Ist ChatGPT ein Predigt-Generikum?

Darf Chat-GPT als Generikum verstanden werden, das die gleiche Wirkmächtigkeit wie eine menschliche Predigt entfaltet?

Rudolf Bohren („Dass Gott schön werde. Praktische Theologie als Ästhetik“) würde sich zwar im Grabe umdrehen. Dennoch: KIs Predigten schreiben zu lassen, macht innerhalb eines solchen religiösen Systems Sinn, das sich entschieden hat, der Predigt keine kreativen, keine poetische, keine neuen Bedeutungen generierenden Aspekte zuzuerkennen. Wer KI als Predigtgenerator (und nicht nur zur Arbeit an der Predigtsprache) einsetzt, gibt ein homiletisches Urteil über Form und Funktion der Predigt im Gemeindegeschehen ab, er begreift sie als Gebrauchstext.

Denn auch der Hinweis darauf, dass in der kirchlichen Praxis Predigten doch selten Kunstcharakter oder bestimmte poetologische Standards erreichen, geschieht ja in der Absicht, Predigten künftig als Gebrauchstexte zu qualifizieren. Aktuell halten wir jedoch an der regulativen Idee fest, dass Predigten mehr als bloß Werbetexte oder Gebrauchsanweisungen sind und seelsorgerliche Gespräche mehr als ein Anruf im Callcenter. Und auch Gottesdienste sind – bei aller durchaus rationalen Konstruktion der Liturgie – mehr als Verkaufsveranstaltungen. Wenn man an diesem Mehrwert zweifelt, wenn man Gottesdienste für überschätzt und Predigten als schlichte Textgattung der Wiederholung religiöser Texte in anderen Worten ansieht, dann sind freilich KI-gesteuerte autonome Systeme denkbar, die das personen-zentrierte religiöse System ablösen können (und sollten).

Die Debatten um den angeblichen von einer Künstlichen Intelligenz generierten Gottesdienst auf dem Ev. Kirchentag in Nürnberg (der in Wirklichkeit nur mit Hilfe von ChatGPT zustande kam und von einem theologischen Subjekt namens Jonas Simmerlein authentifiziert wurde und damit eben kein autonomes, künstlich-intelligentes und künstlerisches Geschehen darstellt), kreisen also um die Frage, ob wir in den christlichen Gemeinden zu einer sozialen Vereinbarung kommen können, wollen bzw. werden, welche die von der KI generierten Predigten als genuin religiöse Texte anerkennt, nicht zuletzt, weil sie die Wandlung der Predigt vom poetischen Text zum Gebrauchstext vorantreibt. Ein (noch kleiner) Teil der theologischen und kirchlichen Welt scheint dazu zu neigen.

Aber die Frage ist nicht einmal ansatzweise entschieden. Wie bei der Kunst bestimmen darüber ja nicht ein paar technologie-animistisch Denkende, sondern die soziale Gruppe, in diesem Fall die religiöse Gemeinschaft. So wie ich die Mehrzahl der heutigen Gemeinden einschätze, haben sie nichts dagegen, dass ihre Prediger:innen mit ChatGPT zur Vorbereitung der Predigt experimentieren. Das machen auch Künstler.innen und Schriftsteller:innen mit ihren Artefakten. Es dürfte aber kaum Common Sense sein (und wohl auch nicht werden), dass die Predigenden durch Algorithmen ersetzt werden oder auch nur ersetzt werden könnten.

Der soziale Prozess, der Predigen von einem poetischen Vorgang zu einem Gebrauchstexte produzierenden Vorgang umwerten könnte, ist jedoch kein voluntaristischer Akt, bei dem ein paar akademische Theolog:innen nun entscheiden könnten, künftig auf menschliche Predigende zu verzichten. Es gibt auch keine dafür legitimierte Kirchenleitung, die einfach entscheiden könnte, dass Predigten eigentlich nur Werbetexte für die Kirche seien und daher Predigende als Werbetreibende auch ebenso gut durch Algorithmen ersetzt werden könnten. Manche meinen, wenn man zeigen könne, dass Maschinen genauso gut predigen können wie Menschen (im Sinne des Wirkungsäquivalents), dann würde das Pendel zugunsten der Maschinen ausschlagen. Aber sie missverstehen, was eine soziale Vereinbarung ist.

Mit Karl Barth (KD IV/3, S. 995f.) lässt sich die essentielle Aufgabe und Funktion der Predigt zunächst dahingehend zusammenfassen,

„dass die Gemeinde sich (und so auch die mithörende Welt) in ihr ausdrücklich an das ihr aufgetragene Zeugnis erinnert, erinnern lässt, sich seines Inhalts aufs neue vergewissert, in seinem Reflex Jesus Christus selbst aufs neue zu sich reden, sich aufs neue zu seinem Dienst in die Welt aufrufen lässt.“ Dabei ist die Predigt zugleich auch „selbständig vollzogene Aussage und Erklärung des Evangeliums, selbständig gewagter evangelischer Anruf.“

Diesen Kriterien genügt eine KI-generierte Predigt sozusagen a priori nicht. Wer anderes behauptet, denkt in Modellen von Generika, wonach die Predigt ein Wirkstoff ist, der nach­gebaut werden kann. Im kulturellen Sektor entspricht genau das aber magischem Denken.

