Jesus in der israelischen Kunst

Hinweis auf die Seiten einer Ausstellung von 2016/17 im Israel-Museum mit israelischen Bildern zu Jesus.

Ephraim Moses Lilien, Passover
Ephraim Moses Lilien, Passover

Dietrich Neuhaus, unser früherer Mitherausgeber, machte mich darauf aufmerksam, dass es 2016/17 im Israel-Museum eine Ausstellung gegeben hat, die sich mit „Jesus“ in der jüdischen Kunst beschäftigt. Diese Ausstellung ist in großen Teilen weiterhin online zugänglich und ist auch sehr gut kommentiert. Zu finden ist sie unter dieser Adresse. Die Ausstellung trägt den Titel „Behold the Man. Jesus in Israeli Art“. Ausgestellt wird natürlich einiges von Marc Chagall, das ist unvermeidlich, aber auch Werke von Maurycy Gottlieb, E. M. Lilien, Reuven Rubin, Igael Tumarkin, Moshe Gershuni, Motti Mizrachi, Menashe Kadishman, Michal Na’aman, Adi Nes und Sigalit Landau. Letztere kennen die Leser:innen des Magazins für Theologie und Ästhetik, weil ein Werk von ihr Teil der documenta-Begleitausstellung von 2012 war und seinerzeit von Karin Wendt im Magazin vorgestellt wurde (Embodying Art. Sigalit Landau).

Natürlich ist man bei derartigen Ausstellungen weitgehend auf figurative Kunst verwiesen. Das ist ihr elementarer Nachteil. Nur wenige Arbeiten können sich davon lösen. Jenen großen Zyklus, den man sich in der Ausstellung gewünscht hätte, findet man dort leider nicht: Barnett Newmans „The Stations of the Cross – Lema Sabachthani“. Aber Barnett Newmanns Werk ist auch keine israelische Kunst.

Quelle: Datei:National Gallery of Art – Barnett Newman – The Stations of the Cross – Lema Sabachthani
(5946553792).jpg –
https://de.wikipedia.org

Dafür finden sich viele andere interessante und nachdenkenswerte Arbeiten in der Ausstellung. Eine davon will ich kurz vorstellen, weil ich den Künstler bisher nicht kannte und er als dezidiert zionistischer Künstler einen spezifischen Gebrauch vom Jesus-Thema macht: Ephraim Moses Lilien (1874–1925). Das Israel-Museum schreibt zur Vorstellung des Künstlers und des ausgestellten Werkes mit dem Titel „Passover“:

Es war Ephraim Moses Lilien (1874–1925), der in die traditionelle jüdische Gesellschaft hineingeboren wurde und als Künstler in den kulturellen Zentren Mitteleuropas auftauchte, der die visuelle Darstellung des Zionismus in seinen frühen Jahren prägte. Als einzigartige Verschmelzung von Erotik und Fantasie des Jugendstils (Art Nouveau) mit frühem zionistischem Pathos und Idealismus gelang es Liliens Kunst, jüdische und christliche Symbole, Orientalismus und Einflüsse aus dem alten Ägypten und Assyrien zu kombinieren. Dieser eklektische Ost-West-Stil, der als Judenstil bezeichnet wird, wurde zu seinem persönlichen Markenzeichen. Liliens nationaljüdische Kunst schwingt auf subtile Weise mit der christlichen Idee mit, dass die Rückkehr der Juden nach Zion eine Vorbedingung für das Zweite Kommen war, was viele Christen dazu veranlasste, den Zionismus mit der Erlösung in Einklang zu bringen. Ohne Jesus darzustellen, umfassen seine Illustrationen Dornenkronen, Kreuzigungen und mit Maria verbundene Ikonographien. Diese Motive sind von zionistischer Bedeutung durchdrungen, ob sie nun als Zeichen für jüdisches Leiden in der Diaspora dienen oder eine stolze Entschlossenheit verkünden, eine nationale Wiederauferstehung im Land Israel zu erreichen.

Und das macht das Bild tatsächlich zu einem überaus herausfordernden Bild, das einen nicht kalt lässt, sondern zur je eigenen Stellungnahme nötigt. Das finde ich gut.

Fundstück aus der aktuellen Arbeit VI

Eine Persiflage aus Frankreich auf die diversen Zensurversuche gegenüber der Literatur.

