Das elfte Gebot: Du sollst keine Ausstellung abbrechen

Aus Anlass der Schließung der Nürnberger Ausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim einige Überlegungen zur Arbeit mit Kunst in der Kirche.

Ende Juli vermeldet die Presse die Schließung einer Kunstausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim in der evangelischen Nürnberger Kulturkirche St. Egidien. Nun waren Irritationen im Blick auf Künstler und Ausstellung vorab zu erwarten und ich bin mir sicher, dass die Kurator:innen der Nürnberger Kulturkirche das auch sorgfältig bedacht haben. Sie sind letztlich das Risiko eingegangen und irgendetwas (vermutlich handfeste Proteste) muss sie dann dazu gebracht haben, dennoch die Ausstellung wieder zu schließen. Das halte ich nun wiederum für einen Skandal. Nicht wegen der Schließung einer Ausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim, sondern grundsätzlich wegen der Schließung einer Ausstellung in einer evangelischen Kirche. Das berührt und verletzt das protestantische Selbstverständnis, aber auch die erarbeiteten Standards der Begegnung von evangelischer Kirche und zeitgenössischer Kunst zutiefst. Wir sind eine Kirche der Freiheit und das ist nicht nur so dahingeredet. Man klärt alle kontroversen Dinge, das ist Teil der kuratorischen Arbeit, im Vorfeld einer Ausstellung. Mit der Eröffnung hat man sich aber zu diesem Gast, seinem / ihrem Beitrag zur Kulturarbeit der evangelischen Kirche bekannt und lädt diesen Gast nicht wieder aus. Punktum. Das hat etwas mit cortesia, mit zuvorkommender Gastfreundschaft zu tun, die aus ganz archaischen Gründen nicht verletzt werden darf.

Mit den Worten von George Steiner: „Wo Freiheiten einander begegnen, wo die integrale Freiheit der Schenkung oder Verweigerung des Kunstwerkes auf unsere eigene Freiheit der Rezeption oder der Verweigerung trifft, ist cortesia, ist das, was ich Herzenstakt genannt habe, von Essenz … Von Angesicht zu Angesicht im Gegenüber zur Gegenwart gebotener Bedeutung, die wir einen Text nennen (oder ein Gemälde oder eine Symphonie), streben wir danach, seine Sprache zu hören. Wie wir auch die des auserwählten Fremden hören wollen, der zu uns kommt“.

Ab und an berate ich Kirchengemeinden oder halte Vorträge in Pastoralkollegs, was man berücksichtigen muss, wenn man in der Kirche zeitgenössische Kunst ausstellt. Das sind einfache Grundsätze, die man m.E. beherzigen sollte. Ich fasse sie hier einmal knapp zusammen, um dabei auch die Problemzonen und die Regeln zu beleuchten, um die es bei der Kulturarbeit der evangelischen Kirche geht.

Der erste Punkt steht unter der Überschrift: Man muss es auch wollen. Und das heißt: Klären Sie vorab und fragen Sie sich: Wollen wir wirklich Kunst ausstellen? Was erhoffen wir uns davon? (Mehr Besucher, interessante Impulse, Gespräche in der Gemeinde, neue Perspektiven …). Andernfalls planen Sie lieber einen Ausflug in eine Ausstellung! Oder einen Besuch im Museum! Oftmals ist es ja so, dass man Kunst nur ausstellen will, weil man sonst mit (s)einer Kirche nichts mehr anfangen kann. Das ist eine schlechte Voraussetzung für den Dialog von Kunst und Kirche. Wenn man sich vorher fragt, will man das überhaupt, dann bereitet man sich eben auch schon auf all die Herausforderungen vor, die ein solcher Dialog notwendig mit sich bringt.

Der nächste Punkt ist: Eine Ausstellung braucht Ideen. Und die Fragen lauten: Welches Modell wollen Sie kultivieren? Geht es Ihnen um: Religion in der Kunst? Geht es Ihnen um: Zeitgenössische Kunst? Geht es Ihnen um: Regionale Kunst? Geht es Ihnen um: Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen? Haben Sie ein Thema, ein Motiv, eine Konstellation, die Sie uisammen mit Künstler:innen bearbeiten wollen? Das ist insofern entscheidend, als dass dieses Modell darüber Auskunft gibt, worüber anlässlich der Ausstellung diskutiert werden soll und inwiefern die Kunst als Kunst dafür unentbehrlich ist. Man kann natürlich einfach prominente Namen ausstellen, aber dann ist man Teil der Kulturindustrie und nicht an einer Begegnung von zeitgenössischer Kunst und heutiger Religion interessiert. Wenn man ein Thema wählt, wäre das eben auch theologisch und theo-ästhetisch zu bearbeiten. Was unterscheidet die Ausstellung dieser Arbeiten von einer Ausstellung derselben Arbeiten in einer Galerie? Darüber muss man Auskunft geben können.

Der nächste, in der Gegenwart oftmals entscheidende Punkt, lautet: Nicht gegen die Gemeinde! Bereiten Sie die Gemeinde vor! Das Modell der fortschrittlichen Kunst und der rückschrittlichen Gemeinde ist überholt, es stammt aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Gemeinde muss informiert werden. Sie sollte aber nicht über Kunst abstimmen, das zeigt ein völlig falsches Verständnis von Kunst; sie sollte aber wissen, was auf sie zukommt. Nach evangelischem Verständnis wird die Gemeinde vom Presbyterium repräsentiert. Es wird Ängste geben – haben Sie keine Angst davor! Viele Befürchtungen entstehen aus der Unkenntnis zeitgenössischer Kunst – hier kann man Informationen liefern. Dann gibt es Ängste, was den Raum betrifft. Da hilft es, über das evangelische Raumverständnis nachzudenken und zu arbeiten. Dieser Punkt macht zwei grundlegende Dinge deutlich: Zum einen muss die Gemeinde und das heißt nach evangelischem Verständnis: das Presbyterium vorab informiert werden. Presbyter.innen sind Bedenkenträger.innen und das muss man ernst nehmen. Viel wichtiger ist m.E. aber der zweite Punkt: man muss in der Gemeinde am Raumverständnis arbeiten. Was ist ein religiöser Raum nach protestantischem (nicht nach bürgerlichem) Verständnis? Hier kursieren immer noch Vorstellungen von Sakralität, die Martin Luther bereits im 16. Jahrhundert aufgegeben hat, die reformierte Tradition natürlich ebenso. Es gibt im Protestantismus schlicht keine heiligen Räume. Kirchen sind auch keine Ruheräume (das ist eine bürgerliche Idee, als die Kirche nichts mehr inhaltlich zu sagen hatte). Es sind religiöse und kommunikative Räume, insofern sie dem Gottesdienst und dem Gemeindeleben dienen, aber Gott wohnt nicht zwischen diesen Mauern. Gott ist den Menschen in einer Galerie ebenso nah wie in einem Kirchengebäude. Aber religiöse Räume sind Heterotope, in denen wir über die Welt nachdenken. Und das können wir anhand von und gemeinsam mit Kunst.

