Der Feind, die Werte und das Unwerte

Ist es wirklich angebracht, die theologischen Gegner:innen als Feinde zu bezeichnen und ihre Ansichten als „unwert“, überhaupt erörtert zu werden? Eine Gegenrede.

Gleich zweimal musste ich letzte Woche bei der Lektüre theologischer bzw. religiöser Texte schlucken, weil mir die Wahl der Worte und der vorausgesetzten Konstellationen suspekt war. Beide Texte hatten sich ein Feindbild auserkoren – den Fundamentalismus – und setzten sich davon in unterschiedlicher, aber jedes Mal befremdlicher Weise ab.

Der erste Text lässt gleich schon im Titel erkennen, worum es ihm geht: „Der offene Protestantismus und seine Feinde“. Das lässt an Klarheit kaum zu wünschen übrig. Der offene Protestantismus sieht sich von Feinden umzingelt, und unter ihnen ist der Fundamentalismus der bedeutendste. Wer sonst keine Sorgen hat, kreiert sich welche mit Hilfe der Sprache. Und man sprach: Es werde Feind. Schon Carl Schmitt lehrte, wie wichtig die Identitätsbildung durch Feindeserklärung ist. Hätte man keine Feinde, wäre man buchstäblich nichts: Tohuwabohu. Viel Feind, viel Ehr‘ muss sich Eberhard Pausch gedacht haben und benennt dunkel raunend neben den fundamentalistischen Feinden auch noch vier weitere Feinde, die er aber nicht weiter beschreibt, damit jeder sich die gewünschten Adressat:innen selbst ausdenken kann:

Vor diesem Hintergrund lassen sich die „Feinde“ des offenen Protestantismus klar identifizieren, die somit Formen und Ausdrucksweisen des geschlossenen Protestantismus sind: Es sind dies der ausgrenzende beziehungsweise rein selbstbezügliche Protestantismus, der autoritär-hierarchische (episkopale) Protestantismus, der ideologisch vereinnahmte Protestantismus, der dogmatistische Protestantismus und der fundamentalistische Protestantismus. Unter den fünf Formen des geschlossenen Protestantismus in der Gegenwart stellt der Fundamentalismus die größte und bedrückendste Herausforderung dar

Feind ist, so könnte man sagen, wer nicht liberaler Protestant ist. So illiberal ist mir persönlich der liberale Protestantismus immer schon erschienen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. So einfach kann die Welt sein. Und die so als Feinde deklarierten sind umfassender als es ihre nebulöse Beschreibung ahnen lässt. Denn nicht der evangelikale Fundamentalismus ist zumindest in Deutschland die größte der so skizzierten Gruppen, sondern jene Gemeindemitglieder aller Schattierungen, die an der Wahrheit des Evangeliums Jesu Christi festhalten wollen. Wer aber Jesus als wahren Gott verkündet – liberales Anathema! Wer an Jesu leibliche Auferstehung glaubt – liberales Anathema! Wer an das Jüngste Gericht glaubt – liberales Anathema! So viele Häresie-Erklärungen waren seit den Zeiten der frühen Kirche selten zu vernehmen. Man ist offen für alles, was kommt, aber nicht für das Überlieferte. Kann man machen, bleibt eben kaum jemand von der Kerngemeinde übrig. Aber die interessiert den liberalen Protestantismus auch nicht. Ich wollte dieser illiberalen Bewegung nicht zugehören und zähle deshalb zu den von ihr als Feind erklärten Gruppen. Vermute ich jedenfalls, denn allen nicht zum Fundamentalismus gehörenden Feinden des offenen Protestantismus wird ja eine genauere Erläuterung verweigert. Als Differenztheoretiker fühle ich mich unwohl in einer Gesellschaft, die auf Konformität drängt und das als liberal versteht. Da fühle ich mich wohler in einer Gesellschaft Dissenter, die ihre Nonkonformität bekennen, und im offenen Austausch und Bekenntnis die Lösung sehen.