Charles-Joseph Traviès, 1814 – 1859: Persiflage op de censuur (Detail)
Charles-Joseph Traviès, 1814 – 1859: Persiflage op de censuur (Detail)

Dieses Bild fand ich im Grafikbestand des Amsterdamer Rijksmuseums. Es stammt von dem in der Schweiz geborenen, dann aber in Frankreich lebenden Künstler Charles-Joseph Traviès (1804-1859). Er illustriert ein Zitat des französischen Schriftstellers Jean de La Bruyère (1645-1696), der festhält, dass es kein Werk der Kunst gibt, das noch Bestand hätte, wenn es sich der Kritik der Zensoren unterwerfen würde, denn diese entfernten alles aus dem Werk, was ihnen nicht passt, was anstößig sei.

Das Bild zeigt nun ganz viele Leute, die mit sehr unterschiedlichen Ansätzen versuchen, ein Buch nicht nur zu durchstöbern, sondern es auch zu zensieren: indem sie es schwärzen oder beschneiden, unleserlich machen oder auch zerstören, indem sie es verbrennen.

Heutzutage ist die Kritik an der Kunst natürlich sowohl subtiler wie auch grobmaschiger. Es geht nicht mehr um das direkte staatliche Verbieten, nicht mehr um Zensur oder Vorzensur als solche, sonder um scheinbar berechtigte konkurrierende Interessen. Heute würden die Zensoren einen problematischen Punkt im Werk suchen, einen Satz, eine These, ein Sprachbild und dann würde die Kritik zuschlagen, so dass vom ursprünglichen Werk kaum etwas übrigbliebe. Und wie auf dem Bild von Traviès dargestellt, machen dies nicht individuelle Kritiker:innen, sondern Netzwerke, die sich koordiniert der Zerstörung oder Verhinderung von Kunst widmen. Das macht dieses Bild von Traviès heute wieder so aktuell.

Eine reale Chance

Ein lesenswerter Essay von Richard Herzinger

Richard Herzinger sieht in einem Essay die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit für eine weltweite Demokratiebewegung, die den Feinden der offenen Gesellschaft entgegentritt. Der lesenswerte Essay findet sich hier.

Lesetipp

Pierre Soulages

Der Künstker Pierre Soulages ist im Alter von 102 Jahren verstorben.

Jürgen Taube hat in der F.A.Z. den einzig richtigen Titel für den Nachruf auf den verstorbenen Künstler Pierre Soulages gewählt: „Und Finsternis lag auf der Tiefe“. Dieses Zitat aus Genesis 1,2 beschreibt wie kaum ein anderes die Herausforderung, vor der jeder Künstler steht. Die leere Leinwand, die uns weiß erscheint, ist für den Künstler / die Künstlerin jene Finsternis, über die der Geist schwebt und die gestaltet werden muss. Und das ist ein hartes Ringen, von dem einmal William Kentridge in seinen Harvard Lectures Auskunft gegeben hat. Wie kann es gelingen dem Hang zur Figuration, zur Illustration, zum Abbild von etwas zu entgehen? Zu verhindern, etwas abzubilden, was es schon gegeben hat, eine Welt zu schaffen, die es schon gibt.

Ausstellungskatalog des Centre Pompidou Paris

Pierre Soulages, am 24. Dezember 1919 in Rodez geboren, ist am 25. Oktober 2022 in Nimes gestorben. Sein gesamtes Werk zeichnet sich dadurch aus, gerade nicht etwas abbilden zu wollen, keine Darstellungen von etwas, sondern autonome Werke, die für sich stehen, eine eigene Welt, ein eigener Kosmos, Werke am Rande des Verstummens. Schwarze Löcher, die alles in sich aufnehmen, was es gibt, dunkel, schwarz und dennoch „jenseits von Schwarz“, leuchtend und die Welt reflektierend. Und auch in einer Kirche hat Soulages gearbeitet, in der Abbatiale Sainte-Foy de Conqueshat hat er einen ganz eigenen Kosmos geschaffen, abhängig vom Licht, von dem dann die folgenden Verse des ersten Kapitels der Genesis schreiben.

Die feinen Unterschiede

Es scheint nun doch etwas anderes zu sein, ob ein indonesisches Kunstkollektiv ein antisemitisches Kunstwerk zeigt oder eine deutsche Kirchengemeinde.

