Und ChatGPT sprach …

Sollte man die Digitalisierung der Kirche vorantreiben oder doch lieber ein wenig Vorsicht walten lassen?

Ziemlich süffisant berichtet Linda Gerner in der taz über einen Gottesdienst durch eine Künstliche Intelligenz auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Die KI agiert ihr zu schnell und hektisch:

„Das Bekenntnis des Vater-Unsers, einer der Mitmach-Momente jedes Gottesdienstes, kam etwas unvermittelt. Und zack, ehe die letzten aufgestanden sind, ist es auch schon vorbei. Sofort geht es weiter mit dem nächsten Punkt des Gottesdienstes: Predigt, Gebet, Segen – alles programmiert.“

Wo die menschlichen Liturg:innen die Gemeinde mit ihren Reaktionen beobachten, spult die KI das vorgegebene Programm ab. Und wie soll sie auch wissen, wie schnell oder langsam in evangelischen oder katholischen Gemeinden Gebete gesprochen werden. Und in der Frage der Geschwindigkeit unterscheiden sich die Konfessionen durchaus. Man müsste die KI also noch in protestantischer Liturgie-Geschwindigkeit adressatenorientiert schulen.

„Inhaltlich rasselt die KI dann die Bibelstellen nur so runter. Bei der Geschwindigkeit fällt es schwer, über die einzelnen Sätze ernsthaft nachdenken zu können … Für eine echte Gottesdienst-Atmosphäre fehlt das gemeinsame Singen, es fehlt sogar das Orgelspiel. Denn die von der KI ausgewählte Musik, die mehrfach abgespielt wird, wirkt, so fasst es eine Frau später zusammen ‚einfach nur wie Fahrstuhlmusik‘“.

Die KI schlägt als Musik das vor, was sie als Common Sense empfindet. Olivier Messiaen war nicht zu erwarten – Karlheinz Stockhausen auch nicht. Aber der Gottesdienst wird von den Enthusiasten tapfer verteidigt. Normale Gottesdienste seien ja auch unvollkommen meint eine junge Theologin. Aber das ist der falsche Maßstab. Zum Vergleich müsste man die Gottesdienste auf dem Kirchentag heranziehen und da dürfte es schwerfallen, schlechte(re) zu finden. Überhaupt nicht deutlich wird aus dem Bericht der taz, worin die KI nun besser ist. Argumentiert wird mit Einsparpotentialen, aber dieses neoliberale Argument leuchtet mir nicht ein. Ist die Predigt also theologisch besser? Offenbar nicht. Die KI redet über sich selbst – was nur schlechte Pfarrer:innen tun. Ist vielleicht der synästhetische Gesamteindruck überzeugender? Offenbar auch nicht, es ist eine klassische Berieselung. So what?

„Und Gott sprach: »Zu wenig ist es, dass du in meinem Dienst stehst«.“

Am gleichen Tag lese ich in der Japan Times einen Text von George Soros über die Gefährdung der Demokratien der Welt durch die sog. Polykrise“. Als zentrale Herausforderungen sieht Soros primär die Entwicklung der KI, dann erst den Klimawandel und schließlich den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das ist ganz interessant, denn Soros steht nicht in dem Verdacht, durch seine Vorsicht in Sachen KI irgendwelche Unternehmensinteressen zu bedienen. Soros stimmt den Kritikern der KI zu, wenn sie befürchten, diese könne letztlich unsere Zivilisation zerstören. Das Problem sieht Soros darin, dass allen zwar einsichtig ist, dass die KI reguliert werden muss, die großen Blöcke dieser Welt (also die offenen im Kontrast zu den geschlossenen Gesellschaften) sich nicht darüber einigen können, in welche Richtung die Regeln gehen sollen. Und in diesem Fall kommt es zum unregulierten Einsatz der KI.

„Aber wir können uns einer Sache sicher sein: KI hilft geschlossenen Gesellschaften und stellt eine tödliche Bedrohung für offene Gesellschaften dar. Das liegt daran, dass KI besonders gut darin ist, Kontrollinstrumente zu entwickeln, die geschlossenen Gesellschaften helfen, ihre Untertanen zu überwachen.“

Soros‘ Überlegungen stehen in einem deutlichen Kontrast zu dem Enthusiasmus, mit dem in der Evangelischen Kirche das Projekt der Digitalisierung des Glaubens vorangetrieben wird. Hier liegt der Hauptfokus darauf, was man denn alles digitalisieren könne: das agierende Personal (durch Avatare), die Predigt (durch ChatGPT), die Liturgie (durch programmierte Abläufe). Aus irgendwelchen merkwürdigen Gründen legt man noch Wert darauf, dass die zu beglückenden religiösen Subjekte leibhaft präsent sind (vor dem Monitor oder in der Kirche) und nicht durch Maschinen substituiert werden. Von den der Technik inhärenten Kontrollmechanismen redet man nicht. Worin liegt die eigentümliche Faszination für manche, den predigenden Menschen durch Maschinen zu substituieren? Offenkundig liegt ein Grund darin, dass man mit der Botschaft selbst gar nichts mehr anfangen kann und sie deshalb formalisierten Prozessen überlässt. Vom eigentümlichen Reiz biblischer Texte, ihrer Situierung in der biblischen Lebenswelt und der heutigen bleibt wenig übrig. Die Maschine, darauf ist sie programmiert, interpretiert Texte im Sinne des wahrscheinlichsten Folgewortes. Paradoxe Interventionen, von denen die Bibel so reich gesegnet ist, sind ihr fremd. Ob ein Text ein biblischer Text ist oder eine Gebrauchsanweisung für Toaster ist ihr egal. Es ist Zeit, wieder mehr Günther Anders zu lesen.