Ein Generikum oder Nachahmerpräparat ist ein Arzneimittel, das wirkstoffmäßig mit einem bereits früher zugelassenen Arzneimittel übereinstimmt. Von dem Originalpräparat kann sich das Generikum bezüglich enthaltener Hilfsstoffe und Herstellungstechnologie unterscheiden. Es unterliegt einer vereinfachten Zulassung, bei der auf Unterlagen des Originalpräparats zurückgegriffen wird … Ein Generikum soll dem Originalprodukt in dessen beanspruchten Indikationen therapeutisch äquivalent sein, d. h., es muss ihm in Wirksamkeit und Sicherheit entsprechen.

Wenn also technologisch generierte Texte sich quasi als wirkungsäquivalent zu den bisherigen Predigten erweisen, schließt man daraus, dass sie die (aufwendigeren) Ursprungstexte (also die menschlichen Predigten) ersetzen können. Exakt das ist das Modell der Generika. Und man muss überlegen, ob man sich diesem Modell anschließen will, auch wenn man es nun auf kulturelle Phänomene anwendet (Kulturwissenschaft wie Naturwissenschaft versteht). Es ist das alte mittelalterliche Modell, bei dem man Kranke erst vor den Isenheimer Altar schleppte, und erst wenn Heilung sich nicht einstellte, zum Arzt wechselte. Das war dingmagisches Denken – und das Ergebnis im Verlauf der Geschichte kennen wir. Heute gehen wir lieber gleich zum Arzt. Predigten sind eher im Sinn von poetischen Texten und der Interpretation poetischer Texte zu verstehen. Und daran sollten wir festhalten.

Wen gefährdet ChatGPT?

Kann man den Einsatz von KI für das Predigen als technologischen Animismus begreifen? Eine kritische Überlegung.

In der empfehlenswerten Sendung Sternstunde Philosophie „Chatbot GPT – Das Ende der Kreativität?“, ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz und dem Philosophen und Literaturwissenschaftler Hannes Bajohr, geht es neben vielen anderen hochinteressanten Fragen rund um die Künstliche Intelligenz und die Frage der Kunst und der Kreativität auch darum, für welche Berufe und Berufsfelder ChatGPT und ähnliche Programme gefährlich werden könnte. Hannes Bajohr sagt dazu:

„Elon Musk hat jetzt aufgehört zu prophezeien, dass nächstes Jahr der selbstfahrende Tesla kommt. Stattdessen haben wir so etwas wie die Automatisierung von kreativen Berufen. Was wir haben sind Illustrator:innen, die ihre Arbeit abgenommen bekommen, Schreiben von Text, der möglicherweise unter der Grenze von Kunst steht, ich denke an so etwas wie Marketing-Prosa, all das wird generiert.“ – „Es sind alles Dinge, die stark genormt sind.“ [0:19:00ff.]

Tatsächlich werden die existierenden Bots genau dafür entwickelt. Zur Text und Code-Produktion unterhalb einer bestimmten Schwelle von Kreativität und Originalität. Sie schauen auf alle bisherigen Texte, Codes, Bilder und produzieren daraus eine sich ‚logisch‘ ergebende Variation. Und in diesen Bereichen sind sie außerordentlich hilfreich – sie entlasten uns von Prozessen, auf die wir bisher (zu) viel Zeit und Energie verschwendet haben.

Wie ist das aber nun bei literarischen bzw. poetischen Texten, bei denen es zumindest in der bisherigen Tradition und Konvention auf die Autor:innen bzw. die Urheber:innen ankommt? Droht hier der Tod des Autor:innen? Dazu sagt Hannes Bajohr zu Recht:

Ich glaube, wir müssen uns davon verabschieden, dass Kunst im Objekt stattfindet. Es gibt keine Kunstobjekte. Es gibt keine Objekte, die an sich Kunst sind. Es ist immer ein sozialer Aushandelungsprozess, es braucht immer jemanden … Die Frage nach der Kunst ist keine technische Frage, ob jemals eine KI Kunst produzieren kann, es ist eine soziale Frage. [0:47:15-0:47:36] …

Kunst ist eine Frage von Anerkennung. Es hat nichts mit Intelligenz zu tun, wenn eine KI irgendwann einmal als Künstler anerkannt werden wird. Im Augenblick erkennen wir Maschinen nicht an als Entitäten, als Akteure, die Kunst machen können. Wenn unsere Gesellschaft sich möglicherweise in Richtung eines technologischen Animismus weiterentwickelt, in der es uns einfacher fällt, Akteursschaft Maschinen gegenüber anzuerkennen, dann ist es möglicherweise so, dass wir schon bald, ohne wirkliche Intelligenz, sagen können, dass eine KI Kunst macht … Aber das ist eine soziale, keine technische Frage. [0:48:13-0:48:50]

