Presse-, Meinungsfreiheit und der Kampf gegen rechte Bewegungen

Warum die temporäre Aufhebung des Verbots von Compact ein Gewinn für den Rechtsstaat ist.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat das Verbot der Zeitschrift Compact durch das Bundesinnenministerium in einem Eilbeschluss bis zur Entscheidung im Hauptverfahren vorläufig aufgehoben. Als Herausgeber einer Zeitschrift begrüße ich diese Entscheidung ausdrücklich.

Nicht, weil ich auch nur im Ansatz die politische Haltung der Compact-Redaktion und ihre Form der aggressiven Agitation gegen Andersdenkende und Minderheiten teile, sondern weil ich meine, dass eine Bundesinnenministerin nicht einfach ein Presseorgan ohne Einbezug eines Gerichts verbieten können darf. Das Presserecht ist ein hohes schützenswertes Gut in einer Demokratie und auch die Meinungsfreiheit darf nur unter Abwägung grundrechtlicher Überlegungen eingeschränkt werden. Deshalb ist es gut, dass das BVG Leipzig dem zunächst einmal einen Riegel vorgeschoben hat.

Man muss sich ja nur einmal vorstellen, das Bundesinnenministerium geriete einmal in die Hände einer heute als rechtsextrem angesehenen Partei, dann wird schnell deutlich, welches Instrumentarium die gegenwärtige Bundesinnenministerin durch ihre Vorgehensweise künftigen Minister:innen geschaffen hätte. Gnade der freien Presse, wenn sich rechtsextreme Minister:innen einmal dieses Instrumentariums bedienen könnten.

Ich verstehe, dass einige nun entsetzt sind, weil sie den Kampf gegen die Rechten oder gegen Antisemitismus geschwächt sehen. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir das Recht so einrichten würden, dass es jeweils nur zu den von uns gewünschten Ergebnissen führt, ohne das Vorgehen gegen die Grundrechte und Menschenrechte abzuwägen, hätte das mit „Recht“ wenig zu tun, es wäre reine Willkür. Auch der Kampf gegen die Feinde der offenen Gesellschaft muss rechtsstaatlich korrekt durchgeführt werden.

Und wenn Presseartikel einem nicht gefallen, weil sie gegen die Menschenwürde Einzelner oder von Gruppen verstoßen, dann muss man rechtsstaatlich gegen sie vorgehen und kann nicht pauschal auf ministerieller Ebene einfach Presseorgane verbieten. Das wären Rückfälle in obrigkeitsstaatliche oder feudale Zeiten – und diese Gefahr besteht zur Zeit bedauerlicherweise. Vieles von dem, was in Compact steht, ist schwer erträglich, aber vermutlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wir können nicht einfach Dinge verbieten, die uns nicht gefallen. Die Meinungsfreiheit ist laut Bundesverfassungsgericht ziemlich weit auszulegen. Im Zweifelsfall muss man gegen Behauptungen und Lügen juristisch vorgehen und die Gerichte werden dann über die einzelnen Texte entscheiden. Erst wenn sich das häuft und verdichtet, müssen andere – rechtsstaatliche – Mittel eingesetzt werden. Anders geht es nicht. Zurzeit aber gibt es die Neigung, gut obrigkeitsstaatlich am Recht vorbei die Dinge zu entscheiden (Documenta, Compact etc.) So geht es aber nicht.

Nur Bilder, keine Geschichten?

Nach dem Streit um das angebliche Abendmahlsbild bei der olympischen Eröffnungsfeier 2024 in Paris lohnt es sich, sich auch einmal mit der Mythologie des tatsächlich verwendeten Bildes zu beschäftigen. Und die ist erschreckend: menschen- und queer-feindlich.

[Den ausführlichen Text finden Sie hier: www.theomag.de/151/index.htm]

Bei der Diskussion um die religiösen bzw. mythologischen Bilder, die auf der Eröffnungsfeier der olympischen Sommerspiele 2024 in Paris Verwendung fanden, galt die Hauptaufmerksamkeit jenem „Bild“, in dem einige religiöse Menschen eine Darstellung der Eucharistie erkennen wollten. Nach all den zwischenzeitlichen Debatten kann nun eines sicher gesagt werden: es handelt sich nicht um eine Darstellung eines Abendmahles, wohl aber um das Bild eines olympischen Festes, dessen Mahltisch nach dem Abendmahl von Leonardo da Vinci in Mailand konstruiert wurde. Insofern laufen die Angriffe der Bischöfe und ihrer lautstarken Unterstützer:innen ins Leere. Wenig beachtet wurde leider in der Diskussion, welches mythologische Bild für die Szene auf der Brücke über der Seine verwendet wurde. „Fest der Götter“ hört sich harmlos und anlassbezogen korrekt an. Und von der „Hochzeit von Peleus und Thetis“, die von den Göttern gefeiert wird, weiß der normale Mensch nichts. Was könnte schon an einer Hochzeitsfeier problematisch sein? Es geht doch nur um ein Bild – nicht um eine Geschichte. So jedenfalls bekundete es einer der Planer der Eröffnungsfeier, der Historiker Boucheron im Interview mit der FAZ. Aber ganz so ist es nicht, es unterschätzt die Macht der Bilder und es unterschätzt die Macht der Erzählung (der Geschichte), die in den Bildern zur Darstellung kommt. Im Paris des Jahres 2024 wird ein Wettstreit von Sportler:innen (und Nationen) gefeiert, der angeblich offen, frei und für alle zugänglich ist. Inzwischen wissen wir, dass das nicht wahr ist, dass die Diskussionen über Identität und Nationalität die sportlichen Aktivitäten (nicht nur beim Boxen) überlagern.

Aber darum geht es mir im Folgenden nicht. Als Kunsthistoriker interessierte es mich, worauf sich die queere Community mit jenem tatsächlich verwendeten Bild bezog, das dann zum Anlass der kontroversen Diskussionen wurde. Und da war ich dann doch einigermaßen erschrocken. Ich habe selten eine derartig anti-queere und menschenfeindliche Mythologie gelesen, wie die dem Bild zugrunde liegende.

Um es kurz zu sagen: das Bild zeigt uns eine Feier der olympischen Götter, die sich bei einem bachanalen Mahl darüber freuen, dass ein queeres Wesen von einem Mann in einer Höhle überfallen, vergewaltigt und geschwängert wurde! Die Götter hatten diesen Überfall kunstvoll orchestriert, denn es war ein Puzzlestein in ihrem Plan, die Menschheit endgültig zu vernichten. Dazu musste ein Sterblicher die Nereide Thetis gegen ihren expliziten Willen schwängern, damit sie in der Folge den fast unschlagbaren Kriegshelden Achilles gebären sollte.

Die Nereide Thetis aber versteht und verhält sich queer, weshalb Peleus sie gewaltsam daran hindern muss, andere Identitäten anzunehmen und er muss sie auf ihre biologische Identität als Frau zurückführen: „Zwinge sie, was sie auch sei, bis früheres Wesen sie herstellt.“ Nur so kann sie ihren reproduktiven Pflichten nachkommen und Achilles gebären. Und dieser Achilles soll zum trojanischen Krieg beitragen, mit dem Zeus den Untergang der Menschheit realisieren wollte. Gaia, die Mutter Erde, hatte sich bei ihm beschwert, dass die Menschen ihr allmählich zur Last fielen und sich vor allem gotteslästerlich verhielten, weshalb Zeus sie doch bitte schön vernichten möge. Und weil mit der Vergewaltigung der Thetis der erste Teil des Planes funktioniert hatte, feiern nun die Götter ausgelassen und statten den Vergewaltiger Peleus im Rahmen des Festes mit den mächtigsten Waffen der Zeit aus.

Soweit zur ganz und gar nicht menschen- und queer-freundlichen Grunderzählung, die in Paris beiläufig reproduziert wurde. Aufgefallen ist das nicht, weil wir als Zeitgenoss:innen des 21. Jahrhunderts nur einen nackten Bacchus zu sehen brauchen, um unser Gehirn abzuschalten und in einen Weinrausch zu verfallen. Aber Dionysus ist eine durch und durch ambivalente Gestalt und die griechisch-römischen Götter sind es auch. Ich fand es deshalb sinnvoll, einmal die gerade paraphrasierte Geschichte(n) aus dem ersten und zweiten Buch der Kypria (500 v.Chr.) und den Metamorphosen des Ovid zu rekonstruieren, die dem Pariser Bild zugrunde liegt.

Die Planer der Pariser Eröffnungsfeier haben sich darüber hinaus bei der Konzeption auf Walter Benjamin berufen, dessen Denkbilder und geschichtsphilosophischen Thesen sie inspirierend  fanden. Nur vom Christentum wollten sie nichts wissen. Meine zweite Frage ist daher, ob man Walter Benjamin so einfach beerben kann, ohne auf die explizite Messianität seiner Gedanken einzugehen. Funktioniert der türkische Schachspieler aus Benjamins erster geschichtsphilosophischer These auch ohne den theologischen Zwerg in seinem Innern? Ich glaube nicht.

Beide Aspekte habe ich in einem Aufsatz bearbeitet, der im nächsten Heft 151 von tà katoptrizómena erscheinen wird, aber jetzt schon von der Container-Seite des kommenden Heftes aufgerufen, gelesen und heruntergeladen werden kann. Sie finden ihn unter folgender Adresse: www.theomag.de/151/index.htm

Bilder zur Sprache bringen

Das Heft 144 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik ist erschienen. Es beschäftigt sich mit den verschiedenen Formen, Werke der Bildenden Kunst zur Sprache zu bringen.

Inhaltsverzeichnis

Editorial

VIEW

„Ich bin das Licht der Welt“
Vier Bilder
Erich Franz [12 S.]

Sprechende Bilder für schweigende Mönche
Zu einigen Kunstwerken von Rogier van der Weyden
Andreas Mertin [20 S.]

Vom Ankommen im Bild
Vier Positionen aus dem Kunsthaus Kannen
Gisela Steinlechner [10 S.]

Auf der Schwelle zum Suprematismus
Malewitschs „Krieger der Ersten Division“ von 1914
Gerd Steinmüller [12 S.]

„Ich beneide die Leute um ihre Freiheit“
Notizen zur Künstlerin Marie Bashkirtseff
Karin Wendt [6 S.]

Einstürzende Neubauten?
Aus der christlichen Erzähl- und Bilderwelt
Andreas Mertin [4 S.]

Frostiger Exodus – oder: Heim ins Reich?
Wenn aus Prompts animierte Klischee-Bilder werden
Andreas Mertin [10 S.]

„Le Dessous des Images“ – „Mit offenen Augen“
Wie man lernt, Bilder zu lesen – Ein TV-Tipp
Andreas Mertin [2 S.]

KIRCHENTAGSNACHLESE

Für alles gibt es eine Zeit!
Oder sollen wir das Eschaton immanentisieren?

Eine kritische Collage zur Kirchentagspredigt
Andreas Mertin [20 S.]

Das Kirchentagslied –
„Konfektionsmusik mit christlichen Konfektionstexten“

Eine Kritik an der Kritik der Kritik an fromm polierten Schnulzen
Andreas Mertin [10 S.]

CAUSERIEN

Wir leben in klebrigen Zeiten
Kritik der Spaghetti-Eis-Theologie
Andreas Mertin [6 S.]

Kunstverwendung im aktivistischen Diskurs
Oder: Der Zweck heiligt die Mittel
Andreas Mertin [6 S.]

RE-VIEW

Unter Beteiligung
Kurzvorstellungen
Redaktion [2 S.]

THEOMAGBLOG

Was ich noch zu sagen hätte
Gesammelte Beiträge aus dem Theomag-Blog
Andreas Mertin [12 S.]