Streit um die Predigtkultur

Notizen zur Kritik an der Kritik an der Kirchentagspredigt und einige Zitate zur Aufgabe der Predigt.

Im Augenblick wird meine Kritik an der Predigt des Schlussgottesdienstes beim Kirchentag in Nürnberg auf Facebook kritisch gewürdigt. Das ist das Schöne in einer meinungs-differenten Welt, dass nicht immer nur ein Prediger recht hat oder sein Kritiker, sondern dass es ganz unterschiedliche Perspektiven auf kontroverse Sachverhalte gibt. Insofern ist jede Diskussion nur zu begrüßen.

Gut, bestimmte Standards sollten bei diesen Diskussionen eingehalten werden, man sollte vor allem nicht ad hominem argumentieren und man sollte dem anderen nicht Dinge unterstellen, die für ihn nicht zutreffen.

Nein, ich bin kein ordinierter Pfarrer, der einen Kollegen kritisiert, ich bin ein ganz normales Gemeindeglied (mit theologischer Ausbildung), der seine Perspektive auf eine öffentliche und medial bundesweit verbreitete Predigt artikuliert.

Nein, ich hasse den Kirchentag nicht, ganz im Gegenteil, wer meine Texte im Magazin für Theologie und Ästhetik in den letzten 25 Jahren verfolgt, weiß, dass ich mich immer wieder auf die großen Projekte und Leistungen des Kirchentages, wie etwa die Begleitung der Bibel in gerechter Sprache, die Förderung des christlich-jüdischen Gespräches beziehe, ja dass ich selbst diverse Projekte und Texte zum Kirchentag beigesteuert habe. Ich muss da also nichts abarbeiten, wie mir einige Stammtischpsychologen unterstellen.

Nein, ich vergleiche den Kirchentag auch nicht mit einem totalitären System, ich verweise nur darauf, dass ein befreundeter Autor, 1935 geboren, die Massenorientierung des Kirchentages mit seinen Kindheitserfahrungen verglich. Ich kritisiere den Kirchentag, weil er die Solidarität, die wir als evangelische Christ:innen den Künstler:innen nach 1945 schulden (vgl. dazu Hans Prolingheuer: Hitlers fromme Bilderstürmer. Kirche & Kunst unterm Hakenkreuz. Berlin 2001), an entscheidender Stelle gebrochen hat, weil man den Herrschenden und Kirchenfürsten eines anderen Staates mit der Ausladung Herta Müllers gefällig sein wollte.

Nein, ich bin auch nicht genderkritisch, sondern genderkritik-kritisch (z.B. hier, hier, hier). Aber dazu müsste man sich informieren und im Magazin tà katoptrizómena lesen. Aber diese Zeit haben wir heute nicht mehr, wo einigen schon eine 20-Seiten-Lektüre als Zumutung vorkommt.

Dass der Titel dieses Magazins tà katoptrizómena lautet, ist kein Beitrag zur Spaßgesellschaft, es ist keinesfalls lustig gemeint, sondern greift Formulierungen des Apostels Paulus im 1. und 2. Korintherbrief auf, die über unser grundsätzliches Verhältnis zur Welt Auskunft geben.

ἡμεῖς δὲ πάντες ἀνακεκαλυμμένῳ προσώπῳ τὴν δόξαν κυρίου κατοπτριζόμενοι τὴν αὐτὴν εἰκόνα μεταμορφούμεθα ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν καθάπερ ἀπὸ κυρίου πνεύματος.

Ob diese Formulierung popkulturell tauglich ist, könnte man etwa anhand von Justin Timberlakes Video zu „Mirrors“ (2013) nachprüfen.

Grundsätzlich aber sollten wir uns in der Kirche der Gegenwart darüber verständigen, was Kritik  bedeutet und was der Kirche Kritik wert ist. Wer sich kritisch zur Kirche verhält, so musste ich erfahren, gilt wie Jorge von Burgos als übellaunig. Ich würde frei nach Adorno dagegenhalten:

„Der Splitter in meinem Auge ist vielleicht das beste Vergrößerungsglas“.

In meinem Text zur Kirchentagspredigt gab es zwei marginale Fehler, die ich inzwischen korrigiert habe. So habe ich geschrieben, die Lutherbibel habe das Wort „töten“ durch „sterben“ ersetzt. Das ist unzutreffend, es war der Kirchentagsgottesdienst selbst, der an dieser Stelle vom Luthertext abgewichen ist und von „sterben“ sprach. Im Gottesdienst ist das auch auffällig, weil zweimal kurz hintereinander von „sterben“ die Rede ist. Dort hieß es „Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; sterben hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit“. Das ist für die durchdachte Poetik des Kohelet ungewöhnlich. Ansonsten gab es einen sinnentstellenden Rechtschreibfehler, ein P fehlte in meinem Text.

Um ein wenig zur sachlichen Diskussion beizusteuern, möchte ich etwas nachtragen, was meine Gedanken zur Predigt auf dem Kirchentag inhaltlich bestimmt hat, im Text aber nicht explizit ausgeführt wurde – wohl aber der Sache nach. Es sind Zitate aus einem Vortrag über die ‚Gemeindemäßigkeit der Predigt‘, gehalten in der schon bedrängten Zeit des Jahrs 1935:

Der Prediger kann unmöglich seinen Mund legitim auch nur auftun als christlicher Prediger, ohne zum vornherein den Bogen des Bundes geschlagen zu sehen über die, mit denen er es zu tun hat, ohne bei jedem Wort, das er sagt, zu bedenken, dass Christus für diese Menschen gestorben und auferstanden ist, dass Gott sich dieser Menschen schon erbarmt hat und dass er darum, weil er sich ihrer erbarmt hat, sich ihrer auch annehmen wird in Zeit und Ewigkeit. Das ist sozusagen die objektive, die „sakramentale“, die „metaphysische“ Voraussetzung der Predigt, ohne welche sie nicht bestehen kann.