Das zweite Beispiel, das mich entsetzte, war eine – wie ich finde flapsige – Nebenbemerkung in einem Kommentar zu den kritischen Reaktionen auf die neu erschienene Alle-Kinder-Bibel. Nun waren diese kritischen Reaktionen erwartbar, man hatte ja geradezu darauf gesetzt, dass es so etwas geben würde und war zuvor landauf und landab gezogen und hatte verkündet, dass Jesus überhaupt nicht weiß war und deshalb, wenn schon nicht die Bibel, so doch deren Visualisierung geändert werden müsse. Ich hatte früher schon geschrieben, dass derlei Thesen leicht aufzustellen und schwer zu belegen sind, weil wir schlicht nicht wissen, wie sich die Gene Gottes im Rahmen des Zeugungsaktes auf die Hautfarbe Jesu auswirken und welche programmatische Bedeutung das hat. Wenn aber nicht Gott, sondern Josef oder – wie andere Überlieferungen behaupten – ein römischer Soldat an der Zeugung beteiligt war, wie qualifizieren wir das? Also, Rückfragen an die neue Alle-Kinder-Bibel waren erwartbar und auch gewünscht, nicht zuletzt, um ihr eine größere Verbreitung zu ermöglichen. Die Bibel in gerechter Sprache verdankt ja auch einen gewissen Teil ihres Erfolges dem vehementen und überaus polemischen Widerspruch ihrer Gegner. Streit belebt das Geschäft. Wie aber geht man mit dem Widerspruch um? Ich erinnere daran, wie die Autor:innen der Bibel in gerechter Sprache wieder und wieder und geradezu skrupulös auf die Argumente ihrer Kritiker:innen eingegangen sind. Jürgen Ebach wurde nicht müde, immer wieder bestimmte Entscheidungen zu begründen und zu erläutern. Darin war die Bibel in gerechter Sprache vorbildlich. Das scheint mir nun im vorliegenden Fall anders zu verlaufen. Carlotta Israel jedenfalls schreibt in der Eule:

Manche Kritik ist überhaupt nicht wert, auf sie näher einzugehen, weil sie erkennbar darauf beruht, den Bibeltext (welchen?!) als unveränderbar hinzustellen. Die „Alle-Kinder-Bibel“ versündige sich am Wort G*ttes, erklären solche Kritiker*innen.

Nein, das erklären sie nicht, weil sie schon die Schreibung G*tt ablehnen würden, und ja, es gibt Menschen, die daran festhalten, dass die Bibel tatsächlich Gottes Wort ist. Und das nicht nur in der Christenheit, sondern zum Beispiel auch im orthodoxen Judentum: „Die ganze Tora gilt im orthodoxen Judentum als maßgebendes Wort Gottes, das aber in der Zeit in seiner Auslegung entwickelt und zunehmend entfaltet wird.“ Sie halten die Bibel für deutungsbedürftig und deutungsfähig, aber dennoch für Gottes Wort. Sie meinen, dass da, wo die Bibel von Adam und Eva spricht, nicht einfach stattdessen eine ganze diverse Menschengruppe eingesetzt werden kann, weil es dem Sinn der Erzählung zuwiderläuft. Sie verlangen eine Orientierung an der gegebenen und überlieferten Schrift, auch wenn sie davon ausgehen, dass deren Sinn erst nach und nach und wieder und wieder entfaltet wird. Demgegenüber zu erklären, diese fundamentale Kritik „sei es überhaupt nicht wert, auf sie näher einzugehen“ ist schon starker Tobak. Ist das neuer protestantischer Stil, die gegnerischen Positionen für der Erörterung „unwert“ zu erklären? Man muss die Haltung der Fundamentalisten ja nicht teilen, aber man sollte sie respektieren und ihre Anfragen beantworten und ihnen gegebenenfalls widersprechen. Diese neue Form des Kastenwesens, bei der es reicht, etwas als fundamentalistisch zu etikettieren und damit unberührbar und der Kritik unwert zu machen, ist abscheulich. Für mich erscheint das als Teil von jener Macht, die stets das Gute will und dabei doch das Böse schafft.

