„Beati pacifici“

Kann sich Landesbischof Kramer bei seiner Übersetzung der Bergpredigt zu Recht auf den Pazifismus berufen? Die Vulgata sagt ja!

Colt Peacemaker

Auf Zeitzeichen.net kommentiert Redakteur Philipp Gessler unter der Überschrift „Isolierter radikaler Pazifist“ die Predigt und die späteren Synodenauftritte des Friedensbeauftragten der EKD, Landesbischof Friedrich Kramer, der für eine stärkere Beachtung pazifistischer Haltungen in den gegenwärtigen Krisen eintritt. Aber Gessler macht das nicht in einer Form, die Darstellung und Kommentar sauber trennt, sondern er nimmt bereits in der Beschreibung Wertungen vor. Er schreibt:

„Selig sind die Pazifisten, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ So übersetzt der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Friedrich Kramer, eine zentrale Seligpreisung Jesu in der Bergpredigt. … Das kann man eine freie Interpretation nennen – oder Chuzpe. Denn Kramer stützt mit dieser theologisch ziemlich freihändigen Übersetzung seine Position in der Friedensfrage.

Das suggeriert, es wäre sozusagen eine private Übersetzung des Landesbischofs. Dagegen, so betont Gessler später in seinem Kommentar, stünde in der griechischen Bibel etwas anderes, wie ja auch in der Lutherbibel erkenntlich sei: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Nun steht von Friedensstiftern auch nichts im griechischen Text, dort heißt es Μακάριοι οἱ εἰρηνοποιοί, was man dann wohl eher mit Friedensmacher oder für Freunde des heutigen Amerika auch schön westernmäßig mit Peacemaker übertragen könnte. Und Frieden machen kann man mit vielen Mitteln – mit dem Colt, aber auch mit dem Pazifismus. Denn Kramer kann für seine Übersetzung, die keinesfalls eine freie, dreiste oder unangemessene Übersetzung ist – auf eine ältere christliche Tradition verweisen, älter zumindest als die Lutherbibel, nämlich die Übersetzung der Vulgata: „beati pacifici quoniam filii Dei vocabuntur“ heißt es dort. Und da haben wir die Pazifisten wieder mit im Boot. Von einer freihändigen oder gar dreisten Übersetzung (Chuzpe = jiddisch für „Frechheit, Anmaßung, Dreistigkeit, Unverschämtheit“) kann also keine Rede sein, es sei denn, man wollte den katholischen Glaubensgeschwistern auch noch schnell eins auswischen. In der christlichen Übersetzungsgeschichte sind die Pacifici gut belegt. Noch im Wörterbuch der Gebrüder Grimm schwingt das nach. Dort wird als sprachlicher Bezug für friedfertig auf das lateinische pacificus verwiesen.

Den weiteren Tenor des Kommentars von Gessler würde ich als eine nur leicht getarnte Form der versuchten Gesinnungskontrolle bezeichnen, etwa wenn Kramer vorgeworfen wird, bei seiner Meinung zu bleiben. Dass Kramer damit in der Evangelischen Kirche allein stehe, wie der Text insinuiert, ist lächerlich. Er mag unter den Synodalen damit nicht auf Gegenliebe stoßen, die oft genug in der Synode auch Parteipositionen vertreten. Aber in der gesamten evange­li­schen Bevölkerung dürfte es wohl anders aussehen. Damit bekommt Kramer noch nicht Recht, aber er vertritt immerhin einen Teil des Protestantismus und vor allem auch jene friedens­orien­tierten Kirchen, die Kriegsbeteiligung grundsätzlich ausschließen. Und der Ökumenere­dak­teur Gessler sollte doch auch diese Kirchen aus dem protestantischen Ordo auf dem Schirm haben.

Schon wieder eine Bilderattacke

Schon wieder wurden zwei Kunstwerke bzw. ihre Rahmen attackiert, dieses Mal die beiden Darstellungen der Maya von Goya.

Goya, nackte und bekleidete Maya
Goya und die beiden Mayas

Schon wieder wurden zwei Kunstwerke attackiert, dieses Mal die beiden Darstellungen der Maya von Goya im Prado in Madrid. Allmählich werden die Attacken zu einem Who is Who der Kunstgeschichte. Mit den Inhalten der Bilder hat es nichts zu tun, bloß mit ihrer Prominenz. Von Goya gibt es ja zum Anliegen der Letzten Generation durchaus passende Werke, etwa aus der schwarzen Serie „Saturn verschlingt seine Kinder“. Aber darum geht es wohl nicht. Es ist ein dummer Angriff auf die Kulturgeschichte der Menschen, ein Angriff, der die Kunstwerke nicht als Argumente im gesellschaftlichen Diskurs begreift, sondern als wohlfeile Ziele zur Erlangung öffentlicher Aufmerksamkeit.