Das führt uns zum nächsten Punkt: Wir sollen der Galerie keine Konkurrenz machen. Und das meint: Kirchenräume sind keine Ausstellungsräume, sondern religiöse Räume, die für Gäste offen sind. Das hat Konsequenzen für die spätere Inszenierung. Wenn Sie nur die freien Wände, die Sie haben, mit Bildern füllen wollen, handeln Sie wie eine Galerie. Dann sollten Sie gleich der Galerie Ihre Räume als Ausstellungsraum zur Verfügung stellen. Wenn Sie mit religiösen Atmosphären Ihres Raumes arbeiten, überlegen Sie, wie historisch Kunst in der Kirche Platz fand. Das ist lehrreich auch für die Gegenwart. In diesem Punkt geht es darum, zeitgenössische Kunst als solche, aber auch sich selbst als religiöse Institution ernst zu nehmen. Kirchen sind keine Galerien, sondern Heterotope, in denen über die Welt nachgedacht wird. Und das kann man auch mit Hilfe von Kunst machen.

Der nächste Punkt fordert noch einmal auf: Stellen Sie sich (vorab) Fragen! Welches Problem möchte ich / möchten wir in der Zusammenarbeit mit Künstler:innen bearbeiten? Worüber möchte ich / möchten wir neue Einsichten? Was ist das bisher Ungesehene / Unerhörte in meiner / unserer Gemeinde oder unserer Gesellschaft? Was mache ich ganz selbstverständlich im religiösen Raum, ohne darüber nachzudenken? Wo gibt es blinde Stellen? Inwiefern können mir Künstler:innen dabei helfen, diese wieder ins Bewusstsein zu heben? Diese Fragen zielen darauf, dass es um ein gemeinsames Unternehmen geht, nicht um einseitige Präsentationen.

Der nächste wichtige Punkt behandelt die unterschiedlichen Interessen von Aussteller:innen und Künstler:innen. Eine Ausstellung in einer Kirche ist kein Künstler:innen-Monolog. Wenn Sie nicht eine Ausstellung aus einem bereits bestehenden Bilderfundus zusammenstellen, besprechen Sie sich mit dem Künstler bzw. der Künstlerin. Beachten Sie aber: Künstler:innen haben andere Interessen als Sie. Es geht aber um einen Dialog, nicht um einen künstlerischen Monolog. Sie haben ein Erkenntnisinteresse im Blick auf das Besondere Ihres Raumes – das ist es, was Sie einbringen. Künstler:innen sind an Galerie-Inszenierungen gewöhnt, nicht mehr an Kircheninszenierungen. Hier müssen beide lernen. Der Raum ist als Heterotop nicht gleich-gültig, das ist die bleibende Erkenntnis aus Michel Foucaults Heterotopie-Konzept. Und das muss im Dialog mit den ausgestellten Künstler:innen auch deutlich bleiben, sonst kommt es nur zu Missverständnissen. Ich treffe oft auf Kolleg:innen, die nur stolz darauf  sind, diesen oder jenen berühmten unter den Künstler:innen ausgestellt zu haben. Darum geht es aber nicht. Kirchen sind keine Galerien, sondern kommunikative religiöse Räume.

Der nächste Punkt ist dem entsprechend: Was ist das Narrativ? Und das meint nicht das Narrativ der Kunst, sondern das Narrativ des konkreten Dialogs von Kunst und Religion. Jede gute Ausstellung in der Kirche hat ein Narrativ, eine Geschichte oder Erzählung. Was wollen Sie mit Ihrer Inszenierung den Besucher.innen erzählen? Versuchen Sie, einen Skopos (Leitsatz, Lehrsatz) Ihrer Ausstellung zu formulieren. Es geht um eine Art, regulative Idee der Ausstellung – die durchaus dann vom Resultat abweichen kann, aber doch das Ziel vorgibt.

Nun aber zum aktuell wichtigsten Punkt: Was tun bei Ärger? Kunst fordert uns heraus. Was immer Sie ausstellen, nicht alle werden einverstanden sein. Das ist gut so. Ziehen Sie niemals(!) ein Bild zurück. Erklären Sie, warum Sie es eingesetzt haben. Legen Sie Ihre Perspektive dar. Verteidigen Sie das Bild und den Künstler bzw. die Künstlerin. Viele Proteste gehen auf eine Verwechslung von Form und Inhalt zurück oder basieren auf einer veralteten Vorstellung von Kunst als Illustration. Sprechen Sie darüber mit den Protestierenden. Machen Sie eine Veranstaltung daraus. Die Schließung einer Ausstellung, aber auch schon das Zurückziehen nur eines Bildes ist ein kuratorischer Offenbarungseid. Denn das besagt nichts anderes, als dass man im Vorfeld als Kurator:in nicht genügend nachgedacht hat. Wenn also im Vorfeld erkennbar wird, dass ein Künstler oder eine Künstlerin in den auszustellenden Werken Probleme mit der katholischen Kirche aufarbeitet, ist eine evangelische Kirche vielleicht der falsche Inszenierungsort. Die Künstler:innen missbrauchen dann die evangelische Kirche und wollen gar keinen Dialog. Sie nehmen die evangelische Kirche in ihrer Besonderheit nicht ernst. Das kommt relativ oft vor und lebt von einem Kunstverständnis des 19. und 20. Jahrhunderts, das Kunst an Provokation knüpfte. Darüber sind wir heute längst hinaus. Man muss schon sehr eurozentristisch denken, um an diesem Modell festzuhalten. Im Rest der Welt denkt man nicht so.

Wenn man diese Punkte abarbeitet, werden einem die Chancen und Risiken der Begegnung von Kunst und Religion bewusster. Man wird Streit nicht verhindern können, aber man sollte ihn aushalten lernen. Sich zurückzuziehen, ist feige und offenbart mangelndes Selbstbewusstsein..

Entdeckungen im Barock

Was kann man in der Kunstgeschichte alles entdecken: zum Beispiel die Gründerin der ersten Kunstakademie für Frauen: Elisabetta Sirani.

Ich begleite im Sommersemester 2023 Studierende der Ev. Theologie an der TU Dortmund bei Besuchen von Kunstmuseen als außerschulischen Lernorten. Das Seminar von Dr. Michael Waltemathe trägt den Titel „Kunst und Theologie“. Wir treffen uns regelmäßig in ausgewählten Museen verschiedener Städte in NRW und erörtern die Kunstwerke auf die wir dabei stoßen. Vor kurzem waren wir in Münster, der Stadt der Skulptur-Projekte und besuchten u.a. das LWL-Museum für Kunst und Kultur. Wenn man Museen als „Gattungshöhlen der Menschheit“ begreift, so ist ihr  Besuch immer auch eine Frage nach der eigenen Identität. Wie bildet sich in der Kunst die Welt der letzten 1000 Jahre ab, was bewegte und was verstörte die Menschen, was entdecken sie für sich neu und was lassen sie irgendwann hinter sich? Und diese „Funktion“ hatten Bilder, seitdem Menschen solche schaffen. In der Höhle von Chauvet, die seit 28.000 Jahren nicht mehr betreten wurde, können wir anhand der konservierten Fußspuren der Letztnutzung, einiges über den initiatorischen und identitätsbildenden Charakter der dortigen Bilder lernen. In die Bedeutung der Bilder der Horde/Gruppe eingeführt zu werden, bedeutete damals vermutlich, als anerkanntes verantwortliches Mitglied in die Gruppe aufgenommen zu werden und seine Identitätsbildung vervollständigt zu haben. Heute haben wir kein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, was eigentlich der Sinn eines Museums ist, man hat das Gefühl, dort sei alles irgendwie museal, von gestern, verstaubt und überholt. Das ist natürlich Quatsch. Museen sind „Gattungshöhlen der Menschen“, hier begegnen wir uns selbst. Seit 200 Jahren haben wir zudem einen Kunstbegriff, der Kunst nicht mehr als irgendeine Form der Objektivation, sondern als komplexe soziale Vereinbarung versteht. Und diese Vereinbarung ist fluide, sie verändert sich ständig, weshalb es wiederholter Besuche auch in Kunstmuseen bedarf, um die aktuellen sozialen Vereinbarungen zur Kunst kennenzulernen.