Whataboutism oder Theo-Profs und Studi-Massen

Was ist „Whataboutism“ und warum gibt es keine Ordinarien-Herrlichkeit mehr?

Wer ein klassisches Beispiel für „Whataboutism“ studieren will, kann dies an einem Debattenbeitrag auf z(w)eitzeichen. Da geht es um die Energiepauschale für Studierende an bundesdeutschen Universitäten, die immer noch nicht ausbezahlt ist. Das ist kritikwürdig und wer sich da ein stärkeres Engagement wünscht, der kann eine Petition aufsetzen und andere zur Unterschrift auffordern. Whataboutism wäre es, wenn ich dem entgegen würde: Und was ist mit all den Obdachlosen? Darum geht es hier aber nicht. Stattdessen wird im Text kritisiert, dass „sich so mancher männliche Ordinarius bemüßigt [fühlt], sein theologisches Fachwissen in die öffentliche Debatte einzuspeisen“. Ich wusste noch gar nicht, dass das kritikwürdig ist. Dafür gibt es doch die Universitäten, damit die dort Forschenden und Lehrenden ihr Fachwissen erweitern und vermitteln. Man kann den Forschenden und Lehrenden, die sich in theologischer Perspektive etwa zu Umweltfragen äußern, nicht entgegentreten, indem man sie fragt: Und was ist mit der Energiepauschale für die Studierenden? Das ist nun wirklich klassischer Whataboutism.

Und was soll die hämische Fokussierung auf die „männlichen Ordinarien“? Wir haben – von regionalen Ausnahmen abgesehen – seit bald einem halben Jahrhundert keine Ordinarien mehr. Wer heute an Universitäten lehrt, mag Lehrstuhlinhaber sein, aber kein Ordinarius. Wer dennoch auf dieses Wort rekurriert, bedient ein Klischee, das sich unter dem Stichwort „Ordinarien-Herrlichkeit“ fassen lässt. Bereits als ich Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts zu studieren anfing, gab es die Ordinarien-Herrlichkeit nicht mehr. Warum also diese demonstrative Denunziation einiger Professoren als „männliche Ordinarien“? Es soll den Diskurs ersparen und Ressentiment dort erzeugen, wo Argumente notwendig wären. Dass es um Ressentiments geht, zeigt auch der weitere Text, der wild über narzisstische Kränkungen der Kritisierten fantasiert oder deren angeblichen Bedeutungsverlust spekuliert. Das ist ad-hominem-Polemik. Lustig wird es, wenn dann folgender Satz als Gesinnung der Kritisierten ausgegeben wird:

Wie furchtbar, dass man sich nicht mehr wie in seligen Zeiten von Assistenten den Weg durch die Studi-Massen zum Katheter bahnen lassen kann!

Ich wusste gar nicht, dass Theologieprofessoren auch Medizin lehren. So ein Rechtschreibfehler kann natürlich mal passieren, aber vor der Veröffentlichung lesen doch mehrere Instanzen den Text, warum korrigiert es keiner? Abgesehen davon, dass es etwa in der Ruhr-Universität Bochum, an der einer der Kritisierten forscht und lehrt, schon seit Gründung der Hochschule keine Katheder, sondern allenfalls Pulte gibt. So aber dient die Wortwahl ausschließlich der Herabsetzung des Gegenübers.

Den Studierenden jedenfalls ist mit diesem Text nicht geholfen, allenfalls wird ihnen ein Weltbild vermittelt, dass selbst in heutigen Zeiten Professoren (oder wie es im Text heißt „Theo-Profs“) sich paternalistisch um das Wohlergehen der Studierenden zu kümmern hätten. Da halte ich es doch lieber mit der Internationalen:

Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!

Wilhelm Gräb (1948-2023)

Am 23. Januar 2023 verstarb der große Theologe Wilhelm Gräb im Alter von 74 Jahren. Mit ihm verlieren wir einen der bedeutenden liberalen Theologen der Gegenwart und wichtigen Theoretiker der Begegnung von Religion und Kultur.