Die Gottesdienstgemeinde ist als Gemeinde keine Menschengruppe, die ideologisch oder politisch zu belehren ist oder über die der Prediger Gericht zu halten hat. Die Gottesdienstgemeinde ist eine über die sich Gott schon erbarmt hat. Das sollte man immer bedenken. Natürlich ist diese Gottesdienstgemeinde auch eine fehlerhafte und sündige Gemeinde, aber was heißt das für den ebenfalls fehlerhaften und sündigen Prediger? Gibt ihm das eine besondere Stellung, das Recht, die Gemeinde mit seinen Wahrheiten zu belehren?

Was kann unter diesem Gesichtspunkt Dienst am Wort Gottes bedeuten, dass da eine Gemeinde ist, Ausgesonderte, aber eine Gemeinde von Menschen, Sündern, Sterbenden? Dienst am Wort Gottes: darin liegt eine Abgrenzung gegenüber allen anderen an sich auch möglichen und weithin auch guten und verheißungsvollen Versuchen menschlicher Rede. Wenn die Predigt Dienst am Wort Gottes ist, dann kann der Versuch, der da gemacht wird, der Dienst, der da in Angriff genommen wird, Menschen das Evangelium zu sagen, unter keinen Umständen darin bestehen wollen, wie es sonst wohl auf der ganzen Linie der Fall ist, wo Menschen miteinander reden, dass der Prediger seinen Hörern ein kleineres oder größeres Wahrheitssystem vermittelt. Wenn wir Menschen sonst miteinander reden, dann geht es uns wohl immer darum, uns gegenseitig ein Bild zu vermitteln von einer Wahrheit, die uns vorschwebt, ein Bild von kleinen Erfahrungen und Erkenntnissen, für die man die anderen gewinnen möchte. Dieses Vorgehen kann nicht das Vorgehen des christlichen Predigers sein. Wo der Prediger meint, über ein Wahrheitssystem zu verfügen, da sündigt er gegen das Gebot der Gemeindemäßigkeit. Denn dazu ist er nicht unter diese Menschen gestellt, um das zu tun, was nun eben ein Philosoph, ein Politiker, ein Pädagoge zu tun pflegt. Dienst am Wort Gottes muss nach der Heiligen Schrift heißen: Bezeugung des in seinem Wort und in seinem Handeln offenbaren Gottes selber. … Die Predigt hat die Aufgabe, die Texte des Alten und des Neuen Testamentes heute in der heutigen Sprache heutigen Menschen zu vermitteln.

Exakt das, was Karl Barth hier 1935 in seinem Vortrag zur Gemeindemäßigkeit der Predigt gesagt hat, habe ich bei der Kirchentagspredigt in Nürnberg verletzt gesehen – und zwar elementar. Hier wurde nicht das Wort Gottes bezeugt, wie es sich in der Heiligen Schrift (hebräische Bibel und neutestamentliche Deutung) zeigt, sondern ein Wahrheitssystem der sich angeblich im Stand der Lüge befindlichen Gemeinde übergestülpt.

Und das dritte, was ich nicht eingelöst sah, war die Liebe zu jener Gemeinde, die vor dem Prediger und vor den Bildschirmen saß. Von ihnen hatte sich der Prediger ein Bild gemacht, gegen das er nun predigte. Dagegen sei mit Max Frisch gesprochen:

„Du bist nicht“, sagt der Enttäuschte oder die Enttäuschte: „wofür ich Dich gehalten habe.“ Und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat.

Und Liebe heißt eben nicht, die anderen erziehen zu wollen, sondern sie anzunehmen wie sie sind. Abschließend deshalb noch einmal Karl Barth:

Die Voraussetzung der Predigt muss ganz schlicht die Liebe des Predigers zu der Gemeinde sein. Liebe, das heißt ganz schlicht: Nicht ohne diesen anderen, den man liebt, sein wollen, nicht allein sein wollen, sondern mit ihm sein wollen, wie er nun einmal ist, in seiner Totalität, in seiner Wirklichkeit. Die Wirklichkeit der Gemeinde, das ist die Wirklichkeit der Kinder Gottes im finsteren Tal. Wenn ich diesen Menschen das Wort Gottes sagen will, so muss ich diese Menschen lieb haben, mit ihnen sein wollen, wie sie sind.

Das elfte Gebot: Du sollst keine Ausstellung abbrechen

Aus Anlass der Schließung der Nürnberger Ausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim einige Überlegungen zur Arbeit mit Kunst in der Kirche.

Ende Juli vermeldet die Presse die Schließung einer Kunstausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim in der evangelischen Nürnberger Kulturkirche St. Egidien. Nun waren Irritationen im Blick auf Künstler und Ausstellung vorab zu erwarten und ich bin mir sicher, dass die Kurator:innen der Nürnberger Kulturkirche das auch sorgfältig bedacht haben. Sie sind letztlich das Risiko eingegangen und irgendetwas (vermutlich handfeste Proteste) muss sie dann dazu gebracht haben, dennoch die Ausstellung wieder zu schließen. Das halte ich nun wiederum für einen Skandal. Nicht wegen der Schließung einer Ausstellung mit Werken von Rosa von Praunheim, sondern grundsätzlich wegen der Schließung einer Ausstellung in einer evangelischen Kirche. Das berührt und verletzt das protestantische Selbstverständnis, aber auch die erarbeiteten Standards der Begegnung von evangelischer Kirche und zeitgenössischer Kunst zutiefst. Wir sind eine Kirche der Freiheit und das ist nicht nur so dahingeredet. Man klärt alle kontroversen Dinge, das ist Teil der kuratorischen Arbeit, im Vorfeld einer Ausstellung. Mit der Eröffnung hat man sich aber zu diesem Gast, seinem / ihrem Beitrag zur Kulturarbeit der evangelischen Kirche bekannt und lädt diesen Gast nicht wieder aus. Punktum. Das hat etwas mit cortesia, mit zuvorkommender Gastfreundschaft zu tun, die aus ganz archaischen Gründen nicht verletzt werden darf.

Mit den Worten von George Steiner: „Wo Freiheiten einander begegnen, wo die integrale Freiheit der Schenkung oder Verweigerung des Kunstwerkes auf unsere eigene Freiheit der Rezeption oder der Verweigerung trifft, ist cortesia, ist das, was ich Herzenstakt genannt habe, von Essenz … Von Angesicht zu Angesicht im Gegenüber zur Gegenwart gebotener Bedeutung, die wir einen Text nennen (oder ein Gemälde oder eine Symphonie), streben wir danach, seine Sprache zu hören. Wie wir auch die des auserwählten Fremden hören wollen, der zu uns kommt“.