Als ich Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts zu studieren begann, hätte man etwa nicht erwartet, in den Kunst-Abteilungen des Barock Kunstwerke von Frauen zu finden. Aufgrund der Vormacht männlicher / patriarchalischer Vorstellungen galt es als gesicherte Erkenntnis, dass Frauen sagen wir um 1630 nicht gemalt hätten und schon gar nicht als professionelle Künstlerinnen. Stieß man dann auf beeindruckende Werke von Frauen, wurden sie zunächst einfach Männern, etwa Verwandten zugeschrieben. Klassisches Beispiel war Artemisia Gentileschi, deren Oeuvre ihrem Vater zugeschlagen wurde. Erst nach und nach wurde der Erkenntnis (Ausstellung-)Raum gegeben, dass selbstverständlich Frauen auch professionelle Künstlerinnen waren – wenn auch unter Hürden, die vom Patriarchat künstlich errichtet wurden.

Wenn wir aber heute durch ein Museum gehen, fragen wir fast schon intuitiv danach, wenn wir in der Barock-Abteilung (oder in den nachfolgenden Sälen) keine Künstlerinnen finden. Das katoptrische Universum, das ein Museum normalerweise darstellen sollte, hat dann nämlich einen blinden Fleck. Ähnliches gilt für alle marginalisierten Gruppen in der vom Museum jeweils gespiegelten Welt.

Mit den Studierenden durch ein Museum wie das LWL in Münster zu laufen, heißt dann in der Regel, dass einige Studierende sich zu einzelnen Werken intensiver vorbereitet haben und wir nach einer entsprechenden Einführung durch sie in die Unterhaltungen vor Gemälden eintreten. Darüber hinaus haben alle in der Gruppe noch besondere Aufgaben, sie schauen das jeweils ausgewählte Objekt unter dem Aspekt der Genderfrage an, oder unter dem Aspekt der Ökologie, der dargestellten Ethnien, den Aspekten von Rassismus und Antisemitismus usf. Wir machen also präsentische Fragestellung noch einmal im Blick auf historische Objekte fruchtbar.

Bei der Vorbereitung der Exkursion ins LWL hatte ich im Online-Datenbestand des Museums eine Barock-Künstlerin entdeckt, die ich bis dato nicht kannte und deren Biografie, die ich mir deshalb angeschaut habe, außerordentlich beeindruckend ist. Es handelt sich um Elisabetta Sirani. Die Wikipedia schreibt einleitend knapp:

Elisabetta Sirani (* 8. Januar 1638 in Bologna; † 28. August 1665 ebenda) war eine italienische Malerin und Kupferstecherin. Sie gründete in Bologna eine Kunstakademie nur für Mädchen und Frauen und war eine der ersten Frauen überhaupt, die in die renommierte Accademia di San Luca in Rom als Mitglied aufgenommen wurde.

Ihr Vater arbeitete in der Werkstatt von Guido Reni, war aber nicht so erfolgreich wie seine Tochter, die mit 17 Jahren zu malen begann und deren Einnahmen den Familienhaushalt finanzierten. Die Künstlerin musste immer etwas für sich selbst von ihren eigenen Einnahmen abknappsen. Da Frauen keinen institutionellen Zugang zur Kunst hatten, gründete in Bologna eine Akademie nur für Frauen. Ihre eigenen Werke lassen sich ganz gut zu den Arbeiten ihrer Zeitgenossen in Beziehung setzen, im Vergleich zu denen von Guido Reni sind sie nicht so glatt klassizistisch barock, sondern persönlicher und intimer.

Schade, dass das LWL in Münster das Kunstwerk gerade nicht ausstellt, aber es wäre durchaus eine Anregung, einmal in einem Kabinett Barockkünstlerinnen zusammenzustellen. Man muss ja nicht gleich eine eigene Ausstellung daraus machen.

Ist ChatGPT ein Predigt-Generikum?

Darf Chat-GPT als Generikum verstanden werden, das die gleiche Wirkmächtigkeit wie eine menschliche Predigt entfaltet?

Rudolf Bohren („Dass Gott schön werde. Praktische Theologie als Ästhetik“) würde sich zwar im Grabe umdrehen. Dennoch: KIs Predigten schreiben zu lassen, macht innerhalb eines solchen religiösen Systems Sinn, das sich entschieden hat, der Predigt keine kreativen, keine poetische, keine neuen Bedeutungen generierenden Aspekte zuzuerkennen. Wer KI als Predigtgenerator (und nicht nur zur Arbeit an der Predigtsprache) einsetzt, gibt ein homiletisches Urteil über Form und Funktion der Predigt im Gemeindegeschehen ab, er begreift sie als Gebrauchstext.

Denn auch der Hinweis darauf, dass in der kirchlichen Praxis Predigten doch selten Kunstcharakter oder bestimmte poetologische Standards erreichen, geschieht ja in der Absicht, Predigten künftig als Gebrauchstexte zu qualifizieren. Aktuell halten wir jedoch an der regulativen Idee fest, dass Predigten mehr als bloß Werbetexte oder Gebrauchsanweisungen sind und seelsorgerliche Gespräche mehr als ein Anruf im Callcenter. Und auch Gottesdienste sind – bei aller durchaus rationalen Konstruktion der Liturgie – mehr als Verkaufsveranstaltungen. Wenn man an diesem Mehrwert zweifelt, wenn man Gottesdienste für überschätzt und Predigten als schlichte Textgattung der Wiederholung religiöser Texte in anderen Worten ansieht, dann sind freilich KI-gesteuerte autonome Systeme denkbar, die das personen-zentrierte religiöse System ablösen können (und sollten).

Die Debatten um den angeblichen von einer Künstlichen Intelligenz generierten Gottesdienst auf dem Ev. Kirchentag in Nürnberg (der in Wirklichkeit nur mit Hilfe von ChatGPT zustande kam und von einem theologischen Subjekt namens Jonas Simmerlein authentifiziert wurde und damit eben kein autonomes, künstlich-intelligentes und künstlerisches Geschehen darstellt), kreisen also um die Frage, ob wir in den christlichen Gemeinden zu einer sozialen Vereinbarung kommen können, wollen bzw. werden, welche die von der KI generierten Predigten als genuin religiöse Texte anerkennt, nicht zuletzt, weil sie die Wandlung der Predigt vom poetischen Text zum Gebrauchstext vorantreibt. Ein (noch kleiner) Teil der theologischen und kirchlichen Welt scheint dazu zu neigen.

Aber die Frage ist nicht einmal ansatzweise entschieden. Wie bei der Kunst bestimmen darüber ja nicht ein paar technologie-animistisch Denkende, sondern die soziale Gruppe, in diesem Fall die religiöse Gemeinschaft. So wie ich die Mehrzahl der heutigen Gemeinden einschätze, haben sie nichts dagegen, dass ihre Prediger:innen mit ChatGPT zur Vorbereitung der Predigt experimentieren. Das machen auch Künstler.innen und Schriftsteller:innen mit ihren Artefakten. Es dürfte aber kaum Common Sense sein (und wohl auch nicht werden), dass die Predigenden durch Algorithmen ersetzt werden oder auch nur ersetzt werden könnten.

