem man aber immer wieder neue Textfragmente entringen kann? Ob dieses eine Buch, die digitale Bibliothek von Babel noch eine Mitte hätte, wäre demgegenüber sekundär. Es wäre nur eine metaphysische Spekulation.
Als ich mich mit Freunden und Freundinnen vor 28 Jahren entschied, die Zeitschrift tà katoptrizómena nicht als gedruckte Zeitschrift zu konzipieren, sondern als digitale, da standen mir all diese Debatten um den Schatz und Nutzen der gedruckten Bücher vor Augen. Ich war mir aber auch im Klaren darüber, dass – wenn es um die Idee des geteilten Wissens geht – Bücher immer auch der Distinktion dienten. Digitalität kann das unterlaufen – muss es aber nicht. Open Access ist mit Printbüchern nur bedingt möglich – im Internet aber leichter zu realisieren. Sollte einmal eine Neutronenbombe das digital gespeicherte Wissen auf einen Schlag vernichten, dann wäre es, als hätte es nie existiert. Dieses apokalyptische Restrisiko muss ich eingehen.