Goya, Saturn verschlingt seine Kinder

Ikonoklasmus kann emanzipatorisch sein

Ralf Meisters Vorschlag einer sofortigen und endgültigen Zerstörung der sog. Wittenberger Judensau sollte unterstützt werden.

Bürger beim Bildersturm. Bild von 1630 über den Bildersturm 1566.
Bildersturm in einer Kirche. Dirck van Delen, 1630

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hat sich für die Entfernung und Zerstörung der „Judensau“ an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg ausgesprochen. „Man sollte sie nicht nur entfernen, sondern radikal vernichten, zerstören und kaputt machen“, sagte Meister am Sonntagabend in der Marktkirche in Hannover. Dies sei der richtige Umgang mit einer fehlgeleiteten, vernichtenden Ästhetik

Ralf Meister hat recht. Anders als ich es noch 2016 meinte, als ich das Thema zum ersten Mal im Magazin für Theologie und Ästhetik erörterte, reicht es nicht, die schreckliche Plastik an der Wittenberger Stadtkirche nur zu ent­fernen und sie in ein Museum zu stellen. Sie muss zerstört werden. Das macht aber nur Sinn, wenn dieser ikonoklastische Akt, dieser Bildersturm, der er ja nun einmal ist, als solcher bewusst geschieht und auch im Bewusstsein gehalten wird. So wie der reformatorische und vor allem der reformierte Bildersturm sich im Bewusstsein erhalten hat (leider etwas anders, als es die Initiatoren beabsichtigt hatten). Wir müssen uns in ebenso symbolischen wie archaischen Gesten (und das ist ein solcher Bildersturm) von einer Ausdrucksform lösen, die böse bis in das letzte Element ist. Es geht dabei überhaupt nicht darum, den christlichen Antijudaismus und den protestantischen Antisemitismus aus dem Gedächtnis zu löschen, sondern ganz im Gegenteil, durch einen ikonoklastischen Akt im Gedächtnis zu verankern. Der byzantinische Bilderstreit, der reformatorische Bilderstreit sind Belege dafür, dass das gelingen kann. Die Konsensgesellschaft sucht nach moderaten Lösungen, die niemandem wehtun, aber letztlich die Beleidigten permanent weiter verletzen. Wenn wir die Skulptur in Wittenberg als wirkmächtig ansehen, dann müssen wir dem auch begegnen. Natürlich verhindert man keinen Antisemitismus, indem man eine antisemitische Skulptur zerstört. Aber man schafft einen ikonischen Akt, der zeigt, dass der Judenhass ein zu bekämpfendes Element unserer Gesellschaft ist. Und das erreicht man nicht, indem man freundlich oder meinetwegen auch betroffen mit einer Texttafel erklärt, wie es den bedauerlicherweise zu 6 Millionen toten Juden gekommen ist, wozu dieses Objekt seit 800 Jahren seinen Beitrag geleistet hat.

Für die Beibehaltung des Objekts spräche, wenn man der Meinung wäre, dass der Antijudaismus weiter tief in der lutherischen Kirche verwurzelt wäre, wenn also die Entfernung der Skulptur einen identitätspolitischen Schaden bei der Gemeinde anrichten würde. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es genau darum geht: deutlich zu machen, dass die Abkehr vom Judentum zur eigenen Identität gehört. Und das nicht nur historisch.

Das andere ist, dass das Prozedere ja merkwürdig ist. Der Beleidigende entscheidet darüber, ob die Beleidigung an seinem Gebäude hängend bleibt, während nicht auf die die beleidigten Juden in Deutschland (und das sind nicht irgendwelche Wissenschaftler in Israel) gehört wird.

Fundstück aus der aktuellen Arbeit VI

Eine Persiflage aus Frankreich auf die diversen Zensurversuche gegenüber der Literatur.