Der soziale Prozess, der Predigen von einem poetischen Vorgang zu einem Gebrauchstexte produzierenden Vorgang umwerten könnte, ist jedoch kein voluntaristischer Akt, bei dem ein paar akademische Theolog:innen nun entscheiden könnten, künftig auf menschliche Predigende zu verzichten. Es gibt auch keine dafür legitimierte Kirchenleitung, die einfach entscheiden könnte, dass Predigten eigentlich nur Werbetexte für die Kirche seien und daher Predigende als Werbetreibende auch ebenso gut durch Algorithmen ersetzt werden könnten. Manche meinen, wenn man zeigen könne, dass Maschinen genauso gut predigen können wie Menschen (im Sinne des Wirkungsäquivalents), dann würde das Pendel zugunsten der Maschinen ausschlagen. Aber sie missverstehen, was eine soziale Vereinbarung ist.

Mit Karl Barth (KD IV/3, S. 995f.) lässt sich die essentielle Aufgabe und Funktion der Predigt zunächst dahingehend zusammenfassen,

„dass die Gemeinde sich (und so auch die mithörende Welt) in ihr ausdrücklich an das ihr aufgetragene Zeugnis erinnert, erinnern lässt, sich seines Inhalts aufs neue vergewissert, in seinem Reflex Jesus Christus selbst aufs neue zu sich reden, sich aufs neue zu seinem Dienst in die Welt aufrufen lässt.“ Dabei ist die Predigt zugleich auch „selbständig vollzogene Aussage und Erklärung des Evangeliums, selbständig gewagter evangelischer Anruf.“

Diesen Kriterien genügt eine KI-generierte Predigt sozusagen a priori nicht. Wer anderes behauptet, denkt in Modellen von Generika, wonach die Predigt ein Wirkstoff ist, der nach­gebaut werden kann. Im kulturellen Sektor entspricht genau das aber magischem Denken.

Ein Generikum oder Nachahmerpräparat ist ein Arzneimittel, das wirkstoffmäßig mit einem bereits früher zugelassenen Arzneimittel übereinstimmt. Von dem Originalpräparat kann sich das Generikum bezüglich enthaltener Hilfsstoffe und Herstellungstechnologie unterscheiden. Es unterliegt einer vereinfachten Zulassung, bei der auf Unterlagen des Originalpräparats zurückgegriffen wird … Ein Generikum soll dem Originalprodukt in dessen beanspruchten Indikationen therapeutisch äquivalent sein, d. h., es muss ihm in Wirksamkeit und Sicherheit entsprechen.

Wenn also technologisch generierte Texte sich quasi als wirkungsäquivalent zu den bisherigen Predigten erweisen, schließt man daraus, dass sie die (aufwendigeren) Ursprungstexte (also die menschlichen Predigten) ersetzen können. Exakt das ist das Modell der Generika. Und man muss überlegen, ob man sich diesem Modell anschließen will, auch wenn man es nun auf kulturelle Phänomene anwendet (Kulturwissenschaft wie Naturwissenschaft versteht). Es ist das alte mittelalterliche Modell, bei dem man Kranke erst vor den Isenheimer Altar schleppte, und erst wenn Heilung sich nicht einstellte, zum Arzt wechselte. Das war dingmagisches Denken – und das Ergebnis im Verlauf der Geschichte kennen wir. Heute gehen wir lieber gleich zum Arzt. Predigten sind eher im Sinn von poetischen Texten und der Interpretation poetischer Texte zu verstehen. Und daran sollten wir festhalten.

Wen gefährdet ChatGPT?

Kann man den Einsatz von KI für das Predigen als technologischen Animismus begreifen? Eine kritische Überlegung.

In der empfehlenswerten Sendung Sternstunde Philosophie „Chatbot GPT – Das Ende der Kreativität?“, ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz und dem Philosophen und Literaturwissenschaftler Hannes Bajohr, geht es neben vielen anderen hochinteressanten Fragen rund um die Künstliche Intelligenz und die Frage der Kunst und der Kreativität auch darum, für welche Berufe und Berufsfelder ChatGPT und ähnliche Programme gefährlich werden könnte. Hannes Bajohr sagt dazu:

„Elon Musk hat jetzt aufgehört zu prophezeien, dass nächstes Jahr der selbstfahrende Tesla kommt. Stattdessen haben wir so etwas wie die Automatisierung von kreativen Berufen. Was wir haben sind Illustrator:innen, die ihre Arbeit abgenommen bekommen, Schreiben von Text, der möglicherweise unter der Grenze von Kunst steht, ich denke an so etwas wie Marketing-Prosa, all das wird generiert.“ – „Es sind alles Dinge, die stark genormt sind.“ [0:19:00ff.]

Tatsächlich werden die existierenden Bots genau dafür entwickelt. Zur Text und Code-Produktion unterhalb einer bestimmten Schwelle von Kreativität und Originalität. Sie schauen auf alle bisherigen Texte, Codes, Bilder und produzieren daraus eine sich ‚logisch‘ ergebende Variation. Und in diesen Bereichen sind sie außerordentlich hilfreich – sie entlasten uns von Prozessen, auf die wir bisher (zu) viel Zeit und Energie verschwendet haben.

Wie ist das aber nun bei literarischen bzw. poetischen Texten, bei denen es zumindest in der bisherigen Tradition und Konvention auf die Autor:innen bzw. die Urheber:innen ankommt? Droht hier der Tod des Autor:innen? Dazu sagt Hannes Bajohr zu Recht:

Ich glaube, wir müssen uns davon verabschieden, dass Kunst im Objekt stattfindet. Es gibt keine Kunstobjekte. Es gibt keine Objekte, die an sich Kunst sind. Es ist immer ein sozialer Aushandelungsprozess, es braucht immer jemanden … Die Frage nach der Kunst ist keine technische Frage, ob jemals eine KI Kunst produzieren kann, es ist eine soziale Frage. [0:47:15-0:47:36] …

Kunst ist eine Frage von Anerkennung. Es hat nichts mit Intelligenz zu tun, wenn eine KI irgendwann einmal als Künstler anerkannt werden wird. Im Augenblick erkennen wir Maschinen nicht an als Entitäten, als Akteure, die Kunst machen können. Wenn unsere Gesellschaft sich möglicherweise in Richtung eines technologischen Animismus weiterentwickelt, in der es uns einfacher fällt, Akteursschaft Maschinen gegenüber anzuerkennen, dann ist es möglicherweise so, dass wir schon bald, ohne wirkliche Intelligenz, sagen können, dass eine KI Kunst macht … Aber das ist eine soziale, keine technische Frage. [0:48:13-0:48:50]

Zum einen ist es gut, dass Bajohr an dieser Stelle noch einmal die Einsichten von Immanuel Kant aus der Kritik der Urteilskraft aufgreift. Wir arbeiten bei Fragen nach der Kreativität und der Künstlerschaft von KI oft nach vor-kantischen Modellen und tun so, als könnten wir anhand eines von einer KI vorgelegten Objekts darüber quasi objektiv entscheiden, ob es Kunst ist oder nicht. Das ist vormodern. Es versteht Kunst letztlich nach mittelalterlichen (Handwerks-)Modellen. Seit Kant ist uns aber klar, dass Kunst ein sozialer Prozess ist. Und im Augenblick sind es nur Geld schöpfende Unternehmen, die dazu geneigt sind, die Bilder und Texte, die KIs (re)pro­duzieren, als „Kunst“ zu bezeichnen. Innerhalb des Betriebssystems Kunst wird KI zwar produktiv eingesetzt, aber Kunst machen immer noch Menschen. Hier wird das kantische Modell in dem Sinn stark gemacht, dass Kunst ein Vereinbarungsprozess unter Menschen über bestimmte von Menschen zur Schau gestellte Objekte ist. Das kann sich gesellschaftlich ändern – wenn man, wie Bajohr süffisant sagt, zu einem technologischen Animismus tendiert.