Am 23. Januar 2023 verstarb der große Theologe Wilhelm Gräb im Alter von 74 Jahren. Mit ihm verlieren wir einen der bedeutenden liberalen Theologen der Gegenwart und wichtigen Theoretiker der Begegnung von Religion und Kultur. Wir waren ihm jahrzehntelang verbunden. Er hat unser Projekt des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik über die gesamte Zeit kritisch begleitet und mehrere Texte beigesteuert. Wenige Minuten nach Erscheinen eines Heftes rief er es auf, las es und gab sein Feedback. Das war faszinierend.

  • Gräb, Wilhelm (2001): Kirche in der urbanen Welt der Moderne. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 3, H. 13. https://www.theomag.de/13/wg1.htm.
  • Gräb, Wilhelm (2011): Wenn Religion die Vernunft respektiert. Perspektiven liberaler Theologie. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 13, H. 70. https://www.theomag.de/70/wg2.htm.
  • Herrmann, Jörg; Gräb, Wilhelm; Schnädelbach, Herbert (2010): Christentum kontrovers. Wie weiter mit Gott? In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 12, H. 67. https://www.theomag.de/67/hgs2.htm.
  • Gräb, Wilhelm (2018): Theologie als Religionskulturhermeneutik. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 20, H. 114. https://www.theomag.de/114/wg03.htm
Wilhelm Gräb 2007 mit Studierenden auf der documenta 12

Die Herausgeber haben mit Wilhelm Gräb zuletzt im Juni 2022 im Rahmen der Summerschool Media and Religion zur Documenta fifteen in der Ev. Akademie Hofgeismar zusammengesessen. Schon damals ging es ihm nicht gut, aber er wollte unbedingt mit seinen Studierenden an der documenta teilnehmen, so wie er es in den 15 Jahren zuvor im Rahmen der Summerschool Media and Religion getan hatte. Wir werden Wilhelm Gräb vermissen, der unsere Biographien auf die eine oder andere Weise verändert und geprägt hat.

In der kommenden Ausgabe des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik werden wir neben einigen Würdigungen auch einen Text von ihm dokumentieren, den er 1997 für das von Jörg Herrmann, Andreas Mertin und Eveline Valtink herausgegebene Buch „Die Gegenwart der Kunst“ geschrieben hat, in dem er sich mit Kunst und Religion in der Moderne beschäftigt. Es ist ein bereichernder Beitrag auch zum aktuellen Heftthema „theologisieren“. Wir überlegen darüber hinaus, in einem der kommenden Hefte uns intensiver mit ihm auseinanderzusetzen.

Besser schreiben lernen

Wie können uns künstliche Intelligenzen dabei helfen, besser zu schreiben?

„Bleistift und Radiergummi nützen dem Gedanken mehr
als ein Stab von Assistenten.“

Das schreibt Theodor W. Adorno in den Minima Moralia. Und er zielt damit natürlich auf Intellektuelle, die schreiben gelernt haben und fordert sie auf, das Geschriebene noch einmal sorgfältig zu prüfen und dabei nicht kleinlich zu sein. Aber was ist mit Menschen, die nie gelernt haben, sorgfältig zu schreiben und zu artikulieren? Die den Unterschied von Wörtern in der Satzstellung gar nicht verstehen, weil ihnen auch die Melodie eines Satzes nichts sagt? Wäre es nicht denkbar, dass genau an dieser Stelle zumindest hilfsweise Assistenten einspringen? Und mit Assistenten meine ich in diesem Fall Algorithmen, also sogenannte künstliche Intelligenz, die einen vorgegebenen Text analysieren und Verbesserungsvorschläge machen.