Es ist nun doch etwas anderes, ob ein indonesisches Kunstkollektiv ein antisemitisches Kunstwerk früherer Zeiten zeigt oder eine deutsche Kirchengemeinde. Die einen werden gezwungen, ihr Kunstwerk abzuhängen, weil kein Kommentar das Schmähwerk in seinem beleidigenden Charakter mindern kann, die anderen verweisen darauf, dass Kunstwerk und Kommentar eben zu ihrer Geschichte, also zu ihrer Identität im identitätspolitischen Sinn gehören. Und da haben sie vermutlich Recht. Bis heute gehört fatalerweise auch visueller Antisemitismus zur deutschen Identität. Wenn das angesichts öffentlicher Debatten etwas heikel wird, stellen wir einen Kommentar daneben, mit dem wir uns vom Antisemitismus im Bild distanzieren, lassen es dann aber wohlgemut als Kunstwerk hängen. Als ob ein Kommentar die Wirkmacht von Bildern brechen könne. Da sollte man aus der Kirchengeschichte etwas mehr gelernt haben. Die Wittenberger behaupten, sie hätten aus der Geschichte gelernt und gerade deshalb wollten sie die antisemitische Schmähplastik nicht entfernen, sondern direkt vor Ort kontextualisieren. Offen gesagt: ich glaube ihnen nicht. Ich halte ihre Kontextualisierung für ein Lippenbekenntnis, das folgenlos bleibt.

Ich hatte schon in der letzten Ausgabe des Magazins für Theologie und Ästhetik auf das Abendmahlsbild in der gleichen Wittenberger Stadtkirche verwiesen, auf dem Judas in herabsetzender Weise dargestellt ist.

Die Wittenberger Kirche erweist sich – durchaus in der Tradition Martin Luthers – als Sammelstelle antijüdische Visualisierungen. Und sie hat ein gutes Gewissen dabei, weil sie sich ja vom Antisemitismus distanziert. Sie sagen: Wir haben nichts gegen Juden, aber Antijudaismus gehört nun einmal zu unserer Geschichte und das wollen wir zeigen.

Die documenta fifteen stellt uns ganz konkret die Frage: können wir noch Abendmahl feiern unter einem Bild, das Juden herabsetzt? Geht das nach der Kriteriologie, die wir in Kassel zur Anwendung gebracht haben? Ich könnte es nicht. Jeder Gottesdienst in der Wittenberger Stadtkirche vor dem Altarwerk von Lukas Cranach ist Gotteslästerung, weil es nicht möglich ist, im liturgischen Vollzug zwischen dem kulturgeschichtlichen Werk, vor dem man feiert, und dem liturgischen Bild, das zum Ritus gehört (es ist schließlich ein Altarbild) zu unterscheiden.

Natürlich kann man, wie das einige jüdische Kommentatoren vorgeschlagen haben, die Wittenberger Stadtkirche musealisieren und den Wittenberger Antijudaismus zum Demonstrationsobjekt am historischen Ort machen. Nur fragt sich, wie eine christliche Gemeinde damit umgeht, dass sie nun nicht mehr Gottesdienst feiert, sondern Kulturgeschichte vergegenwärtigt. Darin sehe ich ein religiöses Problem.

Taylor Swift erbricht sich …

Anlässlich von Taylor Swifts Erbrechen im Clip zu „Anti-Hero“ frage ich: gibt es für so etwas kunstgeschichtliche Vorbilder?

… und alle schauen hin. Wer hätte das gedacht – das Erbrechen als Show-Akt. Gerade ist Taylor Swifts Musikvideo zu ihrem neuen Stück „Ant-Hero“ erschienen und die Fans sind amüsiert-schckiert.

Taylor Swift – Anti-Hero

Als kunsthistorisch interessierter Mensch möchte ich nun weniger über die sicher beeindruckende intertextuelle Verwobenheit ihres Textes zu ihrem bisherigen Oeuvre wissen (das interessiert vor allem die Fans), als vielmehr die Bezüge zur kunstgeschichtlichen Tradition. Gibt es eine Kunstgeschichte des Erbrechens habe ich mich gefragt.

