Das Bild des Nikolaus und der ‚bekehrte‘ Jude

Zu einer antijudaistischen Erzählung aus der Legenda aurea zum Hl. Nikolaus.

Glasfenster zu einer erzählung vom Hl. Nikolaus, dessen Bild einen Juden zur Bekehrung bringt.
Glasfenster mit einer Nikolauserzählung

Wir neigen ja dazu, uns aus all den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erzählungen des Christentums nur jene herauszupicken, die uns heute noch unproblematisch erscheinen. Dagegen verschweigen wir schamhaft all die anderen, die aber doch auch in den gleichen Erzählzyklus gehören. Das gilt nicht nur für den Heiligen Martin, sondern auch für den Heiligen Nikolaus, den wir immer für seine Goldklumpen für die verarmte Familie feiern, aber nicht für seine dingmagische Herabsetzung von Juden kritisieren. In der Legenda aurea findet sich folgende Geschichte, die oben auf dem Glasfenster aufgegriffen und gebündelt wird:

Als ein Jude sah, welche Wunder die Macht des Heiligen (scil. Nikolaus) wirken konnte, ließ er sich ein Bild von ihm machen, stellte es in seinem Hause auf, und wenn er eine längere Reise vorhatte, anvertraute er ihm seine Habe, wobei er Drohungen folgender Art auszusprechen pflegte: «Siehe, Nikolaus, alle meine Dinge anvertraue ich deiner Hut! Solltest du nicht alles gut bewachen, werde ich mich an dir mit Schlägen rächen!» Als er nun wieder einmal abwesend war, kamen Diebe, raubten alles und ließen nur das Bild zurück. Als der Jude bei seiner Rückkehr sah, wie man ihn beraubt an: «Herr Nikolaus! Ich hatte dich doch in meinem Hause aufgestellt, damit du meine Habe vor Dieben bewahrst! Warum wolltest du das nicht tun, warum hieltest du die Diebe nicht fern? So wirst du nun schreckliche Schläge bekommen und an Stelle der Räuber büßen! Meinen Schaden werde ich durch deine Qualen wieder wettmachen, und ich werde meine Wut mit Schlägen und Peitschenhieben kühlen!» Dann nahm der Jude das Bild und schlug und peitschte es grausam.

Da aber geschah Wunderbares und Staunenswertes: Als die Räuber die Beute untereinander teilten, erschien ihnen der Heilige Gottes, wie wenn er die Schläge empfangen hätte, und sprach: «Warum bin ich euretwegen so grausam gegeißelt und so schrecklich geschlagen worden? Warum musste ich so viel Qualen erleiden? Schaut, wie mein Leib voller blauer Flecken ist, wie er rot ist von Blutungen! Geht rasch hin und gebt eure Diebesbeute zurück! Sonst wird der allmächtige Gott gegen euch wüten, euer Verbrechen wird bekannt werden, und ihr werdet alle an den Galgen kommen!» Da sagten jene: «Wer bist du, der du so zu uns sprichst?» Der Heilige: «Ich bin Nikolaus, der Diener Jesu Christi, den der Jude für seine Habe, die ihr geraubt habt, so grausam gepeitscht hat.» Da liefen sie voller Angst zum Juden, berichteten vom Wunder, vernahmen von ihm, was er dem Bild getan, und gaben ihm alles zurück. So kamen die Räuber wieder auf den rechten Weg, der Jude aber nahm den Glauben an den Erlöser an.

Diese Geschichte ist böse in sich, konstruiert, um Juden verächtlich zu machen. Nicht nur, weil der geschilderte Jude als zu Bekehrender wahrgenommen wird (das ist fast noch der harmloseste Teil der Erzählung), sondern weil er als durch und durch unwahrhaftiger Jude dargestellt wird. Ein Jude, der durch seine Handlungen sich selbst als heuchlerisch überführt.

Nicht umsonst setzt die Erzählung damit ein, dass ein (natürlich reicher) jüdischer Bürger, der sein Geld in einer Schatztruhe hortet, sich insgeheim ein Kultbild zum Schutz seines Reichtums aufstellt. Er macht das, weil er, wie es einleitend heißt, an die Macht der Bilder glaubt. Schon das ist eine perverse, herabsetzende Darstellung.