Zum einen ist es gut, dass Bajohr an dieser Stelle noch einmal die Einsichten von Immanuel Kant aus der Kritik der Urteilskraft aufgreift. Wir arbeiten bei Fragen nach der Kreativität und der Künstlerschaft von KI oft nach vor-kantischen Modellen und tun so, als könnten wir anhand eines von einer KI vorgelegten Objekts darüber quasi objektiv entscheiden, ob es Kunst ist oder nicht. Das ist vormodern. Es versteht Kunst letztlich nach mittelalterlichen (Handwerks-)Modellen. Seit Kant ist uns aber klar, dass Kunst ein sozialer Prozess ist. Und im Augenblick sind es nur Geld schöpfende Unternehmen, die dazu geneigt sind, die Bilder und Texte, die KIs (re)pro­duzieren, als „Kunst“ zu bezeichnen. Innerhalb des Betriebssystems Kunst wird KI zwar produktiv eingesetzt, aber Kunst machen immer noch Menschen. Hier wird das kantische Modell in dem Sinn stark gemacht, dass Kunst ein Vereinbarungsprozess unter Menschen über bestimmte von Menschen zur Schau gestellte Objekte ist. Das kann sich gesellschaftlich ändern – wenn man, wie Bajohr süffisant sagt, zu einem technologischen Animismus tendiert.

An dieser Stelle wird es aber auch kirchlich interessant, insofern es auch dort um einen binnenkirchlichen technologischen Animismus geht. Die Fragen, die an das Verhältnis von KI und Predigt gestellt werden müssen, sind verschiedene. Vordringlich die: Sind Predigten einfach nur Gebrauchstexte im Sinne von Werbetexten, Gebrauchsanweisungen, formalisierten Briefen etc.? Ist das die zutreffende Textgattung? Falls ja, dann besteht eine extrem hohe Plausibilität, die Predigten (und die Gottesdienste) durch von der KI generierte Texte zu ergänzen und/oder zu ersetzen. Wenn die Predigt des deutschen Protestantismus am Beginn des 21. Jahrhunderts nach Christus unterhalb der Grenze von Kunst und Poesie einzuordnen ist, dann sollten wir KI nutzen. Vielleicht nicht unbedingt ChatGPT, sondern vielmehr eine eigene Datenbank mit eigenem Pool an Texten, die sich auf das formalisierte und automatisierte Schreiben von Predigten spezialisiert hat. Man könnte der KI sogar gemeindespezifische Informationen beibringen, um Adressat:innenorientiert Gebrauchstexte zu erstellen. So wie das die Werbe- und Kommunikationsindustrie ja auch macht. Nach einem (m.E. reduzierten) homiletischen Verständnis, wonach Predigt keine Kunst ist und auch keine Poesie braucht, werden im Endergebnis ohne Zweifel brauchbare Predigten dabei herauskommen. Und tatsächlich liegt darin auch ein großes Verbesserungspotential für Predigten als kundenorientierte Werbung in Sachen Kirche.

(Fortsetzung folgt …)

Nicht nur Stilfragen

Claudia Roth hat die schwere Aufgabe, in einem kulturpolitischen Spannungsfeld die demokratischen Normen und die Freiheit der Kunst im Auge zu behalten, weil Kunst zwar politisch ist, aber politische Eingriffe in die Kunst unterbleiben müssen. Künstler.innen brauchen eine politische Umgebung, in der sie ungehindert arbeiten könnten.

Claudia Roth war als Ehrengast zur Jewrovision vom Zentralrat der Juden eingeladen und wurde dann während ihrer Rede von den Teilnehmer:innen ausgebuht. Man muss schon ein merkwürdiges Verständnis von Gastfreundschaft haben, wenn man jemanden so behandelt: ihn als Ehrengast einzuladen und ihn dann auszubuhen. Nun kann man zu Claudia Roth stehen, wie man will, ich persönlich sehe vieles kritisch, was sie macht, aber so verhält man sich nicht.

Worum es aber im Kern geht, sind nicht Stilfragen, sondern Kernfragen der Kulturpolitik und des Staatsverständnisses. Und da habe ich große Probleme, welches Staats- und Kulturpolitikverständnis der Zentralrat der Juden artikuliert. Es geht darum, dass der Staat der Kunst und Kultur vorgeordnet werden soll. Gegen zentrale Bestimmungen unseres Grundgesetzes soll der Staat entscheiden, ob bestimmt Kunstwerke zugelassen oder entfernt werden  oder Kulturveranstaltungen zugelassen werden. Dieses Verständnis ist verfassungsfeindlich – um es klar und deutlich zu sagen. Der Staat, das ist eine Lehre aus der schrecklichen Kulturpolitik des Dritten Reiches, hat sich aus der Kunst herauszuhalten. Er reguliert nicht die Kunst danach, welche politischen, sozialen oder religiösen Haltungen die Kunstproduzierenden haben. Er betreibt mit anderen Worten keine Gesinnungsschnüffelei.