An dieser Stelle wird es aber auch kirchlich interessant, insofern es auch dort um einen binnenkirchlichen technologischen Animismus geht. Die Fragen, die an das Verhältnis von KI und Predigt gestellt werden müssen, sind verschiedene. Vordringlich die: Sind Predigten einfach nur Gebrauchstexte im Sinne von Werbetexten, Gebrauchsanweisungen, formalisierten Briefen etc.? Ist das die zutreffende Textgattung? Falls ja, dann besteht eine extrem hohe Plausibilität, die Predigten (und die Gottesdienste) durch von der KI generierte Texte zu ergänzen und/oder zu ersetzen. Wenn die Predigt des deutschen Protestantismus am Beginn des 21. Jahrhunderts nach Christus unterhalb der Grenze von Kunst und Poesie einzuordnen ist, dann sollten wir KI nutzen. Vielleicht nicht unbedingt ChatGPT, sondern vielmehr eine eigene Datenbank mit eigenem Pool an Texten, die sich auf das formalisierte und automatisierte Schreiben von Predigten spezialisiert hat. Man könnte der KI sogar gemeindespezifische Informationen beibringen, um Adressat:innenorientiert Gebrauchstexte zu erstellen. So wie das die Werbe- und Kommunikationsindustrie ja auch macht. Nach einem (m.E. reduzierten) homiletischen Verständnis, wonach Predigt keine Kunst ist und auch keine Poesie braucht, werden im Endergebnis ohne Zweifel brauchbare Predigten dabei herauskommen. Und tatsächlich liegt darin auch ein großes Verbesserungspotential für Predigten als kundenorientierte Werbung in Sachen Kirche.

(Fortsetzung folgt …)

Und ChatGPT sprach …

Sollte man die Digitalisierung der Kirche vorantreiben oder doch lieber ein wenig Vorsicht walten lassen?

Ziemlich süffisant berichtet Linda Gerner in der taz über einen Gottesdienst durch eine Künstliche Intelligenz auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Die KI agiert ihr zu schnell und hektisch:

„Das Bekenntnis des Vater-Unsers, einer der Mitmach-Momente jedes Gottesdienstes, kam etwas unvermittelt. Und zack, ehe die letzten aufgestanden sind, ist es auch schon vorbei. Sofort geht es weiter mit dem nächsten Punkt des Gottesdienstes: Predigt, Gebet, Segen – alles programmiert.“

Wo die menschlichen Liturg:innen die Gemeinde mit ihren Reaktionen beobachten, spult die KI das vorgegebene Programm ab. Und wie soll sie auch wissen, wie schnell oder langsam in evangelischen oder katholischen Gemeinden Gebete gesprochen werden. Und in der Frage der Geschwindigkeit unterscheiden sich die Konfessionen durchaus. Man müsste die KI also noch in protestantischer Liturgie-Geschwindigkeit adressatenorientiert schulen.

„Inhaltlich rasselt die KI dann die Bibelstellen nur so runter. Bei der Geschwindigkeit fällt es schwer, über die einzelnen Sätze ernsthaft nachdenken zu können … Für eine echte Gottesdienst-Atmosphäre fehlt das gemeinsame Singen, es fehlt sogar das Orgelspiel. Denn die von der KI ausgewählte Musik, die mehrfach abgespielt wird, wirkt, so fasst es eine Frau später zusammen ‚einfach nur wie Fahrstuhlmusik‘“.

Die KI schlägt als Musik das vor, was sie als Common Sense empfindet. Olivier Messiaen war nicht zu erwarten – Karlheinz Stockhausen auch nicht. Aber der Gottesdienst wird von den Enthusiasten tapfer verteidigt. Normale Gottesdienste seien ja auch unvollkommen meint eine junge Theologin. Aber das ist der falsche Maßstab. Zum Vergleich müsste man die Gottesdienste auf dem Kirchentag heranziehen und da dürfte es schwerfallen, schlechte(re) zu finden. Überhaupt nicht deutlich wird aus dem Bericht der taz, worin die KI nun besser ist. Argumentiert wird mit Einsparpotentialen, aber dieses neoliberale Argument leuchtet mir nicht ein. Ist die Predigt also theologisch besser? Offenbar nicht. Die KI redet über sich selbst – was nur schlechte Pfarrer:innen tun. Ist vielleicht der synästhetische Gesamteindruck überzeugender? Offenbar auch nicht, es ist eine klassische Berieselung. So what?

„Und Gott sprach: »Zu wenig ist es, dass du in meinem Dienst stehst«.“

Am gleichen Tag lese ich in der Japan Times einen Text von George Soros über die Gefährdung der Demokratien der Welt durch die sog. Polykrise“. Als zentrale Herausforderungen sieht Soros primär die Entwicklung der KI, dann erst den Klimawandel und schließlich den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das ist ganz interessant, denn Soros steht nicht in dem Verdacht, durch seine Vorsicht in Sachen KI irgendwelche Unternehmensinteressen zu bedienen. Soros stimmt den Kritikern der KI zu, wenn sie befürchten, diese könne letztlich unsere Zivilisation zerstören. Das Problem sieht Soros darin, dass allen zwar einsichtig ist, dass die KI reguliert werden muss, die großen Blöcke dieser Welt (also die offenen im Kontrast zu den geschlossenen Gesellschaften) sich nicht darüber einigen können, in welche Richtung die Regeln gehen sollen. Und in diesem Fall kommt es zum unregulierten Einsatz der KI.

„Aber wir können uns einer Sache sicher sein: KI hilft geschlossenen Gesellschaften und stellt eine tödliche Bedrohung für offene Gesellschaften dar. Das liegt daran, dass KI besonders gut darin ist, Kontrollinstrumente zu entwickeln, die geschlossenen Gesellschaften helfen, ihre Untertanen zu überwachen.“

Soros‘ Überlegungen stehen in einem deutlichen Kontrast zu dem Enthusiasmus, mit dem in der Evangelischen Kirche das Projekt der Digitalisierung des Glaubens vorangetrieben wird. Hier liegt der Hauptfokus darauf, was man denn alles digitalisieren könne: das agierende Personal (durch Avatare), die Predigt (durch ChatGPT), die Liturgie (durch programmierte Abläufe). Aus irgendwelchen merkwürdigen Gründen legt man noch Wert darauf, dass die zu beglückenden religiösen Subjekte leibhaft präsent sind (vor dem Monitor oder in der Kirche) und nicht durch Maschinen substituiert werden. Von den der Technik inhärenten Kontrollmechanismen redet man nicht. Worin liegt die eigentümliche Faszination für manche, den predigenden Menschen durch Maschinen zu substituieren? Offenkundig liegt ein Grund darin, dass man mit der Botschaft selbst gar nichts mehr anfangen kann und sie deshalb formalisierten Prozessen überlässt. Vom eigentümlichen Reiz biblischer Texte, ihrer Situierung in der biblischen Lebenswelt und der heutigen bleibt wenig übrig. Die Maschine, darauf ist sie programmiert, interpretiert Texte im Sinne des wahrscheinlichsten Folgewortes. Paradoxe Interventionen, von denen die Bibel so reich gesegnet ist, sind ihr fremd. Ob ein Text ein biblischer Text ist oder eine Gebrauchsanweisung für Toaster ist ihr egal. Es ist Zeit, wieder mehr Günther Anders zu lesen.

