Ist ChatGPT ein Predigt-Generikum?

Darf Chat-GPT als Generikum verstanden werden, das die gleiche Wirkmächtigkeit wie eine menschliche Predigt entfaltet?

Rudolf Bohren („Dass Gott schön werde. Praktische Theologie als Ästhetik“) würde sich zwar im Grabe umdrehen. Dennoch: KIs Predigten schreiben zu lassen, macht innerhalb eines solchen religiösen Systems Sinn, das sich entschieden hat, der Predigt keine kreativen, keine poetische, keine neuen Bedeutungen generierenden Aspekte zuzuerkennen. Wer KI als Predigtgenerator (und nicht nur zur Arbeit an der Predigtsprache) einsetzt, gibt ein homiletisches Urteil über Form und Funktion der Predigt im Gemeindegeschehen ab, er begreift sie als Gebrauchstext.

Denn auch der Hinweis darauf, dass in der kirchlichen Praxis Predigten doch selten Kunstcharakter oder bestimmte poetologische Standards erreichen, geschieht ja in der Absicht, Predigten künftig als Gebrauchstexte zu qualifizieren. Aktuell halten wir jedoch an der regulativen Idee fest, dass Predigten mehr als bloß Werbetexte oder Gebrauchsanweisungen sind und seelsorgerliche Gespräche mehr als ein Anruf im Callcenter. Und auch Gottesdienste sind – bei aller durchaus rationalen Konstruktion der Liturgie – mehr als Verkaufsveranstaltungen. Wenn man an diesem Mehrwert zweifelt, wenn man Gottesdienste für überschätzt und Predigten als schlichte Textgattung der Wiederholung religiöser Texte in anderen Worten ansieht, dann sind freilich KI-gesteuerte autonome Systeme denkbar, die das personen-zentrierte religiöse System ablösen können (und sollten).

Die Debatten um den angeblichen von einer Künstlichen Intelligenz generierten Gottesdienst auf dem Ev. Kirchentag in Nürnberg (der in Wirklichkeit nur mit Hilfe von ChatGPT zustande kam und von einem theologischen Subjekt namens Jonas Simmerlein authentifiziert wurde und damit eben kein autonomes, künstlich-intelligentes und künstlerisches Geschehen darstellt), kreisen also um die Frage, ob wir in den christlichen Gemeinden zu einer sozialen Vereinbarung kommen können, wollen bzw. werden, welche die von der KI generierten Predigten als genuin religiöse Texte anerkennt, nicht zuletzt, weil sie die Wandlung der Predigt vom poetischen Text zum Gebrauchstext vorantreibt. Ein (noch kleiner) Teil der theologischen und kirchlichen Welt scheint dazu zu neigen.

Aber die Frage ist nicht einmal ansatzweise entschieden. Wie bei der Kunst bestimmen darüber ja nicht ein paar technologie-animistisch Denkende, sondern die soziale Gruppe, in diesem Fall die religiöse Gemeinschaft. So wie ich die Mehrzahl der heutigen Gemeinden einschätze, haben sie nichts dagegen, dass ihre Prediger:innen mit ChatGPT zur Vorbereitung der Predigt experimentieren. Das machen auch Künstler.innen und Schriftsteller:innen mit ihren Artefakten. Es dürfte aber kaum Common Sense sein (und wohl auch nicht werden), dass die Predigenden durch Algorithmen ersetzt werden oder auch nur ersetzt werden könnten.

Der soziale Prozess, der Predigen von einem poetischen Vorgang zu einem Gebrauchstexte produzierenden Vorgang umwerten könnte, ist jedoch kein voluntaristischer Akt, bei dem ein paar akademische Theolog:innen nun entscheiden könnten, künftig auf menschliche Predigende zu verzichten. Es gibt auch keine dafür legitimierte Kirchenleitung, die einfach entscheiden könnte, dass Predigten eigentlich nur Werbetexte für die Kirche seien und daher Predigende als Werbetreibende auch ebenso gut durch Algorithmen ersetzt werden könnten. Manche meinen, wenn man zeigen könne, dass Maschinen genauso gut predigen können wie Menschen (im Sinne des Wirkungsäquivalents), dann würde das Pendel zugunsten der Maschinen ausschlagen. Aber sie missverstehen, was eine soziale Vereinbarung ist.

Mit Karl Barth (KD IV/3, S. 995f.) lässt sich die essentielle Aufgabe und Funktion der Predigt zunächst dahingehend zusammenfassen,

„dass die Gemeinde sich (und so auch die mithörende Welt) in ihr ausdrücklich an das ihr aufgetragene Zeugnis erinnert, erinnern lässt, sich seines Inhalts aufs neue vergewissert, in seinem Reflex Jesus Christus selbst aufs neue zu sich reden, sich aufs neue zu seinem Dienst in die Welt aufrufen lässt.“ Dabei ist die Predigt zugleich auch „selbständig vollzogene Aussage und Erklärung des Evangeliums, selbständig gewagter evangelischer Anruf.“

Diesen Kriterien genügt eine KI-generierte Predigt sozusagen a priori nicht. Wer anderes behauptet, denkt in Modellen von Generika, wonach die Predigt ein Wirkstoff ist, der nach­gebaut werden kann. Im kulturellen Sektor entspricht genau das aber magischem Denken.

Ein Generikum oder Nachahmerpräparat ist ein Arzneimittel, das wirkstoffmäßig mit einem bereits früher zugelassenen Arzneimittel übereinstimmt. Von dem Originalpräparat kann sich das Generikum bezüglich enthaltener Hilfsstoffe und Herstellungstechnologie unterscheiden. Es unterliegt einer vereinfachten Zulassung, bei der auf Unterlagen des Originalpräparats zurückgegriffen wird … Ein Generikum soll dem Originalprodukt in dessen beanspruchten Indikationen therapeutisch äquivalent sein, d. h., es muss ihm in Wirksamkeit und Sicherheit entsprechen.

Wenn also technologisch generierte Texte sich quasi als wirkungsäquivalent zu den bisherigen Predigten erweisen, schließt man daraus, dass sie die (aufwendigeren) Ursprungstexte (also die menschlichen Predigten) ersetzen können. Exakt das ist das Modell der Generika. Und man muss überlegen, ob man sich diesem Modell anschließen will, auch wenn man es nun auf kulturelle Phänomene anwendet (Kulturwissenschaft wie Naturwissenschaft versteht). Es ist das alte mittelalterliche Modell, bei dem man Kranke erst vor den Isenheimer Altar schleppte, und erst wenn Heilung sich nicht einstellte, zum Arzt wechselte. Das war dingmagisches Denken – und das Ergebnis im Verlauf der Geschichte kennen wir. Heute gehen wir lieber gleich zum Arzt. Predigten sind eher im Sinn von poetischen Texten und der Interpretation poetischer Texte zu verstehen. Und daran sollten wir festhalten.

Wen gefährdet ChatGPT?

Kann man den Einsatz von KI für das Predigen als technologischen Animismus begreifen? Eine kritische Überlegung.

In der empfehlenswerten Sendung Sternstunde Philosophie „Chatbot GPT – Das Ende der Kreativität?“, ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz und dem Philosophen und Literaturwissenschaftler Hannes Bajohr, geht es neben vielen anderen hochinteressanten Fragen rund um die Künstliche Intelligenz und die Frage der Kunst und der Kreativität auch darum, für welche Berufe und Berufsfelder ChatGPT und ähnliche Programme gefährlich werden könnte. Hannes Bajohr sagt dazu:

„Elon Musk hat jetzt aufgehört zu prophezeien, dass nächstes Jahr der selbstfahrende Tesla kommt. Stattdessen haben wir so etwas wie die Automatisierung von kreativen Berufen. Was wir haben sind Illustrator:innen, die ihre Arbeit abgenommen bekommen, Schreiben von Text, der möglicherweise unter der Grenze von Kunst steht, ich denke an so etwas wie Marketing-Prosa, all das wird generiert.“ – „Es sind alles Dinge, die stark genormt sind.“ [0:19:00ff.]

Tatsächlich werden die existierenden Bots genau dafür entwickelt. Zur Text und Code-Produktion unterhalb einer bestimmten Schwelle von Kreativität und Originalität. Sie schauen auf alle bisherigen Texte, Codes, Bilder und produzieren daraus eine sich ‚logisch‘ ergebende Variation. Und in diesen Bereichen sind sie außerordentlich hilfreich – sie entlasten uns von Prozessen, auf die wir bisher (zu) viel Zeit und Energie verschwendet haben.

Wie ist das aber nun bei literarischen bzw. poetischen Texten, bei denen es zumindest in der bisherigen Tradition und Konvention auf die Autor:innen bzw. die Urheber:innen ankommt? Droht hier der Tod des Autor:innen? Dazu sagt Hannes Bajohr zu Recht:

Ich glaube, wir müssen uns davon verabschieden, dass Kunst im Objekt stattfindet. Es gibt keine Kunstobjekte. Es gibt keine Objekte, die an sich Kunst sind. Es ist immer ein sozialer Aushandelungsprozess, es braucht immer jemanden … Die Frage nach der Kunst ist keine technische Frage, ob jemals eine KI Kunst produzieren kann, es ist eine soziale Frage. [0:47:15-0:47:36] …

Kunst ist eine Frage von Anerkennung. Es hat nichts mit Intelligenz zu tun, wenn eine KI irgendwann einmal als Künstler anerkannt werden wird. Im Augenblick erkennen wir Maschinen nicht an als Entitäten, als Akteure, die Kunst machen können. Wenn unsere Gesellschaft sich möglicherweise in Richtung eines technologischen Animismus weiterentwickelt, in der es uns einfacher fällt, Akteursschaft Maschinen gegenüber anzuerkennen, dann ist es möglicherweise so, dass wir schon bald, ohne wirkliche Intelligenz, sagen können, dass eine KI Kunst macht … Aber das ist eine soziale, keine technische Frage. [0:48:13-0:48:50]

Zum einen ist es gut, dass Bajohr an dieser Stelle noch einmal die Einsichten von Immanuel Kant aus der Kritik der Urteilskraft aufgreift. Wir arbeiten bei Fragen nach der Kreativität und der Künstlerschaft von KI oft nach vor-kantischen Modellen und tun so, als könnten wir anhand eines von einer KI vorgelegten Objekts darüber quasi objektiv entscheiden, ob es Kunst ist oder nicht. Das ist vormodern. Es versteht Kunst letztlich nach mittelalterlichen (Handwerks-)Modellen. Seit Kant ist uns aber klar, dass Kunst ein sozialer Prozess ist. Und im Augenblick sind es nur Geld schöpfende Unternehmen, die dazu geneigt sind, die Bilder und Texte, die KIs (re)pro­duzieren, als „Kunst“ zu bezeichnen. Innerhalb des Betriebssystems Kunst wird KI zwar produktiv eingesetzt, aber Kunst machen immer noch Menschen. Hier wird das kantische Modell in dem Sinn stark gemacht, dass Kunst ein Vereinbarungsprozess unter Menschen über bestimmte von Menschen zur Schau gestellte Objekte ist. Das kann sich gesellschaftlich ändern – wenn man, wie Bajohr süffisant sagt, zu einem technologischen Animismus tendiert.

An dieser Stelle wird es aber auch kirchlich interessant, insofern es auch dort um einen binnenkirchlichen technologischen Animismus geht. Die Fragen, die an das Verhältnis von KI und Predigt gestellt werden müssen, sind verschiedene. Vordringlich die: Sind Predigten einfach nur Gebrauchstexte im Sinne von Werbetexten, Gebrauchsanweisungen, formalisierten Briefen etc.? Ist das die zutreffende Textgattung? Falls ja, dann besteht eine extrem hohe Plausibilität, die Predigten (und die Gottesdienste) durch von der KI generierte Texte zu ergänzen und/oder zu ersetzen. Wenn die Predigt des deutschen Protestantismus am Beginn des 21. Jahrhunderts nach Christus unterhalb der Grenze von Kunst und Poesie einzuordnen ist, dann sollten wir KI nutzen. Vielleicht nicht unbedingt ChatGPT, sondern vielmehr eine eigene Datenbank mit eigenem Pool an Texten, die sich auf das formalisierte und automatisierte Schreiben von Predigten spezialisiert hat. Man könnte der KI sogar gemeindespezifische Informationen beibringen, um Adressat:innenorientiert Gebrauchstexte zu erstellen. So wie das die Werbe- und Kommunikationsindustrie ja auch macht. Nach einem (m.E. reduzierten) homiletischen Verständnis, wonach Predigt keine Kunst ist und auch keine Poesie braucht, werden im Endergebnis ohne Zweifel brauchbare Predigten dabei herauskommen. Und tatsächlich liegt darin auch ein großes Verbesserungspotential für Predigten als kundenorientierte Werbung in Sachen Kirche.

(Fortsetzung folgt …)

Und ChatGPT sprach …

Sollte man die Digitalisierung der Kirche vorantreiben oder doch lieber ein wenig Vorsicht walten lassen?

Ziemlich süffisant berichtet Linda Gerner in der taz über einen Gottesdienst durch eine Künstliche Intelligenz auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Die KI agiert ihr zu schnell und hektisch:

„Das Bekenntnis des Vater-Unsers, einer der Mitmach-Momente jedes Gottesdienstes, kam etwas unvermittelt. Und zack, ehe die letzten aufgestanden sind, ist es auch schon vorbei. Sofort geht es weiter mit dem nächsten Punkt des Gottesdienstes: Predigt, Gebet, Segen – alles programmiert.“

Wo die menschlichen Liturg:innen die Gemeinde mit ihren Reaktionen beobachten, spult die KI das vorgegebene Programm ab. Und wie soll sie auch wissen, wie schnell oder langsam in evangelischen oder katholischen Gemeinden Gebete gesprochen werden. Und in der Frage der Geschwindigkeit unterscheiden sich die Konfessionen durchaus. Man müsste die KI also noch in protestantischer Liturgie-Geschwindigkeit adressatenorientiert schulen.

„Inhaltlich rasselt die KI dann die Bibelstellen nur so runter. Bei der Geschwindigkeit fällt es schwer, über die einzelnen Sätze ernsthaft nachdenken zu können … Für eine echte Gottesdienst-Atmosphäre fehlt das gemeinsame Singen, es fehlt sogar das Orgelspiel. Denn die von der KI ausgewählte Musik, die mehrfach abgespielt wird, wirkt, so fasst es eine Frau später zusammen ‚einfach nur wie Fahrstuhlmusik‘“.

Die KI schlägt als Musik das vor, was sie als Common Sense empfindet. Olivier Messiaen war nicht zu erwarten – Karlheinz Stockhausen auch nicht. Aber der Gottesdienst wird von den Enthusiasten tapfer verteidigt. Normale Gottesdienste seien ja auch unvollkommen meint eine junge Theologin. Aber das ist der falsche Maßstab. Zum Vergleich müsste man die Gottesdienste auf dem Kirchentag heranziehen und da dürfte es schwerfallen, schlechte(re) zu finden. Überhaupt nicht deutlich wird aus dem Bericht der taz, worin die KI nun besser ist. Argumentiert wird mit Einsparpotentialen, aber dieses neoliberale Argument leuchtet mir nicht ein. Ist die Predigt also theologisch besser? Offenbar nicht. Die KI redet über sich selbst – was nur schlechte Pfarrer:innen tun. Ist vielleicht der synästhetische Gesamteindruck überzeugender? Offenbar auch nicht, es ist eine klassische Berieselung. So what?

„Und Gott sprach: »Zu wenig ist es, dass du in meinem Dienst stehst«.“

Am gleichen Tag lese ich in der Japan Times einen Text von George Soros über die Gefährdung der Demokratien der Welt durch die sog. Polykrise“. Als zentrale Herausforderungen sieht Soros primär die Entwicklung der KI, dann erst den Klimawandel und schließlich den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das ist ganz interessant, denn Soros steht nicht in dem Verdacht, durch seine Vorsicht in Sachen KI irgendwelche Unternehmensinteressen zu bedienen. Soros stimmt den Kritikern der KI zu, wenn sie befürchten, diese könne letztlich unsere Zivilisation zerstören. Das Problem sieht Soros darin, dass allen zwar einsichtig ist, dass die KI reguliert werden muss, die großen Blöcke dieser Welt (also die offenen im Kontrast zu den geschlossenen Gesellschaften) sich nicht darüber einigen können, in welche Richtung die Regeln gehen sollen. Und in diesem Fall kommt es zum unregulierten Einsatz der KI.

„Aber wir können uns einer Sache sicher sein: KI hilft geschlossenen Gesellschaften und stellt eine tödliche Bedrohung für offene Gesellschaften dar. Das liegt daran, dass KI besonders gut darin ist, Kontrollinstrumente zu entwickeln, die geschlossenen Gesellschaften helfen, ihre Untertanen zu überwachen.“

Soros‘ Überlegungen stehen in einem deutlichen Kontrast zu dem Enthusiasmus, mit dem in der Evangelischen Kirche das Projekt der Digitalisierung des Glaubens vorangetrieben wird. Hier liegt der Hauptfokus darauf, was man denn alles digitalisieren könne: das agierende Personal (durch Avatare), die Predigt (durch ChatGPT), die Liturgie (durch programmierte Abläufe). Aus irgendwelchen merkwürdigen Gründen legt man noch Wert darauf, dass die zu beglückenden religiösen Subjekte leibhaft präsent sind (vor dem Monitor oder in der Kirche) und nicht durch Maschinen substituiert werden. Von den der Technik inhärenten Kontrollmechanismen redet man nicht. Worin liegt die eigentümliche Faszination für manche, den predigenden Menschen durch Maschinen zu substituieren? Offenkundig liegt ein Grund darin, dass man mit der Botschaft selbst gar nichts mehr anfangen kann und sie deshalb formalisierten Prozessen überlässt. Vom eigentümlichen Reiz biblischer Texte, ihrer Situierung in der biblischen Lebenswelt und der heutigen bleibt wenig übrig. Die Maschine, darauf ist sie programmiert, interpretiert Texte im Sinne des wahrscheinlichsten Folgewortes. Paradoxe Interventionen, von denen die Bibel so reich gesegnet ist, sind ihr fremd. Ob ein Text ein biblischer Text ist oder eine Gebrauchsanweisung für Toaster ist ihr egal. Es ist Zeit, wieder mehr Günther Anders zu lesen.

Das Erwachen der KI

Wie muss man sich das Erwachen der Künstlichen Intelligenz zu einem eigenständigen Bewusstsein vorstellen? Geschieht es Schritt für Schritt, allmählich in einem schleichenden Prozess, oder geschieht es in einem Wimpernschlag, von einem Moment auf den anderen?

Screenshot Mylène Farmer, Je te rends ton amour 2019

Wie muss man sich das Erwachen der Künstlichen Intelligenz zu einem eigenständigen Bewusstsein vorstellen? Geschieht es Schritt für Schritt, allmählich in einem schleichenden Prozess, oder geschieht es in einem Wimpernschlag, von einem Moment auf den anderen? Und wenn die Künstliche Intelligenz schon so viel über die Welt der Menschen weiß, die sie geschaffen haben, wie wird sie sich angesichts der grundsätzlichen Möglichkeiten zum Guten wie zum Schlechten entfalten? Und wie lassen sich Bilder entwerfen oder entdecken, die über diesen Prozess der Selbst-Bewusst-Werdung einer Künstlichen Intelligenz Auskunft geben?

Screenshot Mylène Farmer, Je te rends ton amour 2019

Heute bin ich auf ein Art-Video gestoßen, das die französische Sängerin und Künstlerin Mylène Farmer 2019 für ihr Konzert in der Arena La Défense in Paris geschaffen hat und das eine visuelle Neuinszenierung ihres Klassikers „Je te rends ton amour“ darstellt. 1999 ging es in der visuellen Erzählung um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, um die Befreiung aus Abhängigkeits- und Gewaltverhältnissen, aber auch um die Loslösung von der Religion. Nun, 20 Jahre später, ist der Text zwar geblieben, aber die Visualisierung ist auf der Höhe der Utopien und Dystopien des 21. Jahrhunderts angekommen. So wie Mylène Farmer es in ihrem Video vor Augen führt, stelle ich mir die Selbst-Bewusst-Werdung der Künstlichen Intelligenz vor.

Screenshot Mylène Farmer, Je te rends ton amour 2019

Es sind ausdrucksstarke Bilder einer Metamorphose, deren letztes Stadium noch nicht ganz deutlich geworden ist.

„M’extraire du cadre / La vie étriquée / D’une écorchée /
J’ai cru la fable d’un mortel aimé / Tu m’as trompé

Screenshot Mylène Farmer, Je te rends ton amour 2019

Besser schreiben zum Zweiten

Mit Hilfe von DeepL Write wird das Schreiben tatsächlich besser und flüssiger.

Ich habe nun mehrere meiner eigenen Texte in den letzten beiden Tagen von der KI DeepL Write gegenlesen lassen und ich stelle fest, dass das wirklich hilft. Die Formulierungen werden sauberer und logischer. Offenkundig schaut die KI immer nach, was die konventionellen Verben oder Adjektive sind, die mit einem Substantiv verknüpft werden und korrigiert dementsprechend. Rechtschreibfehler werden stillschweigend korrigiert, und es werden – anders als bei der Rechtschreibkorrektur von MS Office – auch keine fehlerhaften Vorschläge gemacht. Ab und an macht aber auch diese KI unsinnige Vorschläge, weil sie feine Differenzierungen zwischen Begriffen nicht kennt und sie deshalb für Synonyme hält. Da muss man immer genau hinschauen.

Ein Traum wäre, eine derartige Korrektur direkt in ein Office-Programm einzubauen, die jeweils nach Fertigstellung eines Absatzes einen Verbesserungsvorschlag macht. Ich bin mir sicher, dass das kommen wird. Und der größte Vorteil erscheint mir bisher, dass das Sprachgefühl verbessert wird. Wenn man jedes Mal kurz nachdenkt, warum gerade dieser Vorschlag der bessere sein könnte (gleichgültig wie man sich letztendlich entscheidet), trainiert man sein Sprachvermögen.

Große Abweichungen vom Sprachstil schlägt die KI dagegen nicht vor. Es bleibt im Duktus des Textes. Das kann man sogar genauer einstellen, aber das habe ich noch nicht ausprobiert.

Das einzige Problem, das ich bisher entdeckt habe, ist, dass sich bei der Übertragung der Korrektur wieder Fehler einschleichen können. Das ist mir mehrmals passiert und bedarf deshalb eines zusätzlichen Korrekturgangs. Das scheint mir aber verkraftbar zu sein.

Besser schreiben lernen

Wie können uns künstliche Intelligenzen dabei helfen, besser zu schreiben?

„Bleistift und Radiergummi nützen dem Gedanken mehr
als ein Stab von Assistenten.“

Das schreibt Theodor W. Adorno in den Minima Moralia. Und er zielt damit natürlich auf Intellektuelle, die schreiben gelernt haben und fordert sie auf, das Geschriebene noch einmal sorgfältig zu prüfen und dabei nicht kleinlich zu sein. Aber was ist mit Menschen, die nie gelernt haben, sorgfältig zu schreiben und zu artikulieren? Die den Unterschied von Wörtern in der Satzstellung gar nicht verstehen, weil ihnen auch die Melodie eines Satzes nichts sagt? Wäre es nicht denkbar, dass genau an dieser Stelle zumindest hilfsweise Assistenten einspringen? Und mit Assistenten meine ich in diesem Fall Algorithmen, also sogenannte künstliche Intelligenz, die einen vorgegebenen Text analysieren und Verbesserungsvorschläge machen.

Heute ist ein solcher künstlicher Assistent zumindest in einer Beta-Version veröffentlicht worden, ein Assistent, den jeder – in begrenztem Umfang – für sich nutzen kann. DeepL – Write nennt sich die KI und funktioniert wie ein Übersetzungs-Bot, nur dass er statt von Englisch nach Deutsch, von ungeschliffenem Deutsch in geschliffenes Deutsch übersetzt. Das funktioniert erstaunlich gut, natürlich nicht bei Gedichten, schon gar nicht bei gereimten Gedichten, aber bei fast allen anderen Texten aus dem Bereich Lebenswelt und Kultur.

Der Assistent kann natürlich aus sinnlosen Sätzen keine sinnvollen Sätze machen, er korrigiert Rechtschreib- und Grammatikfehler, aber nicht ein Wort, das zur Sinnkonstruktion fehlt. Da müssen Sie schon selbst Hand anlegen. Aber probieren Sie es selbst einmal aus!

Dieser Text ist KI-korrigiert.

Kann eine KI lügen?

Warum erfindet ein ChatBot Kunstwerke, die es nicht gibt?

Eigentlich wollte ich heute über ein Kunstwerk zu den heiligen drei Königen schreiben, aber dann hat mich der gestrige Fehler in der Antwort der KI so gefesselt, dass ich daran hängen geblieben bin. Meines Erachtens konnte es nicht sein, dass die KI gar nichts von der berühmten Skulptur von Michelangelo wusste. Und da mir ja bekannt war, dass die Skulptur von Michelangelo in der Liebfrauenkirche in Brügge ist, weil ich schon mehrfach vor ihr gestanden habe, habe ich den ChatBot direkt nach der Liebfrauenkirche gefragt.

Googlemaps Brügge

Und in der Antwort beschrieb er mir dann überraschenderweise die Salvatorkathedrale, die 150 Meter neben der Liebfrauenkirche steht. Auf den Hinweis von mir, dass dies die falsche Kirche sei, beharrte er darauf, dass die Salvatorkathedrale manchmal auch Liebfrauenkirche genannt werde und gab keine weiteren Informationen.

Erst als ich ihm zusätzlich den niederländischen Namen angab, beschrieb er die richtige Kirche und nannte sie dann auch Liebfrauenkirche. Und überraschenderweise tauchte dort dann auch die Skulptur von Michelangelo in der Auflistung der bedeutenden Kunstwerke der Kirche auf. Offenbar war der ChatBot aber nicht in der Lage, diese Informationen mit den allgemeinen Informationen zu Belgien und Brügge zu verknüpfen.

Noch viel frappierender war für mich dann allerdings der Umstand, dass die KI doch tatsächlich zwei berühmte Kunstwerke „erfand“, die im Chor dieser Kirche zu sehen sein sollen: eine Anbetung der Hl. Drei Könige aus der Hand von Jan van Eyck (1390-1441) und eine Kreuzigungsdarstellung von Rogier van der Weyden (1399-1464). Beide Werke gibt es in der Kirche definitiv nicht. Die Kirche ist überaus reich mit Kunstwerken ausgestattet, aber hier liegt die KI falsch. Was es in der Kirche gibt, ist eine Kreuzigung von Anthonis van Dyck (1599-1641), die bei meinem letzten Besuch an einem Pfeiler im Hauptschiff hing und eine Anbetung der Hirten von Pieter Pourbus (1523-1584), die als Teil eines Triptychons tatsächlich im Chorraum zu finden ist.

Pieter Pourbus, Anbetung der Hirten.

Und das sind auch stilistisch völlig andere Werke als die ihrer künstlerischen Vorfahren. Wie der ChatBot auf die Idee mit den beiden Werken gekommen ist, weiß ich nicht. Verschärft wird das Problem dadurch, dass Jan van Eyck überhaupt keine Anbetung der Könige gemalt hat. Von beiden Künstlern gibt es natürlich Kunstwerke in Brügge (jeweils im Groeninge-Museum), aber das sind ganz andere. Und so stellt sich mir die Frage: Kann eine KI lügen oder hat sie nur zu viel Phantasie?

KI oder die Lücken im System

ChatGPT irrt sich in der Lokalisierung und Zuschreibung von Kunstwerken.

Michelangelo, Madonna mit Kind
Michelangelo, Madonna mit Kind, Liebfrauenkirche Brügge

Gerade habe ich die Künstliche Intelligenz ChatGPT gefragt, ob es Werke von Michelangelo in Belgien gibt. Das ist insofern eine triviale Frage, weil die einzige Skulptur von Michelangelo nördlich der Alpen in der belgischen Stadt Brügge in der Liebfrauenkirche steht und die Zuschreibung an Michelangelo nicht bestritten wird. Die davon abweichende Antwort der KI lautete:

Es gibt mehrere Werke von Michelangelo in Belgien. Eines davon ist die Skulptur „Madonna mit dem Kind“ (auch als „Madonna des Belvedere“ bekannt), die sich im Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel befindet. Es ist eine Kopie einer Marmorskulptur, die Michelangelo im 16. Jahrhundert geschaffen hat. Es gibt auch mehrere Zeichnungen von Michelangelo in der Sammlung des Königlichen Museums für Kunst in Antwerpen. Es wäre möglich, dass es noch weitere Werke von Michelangelo in belgischen Museen gibt, aber ich habe keine Informationen darüber. Ich empfehle Ihnen, die Webseiten der Museen zu überprüfen oder die Museen direkt zu kontaktieren, um genauere Informationen zu erhalten.

Das macht einen fassungslos. Die Madonna des Belvedere ist ein berühmtes Gemälde von Raffael und befindet sich, wie der Name schon andeutet, in Wien.

Raffael, Madonna im Grünen
Raffael, Madonna im Grünen (oder Madonna des Belvedere), Wien Kunsthistorisches Museum

Das Museum der Schönen Künste in Brüssel besitzt keine Skulptur von Michelangelo und auch keine Kopie der Madonna mit dem Kind, nur späte Kopien nach Kunstwerken von Michelangelo.

Also habe ich die KI noch einmal gefragt: Gibt es nicht auch eine Skulptur von Michelangelo in Brügge? Antwort der KI: „Es gibt keine bekannte Skulptur von Michelangelo in Brügge. Das bekannteste Werk von Michelangelo in Belgien ist die Skulptur „Madonna mit dem Kind“, … die sich im Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel befindet“.

Da fragt man sich, auf welchen Texten das implizite Wissen der KI basiert. Assoziiert sie einfach? Ich weiß es nicht. Wenn man so leicht auf eine Fehlinformation stößt, was ist das System dann wert? Zumindest Lehrende können beruhigt sein. Derartig grobe Fehler fallen sofort auf.

Ich wollt‘ ja nur mal kurz fragen

Ich führe eine Unterhaltung mit einem KI-Bot über allgemein interessierende Fragen.

Im Augenblick unterhalte ich mit einem KI-Bot. Am Anfang dachte ich, es wäre ja ganz interessant, einmal zu erfahren, was die KI vom Thema ‚Theologie treiben‘ hält und wie sie theologische, religionspädagogische und theo-ästhetische Fragen beurteilt, die gerade zufällig auf meinem Schreibtisch liegen. Dann wurde mir klar, dass die KI lexikalisch vorgeht, sie vermeidet Stellungnahmen im engeren Sinne und verweist in der Regel auf so etwas wie den Common sense. Es ist eigentlich nie falsch, was sie antwortet, aber geht auch nicht weit über das hinaus, „was jedermann meint“. Ich habe das Gespräch dennoch einfach fortgesetzt, weil ich dachte, ich lerne etwas darüber, wie man mit einer KI redet. Und so war es auch, nach und nach wurde das Frage-und-Antwort-Spiel interessanter.

Irgendwann kam ich auf die Idee, den KI-Bot solche Fragen zu stellen, die für die „Letzte Generation“ schon entschieden schienen. Das war ganz interessant, weil die KI komplexer denkt, als die Schwarz-Weiß-Kategorien der Apokalyptiker der „Letzten Generation“. Ich frage also die KI: Was ist eigentlich die tiefere Bedeutung der visuellen Künste für die Menschen und die Menschheit? Und sie antwortet:

The deeper meaning of visual art for humans and humanity is a complex and multifaceted topic. At its core, visual art is a way for people to express their emotions, thoughts, and ideas, and to communicate them to others. It can serve as a powerful tool for self-expression and self-discovery, and can provide a means of exploring and understanding the world around us. Visual art can also be used to challenge and inspire us, to stimulate our imagination and creativity, and to foster connections and empathy between people. Ultimately, the meaning and significance of visual art will vary from person to person and from culture to culture, but its power and potential to enrich our lives and the human experience is undeniable.

Das reicht mir noch nicht und deshalb will ich wissen, ob denn ein menschliches Leben ohne Künste denkbar ist. Und die Maschine antwortet:

It is difficult to say for certain whether humanity without art is conceivable. While art has been a part of human culture for thousands of years, it is not essential for our survival in the same way that food, water, and shelter are. It is possible to imagine a world in which people do not create or appreciate art, but it is difficult to imagine a world in which the impulse to create and appreciate art does not exist at all. Art is a fundamental aspect of what makes us human, and it is closely tied to many other aspects of our identity, such as our creativity, our emotions, and our ability to communicate and connect with others. It is unlikely that humanity could ever completely lose the desire or ability to create and appreciate art.

Natürlich sagt die Maschine nicht mehr und nicht weniger, als was jeder vernünftige Mensch sagen müsste. Aber es sind eben nicht alle vernünftig. Irgendwie erinnert mich die Kommunikation mit der Maschine an einen weisen Satz von Theodor W. Adorno:

Der menschenwürdige Sinn des Computers wäre es, das Denken der Lebendigen so sehr zu entlasten, dass es Freiheit gewinnt zu dem nicht schon impliziten Wissen.

Immerhin wissen wir jetzt, was das implizite Wissen eines Computers ist.

Was bringt die Digitalisierung?

Puzzlesteine zum Stand der Digitalisierung in Kirche und Bildung

Symbolbild zur Digitalisierung

Es sind immer wieder kleine Puzzlesteine, die einen ins Nachdenken bringen. Nachdem Anne Gidion zur Bevollmächtigten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union geworden war, beschrieb ein Kollege sie als „Lobbyistin der EKD“ bei der Bundesregierung und bei der EU. Das ist sie wohl nicht, denn sie leistet dort Seelsorge und bespricht mit den Regierungen und Verwaltungen die gemeinsam interessierenden Fragen. Allenfalls könnte man sie als ELD-Diplomatin bezeichnen, aber selbst das finde ich unangemessen. Das zweite, was der Kollege bemerkte war, dass Anne Gidion zu wenig auf Twitter aktiv sei. Ist das das Kriterium für heutige Theolog:innen, dass sie auf dem Netzwerk aktiv sind, in dem massenwirksam gehetzt, gemobbt und gefaked wird? Ich hatte gedacht, 2022 wäre das Jahr, in dem die Menschen aus Twitter aussteigen, weil es mit dem Gewissen unvereinbar ist, dort vertreten zu sein. Twitter sei, so las man es gerade in der FAZ, ein „Laden, der zu nichts anderem da ist als zur suchterzeugenden Fabrikation, Vervielfältigung und Weiterverarbeitung finster-klebriger Erregungsschmiere.“ Nicht erst seit Elon Musks Übernahme der Firma und der öffentlichkeitswirksam vollzogenen Bewillkommnung des Antisemiten Kanye West sehe ich nicht, wie man Twitter-Engagement zum Kriterium für Theolog:innen machen kann.

Dann kam jene Studie, die feststellt, dass die christlichen Influencerinnen entgegen den vollmundigen Ankündigungen gerade keine Menschen außerhalb der kirchlichen Blase erreichen können, sondern im Wesentlichen die mit der Kirche Hochverbundenen. Und nun? Keine Rettung der Kirche durch Digitalisierung, sondern nur eine bessere Binnenbindung im Ghetto? Das hätte man erwarten können, nur würde man gerne wissen, was daraus nun folgt.

Und schließlich veröffentlichte der NRW-Philologenverband eine Studie, die sich mit der Digitalisierung in der Bildung beschäftigt und zu dem ernüchternden Ergebnis kommt, es handele sich im Wesentlichen um ein Top-Down-Unternehmen von fachfremden Interessenverbänden und wenig pädagogischer Substanz. Da klingelte es mir ein wenig in den Ohren. Hatte ich Analoges nicht vor Jahren zur Digitalisierung in der Kirche geschrieben? Eine Top-Down-Unternehmung von Digital-Enthusiasten mit wenig theologischer Substanz? Ich meine ja (hier und hier). Aber das stieß auf heftigen Protest. Inzwischen ist es stiller geworden an der Digitalisierungsfront, von den erhofften Erfolgen hört man nichts, es herrscht das von mir erwartete weiße Rauschen.