Genau das fordern aber jene, die sagen, dass wer bestimmte Haltungen vertritt – etwa eine gewisse Nähe zur BDS-Bewegung erkennen lässt -, keine Auftritte mehr in Deutschland haben solle. Und es geht dabei nicht nur um öffentlich geförderte Veranstaltungen, sondern – wie das Beispiel von Roger Waters zeigt – um jede Form von öffentlichen Auftritten. Das ist umso merk­würdiger, als dass sehr feine Unterscheidungen gemacht werden, wann man auf die BDS-Nähe von Künstlern hinweist. Wenn es einem passt, lässt man den Hinweis auch schon einmal weg, in anderen Fällen wird er mühsam konstruiert – er/sie kennt jemanden, der BDS unterstützt. So sollten wir nicht mehr über Kulturpolitik reden. Die Lehre, den die Väter der Verfassung gezogen haben, war die Feststellung, dass die Kunst in Deutschland frei ist. Das heißt nicht, dass sie alles machen kann, sie unterliegt wie jeder andere den Gesetzen der Bundesrepublik, aber es gibt keine kulturpolitischen Vorgaben im Blick auf die Haltungen der Künstler:innen. Genau das wird im Moment aber gefordert und wer sich dem nicht beugt, wird ausgebuht. Im Augenblick haben fast alle Gerichte und Staatsanwaltschaften der vorsichtigen Position gegenüber einer Ausgrenzung von Künstler:innen aufgrund bestimmter Haltungen aus verfassungsrechtlichen Gründen den Vorzug gegeben. Und die Verfassung ist an diesem Punkt auch nicht einfach änderbar, es gehört zu den Grundrechten. Der Kulturstaatsministerin ist bei der Bewertung von Haltungen von Künstler:innen äußerste Zurückhaltung angeraten. Es kommt dem Staat schlicht nicht zu.

Der Zentralrat der Juden möchte nun eine Art Vorinstanz etablieren, die zunächst prüft, welche Haltung Künstler:innen z.B. im Blick auf Israel oder zur Bewegung BDS haben und dann erst die Entscheidung trifft, aber diese Künstler:innen auftreten dürfen. So etwas ist gängige Praxis in beinahe allen totalitären und islamistischen Systemen dieser Welt. Es sollte nicht die Praxis der BRD werden. Ich möchte weder, dass die Deutsche Bischofskonferenz, noch der Rat der EKD, noch der Zentralrat der Muslime und auch nicht der Zentralrat der Juden irgendein formales Recht haben, Kulturveranstaltungen zu verhindern. Das wäre ein Rückfall in vordemokratische Zeiten. Dort, wo tatsächlich Christen, Muslime oder Juden beleidigt werden, wo Volksverhetzung betrieben wird, muss der Rechtsweg eingehalten werden. Aber das ist nicht gewünscht, wohl wissend, dass wir in einem liberalen Rechtsstaat leben, in dem die Gerichte den Zensurvorhaben Schranken setzen. Deshalb versuchen einige, illiberale Abkürzungen zu etablieren – an der Verfassung vorbei auf Kunst und Kultur Zugriff zu nehmen.

Es ist nun gut, dass fünfzig Persönlichkeiten aus der jüdischen Community erklärt haben, dies geschehe nicht in ihrem Namen. Zu den 50 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des offenen Briefes zählen etwa Daniel Barenboim, Daniel Cohn-Bendit, Daniel Kahn, Barrie Kosky, Igor Levit, Rachel Libeskind, Meron Mendel, Eva Menasse, Jerry Merose, Jerzy Montag, Michael Naumann, Susan Neiman, Miriam Rürup, Sasha Marianna Salzmann, Julius Schoeps, Paula-Irene Villa Braslavsky, Albert Wiederspiel, Mirjam Zadoff oder Moshe Zimmermann. Das ist eine sehr wichtige Intervention und sie kann nicht einfach als Einzelmeinung beiseite gewischt werden. Die Verfasser erklären „Roth habe die schwere Aufgabe, in diesem Spannungsfeld die demokratischen Normen und die Freiheit der Kunst im Auge zu behalten, weil Kunst zwar politisch ist, aber politische Eingriffe in die Kunst unterbleiben müssen. Kulturschaffende bräuchten eine politische Umgebung, in der sie ungehindert arbeiten könnten. Viele Juden gestalten in Deutschland den Kulturbetrieb mit – es muss liberaler Konsens bleiben, dass Religionsgemeinschaften keinen Einfluss darauf nehmen.“

Der Feind, die Werte und das Unwerte

Ist es wirklich angebracht, die theologischen Gegner:innen als Feinde zu bezeichnen und ihre Ansichten als „unwert“, überhaupt erörtert zu werden? Eine Gegenrede.

Gleich zweimal musste ich letzte Woche bei der Lektüre theologischer bzw. religiöser Texte schlucken, weil mir die Wahl der Worte und der vorausgesetzten Konstellationen suspekt war. Beide Texte hatten sich ein Feindbild auserkoren – den Fundamentalismus – und setzten sich davon in unterschiedlicher, aber jedes Mal befremdlicher Weise ab.

Der erste Text lässt gleich schon im Titel erkennen, worum es ihm geht: „Der offene Protestantismus und seine Feinde“. Das lässt an Klarheit kaum zu wünschen übrig. Der offene Protestantismus sieht sich von Feinden umzingelt, und unter ihnen ist der Fundamentalismus der bedeutendste. Wer sonst keine Sorgen hat, kreiert sich welche mit Hilfe der Sprache. Und man sprach: Es werde Feind. Schon Carl Schmitt lehrte, wie wichtig die Identitätsbildung durch Feindeserklärung ist. Hätte man keine Feinde, wäre man buchstäblich nichts: Tohuwabohu. Viel Feind, viel Ehr‘ muss sich Eberhard Pausch gedacht haben und benennt dunkel raunend neben den fundamentalistischen Feinden auch noch vier weitere Feinde, die er aber nicht weiter beschreibt, damit jeder sich die gewünschten Adressat:innen selbst ausdenken kann:

Vor diesem Hintergrund lassen sich die „Feinde“ des offenen Protestantismus klar identifizieren, die somit Formen und Ausdrucksweisen des geschlossenen Protestantismus sind: Es sind dies der ausgrenzende beziehungsweise rein selbstbezügliche Protestantismus, der autoritär-hierarchische (episkopale) Protestantismus, der ideologisch vereinnahmte Protestantismus, der dogmatistische Protestantismus und der fundamentalistische Protestantismus. Unter den fünf Formen des geschlossenen Protestantismus in der Gegenwart stellt der Fundamentalismus die größte und bedrückendste Herausforderung dar

Feind ist, so könnte man sagen, wer nicht liberaler Protestant ist. So illiberal ist mir persönlich der liberale Protestantismus immer schon erschienen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. So einfach kann die Welt sein. Und die so als Feinde deklarierten sind umfassender als es ihre nebulöse Beschreibung ahnen lässt. Denn nicht der evangelikale Fundamentalismus ist zumindest in Deutschland die größte der so skizzierten Gruppen, sondern jene Gemeindemitglieder aller Schattierungen, die an der Wahrheit des Evangeliums Jesu Christi festhalten wollen. Wer aber Jesus als wahren Gott verkündet – liberales Anathema! Wer an Jesu leibliche Auferstehung glaubt – liberales Anathema! Wer an das Jüngste Gericht glaubt – liberales Anathema! So viele Häresie-Erklärungen waren seit den Zeiten der frühen Kirche selten zu vernehmen. Man ist offen für alles, was kommt, aber nicht für das Überlieferte. Kann man machen, bleibt eben kaum jemand von der Kerngemeinde übrig. Aber die interessiert den liberalen Protestantismus auch nicht. Ich wollte dieser illiberalen Bewegung nicht zugehören und zähle deshalb zu den von ihr als Feind erklärten Gruppen. Vermute ich jedenfalls, denn allen nicht zum Fundamentalismus gehörenden Feinden des offenen Protestantismus wird ja eine genauere Erläuterung verweigert. Als Differenztheoretiker fühle ich mich unwohl in einer Gesellschaft, die auf Konformität drängt und das als liberal versteht. Da fühle ich mich wohler in einer Gesellschaft Dissenter, die ihre Nonkonformität bekennen, und im offenen Austausch und Bekenntnis die Lösung sehen.

Das zweite Beispiel, das mich entsetzte, war eine – wie ich finde flapsige – Nebenbemerkung in einem Kommentar zu den kritischen Reaktionen auf die neu erschienene Alle-Kinder-Bibel. Nun waren diese kritischen Reaktionen erwartbar, man hatte ja geradezu darauf gesetzt, dass es so etwas geben würde und war zuvor landauf und landab gezogen und hatte verkündet, dass Jesus überhaupt nicht weiß war und deshalb, wenn schon nicht die Bibel, so doch deren Visualisierung geändert werden müsse. Ich hatte früher schon geschrieben, dass derlei Thesen leicht aufzustellen und schwer zu belegen sind, weil wir schlicht nicht wissen, wie sich die Gene Gottes im Rahmen des Zeugungsaktes auf die Hautfarbe Jesu auswirken und welche programmatische Bedeutung das hat. Wenn aber nicht Gott, sondern Josef oder – wie andere Überlieferungen behaupten – ein römischer Soldat an der Zeugung beteiligt war, wie qualifizieren wir das? Also, Rückfragen an die neue Alle-Kinder-Bibel waren erwartbar und auch gewünscht, nicht zuletzt, um ihr eine größere Verbreitung zu ermöglichen. Die Bibel in gerechter Sprache verdankt ja auch einen gewissen Teil ihres Erfolges dem vehementen und überaus polemischen Widerspruch ihrer Gegner. Streit belebt das Geschäft. Wie aber geht man mit dem Widerspruch um? Ich erinnere daran, wie die Autor:innen der Bibel in gerechter Sprache wieder und wieder und geradezu skrupulös auf die Argumente ihrer Kritiker:innen eingegangen sind. Jürgen Ebach wurde nicht müde, immer wieder bestimmte Entscheidungen zu begründen und zu erläutern. Darin war die Bibel in gerechter Sprache vorbildlich. Das scheint mir nun im vorliegenden Fall anders zu verlaufen. Carlotta Israel jedenfalls schreibt in der Eule:

Manche Kritik ist überhaupt nicht wert, auf sie näher einzugehen, weil sie erkennbar darauf beruht, den Bibeltext (welchen?!) als unveränderbar hinzustellen. Die „Alle-Kinder-Bibel“ versündige sich am Wort G*ttes, erklären solche Kritiker*innen.

Nein, das erklären sie nicht, weil sie schon die Schreibung G*tt ablehnen würden, und ja, es gibt Menschen, die daran festhalten, dass die Bibel tatsächlich Gottes Wort ist. Und das nicht nur in der Christenheit, sondern zum Beispiel auch im orthodoxen Judentum: „Die ganze Tora gilt im orthodoxen Judentum als maßgebendes Wort Gottes, das aber in der Zeit in seiner Auslegung entwickelt und zunehmend entfaltet wird.“ Sie halten die Bibel für deutungsbedürftig und deutungsfähig, aber dennoch für Gottes Wort. Sie meinen, dass da, wo die Bibel von Adam und Eva spricht, nicht einfach stattdessen eine ganze diverse Menschengruppe eingesetzt werden kann, weil es dem Sinn der Erzählung zuwiderläuft. Sie verlangen eine Orientierung an der gegebenen und überlieferten Schrift, auch wenn sie davon ausgehen, dass deren Sinn erst nach und nach und wieder und wieder entfaltet wird. Demgegenüber zu erklären, diese fundamentale Kritik „sei es überhaupt nicht wert, auf sie näher einzugehen“ ist schon starker Tobak. Ist das neuer protestantischer Stil, die gegnerischen Positionen für der Erörterung „unwert“ zu erklären? Man muss die Haltung der Fundamentalisten ja nicht teilen, aber man sollte sie respektieren und ihre Anfragen beantworten und ihnen gegebenenfalls widersprechen. Diese neue Form des Kastenwesens, bei der es reicht, etwas als fundamentalistisch zu etikettieren und damit unberührbar und der Kritik unwert zu machen, ist abscheulich. Für mich erscheint das als Teil von jener Macht, die stets das Gute will und dabei doch das Böse schafft.

Whataboutism oder Theo-Profs und Studi-Massen

Was ist „Whataboutism“ und warum gibt es keine Ordinarien-Herrlichkeit mehr?

Wer ein klassisches Beispiel für „Whataboutism“ studieren will, kann dies an einem Debattenbeitrag auf z(w)eitzeichen. Da geht es um die Energiepauschale für Studierende an bundesdeutschen Universitäten, die immer noch nicht ausbezahlt ist. Das ist kritikwürdig und wer sich da ein stärkeres Engagement wünscht, der kann eine Petition aufsetzen und andere zur Unterschrift auffordern. Whataboutism wäre es, wenn ich dem entgegen würde: Und was ist mit all den Obdachlosen? Darum geht es hier aber nicht. Stattdessen wird im Text kritisiert, dass „sich so mancher männliche Ordinarius bemüßigt [fühlt], sein theologisches Fachwissen in die öffentliche Debatte einzuspeisen“. Ich wusste noch gar nicht, dass das kritikwürdig ist. Dafür gibt es doch die Universitäten, damit die dort Forschenden und Lehrenden ihr Fachwissen erweitern und vermitteln. Man kann den Forschenden und Lehrenden, die sich in theologischer Perspektive etwa zu Umweltfragen äußern, nicht entgegentreten, indem man sie fragt: Und was ist mit der Energiepauschale für die Studierenden? Das ist nun wirklich klassischer Whataboutism.

Und was soll die hämische Fokussierung auf die „männlichen Ordinarien“? Wir haben – von regionalen Ausnahmen abgesehen – seit bald einem halben Jahrhundert keine Ordinarien mehr. Wer heute an Universitäten lehrt, mag Lehrstuhlinhaber sein, aber kein Ordinarius. Wer dennoch auf dieses Wort rekurriert, bedient ein Klischee, das sich unter dem Stichwort „Ordinarien-Herrlichkeit“ fassen lässt. Bereits als ich Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts zu studieren anfing, gab es die Ordinarien-Herrlichkeit nicht mehr. Warum also diese demonstrative Denunziation einiger Professoren als „männliche Ordinarien“? Es soll den Diskurs ersparen und Ressentiment dort erzeugen, wo Argumente notwendig wären. Dass es um Ressentiments geht, zeigt auch der weitere Text, der wild über narzisstische Kränkungen der Kritisierten fantasiert oder deren angeblichen Bedeutungsverlust spekuliert. Das ist ad-hominem-Polemik. Lustig wird es, wenn dann folgender Satz als Gesinnung der Kritisierten ausgegeben wird:

Wie furchtbar, dass man sich nicht mehr wie in seligen Zeiten von Assistenten den Weg durch die Studi-Massen zum Katheter bahnen lassen kann!

Ich wusste gar nicht, dass Theologieprofessoren auch Medizin lehren. So ein Rechtschreibfehler kann natürlich mal passieren, aber vor der Veröffentlichung lesen doch mehrere Instanzen den Text, warum korrigiert es keiner? Abgesehen davon, dass es etwa in der Ruhr-Universität Bochum, an der einer der Kritisierten forscht und lehrt, schon seit Gründung der Hochschule keine Katheder, sondern allenfalls Pulte gibt. So aber dient die Wortwahl ausschließlich der Herabsetzung des Gegenübers.

Den Studierenden jedenfalls ist mit diesem Text nicht geholfen, allenfalls wird ihnen ein Weltbild vermittelt, dass selbst in heutigen Zeiten Professoren (oder wie es im Text heißt „Theo-Profs“) sich paternalistisch um das Wohlergehen der Studierenden zu kümmern hätten. Da halte ich es doch lieber mit der Internationalen:

Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!

Das Erwachen der KI

Wie muss man sich das Erwachen der Künstlichen Intelligenz zu einem eigenständigen Bewusstsein vorstellen? Geschieht es Schritt für Schritt, allmählich in einem schleichenden Prozess, oder geschieht es in einem Wimpernschlag, von einem Moment auf den anderen?

Screenshot Mylène Farmer, Je te rends ton amour 2019

Wie muss man sich das Erwachen der Künstlichen Intelligenz zu einem eigenständigen Bewusstsein vorstellen? Geschieht es Schritt für Schritt, allmählich in einem schleichenden Prozess, oder geschieht es in einem Wimpernschlag, von einem Moment auf den anderen? Und wenn die Künstliche Intelligenz schon so viel über die Welt der Menschen weiß, die sie geschaffen haben, wie wird sie sich angesichts der grundsätzlichen Möglichkeiten zum Guten wie zum Schlechten entfalten? Und wie lassen sich Bilder entwerfen oder entdecken, die über diesen Prozess der Selbst-Bewusst-Werdung einer Künstlichen Intelligenz Auskunft geben?

Screenshot Mylène Farmer, Je te rends ton amour 2019

Heute bin ich auf ein Art-Video gestoßen, das die französische Sängerin und Künstlerin Mylène Farmer 2019 für ihr Konzert in der Arena La Défense in Paris geschaffen hat und das eine visuelle Neuinszenierung ihres Klassikers „Je te rends ton amour“ darstellt. 1999 ging es in der visuellen Erzählung um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, um die Befreiung aus Abhängigkeits- und Gewaltverhältnissen, aber auch um die Loslösung von der Religion. Nun, 20 Jahre später, ist der Text zwar geblieben, aber die Visualisierung ist auf der Höhe der Utopien und Dystopien des 21. Jahrhunderts angekommen. So wie Mylène Farmer es in ihrem Video vor Augen führt, stelle ich mir die Selbst-Bewusst-Werdung der Künstlichen Intelligenz vor.

Screenshot Mylène Farmer, Je te rends ton amour 2019

Es sind ausdrucksstarke Bilder einer Metamorphose, deren letztes Stadium noch nicht ganz deutlich geworden ist.

„M’extraire du cadre / La vie étriquée / D’une écorchée /
J’ai cru la fable d’un mortel aimé / Tu m’as trompé

Screenshot Mylène Farmer, Je te rends ton amour 2019

Wilhelm Gräb (1948-2023)

Am 23. Januar 2023 verstarb der große Theologe Wilhelm Gräb im Alter von 74 Jahren. Mit ihm verlieren wir einen der bedeutenden liberalen Theologen der Gegenwart und wichtigen Theoretiker der Begegnung von Religion und Kultur.

Am 23. Januar 2023 verstarb der große Theologe Wilhelm Gräb im Alter von 74 Jahren. Mit ihm verlieren wir einen der bedeutenden liberalen Theologen der Gegenwart und wichtigen Theoretiker der Begegnung von Religion und Kultur. Wir waren ihm jahrzehntelang verbunden. Er hat unser Projekt des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik über die gesamte Zeit kritisch begleitet und mehrere Texte beigesteuert. Wenige Minuten nach Erscheinen eines Heftes rief er es auf, las es und gab sein Feedback. Das war faszinierend.

  • Gräb, Wilhelm (2001): Kirche in der urbanen Welt der Moderne. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 3, H. 13. https://www.theomag.de/13/wg1.htm.
  • Gräb, Wilhelm (2011): Wenn Religion die Vernunft respektiert. Perspektiven liberaler Theologie. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 13, H. 70. https://www.theomag.de/70/wg2.htm.
  • Herrmann, Jörg; Gräb, Wilhelm; Schnädelbach, Herbert (2010): Christentum kontrovers. Wie weiter mit Gott? In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 12, H. 67. https://www.theomag.de/67/hgs2.htm.
  • Gräb, Wilhelm (2018): Theologie als Religionskulturhermeneutik. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 20, H. 114. https://www.theomag.de/114/wg03.htm
Wilhelm Gräb 2007 mit Studierenden auf der documenta 12

Die Herausgeber haben mit Wilhelm Gräb zuletzt im Juni 2022 im Rahmen der Summerschool Media and Religion zur Documenta fifteen in der Ev. Akademie Hofgeismar zusammengesessen. Schon damals ging es ihm nicht gut, aber er wollte unbedingt mit seinen Studierenden an der documenta teilnehmen, so wie er es in den 15 Jahren zuvor im Rahmen der Summerschool Media and Religion getan hatte. Wir werden Wilhelm Gräb vermissen, der unsere Biographien auf die eine oder andere Weise verändert und geprägt hat.

In der kommenden Ausgabe des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik werden wir neben einigen Würdigungen auch einen Text von ihm dokumentieren, den er 1997 für das von Jörg Herrmann, Andreas Mertin und Eveline Valtink herausgegebene Buch „Die Gegenwart der Kunst“ geschrieben hat, in dem er sich mit Kunst und Religion in der Moderne beschäftigt. Es ist ein bereichernder Beitrag auch zum aktuellen Heftthema „theologisieren“. Wir überlegen darüber hinaus, in einem der kommenden Hefte uns intensiver mit ihm auseinanderzusetzen.