Heute ist ein solcher künstlicher Assistent zumindest in einer Beta-Version veröffentlicht worden, ein Assistent, den jeder – in begrenztem Umfang – für sich nutzen kann. DeepL – Write nennt sich die KI und funktioniert wie ein Übersetzungs-Bot, nur dass er statt von Englisch nach Deutsch, von ungeschliffenem Deutsch in geschliffenes Deutsch übersetzt. Das funktioniert erstaunlich gut, natürlich nicht bei Gedichten, schon gar nicht bei gereimten Gedichten, aber bei fast allen anderen Texten aus dem Bereich Lebenswelt und Kultur.

Der Assistent kann natürlich aus sinnlosen Sätzen keine sinnvollen Sätze machen, er korrigiert Rechtschreib- und Grammatikfehler, aber nicht ein Wort, das zur Sinnkonstruktion fehlt. Da müssen Sie schon selbst Hand anlegen. Aber probieren Sie es selbst einmal aus!

Dieser Text ist KI-korrigiert.

KI oder die Lücken im System

ChatGPT irrt sich in der Lokalisierung und Zuschreibung von Kunstwerken.

Michelangelo, Madonna mit Kind
Michelangelo, Madonna mit Kind, Liebfrauenkirche Brügge

Gerade habe ich die Künstliche Intelligenz ChatGPT gefragt, ob es Werke von Michelangelo in Belgien gibt. Das ist insofern eine triviale Frage, weil die einzige Skulptur von Michelangelo nördlich der Alpen in der belgischen Stadt Brügge in der Liebfrauenkirche steht und die Zuschreibung an Michelangelo nicht bestritten wird. Die davon abweichende Antwort der KI lautete:

Es gibt mehrere Werke von Michelangelo in Belgien. Eines davon ist die Skulptur „Madonna mit dem Kind“ (auch als „Madonna des Belvedere“ bekannt), die sich im Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel befindet. Es ist eine Kopie einer Marmorskulptur, die Michelangelo im 16. Jahrhundert geschaffen hat. Es gibt auch mehrere Zeichnungen von Michelangelo in der Sammlung des Königlichen Museums für Kunst in Antwerpen. Es wäre möglich, dass es noch weitere Werke von Michelangelo in belgischen Museen gibt, aber ich habe keine Informationen darüber. Ich empfehle Ihnen, die Webseiten der Museen zu überprüfen oder die Museen direkt zu kontaktieren, um genauere Informationen zu erhalten.

Das macht einen fassungslos. Die Madonna des Belvedere ist ein berühmtes Gemälde von Raffael und befindet sich, wie der Name schon andeutet, in Wien.

Raffael, Madonna im Grünen
Raffael, Madonna im Grünen (oder Madonna des Belvedere), Wien Kunsthistorisches Museum

Das Museum der Schönen Künste in Brüssel besitzt keine Skulptur von Michelangelo und auch keine Kopie der Madonna mit dem Kind, nur späte Kopien nach Kunstwerken von Michelangelo.

Also habe ich die KI noch einmal gefragt: Gibt es nicht auch eine Skulptur von Michelangelo in Brügge? Antwort der KI: „Es gibt keine bekannte Skulptur von Michelangelo in Brügge. Das bekannteste Werk von Michelangelo in Belgien ist die Skulptur „Madonna mit dem Kind“, … die sich im Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel befindet“.

Da fragt man sich, auf welchen Texten das implizite Wissen der KI basiert. Assoziiert sie einfach? Ich weiß es nicht. Wenn man so leicht auf eine Fehlinformation stößt, was ist das System dann wert? Zumindest Lehrende können beruhigt sein. Derartig grobe Fehler fallen sofort auf.

Feuerwerk

Einen guten Rutsch und alles Gute für das kommende Jahr 2023 wünscht das Magazin für Theologie und Ästhetik.

Ernst Oppler (1867-1929), Feuerwerk, Aquarell 1911, 24×19 cm

Nach zwei Jahren der mehr oder weniger erzwungenen Pause gibt es zu diesem Jahreswechsel wieder die Möglichkeit zu einer „richtigen“ Silvesterfeier. Die Haltungen dazu sind ja sehr kontrovers, persönlich bin ich aus vielerlei Gründen ein großer Anhänger des Feuerwerks.

Vgl. dazu Mertin, Andreas (2002): Brot statt Böller? Überlegungen zum Sinngehalt einer evangelischen Zeichenhandlung. In: tà katoptrizómena, Jg. 4, H. 20. Online verfügbar unter http://www.theomag.de/20/am73.htm.

Die Erscheinung des Feuerwerks hat nicht zuletzt, darauf verweist Theodor W. Adorno in der Ästhetischen Theorie, viel mit der Bildenden Kunst zu tun:

Prototypisch für die Kunstwerke ist das Phänomen des Feuerwerks, das um seiner Flüchtigkeit willen und als leere Unterhaltung kaum des theoretischen Blicks gewürdigt wurde; einzig Valéry hat Gedankengänge verfolgt, die zumindest in seine Nähe führen. Es ist apparition κατ’ ἐξοχήν: empirisch Erscheinendes, befreit von der Last der Empirie als einer der Dauer, Himmelszeichen und hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die doch nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen lässt. Die Absonderung des ästhetischen Bereichs in der vollendeten Zweckferne eines durch und durch Ephemeren bleibt nicht dessen formale Bestimmung. Nicht durch höhere Vollkommenheit scheiden sich die Kunstwerke vom fehlbaren Seienden, sondern gleich dem Feuerwerk dadurch, dass sie aufstrahlend zur ausdrückenden Erscheinung sich aktualisieren.

Es muss nicht immer Silvester sein, wenn ein Feuerwerk abgebrannt wird. In der Bildenden Kunst ist das Silvester-Feuerwerk eher die Ausnahme. Aber es ist immer ein feierlicher Anlass, wenn Feuerwerk veranstaltet wird.

Bei der Feuerwerksdarstellung des holländischen Malers Egbert van der Poel (1621-1664) sehen wir nur, dass sich einige Delfter Bürger zu einem Fest versammelt haben. Das Gemälde ist undatiert und enthält keine eindeutigen Hinweise auf die Art des dargestellten Ereignisses. Traditionell wird das Bild als Darstellung der Feierlichkeiten zum Abschluss des Friedens von Münster, der am 15. Mai 1648 unterzeichnet wurde, gedeutet. Vor dem Delfter Gemeenlandshuis hat sich eine Menschenmenge versammelt, gefesselt vom Spektakel der lodernden Fackeln und dem Feuerwerk am Nachthimmel. Die Fackeln werden aus mit Pech oder Teer gefüllten Fässern hergestellt und auf Stangen montiert. Sie wurden meist von der Stadt oder von Privatpersonen anlässlich einer Feierlichkeit bezahlt.

Vielleicht kann man sich für das kommende Jahr 2023 wünschen, dass wir wieder ein Friedensfest feiern, weil ein den Weltfrieden gefährdender Angriffskrieg abgewehrt wurde und Gerechtigkeit wieder eingekehrt ist. Das wäre allemal ein großes Feuerwerk wert.

Fehlgeschlagen

Ulrich H. Körtner zur Frage: Warum solidarisiert sich die EKD mit der Letzten Generation?

Auf z(w)eitzeichen finde ich gerade einen lesenwerten Artikel von Ulrich H.J. Körtner zu fatalen Solidarisierung von Vertretern der EKD mit den Aktivisten der „Letzten Generation“.

Körtner, Ulrich H.J. (2022): Die letzte Generation? 2022 solidarisierte sich die EKD-Synode mit Klimaaktivisten. Warum?
Online verfügbar unter https://zeitzeichen.net/node/10214

Körtner schreibt:

Jesus als geistiger Ahnherr der „Letzten Generation“, der seiner moralischen Pflicht Folge leistete. Das ist Gesetzlichkeit pur. Die neutestamentlichen Schriften stellen Jesus als den dar, der wie kein anderer Mensch in ungebrochener Beziehung und Willenseinheit mit Gott lebt und handelt und der am Ende seines Weges betet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Den Willen des Vaters tun ist aber nicht mit einer moralischen Pflicht im philosophischen Sinne zu verwechseln. Jesus verkündigt die anbrechende Gottesherrschaft, nicht Moral.

Zwischen den Jahren

Muss sich die Kirche für die inhaftierten Aktivisten der Letzten Generation einsetzen?

Im Augenblick liest man immer wieder, die Vertreter:innen der Ev. Kirche müssten sich für die Inhaftierten der „Letzten Generation“ einsetzen, weil diese für hehre Zwecke illegitim festgehalten würden. Man dürfe die Aktivisten nicht kriminalisieren – sagt die Präses der EKD-Synode. Aber niemand kriminalisiert die Aktivisten, das tun sie schon selbst. Wer permanent und in Absprache Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Nötigung begeht, ist kein harmloser Bürger, sondern handelt kriminell – ganz unabhängig von den hehren Zielen des Handelns. Es gibt wirkliche Opfer polizeilicher Willkür, für die man sich einsetzen könnte, bei der „Letzten Generation“ sehe ich das nicht so – sie könnten jederzeit auf ihr Handeln verzichten.

Nun wird darauf verwiesen, dass Jesus sich ja auch dem Zachäus zugewandt habe. Aber die Pointe aller dieser Zuwendungshandlungen Jesu ist immer, dass danach ein Umdenken, eine Metanoia folgt. Sündige hinfort nicht mehr. Das ist hier nicht erkennbar. Und auch Luthers Begegnung mit Michael Kohlhaas endet ja nicht damit, dass Luther sagt, nun kämpfe mal schön weiter, sondern er versucht, Rechtsfrieden herzustellen. Es gibt so viele Aktivisten in Deutschland, die sich unter Einhaltung des Gesellschaftsvertrags für die Bekämpfung des Klimawandels einsetzen, es wäre sinnvoller, diese zu unterstützen.

Die Letzte Generation legt auf die Kirche keinen Wert – die versuchte Sprengung eines Weihnachtsgottesdienstes in Stuttgart ist ein beredtes Indiz dafür. Die Kirchen sind allenfalls „nützliche Idioten“, es gibt keine Kooperation. In der Weihnachtsbotschaft sieht die „Letzte Generation“ ihr Anliegen wohl kaum vertreten. Sie spricht mit den Kirchen nur „Im Interesse der Sache“.

KI: Angriffe auf Kunstwerke unakzeptabel

Die Künstliche Intelligenz sagt einem, dass Angriffe auf Kunstwerke „generally not accetable“ sind.

Ich setze mein Frage-und-Antwort-Spiel von gestern fort und frage den KI-Bot nun, was ist eigentlich wichtiger: Kunst oder Leben? Die Antwort darauf ist erstaunlich differenziert, vor allem, wenn man sich schon an das Schwarz-Weiß-Denken der Letzten Generation gewöhnt hat:

It is impossible to say whether art or life is more important, as the value and significance of each depends on one’s perspective and priorities. For some people, art may be a central and essential part of their life, providing them with a sense of meaning and fulfillment that is unparalleled by other experiences. For others, the basic necessities of life, such as food, shelter, and safety, may be of paramount importance.
     Ultimately, the relative importance of art and life will vary depending on an individual’s circumstances and needs. It is not a question that can be answered definitively, but rather one that each person must answer for themselves based on their own values and experiences.

Das bedeutet aber auch, dass der Angriff auf Kunstwerke eine elementare Attacke auf essentielle Teile der Lebensdeutung von Menschen sind – auch dann, wenn man selbst vielleicht ein ganz anderes Kunstverständnis hat.

Ich schiebe nun die Frage nach, ob es legitim ist, Kunstwerke anzugreifen, um Leben zu retten. Und auch hier erweist sich der KI-Bot als wesentlich differenzierter als die öffentliche Debatte:

It is generally not acceptable to attack works of art, regardless of the reason. Art is a significant part of human culture and history, and it is important to protect and preserve it for future generations.
     However, there may be situations in which the destruction of a work of art is necessary in order to prevent harm to human life. In such cases, the decision to destroy the work of art would need to be carefully considered and justified, and it is likely that it would be a last resort option.
     It is important to remember that there may be other ways to protect human life without causing harm to cultural heritage.

Da hätte man sich ja gewünscht, die Letzte Generation hätte sich vorher bei einer Künstlichen Intelligenz erkundigt, bevor sie die eigene, natürliche in Anschlag gebracht hat.

Ach ja, wer selbst Gespräche mit dem KI-Bot führen will, kann dies nach dieser Anleitung tun. Probieren Sie es einfach aus, es macht Spaß.

Ich wollt‘ ja nur mal kurz fragen

Ich führe eine Unterhaltung mit einem KI-Bot über allgemein interessierende Fragen.

Im Augenblick unterhalte ich mit einem KI-Bot. Am Anfang dachte ich, es wäre ja ganz interessant, einmal zu erfahren, was die KI vom Thema ‚Theologie treiben‘ hält und wie sie theologische, religionspädagogische und theo-ästhetische Fragen beurteilt, die gerade zufällig auf meinem Schreibtisch liegen. Dann wurde mir klar, dass die KI lexikalisch vorgeht, sie vermeidet Stellungnahmen im engeren Sinne und verweist in der Regel auf so etwas wie den Common sense. Es ist eigentlich nie falsch, was sie antwortet, aber geht auch nicht weit über das hinaus, „was jedermann meint“. Ich habe das Gespräch dennoch einfach fortgesetzt, weil ich dachte, ich lerne etwas darüber, wie man mit einer KI redet. Und so war es auch, nach und nach wurde das Frage-und-Antwort-Spiel interessanter.

Irgendwann kam ich auf die Idee, den KI-Bot solche Fragen zu stellen, die für die „Letzte Generation“ schon entschieden schienen. Das war ganz interessant, weil die KI komplexer denkt, als die Schwarz-Weiß-Kategorien der Apokalyptiker der „Letzten Generation“. Ich frage also die KI: Was ist eigentlich die tiefere Bedeutung der visuellen Künste für die Menschen und die Menschheit? Und sie antwortet:

The deeper meaning of visual art for humans and humanity is a complex and multifaceted topic. At its core, visual art is a way for people to express their emotions, thoughts, and ideas, and to communicate them to others. It can serve as a powerful tool for self-expression and self-discovery, and can provide a means of exploring and understanding the world around us. Visual art can also be used to challenge and inspire us, to stimulate our imagination and creativity, and to foster connections and empathy between people. Ultimately, the meaning and significance of visual art will vary from person to person and from culture to culture, but its power and potential to enrich our lives and the human experience is undeniable.

Das reicht mir noch nicht und deshalb will ich wissen, ob denn ein menschliches Leben ohne Künste denkbar ist. Und die Maschine antwortet:

It is difficult to say for certain whether humanity without art is conceivable. While art has been a part of human culture for thousands of years, it is not essential for our survival in the same way that food, water, and shelter are. It is possible to imagine a world in which people do not create or appreciate art, but it is difficult to imagine a world in which the impulse to create and appreciate art does not exist at all. Art is a fundamental aspect of what makes us human, and it is closely tied to many other aspects of our identity, such as our creativity, our emotions, and our ability to communicate and connect with others. It is unlikely that humanity could ever completely lose the desire or ability to create and appreciate art.

Natürlich sagt die Maschine nicht mehr und nicht weniger, als was jeder vernünftige Mensch sagen müsste. Aber es sind eben nicht alle vernünftig. Irgendwie erinnert mich die Kommunikation mit der Maschine an einen weisen Satz von Theodor W. Adorno:

Der menschenwürdige Sinn des Computers wäre es, das Denken der Lebendigen so sehr zu entlasten, dass es Freiheit gewinnt zu dem nicht schon impliziten Wissen.

Immerhin wissen wir jetzt, was das implizite Wissen eines Computers ist.