Ab und an berate ich Kirchengemeinden oder halte Vorträge in Pastoralkollegs, was man berücksichtigen muss, wenn man in der Kirche zeitgenössische Kunst ausstellt. Das sind einfache Grundsätze, die man m.E. beherzigen sollte. Ich fasse sie hier einmal knapp zusammen, um dabei auch die Problemzonen und die Regeln zu beleuchten, um die es bei der Kulturarbeit der evangelischen Kirche geht.

Der erste Punkt steht unter der Überschrift: Man muss es auch wollen. Und das heißt: Klären Sie vorab und fragen Sie sich: Wollen wir wirklich Kunst ausstellen? Was erhoffen wir uns davon? (Mehr Besucher, interessante Impulse, Gespräche in der Gemeinde, neue Perspektiven …). Andernfalls planen Sie lieber einen Ausflug in eine Ausstellung! Oder einen Besuch im Museum! Oftmals ist es ja so, dass man Kunst nur ausstellen will, weil man sonst mit (s)einer Kirche nichts mehr anfangen kann. Das ist eine schlechte Voraussetzung für den Dialog von Kunst und Kirche. Wenn man sich vorher fragt, will man das überhaupt, dann bereitet man sich eben auch schon auf all die Herausforderungen vor, die ein solcher Dialog notwendig mit sich bringt.

Der nächste Punkt ist: Eine Ausstellung braucht Ideen. Und die Fragen lauten: Welches Modell wollen Sie kultivieren? Geht es Ihnen um: Religion in der Kunst? Geht es Ihnen um: Zeitgenössische Kunst? Geht es Ihnen um: Regionale Kunst? Geht es Ihnen um: Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen? Haben Sie ein Thema, ein Motiv, eine Konstellation, die Sie uisammen mit Künstler:innen bearbeiten wollen? Das ist insofern entscheidend, als dass dieses Modell darüber Auskunft gibt, worüber anlässlich der Ausstellung diskutiert werden soll und inwiefern die Kunst als Kunst dafür unentbehrlich ist. Man kann natürlich einfach prominente Namen ausstellen, aber dann ist man Teil der Kulturindustrie und nicht an einer Begegnung von zeitgenössischer Kunst und heutiger Religion interessiert. Wenn man ein Thema wählt, wäre das eben auch theologisch und theo-ästhetisch zu bearbeiten. Was unterscheidet die Ausstellung dieser Arbeiten von einer Ausstellung derselben Arbeiten in einer Galerie? Darüber muss man Auskunft geben können.

Der nächste, in der Gegenwart oftmals entscheidende Punkt, lautet: Nicht gegen die Gemeinde! Bereiten Sie die Gemeinde vor! Das Modell der fortschrittlichen Kunst und der rückschrittlichen Gemeinde ist überholt, es stammt aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Gemeinde muss informiert werden. Sie sollte aber nicht über Kunst abstimmen, das zeigt ein völlig falsches Verständnis von Kunst; sie sollte aber wissen, was auf sie zukommt. Nach evangelischem Verständnis wird die Gemeinde vom Presbyterium repräsentiert. Es wird Ängste geben – haben Sie keine Angst davor! Viele Befürchtungen entstehen aus der Unkenntnis zeitgenössischer Kunst – hier kann man Informationen liefern. Dann gibt es Ängste, was den Raum betrifft. Da hilft es, über das evangelische Raumverständnis nachzudenken und zu arbeiten. Dieser Punkt macht zwei grundlegende Dinge deutlich: Zum einen muss die Gemeinde und das heißt nach evangelischem Verständnis: das Presbyterium vorab informiert werden. Presbyter.innen sind Bedenkenträger.innen und das muss man ernst nehmen. Viel wichtiger ist m.E. aber der zweite Punkt: man muss in der Gemeinde am Raumverständnis arbeiten. Was ist ein religiöser Raum nach protestantischem (nicht nach bürgerlichem) Verständnis? Hier kursieren immer noch Vorstellungen von Sakralität, die Martin Luther bereits im 16. Jahrhundert aufgegeben hat, die reformierte Tradition natürlich ebenso. Es gibt im Protestantismus schlicht keine heiligen Räume. Kirchen sind auch keine Ruheräume (das ist eine bürgerliche Idee, als die Kirche nichts mehr inhaltlich zu sagen hatte). Es sind religiöse und kommunikative Räume, insofern sie dem Gottesdienst und dem Gemeindeleben dienen, aber Gott wohnt nicht zwischen diesen Mauern. Gott ist den Menschen in einer Galerie ebenso nah wie in einem Kirchengebäude. Aber religiöse Räume sind Heterotope, in denen wir über die Welt nachdenken. Und das können wir anhand von und gemeinsam mit Kunst.

Das führt uns zum nächsten Punkt: Wir sollen der Galerie keine Konkurrenz machen. Und das meint: Kirchenräume sind keine Ausstellungsräume, sondern religiöse Räume, die für Gäste offen sind. Das hat Konsequenzen für die spätere Inszenierung. Wenn Sie nur die freien Wände, die Sie haben, mit Bildern füllen wollen, handeln Sie wie eine Galerie. Dann sollten Sie gleich der Galerie Ihre Räume als Ausstellungsraum zur Verfügung stellen. Wenn Sie mit religiösen Atmosphären Ihres Raumes arbeiten, überlegen Sie, wie historisch Kunst in der Kirche Platz fand. Das ist lehrreich auch für die Gegenwart. In diesem Punkt geht es darum, zeitgenössische Kunst als solche, aber auch sich selbst als religiöse Institution ernst zu nehmen. Kirchen sind keine Galerien, sondern Heterotope, in denen über die Welt nachgedacht wird. Und das kann man auch mit Hilfe von Kunst machen.