Und tatsächlich werde ich im Amsterdamer Rijksmuseum fündig. Die ersten Grafiken zum Thema „Erbrechen“ beginnen dort um das Jahr 1524. Als ich sie gesehen habe, war ich froh, dass Taylor Swift sich in ihrem Clip auf das Erbrechen beschränkt hat. Das Mittelalter und die frühe Neuzeit waren da weniger zimperlich (hier eine Zusammenstellung in meinem Rijks-Studio). Zumindest habe ich dabei ein Bild gefunden, das der Szene bei Swift ähnlich ist. Es ist von Jan van Velde II. (1593-1641) und stammt aus dem Jahr 1633.

Der erbrechende Bettler

Bei Talor Swift sieht der gleiche Vorgang etwas dezenter und weniger direkt aus, aber unangenehm fürs Ego, wenn man sich selbst ankotzt:

Taylor Swift kotzt Taylor Swift auf den Schoß

Und sein Hund lief hinterher

Was bedeutet es, wenn eine Tierschutzorganisation mit einer Einkaufstasche wirbt?

Und schon wieder erreicht mich ein Bettelbrief, dieses Mal von der Initiative „Vier Pfoten“.

Der Jund des Tobit auf einem Gemälde von Verrochio
Der Hund des Tobias – gemalt von Leonardo da Vinci

Der Streuner namens Puca steht exemplarisch für alle Tiere der Welt, die der menschlichen Hilfe bedürftig sind und deshalb wird eine Spende erbeten. Und sozusagen vorausgreifend wird ein Dankeschön für die kommende Spende beigelegt – eine Einkaufstasche.

Einkaufstasche

Ich war mir nicht sicher, wo der Zusammenhang zwischen Tierhilfe und Einkaufstasche liegt, bis ich mich an Darstellungen aus der Kunstgeschichte erinnerte, die sich dem Buch Tobit widmeten und den Erzengel Raphael zusammen mit Tobias und seinem Hund zeigten. Das sind Darstellungen, bei denen Tobias einen Fisch an Stelle einer Einkaufstasche trägt.

Der Fisch des Tobias – gemalt von Leonardo da Vinci

Und das macht es ja nicht unplausibel, hier einen Zusammenhang zu sehen. Tierhilfe mit Hilfe von Einkaufstaschen. Allerdings musste im Fall des Tobias der Fisch geopfert werden, um dem Vater zu helfen, der zu erblinden drohte. Aber zumindest der Hund scheint überlebt zu haben. Die Tasche jedenfalls, die mir „Vier Pfoten“ proleptisch schenkt, ist praktisch. Das hat mich überzeugt. Und sie kommt sogar ohne die heute anscheinend obligaten Aufschriften und Logos aus. Das zumindest sollte eine Spende wert sein.

Dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein

Heute bekam ich wieder einen dieser Briefe, die sich angesichts der kommenden Weihnachtszeit häufen, und die die Adressaten um Spenden angehen für Benachteiligte in der ganzen Welt. Heutzutage sind diese Briefe immer gefüllt mit Geschichten von ganz schrecklichen Lebensverhältnissen bestimmter in der Regel mit konkreten Namen bezeichneter Menschen. Der Appell an das Mitleid ist eine feste Größe dieser Schreiben.

Aber darüber will ich gar nichts Negatives sagen, die Arbeit vieler dieser Initiativen ist gut und unterstützenswert. Nur ihr Marketing lässt manchmal zu wünschen übrig. Die Christoffel Blindenmission ist schon früher durch merkwürdiges Werben aufgefallen. Im Interesse der Sache – dem Einwerben von Spenden – ist jedes Argument recht. Dieses Mal war es der Briefumschlag, der mich störte:

Briefumschlag der Christoffel Blinden Mission: Hungrig - gefolgt von einem durchgestrichenen "nach Wissen".

Ist es wirklich notwendig, zur Generierung von Spenden für die Notleidenden der Welt, den Hunger gegen das Wissen auszuspielen? Ich glaube nicht. Das Argument lautet, die Kinder seien zu hungrig, um zu lernen. Das mag ja sein, aber dann muss man doch nicht das Wissen durchstreichen. Ich weiß, es geht in der Werbung um den ‚gesunden Biss‘, das zur Formel verknappte Argument. Aber in diesem Fall nervt mich das.

Und dann sind wir im Deutschen hungrig nach Bildung und durstig nach Wissen, so jedenfalls legen es die im Duden belegten Substantive Wissensdurst und Bildungshunger nahe. Nur wären das nicht mehr so schöne Slogans gewesen.