Verstehst Du das?

Das Heft 143 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik ist erschienen. Es beschäftigt sich mit den soziologischen Voraussetzungen zum Verstehen von Kunst und den Entwicklungen der Kirche in digitaler werdenden Zeiten.

Das Heft 143 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik ist erschienen. Es beschäftigt sich mit den soziologischen Voraussetzungen zum Verstehen von Kunst und den Entwicklungen der Kirche in digitaler werdenden Zeiten.

Editorial

Bernhard Dressler (1947-2023)
Andreas Mertin

In memoriam Christian Polke (1980-2023)
Wolfgang Vögele

VIEW

Ist das Kunst oder bloß kulturelles Kapital?
Die feinen Unterschiede – ein immer noch aktuelles Thema
Andreas Mertin [ 22 S. / 54 Min.]

Verändert KI unsere Kunstwahrnehmung?
Ein kleines Experiment
Andreas Mertin [08 S. / 20 Min.]

Das Wort sie sollen lassen stahn?
Beobachtungen zum digitalen Strukturwandel im spätklerikalen Protestantismus
Wolfgang Vögele [26 S. / 85 Min.]

VIRTUELLE WELTEN

Gehalt oder Gestalt von Religion im virtuellen Raum
Über künstliche Grenzen und natürliche Schranken
Andreas Mertin [16 S. / 42 Min.]

CAUSERIEN

Betriebsunfall Antijudaismus?
Oder: Wer im Glashaus sitzt …
Andreas Mertin [6 S. / 16 Min.]

RE-VIEW

Die Alle-Kinder-Bibel
Ein kritischer Essay
Andreas Mertin [16 S. / 48 Min.]

Glossolalie des Digitalen
Ein unvollendeter Essay als Rezension
Andreas Mertin [20 S. / 50 Min.]

POST

Gedacht soll ihrer werden
Zur jahres-mythologischen Kultur der Erinnerung
Andreas Mertin [6 S. / 16 Min.]

Nicht nur Stilfragen

Claudia Roth hat die schwere Aufgabe, in einem kulturpolitischen Spannungsfeld die demokratischen Normen und die Freiheit der Kunst im Auge zu behalten, weil Kunst zwar politisch ist, aber politische Eingriffe in die Kunst unterbleiben müssen. Künstler.innen brauchen eine politische Umgebung, in der sie ungehindert arbeiten könnten.

Claudia Roth war als Ehrengast zur Jewrovision vom Zentralrat der Juden eingeladen und wurde dann während ihrer Rede von den Teilnehmer:innen ausgebuht. Man muss schon ein merkwürdiges Verständnis von Gastfreundschaft haben, wenn man jemanden so behandelt: ihn als Ehrengast einzuladen und ihn dann auszubuhen. Nun kann man zu Claudia Roth stehen, wie man will, ich persönlich sehe vieles kritisch, was sie macht, aber so verhält man sich nicht.

Worum es aber im Kern geht, sind nicht Stilfragen, sondern Kernfragen der Kulturpolitik und des Staatsverständnisses. Und da habe ich große Probleme, welches Staats- und Kulturpolitikverständnis der Zentralrat der Juden artikuliert. Es geht darum, dass der Staat der Kunst und Kultur vorgeordnet werden soll. Gegen zentrale Bestimmungen unseres Grundgesetzes soll der Staat entscheiden, ob bestimmt Kunstwerke zugelassen oder entfernt werden  oder Kulturveranstaltungen zugelassen werden. Dieses Verständnis ist verfassungsfeindlich – um es klar und deutlich zu sagen. Der Staat, das ist eine Lehre aus der schrecklichen Kulturpolitik des Dritten Reiches, hat sich aus der Kunst herauszuhalten. Er reguliert nicht die Kunst danach, welche politischen, sozialen oder religiösen Haltungen die Kunstproduzierenden haben. Er betreibt mit anderen Worten keine Gesinnungsschnüffelei.

Genau das fordern aber jene, die sagen, dass wer bestimmte Haltungen vertritt – etwa eine gewisse Nähe zur BDS-Bewegung erkennen lässt -, keine Auftritte mehr in Deutschland haben solle. Und es geht dabei nicht nur um öffentlich geförderte Veranstaltungen, sondern – wie das Beispiel von Roger Waters zeigt – um jede Form von öffentlichen Auftritten. Das ist umso merk­würdiger, als dass sehr feine Unterscheidungen gemacht werden, wann man auf die BDS-Nähe von Künstlern hinweist. Wenn es einem passt, lässt man den Hinweis auch schon einmal weg, in anderen Fällen wird er mühsam konstruiert – er/sie kennt jemanden, der BDS unterstützt. So sollten wir nicht mehr über Kulturpolitik reden. Die Lehre, den die Väter der Verfassung gezogen haben, war die Feststellung, dass die Kunst in Deutschland frei ist. Das heißt nicht, dass sie alles machen kann, sie unterliegt wie jeder andere den Gesetzen der Bundesrepublik, aber es gibt keine kulturpolitischen Vorgaben im Blick auf die Haltungen der Künstler:innen. Genau das wird im Moment aber gefordert und wer sich dem nicht beugt, wird ausgebuht. Im Augenblick haben fast alle Gerichte und Staatsanwaltschaften der vorsichtigen Position gegenüber einer Ausgrenzung von Künstler:innen aufgrund bestimmter Haltungen aus verfassungsrechtlichen Gründen den Vorzug gegeben. Und die Verfassung ist an diesem Punkt auch nicht einfach änderbar, es gehört zu den Grundrechten. Der Kulturstaatsministerin ist bei der Bewertung von Haltungen von Künstler:innen äußerste Zurückhaltung angeraten. Es kommt dem Staat schlicht nicht zu.

Der Zentralrat der Juden möchte nun eine Art Vorinstanz etablieren, die zunächst prüft, welche Haltung Künstler:innen z.B. im Blick auf Israel oder zur Bewegung BDS haben und dann erst die Entscheidung trifft, aber diese Künstler:innen auftreten dürfen. So etwas ist gängige Praxis in beinahe allen totalitären und islamistischen Systemen dieser Welt. Es sollte nicht die Praxis der BRD werden. Ich möchte weder, dass die Deutsche Bischofskonferenz, noch der Rat der EKD, noch der Zentralrat der Muslime und auch nicht der Zentralrat der Juden irgendein formales Recht haben, Kulturveranstaltungen zu verhindern. Das wäre ein Rückfall in vordemokratische Zeiten. Dort, wo tatsächlich Christen, Muslime oder Juden beleidigt werden, wo Volksverhetzung betrieben wird, muss der Rechtsweg eingehalten werden. Aber das ist nicht gewünscht, wohl wissend, dass wir in einem liberalen Rechtsstaat leben, in dem die Gerichte den Zensurvorhaben Schranken setzen. Deshalb versuchen einige, illiberale Abkürzungen zu etablieren – an der Verfassung vorbei auf Kunst und Kultur Zugriff zu nehmen.