Der nächste Punkt fordert noch einmal auf: Stellen Sie sich (vorab) Fragen! Welches Problem möchte ich / möchten wir in der Zusammenarbeit mit Künstler:innen bearbeiten? Worüber möchte ich / möchten wir neue Einsichten? Was ist das bisher Ungesehene / Unerhörte in meiner / unserer Gemeinde oder unserer Gesellschaft? Was mache ich ganz selbstverständlich im religiösen Raum, ohne darüber nachzudenken? Wo gibt es blinde Stellen? Inwiefern können mir Künstler:innen dabei helfen, diese wieder ins Bewusstsein zu heben? Diese Fragen zielen darauf, dass es um ein gemeinsames Unternehmen geht, nicht um einseitige Präsentationen.

Der nächste wichtige Punkt behandelt die unterschiedlichen Interessen von Aussteller:innen und Künstler:innen. Eine Ausstellung in einer Kirche ist kein Künstler:innen-Monolog. Wenn Sie nicht eine Ausstellung aus einem bereits bestehenden Bilderfundus zusammenstellen, besprechen Sie sich mit dem Künstler bzw. der Künstlerin. Beachten Sie aber: Künstler:innen haben andere Interessen als Sie. Es geht aber um einen Dialog, nicht um einen künstlerischen Monolog. Sie haben ein Erkenntnisinteresse im Blick auf das Besondere Ihres Raumes – das ist es, was Sie einbringen. Künstler:innen sind an Galerie-Inszenierungen gewöhnt, nicht mehr an Kircheninszenierungen. Hier müssen beide lernen. Der Raum ist als Heterotop nicht gleich-gültig, das ist die bleibende Erkenntnis aus Michel Foucaults Heterotopie-Konzept. Und das muss im Dialog mit den ausgestellten Künstler:innen auch deutlich bleiben, sonst kommt es nur zu Missverständnissen. Ich treffe oft auf Kolleg:innen, die nur stolz darauf  sind, diesen oder jenen berühmten unter den Künstler:innen ausgestellt zu haben. Darum geht es aber nicht. Kirchen sind keine Galerien, sondern kommunikative religiöse Räume.

Der nächste Punkt ist dem entsprechend: Was ist das Narrativ? Und das meint nicht das Narrativ der Kunst, sondern das Narrativ des konkreten Dialogs von Kunst und Religion. Jede gute Ausstellung in der Kirche hat ein Narrativ, eine Geschichte oder Erzählung. Was wollen Sie mit Ihrer Inszenierung den Besucher.innen erzählen? Versuchen Sie, einen Skopos (Leitsatz, Lehrsatz) Ihrer Ausstellung zu formulieren. Es geht um eine Art, regulative Idee der Ausstellung – die durchaus dann vom Resultat abweichen kann, aber doch das Ziel vorgibt.

Nun aber zum aktuell wichtigsten Punkt: Was tun bei Ärger? Kunst fordert uns heraus. Was immer Sie ausstellen, nicht alle werden einverstanden sein. Das ist gut so. Ziehen Sie niemals(!) ein Bild zurück. Erklären Sie, warum Sie es eingesetzt haben. Legen Sie Ihre Perspektive dar. Verteidigen Sie das Bild und den Künstler bzw. die Künstlerin. Viele Proteste gehen auf eine Verwechslung von Form und Inhalt zurück oder basieren auf einer veralteten Vorstellung von Kunst als Illustration. Sprechen Sie darüber mit den Protestierenden. Machen Sie eine Veranstaltung daraus. Die Schließung einer Ausstellung, aber auch schon das Zurückziehen nur eines Bildes ist ein kuratorischer Offenbarungseid. Denn das besagt nichts anderes, als dass man im Vorfeld als Kurator:in nicht genügend nachgedacht hat. Wenn also im Vorfeld erkennbar wird, dass ein Künstler oder eine Künstlerin in den auszustellenden Werken Probleme mit der katholischen Kirche aufarbeitet, ist eine evangelische Kirche vielleicht der falsche Inszenierungsort. Die Künstler:innen missbrauchen dann die evangelische Kirche und wollen gar keinen Dialog. Sie nehmen die evangelische Kirche in ihrer Besonderheit nicht ernst. Das kommt relativ oft vor und lebt von einem Kunstverständnis des 19. und 20. Jahrhunderts, das Kunst an Provokation knüpfte. Darüber sind wir heute längst hinaus. Man muss schon sehr eurozentristisch denken, um an diesem Modell festzuhalten. Im Rest der Welt denkt man nicht so.

Wenn man diese Punkte abarbeitet, werden einem die Chancen und Risiken der Begegnung von Kunst und Religion bewusster. Man wird Streit nicht verhindern können, aber man sollte ihn aushalten lernen. Sich zurückzuziehen, ist feige und offenbart mangelndes Selbstbewusstsein..

Der Feind, die Werte und das Unwerte

Ist es wirklich angebracht, die theologischen Gegner:innen als Feinde zu bezeichnen und ihre Ansichten als „unwert“, überhaupt erörtert zu werden? Eine Gegenrede.

Gleich zweimal musste ich letzte Woche bei der Lektüre theologischer bzw. religiöser Texte schlucken, weil mir die Wahl der Worte und der vorausgesetzten Konstellationen suspekt war. Beide Texte hatten sich ein Feindbild auserkoren – den Fundamentalismus – und setzten sich davon in unterschiedlicher, aber jedes Mal befremdlicher Weise ab.

Der erste Text lässt gleich schon im Titel erkennen, worum es ihm geht: „Der offene Protestantismus und seine Feinde“. Das lässt an Klarheit kaum zu wünschen übrig. Der offene Protestantismus sieht sich von Feinden umzingelt, und unter ihnen ist der Fundamentalismus der bedeutendste. Wer sonst keine Sorgen hat, kreiert sich welche mit Hilfe der Sprache. Und man sprach: Es werde Feind. Schon Carl Schmitt lehrte, wie wichtig die Identitätsbildung durch Feindeserklärung ist. Hätte man keine Feinde, wäre man buchstäblich nichts: Tohuwabohu. Viel Feind, viel Ehr‘ muss sich Eberhard Pausch gedacht haben und benennt dunkel raunend neben den fundamentalistischen Feinden auch noch vier weitere Feinde, die er aber nicht weiter beschreibt, damit jeder sich die gewünschten Adressat:innen selbst ausdenken kann:

Vor diesem Hintergrund lassen sich die „Feinde“ des offenen Protestantismus klar identifizieren, die somit Formen und Ausdrucksweisen des geschlossenen Protestantismus sind: Es sind dies der ausgrenzende beziehungsweise rein selbstbezügliche Protestantismus, der autoritär-hierarchische (episkopale) Protestantismus, der ideologisch vereinnahmte Protestantismus, der dogmatistische Protestantismus und der fundamentalistische Protestantismus. Unter den fünf Formen des geschlossenen Protestantismus in der Gegenwart stellt der Fundamentalismus die größte und bedrückendste Herausforderung dar

Feind ist, so könnte man sagen, wer nicht liberaler Protestant ist. So illiberal ist mir persönlich der liberale Protestantismus immer schon erschienen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. So einfach kann die Welt sein. Und die so als Feinde deklarierten sind umfassender als es ihre nebulöse Beschreibung ahnen lässt. Denn nicht der evangelikale Fundamentalismus ist zumindest in Deutschland die größte der so skizzierten Gruppen, sondern jene Gemeindemitglieder aller Schattierungen, die an der Wahrheit des Evangeliums Jesu Christi festhalten wollen. Wer aber Jesus als wahren Gott verkündet – liberales Anathema! Wer an Jesu leibliche Auferstehung glaubt – liberales Anathema! Wer an das Jüngste Gericht glaubt – liberales Anathema! So viele Häresie-Erklärungen waren seit den Zeiten der frühen Kirche selten zu vernehmen. Man ist offen für alles, was kommt, aber nicht für das Überlieferte. Kann man machen, bleibt eben kaum jemand von der Kerngemeinde übrig. Aber die interessiert den liberalen Protestantismus auch nicht. Ich wollte dieser illiberalen Bewegung nicht zugehören und zähle deshalb zu den von ihr als Feind erklärten Gruppen. Vermute ich jedenfalls, denn allen nicht zum Fundamentalismus gehörenden Feinden des offenen Protestantismus wird ja eine genauere Erläuterung verweigert. Als Differenztheoretiker fühle ich mich unwohl in einer Gesellschaft, die auf Konformität drängt und das als liberal versteht. Da fühle ich mich wohler in einer Gesellschaft Dissenter, die ihre Nonkonformität bekennen, und im offenen Austausch und Bekenntnis die Lösung sehen.

Das zweite Beispiel, das mich entsetzte, war eine – wie ich finde flapsige – Nebenbemerkung in einem Kommentar zu den kritischen Reaktionen auf die neu erschienene Alle-Kinder-Bibel. Nun waren diese kritischen Reaktionen erwartbar, man hatte ja geradezu darauf gesetzt, dass es so etwas geben würde und war zuvor landauf und landab gezogen und hatte verkündet, dass Jesus überhaupt nicht weiß war und deshalb, wenn schon nicht die Bibel, so doch deren Visualisierung geändert werden müsse. Ich hatte früher schon geschrieben, dass derlei Thesen leicht aufzustellen und schwer zu belegen sind, weil wir schlicht nicht wissen, wie sich die Gene Gottes im Rahmen des Zeugungsaktes auf die Hautfarbe Jesu auswirken und welche programmatische Bedeutung das hat. Wenn aber nicht Gott, sondern Josef oder – wie andere Überlieferungen behaupten – ein römischer Soldat an der Zeugung beteiligt war, wie qualifizieren wir das? Also, Rückfragen an die neue Alle-Kinder-Bibel waren erwartbar und auch gewünscht, nicht zuletzt, um ihr eine größere Verbreitung zu ermöglichen. Die Bibel in gerechter Sprache verdankt ja auch einen gewissen Teil ihres Erfolges dem vehementen und überaus polemischen Widerspruch ihrer Gegner. Streit belebt das Geschäft. Wie aber geht man mit dem Widerspruch um? Ich erinnere daran, wie die Autor:innen der Bibel in gerechter Sprache wieder und wieder und geradezu skrupulös auf die Argumente ihrer Kritiker:innen eingegangen sind. Jürgen Ebach wurde nicht müde, immer wieder bestimmte Entscheidungen zu begründen und zu erläutern. Darin war die Bibel in gerechter Sprache vorbildlich. Das scheint mir nun im vorliegenden Fall anders zu verlaufen. Carlotta Israel jedenfalls schreibt in der Eule:

Manche Kritik ist überhaupt nicht wert, auf sie näher einzugehen, weil sie erkennbar darauf beruht, den Bibeltext (welchen?!) als unveränderbar hinzustellen. Die „Alle-Kinder-Bibel“ versündige sich am Wort G*ttes, erklären solche Kritiker*innen.

Nein, das erklären sie nicht, weil sie schon die Schreibung G*tt ablehnen würden, und ja, es gibt Menschen, die daran festhalten, dass die Bibel tatsächlich Gottes Wort ist. Und das nicht nur in der Christenheit, sondern zum Beispiel auch im orthodoxen Judentum: „Die ganze Tora gilt im orthodoxen Judentum als maßgebendes Wort Gottes, das aber in der Zeit in seiner Auslegung entwickelt und zunehmend entfaltet wird.“ Sie halten die Bibel für deutungsbedürftig und deutungsfähig, aber dennoch für Gottes Wort. Sie meinen, dass da, wo die Bibel von Adam und Eva spricht, nicht einfach stattdessen eine ganze diverse Menschengruppe eingesetzt werden kann, weil es dem Sinn der Erzählung zuwiderläuft. Sie verlangen eine Orientierung an der gegebenen und überlieferten Schrift, auch wenn sie davon ausgehen, dass deren Sinn erst nach und nach und wieder und wieder entfaltet wird. Demgegenüber zu erklären, diese fundamentale Kritik „sei es überhaupt nicht wert, auf sie näher einzugehen“ ist schon starker Tobak. Ist das neuer protestantischer Stil, die gegnerischen Positionen für der Erörterung „unwert“ zu erklären? Man muss die Haltung der Fundamentalisten ja nicht teilen, aber man sollte sie respektieren und ihre Anfragen beantworten und ihnen gegebenenfalls widersprechen. Diese neue Form des Kastenwesens, bei der es reicht, etwas als fundamentalistisch zu etikettieren und damit unberührbar und der Kritik unwert zu machen, ist abscheulich. Für mich erscheint das als Teil von jener Macht, die stets das Gute will und dabei doch das Böse schafft.

Whataboutism oder Theo-Profs und Studi-Massen

Was ist „Whataboutism“ und warum gibt es keine Ordinarien-Herrlichkeit mehr?

Wer ein klassisches Beispiel für „Whataboutism“ studieren will, kann dies an einem Debattenbeitrag auf z(w)eitzeichen. Da geht es um die Energiepauschale für Studierende an bundesdeutschen Universitäten, die immer noch nicht ausbezahlt ist. Das ist kritikwürdig und wer sich da ein stärkeres Engagement wünscht, der kann eine Petition aufsetzen und andere zur Unterschrift auffordern. Whataboutism wäre es, wenn ich dem entgegen würde: Und was ist mit all den Obdachlosen? Darum geht es hier aber nicht. Stattdessen wird im Text kritisiert, dass „sich so mancher männliche Ordinarius bemüßigt [fühlt], sein theologisches Fachwissen in die öffentliche Debatte einzuspeisen“. Ich wusste noch gar nicht, dass das kritikwürdig ist. Dafür gibt es doch die Universitäten, damit die dort Forschenden und Lehrenden ihr Fachwissen erweitern und vermitteln. Man kann den Forschenden und Lehrenden, die sich in theologischer Perspektive etwa zu Umweltfragen äußern, nicht entgegentreten, indem man sie fragt: Und was ist mit der Energiepauschale für die Studierenden? Das ist nun wirklich klassischer Whataboutism.

Und was soll die hämische Fokussierung auf die „männlichen Ordinarien“? Wir haben – von regionalen Ausnahmen abgesehen – seit bald einem halben Jahrhundert keine Ordinarien mehr. Wer heute an Universitäten lehrt, mag Lehrstuhlinhaber sein, aber kein Ordinarius. Wer dennoch auf dieses Wort rekurriert, bedient ein Klischee, das sich unter dem Stichwort „Ordinarien-Herrlichkeit“ fassen lässt. Bereits als ich Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts zu studieren anfing, gab es die Ordinarien-Herrlichkeit nicht mehr. Warum also diese demonstrative Denunziation einiger Professoren als „männliche Ordinarien“? Es soll den Diskurs ersparen und Ressentiment dort erzeugen, wo Argumente notwendig wären. Dass es um Ressentiments geht, zeigt auch der weitere Text, der wild über narzisstische Kränkungen der Kritisierten fantasiert oder deren angeblichen Bedeutungsverlust spekuliert. Das ist ad-hominem-Polemik. Lustig wird es, wenn dann folgender Satz als Gesinnung der Kritisierten ausgegeben wird:

Wie furchtbar, dass man sich nicht mehr wie in seligen Zeiten von Assistenten den Weg durch die Studi-Massen zum Katheter bahnen lassen kann!

Ich wusste gar nicht, dass Theologieprofessoren auch Medizin lehren. So ein Rechtschreibfehler kann natürlich mal passieren, aber vor der Veröffentlichung lesen doch mehrere Instanzen den Text, warum korrigiert es keiner? Abgesehen davon, dass es etwa in der Ruhr-Universität Bochum, an der einer der Kritisierten forscht und lehrt, schon seit Gründung der Hochschule keine Katheder, sondern allenfalls Pulte gibt. So aber dient die Wortwahl ausschließlich der Herabsetzung des Gegenübers.

Den Studierenden jedenfalls ist mit diesem Text nicht geholfen, allenfalls wird ihnen ein Weltbild vermittelt, dass selbst in heutigen Zeiten Professoren (oder wie es im Text heißt „Theo-Profs“) sich paternalistisch um das Wohlergehen der Studierenden zu kümmern hätten. Da halte ich es doch lieber mit der Internationalen:

Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!

Wilhelm Gräb (1948-2023)

Am 23. Januar 2023 verstarb der große Theologe Wilhelm Gräb im Alter von 74 Jahren. Mit ihm verlieren wir einen der bedeutenden liberalen Theologen der Gegenwart und wichtigen Theoretiker der Begegnung von Religion und Kultur.

Am 23. Januar 2023 verstarb der große Theologe Wilhelm Gräb im Alter von 74 Jahren. Mit ihm verlieren wir einen der bedeutenden liberalen Theologen der Gegenwart und wichtigen Theoretiker der Begegnung von Religion und Kultur. Wir waren ihm jahrzehntelang verbunden. Er hat unser Projekt des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik über die gesamte Zeit kritisch begleitet und mehrere Texte beigesteuert. Wenige Minuten nach Erscheinen eines Heftes rief er es auf, las es und gab sein Feedback. Das war faszinierend.

  • Gräb, Wilhelm (2001): Kirche in der urbanen Welt der Moderne. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 3, H. 13. https://www.theomag.de/13/wg1.htm.
  • Gräb, Wilhelm (2011): Wenn Religion die Vernunft respektiert. Perspektiven liberaler Theologie. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 13, H. 70. https://www.theomag.de/70/wg2.htm.
  • Herrmann, Jörg; Gräb, Wilhelm; Schnädelbach, Herbert (2010): Christentum kontrovers. Wie weiter mit Gott? In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 12, H. 67. https://www.theomag.de/67/hgs2.htm.
  • Gräb, Wilhelm (2018): Theologie als Religionskulturhermeneutik. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 20, H. 114. https://www.theomag.de/114/wg03.htm
Wilhelm Gräb 2007 mit Studierenden auf der documenta 12

Die Herausgeber haben mit Wilhelm Gräb zuletzt im Juni 2022 im Rahmen der Summerschool Media and Religion zur Documenta fifteen in der Ev. Akademie Hofgeismar zusammengesessen. Schon damals ging es ihm nicht gut, aber er wollte unbedingt mit seinen Studierenden an der documenta teilnehmen, so wie er es in den 15 Jahren zuvor im Rahmen der Summerschool Media and Religion getan hatte. Wir werden Wilhelm Gräb vermissen, der unsere Biographien auf die eine oder andere Weise verändert und geprägt hat.

In der kommenden Ausgabe des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik werden wir neben einigen Würdigungen auch einen Text von ihm dokumentieren, den er 1997 für das von Jörg Herrmann, Andreas Mertin und Eveline Valtink herausgegebene Buch „Die Gegenwart der Kunst“ geschrieben hat, in dem er sich mit Kunst und Religion in der Moderne beschäftigt. Es ist ein bereichernder Beitrag auch zum aktuellen Heftthema „theologisieren“. Wir überlegen darüber hinaus, in einem der kommenden Hefte uns intensiver mit ihm auseinanderzusetzen.

Besser schreiben lernen

Wie können uns künstliche Intelligenzen dabei helfen, besser zu schreiben?

„Bleistift und Radiergummi nützen dem Gedanken mehr
als ein Stab von Assistenten.“

Das schreibt Theodor W. Adorno in den Minima Moralia. Und er zielt damit natürlich auf Intellektuelle, die schreiben gelernt haben und fordert sie auf, das Geschriebene noch einmal sorgfältig zu prüfen und dabei nicht kleinlich zu sein. Aber was ist mit Menschen, die nie gelernt haben, sorgfältig zu schreiben und zu artikulieren? Die den Unterschied von Wörtern in der Satzstellung gar nicht verstehen, weil ihnen auch die Melodie eines Satzes nichts sagt? Wäre es nicht denkbar, dass genau an dieser Stelle zumindest hilfsweise Assistenten einspringen? Und mit Assistenten meine ich in diesem Fall Algorithmen, also sogenannte künstliche Intelligenz, die einen vorgegebenen Text analysieren und Verbesserungsvorschläge machen.

Heute ist ein solcher künstlicher Assistent zumindest in einer Beta-Version veröffentlicht worden, ein Assistent, den jeder – in begrenztem Umfang – für sich nutzen kann. DeepL – Write nennt sich die KI und funktioniert wie ein Übersetzungs-Bot, nur dass er statt von Englisch nach Deutsch, von ungeschliffenem Deutsch in geschliffenes Deutsch übersetzt. Das funktioniert erstaunlich gut, natürlich nicht bei Gedichten, schon gar nicht bei gereimten Gedichten, aber bei fast allen anderen Texten aus dem Bereich Lebenswelt und Kultur.

Der Assistent kann natürlich aus sinnlosen Sätzen keine sinnvollen Sätze machen, er korrigiert Rechtschreib- und Grammatikfehler, aber nicht ein Wort, das zur Sinnkonstruktion fehlt. Da müssen Sie schon selbst Hand anlegen. Aber probieren Sie es selbst einmal aus!

Dieser Text ist KI-korrigiert.

KI oder die Lücken im System

ChatGPT irrt sich in der Lokalisierung und Zuschreibung von Kunstwerken.

Michelangelo, Madonna mit Kind
Michelangelo, Madonna mit Kind, Liebfrauenkirche Brügge

Gerade habe ich die Künstliche Intelligenz ChatGPT gefragt, ob es Werke von Michelangelo in Belgien gibt. Das ist insofern eine triviale Frage, weil die einzige Skulptur von Michelangelo nördlich der Alpen in der belgischen Stadt Brügge in der Liebfrauenkirche steht und die Zuschreibung an Michelangelo nicht bestritten wird. Die davon abweichende Antwort der KI lautete:

Es gibt mehrere Werke von Michelangelo in Belgien. Eines davon ist die Skulptur „Madonna mit dem Kind“ (auch als „Madonna des Belvedere“ bekannt), die sich im Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel befindet. Es ist eine Kopie einer Marmorskulptur, die Michelangelo im 16. Jahrhundert geschaffen hat. Es gibt auch mehrere Zeichnungen von Michelangelo in der Sammlung des Königlichen Museums für Kunst in Antwerpen. Es wäre möglich, dass es noch weitere Werke von Michelangelo in belgischen Museen gibt, aber ich habe keine Informationen darüber. Ich empfehle Ihnen, die Webseiten der Museen zu überprüfen oder die Museen direkt zu kontaktieren, um genauere Informationen zu erhalten.

Das macht einen fassungslos. Die Madonna des Belvedere ist ein berühmtes Gemälde von Raffael und befindet sich, wie der Name schon andeutet, in Wien.

Raffael, Madonna im Grünen
Raffael, Madonna im Grünen (oder Madonna des Belvedere), Wien Kunsthistorisches Museum

Das Museum der Schönen Künste in Brüssel besitzt keine Skulptur von Michelangelo und auch keine Kopie der Madonna mit dem Kind, nur späte Kopien nach Kunstwerken von Michelangelo.

Also habe ich die KI noch einmal gefragt: Gibt es nicht auch eine Skulptur von Michelangelo in Brügge? Antwort der KI: „Es gibt keine bekannte Skulptur von Michelangelo in Brügge. Das bekannteste Werk von Michelangelo in Belgien ist die Skulptur „Madonna mit dem Kind“, … die sich im Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel befindet“.

Da fragt man sich, auf welchen Texten das implizite Wissen der KI basiert. Assoziiert sie einfach? Ich weiß es nicht. Wenn man so leicht auf eine Fehlinformation stößt, was ist das System dann wert? Zumindest Lehrende können beruhigt sein. Derartig grobe Fehler fallen sofort auf.

Feuerwerk

Einen guten Rutsch und alles Gute für das kommende Jahr 2023 wünscht das Magazin für Theologie und Ästhetik.

Ernst Oppler (1867-1929), Feuerwerk, Aquarell 1911, 24×19 cm

Nach zwei Jahren der mehr oder weniger erzwungenen Pause gibt es zu diesem Jahreswechsel wieder die Möglichkeit zu einer „richtigen“ Silvesterfeier. Die Haltungen dazu sind ja sehr kontrovers, persönlich bin ich aus vielerlei Gründen ein großer Anhänger des Feuerwerks.

Vgl. dazu Mertin, Andreas (2002): Brot statt Böller? Überlegungen zum Sinngehalt einer evangelischen Zeichenhandlung. In: tà katoptrizómena, Jg. 4, H. 20. Online verfügbar unter http://www.theomag.de/20/am73.htm.

Die Erscheinung des Feuerwerks hat nicht zuletzt, darauf verweist Theodor W. Adorno in der Ästhetischen Theorie, viel mit der Bildenden Kunst zu tun:

Prototypisch für die Kunstwerke ist das Phänomen des Feuerwerks, das um seiner Flüchtigkeit willen und als leere Unterhaltung kaum des theoretischen Blicks gewürdigt wurde; einzig Valéry hat Gedankengänge verfolgt, die zumindest in seine Nähe führen. Es ist apparition κατ’ ἐξοχήν: empirisch Erscheinendes, befreit von der Last der Empirie als einer der Dauer, Himmelszeichen und hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die doch nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen lässt. Die Absonderung des ästhetischen Bereichs in der vollendeten Zweckferne eines durch und durch Ephemeren bleibt nicht dessen formale Bestimmung. Nicht durch höhere Vollkommenheit scheiden sich die Kunstwerke vom fehlbaren Seienden, sondern gleich dem Feuerwerk dadurch, dass sie aufstrahlend zur ausdrückenden Erscheinung sich aktualisieren.

Es muss nicht immer Silvester sein, wenn ein Feuerwerk abgebrannt wird. In der Bildenden Kunst ist das Silvester-Feuerwerk eher die Ausnahme. Aber es ist immer ein feierlicher Anlass, wenn Feuerwerk veranstaltet wird.

Bei der Feuerwerksdarstellung des holländischen Malers Egbert van der Poel (1621-1664) sehen wir nur, dass sich einige Delfter Bürger zu einem Fest versammelt haben. Das Gemälde ist undatiert und enthält keine eindeutigen Hinweise auf die Art des dargestellten Ereignisses. Traditionell wird das Bild als Darstellung der Feierlichkeiten zum Abschluss des Friedens von Münster, der am 15. Mai 1648 unterzeichnet wurde, gedeutet. Vor dem Delfter Gemeenlandshuis hat sich eine Menschenmenge versammelt, gefesselt vom Spektakel der lodernden Fackeln und dem Feuerwerk am Nachthimmel. Die Fackeln werden aus mit Pech oder Teer gefüllten Fässern hergestellt und auf Stangen montiert. Sie wurden meist von der Stadt oder von Privatpersonen anlässlich einer Feierlichkeit bezahlt.

Vielleicht kann man sich für das kommende Jahr 2023 wünschen, dass wir wieder ein Friedensfest feiern, weil ein den Weltfrieden gefährdender Angriffskrieg abgewehrt wurde und Gerechtigkeit wieder eingekehrt ist. Das wäre allemal ein großes Feuerwerk wert.

Fehlgeschlagen

Ulrich H. Körtner zur Frage: Warum solidarisiert sich die EKD mit der Letzten Generation?

Auf z(w)eitzeichen finde ich gerade einen lesenwerten Artikel von Ulrich H.J. Körtner zu fatalen Solidarisierung von Vertretern der EKD mit den Aktivisten der „Letzten Generation“.

Körtner, Ulrich H.J. (2022): Die letzte Generation? 2022 solidarisierte sich die EKD-Synode mit Klimaaktivisten. Warum?
Online verfügbar unter https://zeitzeichen.net/node/10214

Körtner schreibt:

Jesus als geistiger Ahnherr der „Letzten Generation“, der seiner moralischen Pflicht Folge leistete. Das ist Gesetzlichkeit pur. Die neutestamentlichen Schriften stellen Jesus als den dar, der wie kein anderer Mensch in ungebrochener Beziehung und Willenseinheit mit Gott lebt und handelt und der am Ende seines Weges betet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Den Willen des Vaters tun ist aber nicht mit einer moralischen Pflicht im philosophischen Sinne zu verwechseln. Jesus verkündigt die anbrechende Gottesherrschaft, nicht Moral.

Zwischen den Jahren

Muss sich die Kirche für die inhaftierten Aktivisten der Letzten Generation einsetzen?

Im Augenblick liest man immer wieder, die Vertreter:innen der Ev. Kirche müssten sich für die Inhaftierten der „Letzten Generation“ einsetzen, weil diese für hehre Zwecke illegitim festgehalten würden. Man dürfe die Aktivisten nicht kriminalisieren – sagt die Präses der EKD-Synode. Aber niemand kriminalisiert die Aktivisten, das tun sie schon selbst. Wer permanent und in Absprache Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Nötigung begeht, ist kein harmloser Bürger, sondern handelt kriminell – ganz unabhängig von den hehren Zielen des Handelns. Es gibt wirkliche Opfer polizeilicher Willkür, für die man sich einsetzen könnte, bei der „Letzten Generation“ sehe ich das nicht so – sie könnten jederzeit auf ihr Handeln verzichten.

Nun wird darauf verwiesen, dass Jesus sich ja auch dem Zachäus zugewandt habe. Aber die Pointe aller dieser Zuwendungshandlungen Jesu ist immer, dass danach ein Umdenken, eine Metanoia folgt. Sündige hinfort nicht mehr. Das ist hier nicht erkennbar. Und auch Luthers Begegnung mit Michael Kohlhaas endet ja nicht damit, dass Luther sagt, nun kämpfe mal schön weiter, sondern er versucht, Rechtsfrieden herzustellen. Es gibt so viele Aktivisten in Deutschland, die sich unter Einhaltung des Gesellschaftsvertrags für die Bekämpfung des Klimawandels einsetzen, es wäre sinnvoller, diese zu unterstützen.

Die Letzte Generation legt auf die Kirche keinen Wert – die versuchte Sprengung eines Weihnachtsgottesdienstes in Stuttgart ist ein beredtes Indiz dafür. Die Kirchen sind allenfalls „nützliche Idioten“, es gibt keine Kooperation. In der Weihnachtsbotschaft sieht die „Letzte Generation“ ihr Anliegen wohl kaum vertreten. Sie spricht mit den Kirchen nur „Im Interesse der Sache“.