In der Regel werden so auf Briefen entweder nicht entwertete Briefmarken oder falsche Adressen durchgestrichen. Wissen ist hier unzustellbar soll gesagt werden, weil das Geld für das Essen fehlt. Dagegen würde ich dann doch mit dem alten und neuen Testament daran festhalten, dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein.

Fundstück aus der aktuellen Arbeit V

Eine Szene, die den armen Lazarus zusammen mit einem schwarzen Bedienten in der Armenküche eines Klosters zeigt.

Lazarus und ein Kammermohr in der Klosterküche

IIn einem Bild von Joseph Danhauser, das als Gegenstück zu seinem Werk zum Thema „Armer Lazarus“ entworfen wurde, sieht man Lazarus zusammen mit einem Kammermohr (siehe Fundstück I) in der Armenküche eines Klosters. Es findet sozusagen eine Verbrüderung zwischen dem schwarzen Bedienten und Lazarus statt. Da Lazarus einer der wenigen Menschen ist, der jetzt schon im Paradies ist, ist diese Gleichstellung mit dem Kammermohr bemerkenswert.

Die Klostersuppe von Joseph Danhauser

Aber heutigen Betrachtern würde es schwerfallen, in dem Bild überhaupt eine Variante der Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus zu erkennen. Ohne Hilfestellungen und direkte Hinweise funktioniert das nicht mehr. Zumal der Künstler das Bild angereichert hat und es offenbar mit anderen biblischen Texten vermischt hat. Ich meine, Anspielungen auf die Fußwaschung nach dem Johannes-Evangelium erkennen zu können und darüber hinaus auch konkrete Anspielungen auf das Mahl der Emmaus-Jünger mit Jesus nach der Auferstehung (Da wurden ihnen die Augen aufgetan). Und schließlich findet sich im Hintergrund – einem Kreuzgang eines Klosters – eine Anspielung auf Jesu Weltgerichtsrede, denn hinter dem Paar mit dem reichen Prasser sehen wir einen Opferstock, der in der Kirche traditionell der Geldsammlung für die Armenspeisung dient. Also ein überaus dicht codiertes Bild.

Fundstück aus der aktuellen Arbeit IV

Günther Anderes vergleicht den Status der Kunst mit dem Verhältnis von Schmetterling und Raupe

Zum Verhältnis von Schmetterlingen zu Raupen. Eine Idee von Günther anders

Günther Anders macht sich 1954 vor einem Besuch der nord- und mittelitalienischen Kunststädte Gedanken darüber, was Kunst eigentlich für die Menschen bedeutet und in welchem Verhältnis sie zur Geschichte steht. Dabei nutzt er eine interessante Metapher, die von der Raupe, die davon befreit wurde, Schmetterling zu werden.

Es sei „wie die Geschlechterfolge jener isländischen Schmetterlinge, denen es nur in seltensten Fällen erlaubt ist, wirklich Schmetterlinge zu werden, weil sie, gehetzt durch die Kürze des Sommers, schon als Raupen gezwungen waren, Reproduktionsfähigkeit zu
entwickeln, sodass sie sich nun als Geschlechterfolge von Raupen entwickeln, die von ihren «Überraupen» = dem Schmetterlingsdasein vielleicht gar nichts mehr wissen. Geschieht es nun aber, dass eine dieser Raupen durch eine besondere Gunst doch das Schmetterlingsdasein erreicht, dann steht sie «quer zur Geschichte» der Raupen.

Und er fährt fort:

„Einerseits ist der Schmetterling allen Raupen voraus, da er das erreicht hat, was sie «noch nicht» sind; andererseits aber ist er, da er einer Raupengeneration angehört hatte, die bereits weitergezeugt hat, überholt durch ein neues Raupengeschlecht. Dieses Zugleich von
«voraus» und «überholt» scheint auf den ersten Blick etwas höchst Sonderbares; nirgends finden wir die Erscheinung beschrieben. Aber in Wirklichkeit ist uns das Phänomen durchaus vertraut. Und zwar eben durch die großen Kunstwerke. Denn sie sind das, was «quersteht» in unserer Geschichte.“

Das finde ich einen interessanten Gedanken, eine übrigens von Günther Anders eigens erfundene Metapher, denn den isländischen Schmetterling gibt es wohl gar nicht, aber als Metapher gibt sie eine sich zunehmend durchsetzende Entwicklung wieder, die Einstellung, dass wir der Kunst nicht (mehr) bedürfen.