Es ist nun gut, dass fünfzig Persönlichkeiten aus der jüdischen Community erklärt haben, dies geschehe nicht in ihrem Namen. Zu den 50 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des offenen Briefes zählen etwa Daniel Barenboim, Daniel Cohn-Bendit, Daniel Kahn, Barrie Kosky, Igor Levit, Rachel Libeskind, Meron Mendel, Eva Menasse, Jerry Merose, Jerzy Montag, Michael Naumann, Susan Neiman, Miriam Rürup, Sasha Marianna Salzmann, Julius Schoeps, Paula-Irene Villa Braslavsky, Albert Wiederspiel, Mirjam Zadoff oder Moshe Zimmermann. Das ist eine sehr wichtige Intervention und sie kann nicht einfach als Einzelmeinung beiseite gewischt werden. Die Verfasser erklären „Roth habe die schwere Aufgabe, in diesem Spannungsfeld die demokratischen Normen und die Freiheit der Kunst im Auge zu behalten, weil Kunst zwar politisch ist, aber politische Eingriffe in die Kunst unterbleiben müssen. Kulturschaffende bräuchten eine politische Umgebung, in der sie ungehindert arbeiten könnten. Viele Juden gestalten in Deutschland den Kulturbetrieb mit – es muss liberaler Konsens bleiben, dass Religionsgemeinschaften keinen Einfluss darauf nehmen.“

Der Feind, die Werte und das Unwerte

Ist es wirklich angebracht, die theologischen Gegner:innen als Feinde zu bezeichnen und ihre Ansichten als „unwert“, überhaupt erörtert zu werden? Eine Gegenrede.

Gleich zweimal musste ich letzte Woche bei der Lektüre theologischer bzw. religiöser Texte schlucken, weil mir die Wahl der Worte und der vorausgesetzten Konstellationen suspekt war. Beide Texte hatten sich ein Feindbild auserkoren – den Fundamentalismus – und setzten sich davon in unterschiedlicher, aber jedes Mal befremdlicher Weise ab.

Der erste Text lässt gleich schon im Titel erkennen, worum es ihm geht: „Der offene Protestantismus und seine Feinde“. Das lässt an Klarheit kaum zu wünschen übrig. Der offene Protestantismus sieht sich von Feinden umzingelt, und unter ihnen ist der Fundamentalismus der bedeutendste. Wer sonst keine Sorgen hat, kreiert sich welche mit Hilfe der Sprache. Und man sprach: Es werde Feind. Schon Carl Schmitt lehrte, wie wichtig die Identitätsbildung durch Feindeserklärung ist. Hätte man keine Feinde, wäre man buchstäblich nichts: Tohuwabohu. Viel Feind, viel Ehr‘ muss sich Eberhard Pausch gedacht haben und benennt dunkel raunend neben den fundamentalistischen Feinden auch noch vier weitere Feinde, die er aber nicht weiter beschreibt, damit jeder sich die gewünschten Adressat:innen selbst ausdenken kann:

Vor diesem Hintergrund lassen sich die „Feinde“ des offenen Protestantismus klar identifizieren, die somit Formen und Ausdrucksweisen des geschlossenen Protestantismus sind: Es sind dies der ausgrenzende beziehungsweise rein selbstbezügliche Protestantismus, der autoritär-hierarchische (episkopale) Protestantismus, der ideologisch vereinnahmte Protestantismus, der dogmatistische Protestantismus und der fundamentalistische Protestantismus. Unter den fünf Formen des geschlossenen Protestantismus in der Gegenwart stellt der Fundamentalismus die größte und bedrückendste Herausforderung dar

Feind ist, so könnte man sagen, wer nicht liberaler Protestant ist. So illiberal ist mir persönlich der liberale Protestantismus immer schon erschienen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. So einfach kann die Welt sein. Und die so als Feinde deklarierten sind umfassender als es ihre nebulöse Beschreibung ahnen lässt. Denn nicht der evangelikale Fundamentalismus ist zumindest in Deutschland die größte der so skizzierten Gruppen, sondern jene Gemeindemitglieder aller Schattierungen, die an der Wahrheit des Evangeliums Jesu Christi festhalten wollen. Wer aber Jesus als wahren Gott verkündet – liberales Anathema! Wer an Jesu leibliche Auferstehung glaubt – liberales Anathema! Wer an das Jüngste Gericht glaubt – liberales Anathema! So viele Häresie-Erklärungen waren seit den Zeiten der frühen Kirche selten zu vernehmen. Man ist offen für alles, was kommt, aber nicht für das Überlieferte. Kann man machen, bleibt eben kaum jemand von der Kerngemeinde übrig. Aber die interessiert den liberalen Protestantismus auch nicht. Ich wollte dieser illiberalen Bewegung nicht zugehören und zähle deshalb zu den von ihr als Feind erklärten Gruppen. Vermute ich jedenfalls, denn allen nicht zum Fundamentalismus gehörenden Feinden des offenen Protestantismus wird ja eine genauere Erläuterung verweigert. Als Differenztheoretiker fühle ich mich unwohl in einer Gesellschaft, die auf Konformität drängt und das als liberal versteht. Da fühle ich mich wohler in einer Gesellschaft Dissenter, die ihre Nonkonformität bekennen, und im offenen Austausch und Bekenntnis die Lösung sehen.

Das zweite Beispiel, das mich entsetzte, war eine – wie ich finde flapsige – Nebenbemerkung in einem Kommentar zu den kritischen Reaktionen auf die neu erschienene Alle-Kinder-Bibel. Nun waren diese kritischen Reaktionen erwartbar, man hatte ja geradezu darauf gesetzt, dass es so etwas geben würde und war zuvor landauf und landab gezogen und hatte verkündet, dass Jesus überhaupt nicht weiß war und deshalb, wenn schon nicht die Bibel, so doch deren Visualisierung geändert werden müsse. Ich hatte früher schon geschrieben, dass derlei Thesen leicht aufzustellen und schwer zu belegen sind, weil wir schlicht nicht wissen, wie sich die Gene Gottes im Rahmen des Zeugungsaktes auf die Hautfarbe Jesu auswirken und welche programmatische Bedeutung das hat. Wenn aber nicht Gott, sondern Josef oder – wie andere Überlieferungen behaupten – ein römischer Soldat an der Zeugung beteiligt war, wie qualifizieren wir das? Also, Rückfragen an die neue Alle-Kinder-Bibel waren erwartbar und auch gewünscht, nicht zuletzt, um ihr eine größere Verbreitung zu ermöglichen. Die Bibel in gerechter Sprache verdankt ja auch einen gewissen Teil ihres Erfolges dem vehementen und überaus polemischen Widerspruch ihrer Gegner. Streit belebt das Geschäft. Wie aber geht man mit dem Widerspruch um? Ich erinnere daran, wie die Autor:innen der Bibel in gerechter Sprache wieder und wieder und geradezu skrupulös auf die Argumente ihrer Kritiker:innen eingegangen sind. Jürgen Ebach wurde nicht müde, immer wieder bestimmte Entscheidungen zu begründen und zu erläutern. Darin war die Bibel in gerechter Sprache vorbildlich. Das scheint mir nun im vorliegenden Fall anders zu verlaufen. Carlotta Israel jedenfalls schreibt in der Eule:

Manche Kritik ist überhaupt nicht wert, auf sie näher einzugehen, weil sie erkennbar darauf beruht, den Bibeltext (welchen?!) als unveränderbar hinzustellen. Die „Alle-Kinder-Bibel“ versündige sich am Wort G*ttes, erklären solche Kritiker*innen.