Und wie ein guter orthodoxer Christ oder Katholik spricht er mit dem Bild, ganz der platonischen Urbild-Abbild-Theorie folgend – was dem Abbild geschieht, überträgt sich aufs Urbild. Auch das ist absurd und bösartig zugleich. Es zeigt, dass das Christentum dem Judentum eigentlich vorwirft, dass es das Bilderverbot aufgestellt hat, dem es selbst nicht folgen mag, und deshalb den Juden unterstellt, sich auch nicht daran zu halten. Im Gegenzug zeigt man, wie wirkmächtig das Christentum sich die Bilder (zumindest in seinen Erzählungen) vorstellt.

Und so ist alles weitere Dingmagie bis ins letzte Detail. Das hat eine Tradition seit dem byzantinischen Bilderstreit, in dem auch vehement mit der angeblichen Wirkmächtigkeit von Ikonen argumentiert wurde. Und wer sich darauf einlässt – konvertiert. Das glaube ich nun auch, nur ist das nicht ein erstrebenswerter Zustand, denn man konvertiert in eine Welt des Aberglaubens.

Deutungsarbeit IV

Hat der Hl. Josef für das neugeborene Jesuskind einen Brei am offenen Feuer zubereitet?

Detail eines Bildes aus dem Jahr 1437 mit dem Hl. Josef beim Kochen.
Der hl. Josef als Nährvater?

Auf der zweiten von mir aktuell betrachteten Tafel findet sich links am Bildrand die obige Darstellung. Man erkennt sofort die Übereinstimmung mit der nebenstehenden Figur des Heiligen Josef aus der vorherigen Tafel. Nur dass der dunkel-violette Untermantel fehlt, Josef keine Handschuhe und keinen Zimmermannsstab trägt und stattdessen eine Pfanne in der rechten Hand hat.

Dieses Motiv des Speise zubereitenden Josef tritt um 1400 in der Kunst auf und deutet auf eine volkstümliche Hinwendung zur Figur des Nährvaters hin. Er wird als treusorgender Gatte der Maria dargestellt, der sich um den Haushalt kümmert, während Maria sich dem Kind widmet. In der Literatur wird oft behauptet, Josef bereite hier einen Brei für das Christuskind. Das ist wohl wenig wahrscheinlich, denn auch im 15. Jahrhundert wusste man, dass Neugeborene nur Milch vertragen. Hier steuert offenbar der Wunsch nach Idylle die Wahrnehmung. Im 21. Jahrhundert kann dann sogar geschrieben werden, dass in Josef der ideale Mann dargestellt werde, weil er sich im Haushalt engagiere.

Das ist wohl eher Wunsch-Projektion, realistischer dürfte die Darstellung im Stundenbuch der Katharina von Kleve sein, die Maria beim Stillen und Josef beim genüsslichen Verzehr des von ihm vorher über dem offenen Feuer gekochten Breis zeigt.

Zweiter Advent

Ein Bild von Mariä Heimsuchung zum zweiten Advent

Mariä Heimsuchung, 1460, Museum Kremsmünster

Mariä Heimsuchung bzw. Visitatio Mariae – so wird die Begegnung von der schwangeren Maria mit ihrer schwangeren Cousine Elisabet bezeichnet. Es gibt viele wunderbare Bilder in der Kunstgeschichte zu diesem Ereignis, die wichtigsten habe ich in einer früheren Ausgabe des Magazins für Theologie und Ästhetik zusammengestellt.

Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts stoßen wir dann vermehrt auf intra-uterinären Darstellungen, die die beiden ungeborenen Kinder zu den zentralen Akteuren im Bild werden lassen.

Dargestellt sind beide Frauen auf dem 1460 entstandenen Bild aus Kremsmünster als junge Schwangere, was zumindest im Fall der Elisabet der Überlieferung widerspricht. Auch das Alter der Ungeborenen wird angeglichen

Wir werden nun also mehr oder weniger direkt nicht nur auf die Schwangerschaft der beiden Frauen aufmerksam gemacht, sondern sehen explizit auch noch eine Darstellung der beiden ungeborenen Kinder. Zum einen dient das der Klärung der unterschiedlichen Bedeutung beider Ungeborenen: Jesus ist wesentlich bedeutender als Johannes, was sich an der jeweiligen Gestik zeigt (Anbetung vs. Segen), zum anderen soll das im biblischen Text Beschriebene auch visuell zum Ausdruck kommen: die Freude des ungeborenen Johannes über die Begegnung seiner Mutter mit der mit Jesus schwangeren Maria. Wie hier auf dem Heimsuchungsbild aus dem Stift Kremsmünster aus dem Jahr 1460 thront Jesus auf diesen Bildern schon als Pantokrator ante portas, während Johannes sich kniend in eine Haltung der Anbetung ergibt.

Deutungsarbeit III

Notizen zu den Hosen des Josef

Ein weiteres Detail auf dem gerade von mir betrachteten Bild ist noch bemerkenswert. Und das ist der violette Schal, der quer über dem gut eingewickelten Jesuskind im Weidenkorb liegt. Es hat eine merkwürdige Form und wirkt wie zufällig abgelegt, ist aber natürlich wie immer auf spätmittelalterlichen Kunstwerken sorgfältig inszeniert.

Schaut man noch einmal auf das vorherige Bilddetail des Hl. Josef, dann erkennt man, dass das abgelegte Stück Stoff zur Kleidung des „Nährvaters“ gehört. Aber um welches Kleidungsstück handelt es sich? Die Form zeigt uns nun, dass es sich wohl um ein Beinkleid handelt, also quasi die Hose des Josef. Demnach hätte dieser sein Beinkleid ausgezogen, um das Neugeborene vor der Kälte zu schützen.

Tatsächlich finden wir vor allem in bestimmten rheinischen Traditionen dieses Motiv, bei dem sich Josef von Teilen seiner Beinkleidung trennt, um das Neugeborene besser auszustatten und vor der Kälte zu schützen. Die Web Gallery of Art schreibt dazu:

Was wir hier finden, ist die Geschichte von ‚Josephs Strümpfen‘. Der Vater Jesu sitzt am unteren Rand des Panels und schneidet eine seiner Leggings auf. Bestimmte … Weihnachtslieder erzählen, dass das Christ-Kind in Stoff aus dieser Unterwäsche gewickelt wurde. Aachens Kathedrale besaß einst als Relikt „Josephs Strümpfe“, die um 1400 Gegenstand intensiver Verehrung waren.

Träfe das zu, wäre auch der frierende Josef mit den Handschuhen aus der von mir betrachteten Tafel des Jahres 1437 zumindest unter seinem Mantel ohne Hose, eine Vorstellung nicht ohne Ironie. Wenn aber bereits 1400 und früher das frierende Christuskind ein Thema der Kunst war, kann es sich nicht auf die klimatischen Veränderungen im 15. Jahrhundert beziehen, sondern ordnet sich in eine kunstgeschichtliche Tradition ein. 1385, so lerne ich, schreibt ein sog. Werner der Schweizer in seinem Marienleben:

„Maria wand ir kindelin / in aerm klainu tüchelin, / Die man noch lat ze Ache sechen: / Ich warn und han es horen jechen. / Das su mit rechten maeren / Josephes hossen waeren / Zwai graewu tuchelu da sint. / Siner windelin, die man da vint.“

Deutungsarbeit II

Der heilige Josef in ungewöhnlicher Kleidung

Der Hl. Josef auf einem Kunstwerk des 15. Jahrhunderts

Die im vorherigen Beitrag betrachteten Menschen blicken u.a. auf diese Figur des hl. Josef, der hier in einer etwas ungewohnten Kleidung gezeigt wird. Dass er ein alter Mann ist, überrascht nicht, wohl aber die Fäustlinge, die er trägt. Das ist für Darstellungen seiner Person eher ungewöhnlich. Und so kann man sich fragen: wozu dienen die Fäustlinge? Heutzutage nutzen wir Handschuhe eher in der kalten Jahreszeit, um die Finger warmzuhalten. In früheren Zeiten allerdings waren Handschuhe auch ein Statussymbol, wie wir aus Porträtdarstellungen von Begüterten erkennen können, die die Handschuhe demonstrativ in der Hand halten. Aus dem Bilddetail selbst lässt sich nicht erschließen, weshalb Josef die Handschuhe trägt.

Man hat spekuliert, dass es eine Reaktion auf eine in der Mitte des 15. Jahrhunderts einsätzende Kältewelle in Europa sein könnte. Das ist möglich, überzeugt mich aber nicht richtig. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass es hier entweder um Arbeitshandschuhe des Zimmermanns Josef geht oder auch um Statussymbole.

Deutungsarbeit

Was können wir aus Bilddetails erkennen?

Menschengruppe beim Bestaunen eines Ereignisses
Dtail eines spätmittelalterlichen Bildes

Ich „lese“ gerade ein Detail eines Bildes aus dem Jahr 1437. Was kann man aus einem derartigen Detail erkennen, welche Rückschlüsse kann man auf Einstellungen, Haltungen, Vor-Urteile, Ethnien, gesellschaftliche Stände usw. ziehen? Natürlich lebt vieles von den Vorerwartungen der Betrachter:innen, von ihren Vor-Urteilen und Urteilen gegenüber Bildern des Mittelalters und der Haltung der Menschen, die darin gespiegelt werden.

Zumindest kann man am Anfang vielleicht so viel sagen: es sind sehr unterschiedliche Leute, die hier in ganz verschiedenen Formen einen Blick auf ein Ereignis werfen, das uns im Augenblick noch verborgen ist. Zudem kann man anhand der dominanten Farben die Gruppe in zwei Hälften teilen.

Die linke, hell gekleidete Gruppe scheint vorwiegend aus Frauen zu bestehen, die, blickt man auf ihre Kleidung, wohl nicht den untersten Schichten der Bevölkerung angehören. Ihr Teint ist bei drei Figuren ostentativ weiß, bei einer Figur ist die Haut dunkel gegerbt. Betont wird durch die gefalteten Hände die Frömmigkeit der Betrachterinnen.

Die rechte, dunkler gekleidete Gruppe kann selbst noch einmal in zwei unterschiedliche Parteien aufgeteilt werden. Die beiden vorderen Figuren scheinen ebenfalls nicht einfache Arbeiter zu sein, sondern weisen sich durch ihre Kleidung als bessergestellt aus. Auffällig ist die rechte Figur, die etwas aus der Gruppe herausfällt, weil sie die anderen mit ausgestreckter Hand auf ein Geschehen hinweist, das wir noch nicht sehen.

Die hintere Reihe der rechten Gruppe ist – so kann man wohl doch sagen – derb gezeichnet. Es sind einfache Menschen mit unterschiedlichen Teints, deren Blicke sich nur bedingt auf das angezeigte Geschehen richten.

Offenkundig haben wir es hier mit Mitgliedern einer Klassengesellschaft zu tun, die einem uns unbekannten Geschehen beiwohnen. Sie sind vom eigentlichen Ereignis durch eine Holzwand abgetrennt, die vielleicht sogar die gesamte Gruppe in Frauen und Männer aufteilt. Sie sind in Erwartung – aber viel mehr lässt sich noch nicht sagen – außer vielleicht, dass es auch ethnisch eine buntgemischte Gruppe ist, wenn man den dunklen Teint einiger Figuren nicht auf die Sonneneinstrahlung zurückführt.

Alles Weitere lässt sich erst sagen, wenn wir wissen, was rechts von diesem Bilddetail passiert.

Déjà-vu

Gibt es eine globale Tendenz, vor Eröffung einer Ausstellung nicht nur die Inhalte auf politische Korrektheit zu überprüfen, sondern auch die Haltung der Künstler:innen und Kurator:innen zu untersuchen?

In der FAZ schreibt Konstantin Akinscha über die Absage der 9. Moskauer Kunstbiennale unter dem Titel „Szenografie der Gefühle“. Nun ist eine derartige staatliche Zensur-Maßnahme in Zeiten eines russischen Angriffs-Krieges vielleicht gar nicht so überraschend, interessanter sind da schon die Begründungen, die Akinscha erwähnt:

„Die Absage der Moskauer Biennale war kein Einzelfall. Die Behörden verboten Dutzende von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst nach dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine. Außerdem führten sie ein neues Zensursystem ein. Früher beruhte die Ausstellungserlaubnis auf der Beurteilung der für diese ausgewählten Werke. Heute müssen die Organisatoren die schwarzen Listen mit unerwünschten Künstlern konsultieren, deren Werke unabhängig von ihrem Inhalt der Öffentlichkeit nicht vorgeführt werden dürfen.“

Und irgendwie hatte ich da ein Déjà-vu. Das hatte ich in diesem Jahr doch schon einmal gehört und gelesen? Kann es also wirklich sein, dass ein totalitäres System wie Russland einem demokratischen System wie der Bundesrepublik Deutschland strukturell doch ähnlicher ist, als man vermuten möchte – zumindest im Umgang mit Kunst-Ausstellungen? Denn das war es doch, was in den vergangenen zehn Monaten in Deutschland gefordert wurde: dass die Veranstalter und die sie fördernden staatlichen Institutionen nicht nur die für die Ausstellung ausgewählten Werke vorab kontrollieren sollten, sondern – und das ist hier viel gewichtiger – dass die Organisationen nach vorab aufgestellten Listen unerwünschter Künstler:innen und Kurator:innen entscheiden sollten, wer an Kulturveranstaltungen teilnehmen darf und wer nicht. Die Liste in Deutschland trug die Überschrift: Welche Haltung hat X zur Organisation BDS? Es scheint, als liege nur wenig zwischen dem russischen Zugriff auf die Kunst und der deutschen Infragestellung der Kunstfreiheit. Auch bei uns wird gegen alle grundgesetzlichen Bestimmungen gefordert, der Kunst Fesseln anzulegen. Nur das mit dem Verbieten klappt noch nicht so recht.

Schon wieder eine Bilderattacke

Schon wieder wurden zwei Kunstwerke bzw. ihre Rahmen attackiert, dieses Mal die beiden Darstellungen der Maya von Goya.

Goya, nackte und bekleidete Maya
Goya und die beiden Mayas

Schon wieder wurden zwei Kunstwerke attackiert, dieses Mal die beiden Darstellungen der Maya von Goya im Prado in Madrid. Allmählich werden die Attacken zu einem Who is Who der Kunstgeschichte. Mit den Inhalten der Bilder hat es nichts zu tun, bloß mit ihrer Prominenz. Von Goya gibt es ja zum Anliegen der Letzten Generation durchaus passende Werke, etwa aus der schwarzen Serie „Saturn verschlingt seine Kinder“. Aber darum geht es wohl nicht. Es ist ein dummer Angriff auf die Kulturgeschichte der Menschen, ein Angriff, der die Kunstwerke nicht als Argumente im gesellschaftlichen Diskurs begreift, sondern als wohlfeile Ziele zur Erlangung öffentlicher Aufmerksamkeit.

Goya, Saturn verschlingt seine Kinder

Hugenottisches Stillleben

Der Pariser Louvre zeigt eine faszinierende Ausstellung zum Thema „Stillleben“. Unter den Exponaten findet sich auch ein Kunstwerk der hugenottischen Malerin Luise Moillon.

Stilleben von Louise Moillon, 1633

Hanno Rauterberg bespricht gerade emphatisch in der ZEIT eine Ausstellung im Pariser Louvre. Er stellt seine Besprechung unter den Titel „O heiliges Gemüse! Selbst der Spargel wird zum Zeichen der Transzendenz“. Die Pariser Ausstellung trägt den Titel Les Choses – Une histoire de la nature morte und ist bis zum 23. Januar zu sehen. Der Louvre schreibt zur Ausstellung:

Die von Laurence Bertrand Dorléac kuratierte Ausstellung Things schlägt eine neue Sichtweise auf ein Genre vor, das lange Zeit als untergeordnetes Genre angesehen wurde, dessen Name – „Stillleben“ – an sich schon faszinierend ist. Darstellungen von Dingen, die bis in prähistorische Zeiten zurückreichen, sind ein wunderbares Fenster in die Geschichte. Künstler waren die ersten, die die Dinge ernst nahmen, indem sie ihre Präsenz erkannten, sie mit Leben erfüllten, ihre Formen und Bedeutungen, ihre Kraft und ihren Charme verherrlichten. Sie haben die Fähigkeit von Objekten eingefangen, unsere Vorstellungskraft zu beflügeln – uns glauben, zweifeln, träumen oder handeln zu lassen. Die Ausstellung greift das Stillleben-Genre aus der Perspektive des andauernden Dialogs zwischen vergangenen und gegenwärtigen Künstlern auf. Es wirft ein neues Licht auf unsere Verbundenheit mit materiellen Dingen und deckt die Kunstgeschichte von prähistorischen Äxten bis zu Chardin, Manet und den Readymades von Marcel Duchamp ab.

Unter den gezeigten Artefakten ist nun auch eine Arbeit von Luise Moillon (1610-1696), die zu den berühmtesten französischen Stillleben-Malerinnen des 17. Jahrhunderts zählt und aus einer Familie hugenottischer Maler stammt.

Ikonoklasmus kann emanzipatorisch sein

Ralf Meisters Vorschlag einer sofortigen und endgültigen Zerstörung der sog. Wittenberger Judensau sollte unterstützt werden.

Bürger beim Bildersturm. Bild von 1630 über den Bildersturm 1566.
Bildersturm in einer Kirche. Dirck van Delen, 1630

Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hat sich für die Entfernung und Zerstörung der „Judensau“ an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg ausgesprochen. „Man sollte sie nicht nur entfernen, sondern radikal vernichten, zerstören und kaputt machen“, sagte Meister am Sonntagabend in der Marktkirche in Hannover. Dies sei der richtige Umgang mit einer fehlgeleiteten, vernichtenden Ästhetik

Ralf Meister hat recht. Anders als ich es noch 2016 meinte, als ich das Thema zum ersten Mal im Magazin für Theologie und Ästhetik erörterte, reicht es nicht, die schreckliche Plastik an der Wittenberger Stadtkirche nur zu ent­fernen und sie in ein Museum zu stellen. Sie muss zerstört werden. Das macht aber nur Sinn, wenn dieser ikonoklastische Akt, dieser Bildersturm, der er ja nun einmal ist, als solcher bewusst geschieht und auch im Bewusstsein gehalten wird. So wie der reformatorische und vor allem der reformierte Bildersturm sich im Bewusstsein erhalten hat (leider etwas anders, als es die Initiatoren beabsichtigt hatten). Wir müssen uns in ebenso symbolischen wie archaischen Gesten (und das ist ein solcher Bildersturm) von einer Ausdrucksform lösen, die böse bis in das letzte Element ist. Es geht dabei überhaupt nicht darum, den christlichen Antijudaismus und den protestantischen Antisemitismus aus dem Gedächtnis zu löschen, sondern ganz im Gegenteil, durch einen ikonoklastischen Akt im Gedächtnis zu verankern. Der byzantinische Bilderstreit, der reformatorische Bilderstreit sind Belege dafür, dass das gelingen kann. Die Konsensgesellschaft sucht nach moderaten Lösungen, die niemandem wehtun, aber letztlich die Beleidigten permanent weiter verletzen. Wenn wir die Skulptur in Wittenberg als wirkmächtig ansehen, dann müssen wir dem auch begegnen. Natürlich verhindert man keinen Antisemitismus, indem man eine antisemitische Skulptur zerstört. Aber man schafft einen ikonischen Akt, der zeigt, dass der Judenhass ein zu bekämpfendes Element unserer Gesellschaft ist. Und das erreicht man nicht, indem man freundlich oder meinetwegen auch betroffen mit einer Texttafel erklärt, wie es den bedauerlicherweise zu 6 Millionen toten Juden gekommen ist, wozu dieses Objekt seit 800 Jahren seinen Beitrag geleistet hat.

Für die Beibehaltung des Objekts spräche, wenn man der Meinung wäre, dass der Antijudaismus weiter tief in der lutherischen Kirche verwurzelt wäre, wenn also die Entfernung der Skulptur einen identitätspolitischen Schaden bei der Gemeinde anrichten würde. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es genau darum geht: deutlich zu machen, dass die Abkehr vom Judentum zur eigenen Identität gehört. Und das nicht nur historisch.

Das andere ist, dass das Prozedere ja merkwürdig ist. Der Beleidigende entscheidet darüber, ob die Beleidigung an seinem Gebäude hängend bleibt, während nicht auf die die beleidigten Juden in Deutschland (und das sind nicht irgendwelche Wissenschaftler in Israel) gehört wird.