Charles-Joseph Traviès, 1814 – 1859: Persiflage op de censuur (Detail)
Charles-Joseph Traviès, 1814 – 1859: Persiflage op de censuur (Detail)

Dieses Bild fand ich im Grafikbestand des Amsterdamer Rijksmuseums. Es stammt von dem in der Schweiz geborenen, dann aber in Frankreich lebenden Künstler Charles-Joseph Traviès (1804-1859). Er illustriert ein Zitat des französischen Schriftstellers Jean de La Bruyère (1645-1696), der festhält, dass es kein Werk der Kunst gibt, das noch Bestand hätte, wenn es sich der Kritik der Zensoren unterwerfen würde, denn diese entfernten alles aus dem Werk, was ihnen nicht passt, was anstößig sei.

Das Bild zeigt nun ganz viele Leute, die mit sehr unterschiedlichen Ansätzen versuchen, ein Buch nicht nur zu durchstöbern, sondern es auch zu zensieren: indem sie es schwärzen oder beschneiden, unleserlich machen oder auch zerstören, indem sie es verbrennen.

Heutzutage ist die Kritik an der Kunst natürlich sowohl subtiler wie auch grobmaschiger. Es geht nicht mehr um das direkte staatliche Verbieten, nicht mehr um Zensur oder Vorzensur als solche, sonder um scheinbar berechtigte konkurrierende Interessen. Heute würden die Zensoren einen problematischen Punkt im Werk suchen, einen Satz, eine These, ein Sprachbild und dann würde die Kritik zuschlagen, so dass vom ursprünglichen Werk kaum etwas übrigbliebe. Und wie auf dem Bild von Traviès dargestellt, machen dies nicht individuelle Kritiker:innen, sondern Netzwerke, die sich koordiniert der Zerstörung oder Verhinderung von Kunst widmen. Das macht dieses Bild von Traviès heute wieder so aktuell.

Was ist mehr wert? Natur oder Kultur?

„Was ist mehr wert, Kunst oder Leben?“ fragte eine Klima-Aktivistin, die heute symbolisch ein Bild von Vincent van Gogh mit Tomatensoße übergoss.

„Was ist mehr wert, Kunst oder Leben?“ fragte eine Klima-Aktivistin, die heute symbolisch ein Bild von Vincent van Gogh mit Tomatensoße übergoss.

Ehrlich gesagt, muss ich da nicht lange überlegen. Wer die Kultur gegen die Natur ausspielt, dürfte auch nicht viel Vertrauen in Sachen Natur verdienen. Es ist pubertär, die Werte anzugreifen, die man nicht versteht. Grundsätzlich gehört beides aber ganz unterschiedlichen Lebensbereichen an.

Abbildung des Gemäldes von van Gogh, das in London Opfer einer Attacke wurde

Ich verweise ja an dieser Stelle immer gerne auf eine der schönen Geschichten von Bertolt Brecht über Herrn Keuner:

„Herr Keuner sah irgendwo einen alten Stuhl von großer Schönheit der Arbeit und kaufte ihn. Er sagte: Ich hoffe auf manches zu kommen, wenn ich nachdenke, wie ein Leben eingerichtet sein müßte, in dem ein solcher Stuhl wie der da gar nicht auffiele oder ein Genuß an ihm nichts Schimpfliches noch Auszeichnendes hätte.“

Das ist es, was Kunst und Kultur leisten: uns einen Eindruck davon zu geben, wie ein Leben aussehen würde, das vom Zwang entbunden wäre.

In der Sache aber ähnelt die Geste der Klimaaktivisten aber eher jener des Bankräubers, der seine Waffe auf einen Unschuldigen richtet und dann laut schreit: „Geld oder Leben“ und davon überzeugt ist, dass dem so bedrohten das Leben wichtiger ist, während ihm, dem Räuber das Leben des Anderen gar nichts wert ist und das Geld, das er haben will, um so mehr.

Letztlich ist aber selbst die Formel „Kunst oder Leben“ falsch, denn faktisch entbehrt das so bezeichnete „Leben“ jeglicher näheren Bestimmung: eigentlich meint es: „Kunst oder Überleben“ – denn nur so bekommt die Formel einen Sinn. Im besten Fall ist gemeint, wenn das Überleben nicht mehr garantiert ist, mache auch die Kunst keinen Sinn mehr. Umgekehrt wird ein Sinn daraus. Und wir wissen aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts, dass die, die sagten „Kunst oder Leben“ den so Erpressten später beides nahmen. Man sollte sich deshalb auf diese Alternative nicht einlassen. Am Ende werden sie nicht nur die Kunst symbolisch angreifen, sondern auch Menschen – und irgendwann werden sie Ernst machen und auch die Kunst und die Menschen direkt angreifen. Die Geschichte der RAF ist ein sinnfälliges Beispiel dafür.