Die Meister des ausgestreckten Zeigefingers

Wer Bibelverse zitiert, sollte doch auch den Kontext bedenken. Zur Kritik der Theologen an der CDU.

Und da sind sie wieder, die Meister des ausgestreckten Zeigefingers, die mit Vorliebe auf Andere deuten, sie als „unchristlich“ bezeichnen und sich einzelne Verse aus der Bibel picken, um ihre politischen Parolen damit abzufedern.

750 Theolog:innen haben sich zusammengetan, um die drohenden Asylbeschlüsse auf dem Parteitag der CDU als unchristlich zu denunzieren. Das kann man machen, wenn man geklärt hat, wer überhaupt über das Etikett „christlich“ verfügen darf. Das ist bei der CDU immer schon problematisch gewesen, wird aber nicht besser, wenn nun ihre Gegner:innen meinen, dasselbe tun zu können. Ob sich die CDU als christlich etikettiert, oder die Kritiker die CDU als unchristlich – beides finde ich unberechtigt.

Nun berufen sich die Kritiker:innen der CDU auf einen biblischen Vers, um ihre Etikettierung zu rechtfertigen. Diese Kalenderspruch-Rhetorik ist immer problematisch, denn Bibelverse haben einen Kontext und der ist selten so, wie es sich die Zitaten-Sammler:innen wünschen. Im vorliegenden Fall picken sie sich Jesaja 16, 3f. heraus. Das ist – kontextbefreit – ein netter Satz zur Apologie der eigenen Haltung in der Flüchtlingsfrage, aber mehr auch nicht.

Sobald man näher hinschaut und den Kontext berücksichtigt, wird es schwierig. Schon der Tonfall gegenüber dem Volk der Moabiter ist in Jesaja 16 schwer erträglich. Er ist paternalistisch durch und durch, mit stolzgeschwellter Brust bietet man dem feindlichen, nun aber bedrohten Volk die Hilfe an. Lass sie nur kommen, sie werden auch wieder gehen, wenn der Herr die rechten Leute dort an die Regierung und Macht gebracht hat. Die EU könnte es nicht besser sagen.

Ist es das, was uns die Kritiker:innen der CDU vermitteln wollen? Oder haben sie gar nicht an die Moabiter gedacht, sondern fanden den Spruch nur einfach cool – so wie der Killer in Pulp Fiction immer einen coolen Spruch aus der Bibel zitiert, bevor er abdrückt.

Die CDU könnte die Steilvorlage ihrer Kritiker:innen aber durchaus aufgreifen, und darauf hinweisen, dass es in der biblischen Geschichte ganz unterschiedliche Fraktionen gab, die in der Flüchtlingsfrage gegensätzliche Positionen vertraten.

Als Israel versuchte, sich unter persischer Herrschaft neu zu konstituieren, stellte sich die Frage, ob man den Völkern gegenüber auf radikale Absonderung oder auf friedliche Koexistenz setzen sollte. Eine Richtung will die nationale Identität durch eine scharfe Abgrenzung nach außen herstellen. Als Protagonisten dieser Strömung verbieten Esra und Nehemia in Fortführung deuteronomistischer Absonderungsgedanken z.B. Ehen mit ausländischen Frauen (Esr 10; Neh 13). Die andere Richtung ist Ausländern gegenüber aufgeschlossen und setzt sich für Toleranz ein. So entwerfen die Bücher Rut und Jona in Auseinandersetzung mit nationalistischen Strömungen ein positives Ausländerbild, um so für eine offene Einstellung zu werben. In diesem Konfliktfeld, das seinen Niederschlag auch in eschatologischen Entwürfen findet, sind die unterschiedlichen Positionen gegenüber Moab zu sehen.[Wibilex, Art. Moabiter]

Und schon sieht die Welt ganz anders aus. Auch die CDU könnte sich mit ihrer Politik der nationalen Abgrenzung auf die Bibel beziehen, nur eben nicht auf dieselben Verse. Von wegen unbiblisch oder unchristlich. Persönlich finde ich die Rut-und-Jona-Haltung auch sympathischer, bin aber weit davon entfernt, die Haltung Esras und Nehemias als unbiblisch zu verwerfen.