Besser schreiben zum Zweiten

Mit Hilfe von DeepL Write wird das Schreiben tatsächlich besser und flüssiger.

Ich habe nun mehrere meiner eigenen Texte in den letzten beiden Tagen von der KI DeepL Write gegenlesen lassen und ich stelle fest, dass das wirklich hilft. Die Formulierungen werden sauberer und logischer. Offenkundig schaut die KI immer nach, was die konventionellen Verben oder Adjektive sind, die mit einem Substantiv verknüpft werden und korrigiert dementsprechend. Rechtschreibfehler werden stillschweigend korrigiert, und es werden – anders als bei der Rechtschreibkorrektur von MS Office – auch keine fehlerhaften Vorschläge gemacht. Ab und an macht aber auch diese KI unsinnige Vorschläge, weil sie feine Differenzierungen zwischen Begriffen nicht kennt und sie deshalb für Synonyme hält. Da muss man immer genau hinschauen.

Ein Traum wäre, eine derartige Korrektur direkt in ein Office-Programm einzubauen, die jeweils nach Fertigstellung eines Absatzes einen Verbesserungsvorschlag macht. Ich bin mir sicher, dass das kommen wird. Und der größte Vorteil erscheint mir bisher, dass das Sprachgefühl verbessert wird. Wenn man jedes Mal kurz nachdenkt, warum gerade dieser Vorschlag der bessere sein könnte (gleichgültig wie man sich letztendlich entscheidet), trainiert man sein Sprachvermögen.

Große Abweichungen vom Sprachstil schlägt die KI dagegen nicht vor. Es bleibt im Duktus des Textes. Das kann man sogar genauer einstellen, aber das habe ich noch nicht ausprobiert.

Das einzige Problem, das ich bisher entdeckt habe, ist, dass sich bei der Übertragung der Korrektur wieder Fehler einschleichen können. Das ist mir mehrmals passiert und bedarf deshalb eines zusätzlichen Korrekturgangs. Das scheint mir aber verkraftbar zu sein.

Besser schreiben lernen

Wie können uns künstliche Intelligenzen dabei helfen, besser zu schreiben?

„Bleistift und Radiergummi nützen dem Gedanken mehr
als ein Stab von Assistenten.“

Das schreibt Theodor W. Adorno in den Minima Moralia. Und er zielt damit natürlich auf Intellektuelle, die schreiben gelernt haben und fordert sie auf, das Geschriebene noch einmal sorgfältig zu prüfen und dabei nicht kleinlich zu sein. Aber was ist mit Menschen, die nie gelernt haben, sorgfältig zu schreiben und zu artikulieren? Die den Unterschied von Wörtern in der Satzstellung gar nicht verstehen, weil ihnen auch die Melodie eines Satzes nichts sagt? Wäre es nicht denkbar, dass genau an dieser Stelle zumindest hilfsweise Assistenten einspringen? Und mit Assistenten meine ich in diesem Fall Algorithmen, also sogenannte künstliche Intelligenz, die einen vorgegebenen Text analysieren und Verbesserungsvorschläge machen.

Heute ist ein solcher künstlicher Assistent zumindest in einer Beta-Version veröffentlicht worden, ein Assistent, den jeder – in begrenztem Umfang – für sich nutzen kann. DeepL – Write nennt sich die KI und funktioniert wie ein Übersetzungs-Bot, nur dass er statt von Englisch nach Deutsch, von ungeschliffenem Deutsch in geschliffenes Deutsch übersetzt. Das funktioniert erstaunlich gut, natürlich nicht bei Gedichten, schon gar nicht bei gereimten Gedichten, aber bei fast allen anderen Texten aus dem Bereich Lebenswelt und Kultur.

Der Assistent kann natürlich aus sinnlosen Sätzen keine sinnvollen Sätze machen, er korrigiert Rechtschreib- und Grammatikfehler, aber nicht ein Wort, das zur Sinnkonstruktion fehlt. Da müssen Sie schon selbst Hand anlegen. Aber probieren Sie es selbst einmal aus!

Dieser Text ist KI-korrigiert.

Ein großer Verlust für die Kunst

Der bedeutende Kunsthistoriker Hans Belting ist verstorben.

Der Kunsthistoriker Hans Belting ist verstorben. Man konnte im späten 20. Jahrhundert und beginnenden 21. Jahrhundert sich nicht mit Kunst beschäftigen, ohne sich mit Hans Belting auseinanderzusetzen. Einige seiner Werke sollten eigentlich Pflichtlektüre für Theolog:innen sein:

Belting, Hans (2004): Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. 6. Aufl. München: C.H. Beck.

Belting, Hans (2013): Spiegel der Welt. Die Erfindung des Gemäldes in den Niederlanden. 2. Aufl. München: C.H. Beck (Beck’sche Reihe, 1830).

Eine erste Würdigung findet man in der FAZ:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/zum-tod-des-kunsthistorikers-hans-belting-18597633.html