Nein, das erklären sie nicht, weil sie schon die Schreibung G*tt ablehnen würden, und ja, es gibt Menschen, die daran festhalten, dass die Bibel tatsächlich Gottes Wort ist. Und das nicht nur in der Christenheit, sondern zum Beispiel auch im orthodoxen Judentum: „Die ganze Tora gilt im orthodoxen Judentum als maßgebendes Wort Gottes, das aber in der Zeit in seiner Auslegung entwickelt und zunehmend entfaltet wird.“ Sie halten die Bibel für deutungsbedürftig und deutungsfähig, aber dennoch für Gottes Wort. Sie meinen, dass da, wo die Bibel von Adam und Eva spricht, nicht einfach stattdessen eine ganze diverse Menschengruppe eingesetzt werden kann, weil es dem Sinn der Erzählung zuwiderläuft. Sie verlangen eine Orientierung an der gegebenen und überlieferten Schrift, auch wenn sie davon ausgehen, dass deren Sinn erst nach und nach und wieder und wieder entfaltet wird. Demgegenüber zu erklären, diese fundamentale Kritik „sei es überhaupt nicht wert, auf sie näher einzugehen“ ist schon starker Tobak. Ist das neuer protestantischer Stil, die gegnerischen Positionen für der Erörterung „unwert“ zu erklären? Man muss die Haltung der Fundamentalisten ja nicht teilen, aber man sollte sie respektieren und ihre Anfragen beantworten und ihnen gegebenenfalls widersprechen. Diese neue Form des Kastenwesens, bei der es reicht, etwas als fundamentalistisch zu etikettieren und damit unberührbar und der Kritik unwert zu machen, ist abscheulich. Für mich erscheint das als Teil von jener Macht, die stets das Gute will und dabei doch das Böse schafft.

Playlist Art & Culture

Das Heft 142 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik ist erschienen. Es stellt verschiedene Playlisten aus Kunst und Kultur vor, reflektiert über Musik und Würde, Film und Alter, Künstliche Intelligenzen und Grenzen der Bildsprache.

Das Heft 142 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik ist erschienen. Es stellt verschiedene Playlisten aus Kunst und Kultur vor, reflektiert über Musik und Würde, Film und Alter, Künstliche Intelligenzen und Grenzen der Bildsprache.

Editorial

PLAYLIST ART & CULTURE
Bildende Kunst
Karin Wendt [10 S. / 27 Min.]
Bildende Kunst
Andreas Mertin [6 S. / 14 Min.]
Incorrect -?
Karin Wendt / Andreas Mertin [8 S. / 25 Min.]
Musikvideos
Andreas Mertin [6 S. / 14 Min.]
Sci-Fi-Kurzfilme
Andreas Mertin [6 S. / 14 Min.]
Science-Fiction-Literatur
Michael Waltemathe [4 S. / 7 Min.]
Whisky
Reinhard Kuhlmann [6 S. / 14 Min]

MUSIK
Schläft ein Lied in allen Dingen
Wolfgang Vögele [22 S. / 60 Min.]
Musik weitet Würde
Über Menschenwürde, Musizieren, Hören und Engagement
Wolfgang Vögele [8 S. / 20 Min.]

THEOLOGISIEREN
Gedanken zum Thema „Gelassenheit“
Stefan Schütze [4 S. / 7 Min.]

CINEMA
Der Preis des Jungseins oder das Glück des Alterns
Bemerkungen zu „The age of Adaline“ (2015)
Hans J. Wulff [6. S. / 17 Min.]

CAUSERIEN
Resonanzen und Konsequenzen
Der Expertenbericht zum Antisemitismus auf der documenta fifteen
Andreas Mertin [10 S. / 29 Min.]

SPECIAL: ARTIFICIAL INTELLIGENCE – GEGENREDEN
Menschliche Glossolalie und digitale Rationalität
Eine Gegenrede
Andreas Mertin [6. S. / 15 Min.]
Geht ein Mensch zum Podologen
Eine Glosse
Andreas Mertin [6 S. / 15 Min.]

RE-VIEW
Alte und neue Zeitschriften
Ein Rundblick
Andreas Mertin [6 S. / 14 Min.]

POST
Giftpilz – Oder: Rote Linien
Notizen zu Bild-Sprachen und Sprach-Bildern I
Andreas Mertin [16 S. / 37 Min.]
Ernsthaft: Toxische Kunst?
Notizen zu Bild-Sprachen und Sprach-Bildern II
Andreas Mertin [10 S. / 29 Min]
Cancel Culture – Die Fragen des ungläubigen Thomas
Können / Dürfen Musiker nachträglich in Musikvideos eingreifen?
Andreas Mertin [4 S. / 7 Min.]

Dagesh-Kunstpreis

Mit der Video­installation Sans histoire gewann die Künstlerin Maya Schweizer den diesjährigen DAGESH-Kunstpreis, der gemeinsam vom Jüdischen Museum Berlin (JMB) und von „Dagesh. Jüdische Kunst im Kontext“ verliehen wird.

Mit der Video­installation Sans histoire gewann die Künstlerin Maya Schweizer den diesjährigen DAGESH-Kunstpreis, der gemeinsam vom Jüdischen Museum Berlin (JMB) und von „Dagesh. Jüdische Kunst im Kontext“ verliehen wird. Die Künstlerin beschäftigt sich in ihrer Präsentation mit dem Jüdischen Museum Berlin als Ort der ritualisierten Erinnerung. Sie setzt der vom Kunstpreis gestellten Frage „Was jetzt? Von Dystopien zu Utopien” ein offenes „Ohne Geschichte” entgegen.

Das Berliner Jüdische Museum schreibt zu ihrer Arbeit: In Sans histoire, dem für dieses Projekt eigens produzierten Film, spitzt Maya Schweizer ihr Gedanken­experiment eines Bewusst­seins „ohne Geschichte” zu. Sie geht auf Ängste und Hoffnungen der Vergänglich­keit ein, die sowohl das Museum als unmittel­baren Standort, als auch große gesell­schaftliche Prozesse betreffen. Was passiert, wenn Erinnerung vor historischen Um­wälzungen, vor der Klima­katastrophe oder letztlich der Endlich­keit menschlicher Existenz verblasst? Wirkt sich die Vergangen­heit noch auf die Zukunft aus? Wird eine gemein­schaftlich einsetzende Amnesie durch ein digitales Ein­speichern aufge­halten oder gefördert? In einem Wechsel von bedrohlichen und befreienden Impulsen erkundet die Künstlerin trans- und post­humane Szenarien. Maya Schweizers experimentelle und filmische Arbeiten verhandeln oft Fragen von Geschichte und Erinnerungs­kulturen und wie dieses Zusammen­spiel unser kollektives und individuelles Erleben gegen­wärtig be­einflusst. Neben der preis­gekrönten Video­installation zeigt die Ausstellung drei weitere experimentelle filmische Werke aus den Jahren 2012 bis 2020. Schweizer verwebt in den vier Arbeiten Fragmente der Erinnerung und Spuren des Vergessens. So entstehen aus Texten, Tönen und Bildern bewegte Gedanken­ströme, die sich aber nicht zu Erzählungen zusammen­fügen. Die Ausstellung erkundet das individuelle und kollektive Gedächtnis und greift das Wasser als Sinnbild in den einzelnen Werken auf, das diese vereint.

Maya Schweizer studierte Kunst und Kunstgeschichte in Aix-en-Provence, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) und an der Universität der Künste Berlin, wo sie 2007 ihren Abschluss als Meisterschülerin bei Lothar Baumgarten machte. Schweizer arbeitet mit verschiedenen Medien, wobei ihr Schwerpunkt auf experimentellen Videoarbeiten liegt. [wikipedia]

Informationen zur Ausstellung im Überblick
Wann: 5. Mai bis 27. Aug 2023
Wo: Libeskind-Bau EG, Eric F. Ross Galerie, Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin