Religionskritik? Zu viel der Ehre

Charlie Hebdo schreibt einen Karikaturenwettbewerb zum Thema „Religionskritik“ aus. Ist das noch zeitgemäß?

Die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ schreibt anlässlich des 10jährigen „Jubiläums“ des tödlich-terroristischen Anschlags auf die Redaktion einen Wettbewerb aus, der unter dem Hashtag #MOCKINGGOD steht.

Dabei rufen sie weltweit Karikaturist:innen auf, der „Wut über den Einfluss der Religionen auf persönliche Freiheiten“ bildlich Ausdruck zu verleihen. Aufgerufen seien alle, „die es satthaben, in einer Gesellschaft zu leben, die von Gott und Religion beherrscht wird“. Darüber hinaus richte sich die Ausschreibung an jene, „die es leid sind, ständig über das angeblich Gute und Böse belehrt zu werden“. Das ist natürlich ihr gutes Recht – gerade vor dem nicht zuletzt islamistisch begründeten Terroranschlag auf ihre Redaktion.

Und doch, es ist zu viel der Ehre. Haben die Karikaturisten auf der Welt nicht andere Sorgen? Die freie Welt, die offene Gesellschaft ist auf dem Rückzug, aber nicht wegen islamistischer Strömungen, sondern wegen der neuen Autoritären: Putin, Orban, Trump, Netanjahu, Meloni und wie sie alle heißen. Aber Religionskritik ist natürlich das Spezifikum für Charlie Hebdo. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Ich fürchte nur, es wird billig und oberflächlich werden, dabei wäre auch religionskritisch so viel zu sagen und zu zeichnen.

Ob in einem laizistischen Staat die Klage darüber berechtigt ist, in einer Gesellschaft leben zu müssen, „die von Gott und Religion beherrscht wird“, wäre zumindest zu fragen. Ich empfinde die französische Gesellschaft nicht als religiös dominierte Gesellschaft – es sei denn man erhebe die Forderung, Religion gleich ganz abzuschaffen. Das aber wäre illiberal. Und die Klage darüber, man wolle nicht „über das angeblich Gute und Böse belehrt“ werden – ein Thema, das doch im Kern nicht ein religiöses, sondern ein philosophisches ist –, wäre dann doch grenzwertig. In einer Welt, die den Unterschied von gut und böse nicht mehr erörtert, wird dann irgendwann auch der terroristische Anschlag auf Charlie Hebdo den Kategorien von gut und böse entzogen. Darauf sollte es doch nicht hinauslaufen.

So wird es dann doch bei der Religionskritik des 19. Jahrhunderts bleiben. Und da kann man nur sagen: Religionskritischer müssten die Religionskritiker sein. Ich glaube nicht, dass sie über Karl Barth hinauskommen: „Die Religionen sind schuld, alle, sie haben über Jahrhunderte so viel Leid und Morden und Krieg in die Welt gebracht. Diese Erklärung geben viele Religionskritiker ab zu abscheulichen Attentaten wie dem in Paris. Schafft die Religionen ab! Karl Barth würde sich dieser Meinung anschließen. Religion ist Unglaube.“ Das predigte vor fünf Jahren Wolfgang Froben in Braunschweig bei der reformierten Gemeinde. Und da bin ich mal gespannt, ob die Karikaturisten der Welt das überbieten können. Ich vermute, es wird dahinter zurückbleiben.

Mit Zahlen hat es die konservative Schwarmintelligenz nicht so

Wenn zwei mehr als die Hälfte von zehn ist – dann stimmt etwas nicht mit der mathematischen Intelligenz.

Klaus Kelle verstolpert sich in seinem islamophobischen Grimm wieder mal in der Statistik. Anfangs verwechselt er Fiktion mit Realität, versteht in guter alter Sturm-und-Drang-Ästhetik Kunst als seismographisches Element künftiger Wirklichkeiten. Aber die Unterwerfung von Houellebecq ist ein Roman, keine Zukunftsforschung. Das sollte man tunlichst unterscheiden. Nun warnt uns Klaus Kelle mit eindringlichen Worten vor einer islamischen Mehrheitsgesellschaft in wenigen Jahren. Schon bald, etwa 2050 werden die muslimischen Bürger:innen in der Bundesrepublik Deutschland die Mehrheit bilden.

Das ist ja spannend. Sein Beleg für diese These? Eine Behauptung von Thilo Sarrazin aus dem Jahr 2010, als dieser schrieb, schon in 30 Jahren werde die Mehrheitsgesellschaft muslimisch sein. Und da konnte er ja von der Flüchtlingskrise noch gar nichts wissen. Nun ist die Hälfte der von Sarrazin in den Blick genommenen Zeit um und da sollte man doch denken, dass die Muslime, wenn schon nicht 50%, dann aber doch 25% der deutschen Bevölkerung ausmachen. Das haben sie nicht ganz geschafft – diese bösen Politiker:innen der Grünen, die ja ganz Deutschland ‚überfremden‘ wollen. Nach der letzten Erhebung entspricht der Bevölkerungsanteil aktuell etwa 6,7% der Gesamtbevölkerung.

Nun könnte man sagen, was nicht ist, kann ja noch werden. Aber auch Zukunftsprognosen können nicht einfach aus dem hohlen Bauch erfolgen, sondern müssen wissenschaftlich solide sein. Das Pew-Forschungsinstitut hat für 2050 eine Prognose vorgelegt. Und wie immer bei wissenschaftlichen Prognosen gibt das Institut eine Varianz an, je nachdem wie die Rahmenbedingungen sich ändern. Nach dem Szenario 1 (keine weitere Zuwanderung) kommt das Institut für 2050 aufgrund der Geburtenrate auf einen muslimischen Anteil von 8,7%. Das Szenario 2 geht von einem moderaten Anstieg aus, eher Migration als Flüchtlingsstrom. Dann käme man auf 10,8% der Gesamtbevölkerung. Im Szenario 3 geht es um einen kontinuierlichen Flüchtlingsstrom wie 2015 und hier käme man auf 19,5% der Gesamtbevölkerung. Für Christen wird für das Jahr 2050 übrigens ein Gesamtbevölkerungsanteil von 59% vermutet. Nun könnte man sagen, der Anteil der Christen sei ja heute schon geringer, aber dann verwechselt man Kirchenzugehörigkeit und religiöse Orientierung. Man wird nicht Atheist, nur weil man aus der Kirche austritt. Klaus Kelle aber müsste erklären, inwieweit 20% Muslime gegenüber 80% von Nicht-Muslimen eine Mehrheit bilden können. Aber vermutlich ist das mal wieder die schweigende (diesmal muslimische) Mehrheit, von der Kelle so gerne fantasiert.

Ein Buchstabe zu viel oder: Die EKD auf fremdem Territorium

Die EKD redet über Flugzeuggastronomie – oder doch nicht? Man weiß es nicht genau.

Das ist lustig .- kann aber vorkommen. Die EKD veranstaltet ihren ersten deutschen evan­ge­li­schen Hochschultag, Veranstaltungsort ist die Universität Heidelberg und geladen sind veritable Gäste. Es gibt einen Hauptvortrag von Christoph Markschiess, ein Podium unter dem scheinbar unvermeidlichen Titel „Hier stehe ich!“ – Freiheit und Wahrheit in schwierigen Zeiten. Und dann gibt es noch vier Module unter der Überschrift „Interdisziplinäre Entdeckungen zu Freiheit, aktueller Forschung, Religion und Gesellschaft“. Es geht in den Modulen um Künstliche In­telligenz, Nachhaltigkeitsforschung, sowie um religiöse Freiheit und Universität. Und dann gibt es ein doch etwas überraschendes Modul unter der Überschrift „Am Limit. Perspektiven aus Theologie und Astrophysik“. Damit hätte ich nicht gerechnet, denn bisher ist mir nicht bekannt, dass deutsche Professor:innen der Evangelischen Theologie sich damit beschäftigen. Zwar haben wir deutsche theologische Wissenschaftler, die dazu forschen und in New York, in Santa Barbara und Mountain View, Providence, Kopenhagen und auch Florenz mit wissenschaftlichen Vorträgen auftreten und dazu auch publiziert haben – aber die sind in dem Modul nicht vertreten. Die deutsche theologische Fach­wissenschaft zum Thema Astrophysik vertritt Malte Krüger. Nichts gegen diesen Wissenschaftler – als internationaler Experte zum Thema ist er bisher nicht aufgefallen. Aber deutsche Theologen sind ja Generalisten.

Lustig, um auf meinen Eingangssatz zurückzukommen, ist nun an der Ausschreibung, dass der Veranstalter, also die EKD, die Professur des eingeladenen fachkompetenten Gastes Alfred Krabbe verändert hat. Dieser ist in Stuttgart Professor für Flugzeugastronomie und extraterrestrische Raumfahrtmissionen.

Das fand die EKD wohl zu wenig bodenständig und formulierte es um, indem man einen Buchstaben hinzufügte. Nun ist er Professor für Flugzeuggastronomie und extraterrestrische Raumfahrtmissionen. Und das ist für die theologischen Vielflieger der EKD ja auch viel naheliegender: um die Bordverpflegung sollte sich durchaus auch ein Professor an einer bundesdeutschen Universität kümmern. Eigentlich hätte man auch bei den Raumfahrtmissionen noch ein e zufügen können, dann wäre es ein wirklich interessantes Gespräch geworden. Denn Raumfahrtemissionen sind ein wichtiges Thema für die Nachhaltigkeit.