Never again

Der sehr empfehlenswerte Verfassungsblog veranstaltet gerade ein Blog-Symposium zum Thema „Never again“. Bisher war jeder der eingestellten Beiträge absolut lesenswert.

Die Initiatoren schreiben zu ihrem Symposium:

Verfassungen werden durch historische Narrative und kollektive Erinnerungen geprägt. Historische Traumata wirken sich auf nationale und internationale Gesetze und Politiken aus. Die Ängste, Befürchtungen und Hoffnungen nachfolgender Generationen sowohl der Täter- als auch der Opfergruppen spielen eine Rolle bei der Gestaltung der sozialen und politischen Vorstellungen davon, was eine gerechte und faire Ordnung erfordert.

Dieses Blog-Symposium befasst sich mit den verfassungsrechtlichen und rechtlichen Verpflichtungen, Orientierungen und Argumenten, die das Trauma des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts hervorgebracht haben, und mit der Frage, wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben.

Über die Tradition muslimischer Judenfeindschaft

Der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi im Gespräch über die Juden im Koran und in der Perspektive muslimischer Gesellschaften.

Ourghi, Abdel-Hakim (2024): »Eine heikle Angelegenheit«. Über die Tradition muslimischer Judenfeindschaft. In: Jüdische Allgemeine, 07.01.2024.

Online verfügbar unter https://www.juedische-allgemeine.de/politik/eine-heikle-angelegenheit/

Rechtsästhetik

Gibt es so etwas wie „Rechtsästhetik“ und was hätte das für Folgen?

Bis heute war mir nicht bekannt, dass es so etwas wie „Rechtsästhetik“ überhaupt gibt und wozu es hilfreich sein könnte. Heute erfahre ich, dass es nicht nur einschlägige Bücher dazu gibt [Damler, Daniel (2016): Rechtsästhetik. Sinnliche Analogien im juristischen Denken. Berlin: Duncker & Humblot], sondern dass es auch gute Gründe dafür gibt, sich damit zu beschäftigen. David Boss schreibt auf dem auch für Theolog:innen sehr empfehlenswerten Verfassungsblog über die rechtlichen Dimensionen von Metaphern in der öffentlichen Rede. Konkret: Kann jemand dafür bestraft werden, dass er / sie anderen vorwirft, sie hätten „Blut an den Händen“ obwohl dies ja „nur“ metaphorische Rede ist? Das ist eine spannende Frage. Und Boss zeigt, wie man sich auf einem hohen Niveau, das in den Alltagsdiskussionen von Kirche und Theologie selten anzutreffen ist, mit dieser Frage auseinandersetzt. Ich habe dabei viel gelernt. Er stellt einleitend fest: „Metaphern sind nicht nur rhetorisches Stilmittel. Sie sind auch ein bedeutender Teil der Rechtswirklichkeit.“ Und er zeigt sehr eindrücklich, inwiefern das zutrifft. Ich wünschte, ich hätte schon früher solche Diskussionen über die juristische Bedeutung von Metaphern kennengelernt, es ist auch für die theologische und kulturwissenschaftliche Arbeit sehr erhellend. Boss schreibt:

Die bildliche Wirkung einer Metapher ist nie nur passiv-rezeptiv, sondern immerzu auch aktiv-gestaltend: A stellt sich etwas vor und schafft mit einer Metapher davon gleichzeitig eine Vorstellung von etwas. B stellt sich unter der Vorstellung von As Metapher wiederum etwas vor und kreiert darauf aufbauend eine eigene Vorstellung. In ihrer Prägnanz ist die Metapher somit nie aussageartig „wahr“ oder „falsch“, wie es demgegenüber die juristische Subsumtion unter Begriffe vorgibt zu sein. Sie hat eine eigenständige Potenz.“

Was mir bei Boss wieder in Erinnerung trat, war der Umstand, dass Metaphern eine eigene Wirklichkeit konstruieren, mit der man umgehen muss. Metaphern sind nicht nur rhetorische Stilmittel, sondern mit ihrem Gebrauch verändert sich die Wirklichkeit auch, ohne dass man das mit wahr oder falsch kategorisieren kann.

Aber das ist erst der Anfang. Jetzt kommen erst die (rechts-)hermeneutischen Fragen. Dazu muss ich hier nichts schreiben, ich verweise einfach auf seinen Text:

Boss, David: „Blood On Your Hands“: Die rechtliche Dimension von Metaphern im Fall Zooey Zephyrs, VerfBlog, 2023/8/03,
https://verfassungsblog.de/blood-on-your-hands-2/,
DOI: 10.17176/20230803-104311-0

Fehlgeschlagen

Ulrich H. Körtner zur Frage: Warum solidarisiert sich die EKD mit der Letzten Generation?

Auf z(w)eitzeichen finde ich gerade einen lesenwerten Artikel von Ulrich H.J. Körtner zu fatalen Solidarisierung von Vertretern der EKD mit den Aktivisten der „Letzten Generation“.

Körtner, Ulrich H.J. (2022): Die letzte Generation? 2022 solidarisierte sich die EKD-Synode mit Klimaaktivisten. Warum?
Online verfügbar unter https://zeitzeichen.net/node/10214

Körtner schreibt:

Jesus als geistiger Ahnherr der „Letzten Generation“, der seiner moralischen Pflicht Folge leistete. Das ist Gesetzlichkeit pur. Die neutestamentlichen Schriften stellen Jesus als den dar, der wie kein anderer Mensch in ungebrochener Beziehung und Willenseinheit mit Gott lebt und handelt und der am Ende seines Weges betet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Den Willen des Vaters tun ist aber nicht mit einer moralischen Pflicht im philosophischen Sinne zu verwechseln. Jesus verkündigt die anbrechende Gottesherrschaft, nicht Moral.

Longtermism und Shorttermism

Die Welt zwischen Problemverschiebung und Problemverdrängung

Wie steht es um die Zukunft des Menschen?

Ich lese gerade, aufmerksam geworden durch einen Artikel über die Extremisten der Aufklärung in der ZEIT, einen Artikel des Philosophen Émile P. Torres, den dieser vor einem Jahr im Aeon Magazine publiziert hat [Torres, Émile P. (2021): „Against longtermism“ In: Aeon Magazine, 19.10.2021. https://aeon.co/essays/why-longtermism-is-the-worlds-most-dangerous-secular-credo]. Ich empfehle den Artikel zur Lektüre, denn er plausibilisiert viel von dem, was aktuell rund um Twitter, FTX und Letzter Generation vor sich geht. Die Gedankenwelt, die Torres da zusammengetragen hat und kritisch begutachtet, ist schon erschreckend. Grob gesprochen könnte man zwischen shorttermism und longtermism und dem, was dazwischen denkbar ist, unterscheiden. „shorttermism“ wäre dabei ein Denken, dass sich wenig um die Zukunft und das absehbare Leiden der Menschen kümmert, sondern dem Hier und Jetzt die Priorität einräumt. Demnach wäre eine Einschränkung heutiger Lebenswelten zugunsten künftiger Generationen nicht angebracht. „longtermism“ dagegen orientiert sich an extrem ausgreifenden Zukunftsperspektiven, die um die Perfektibilität des Menschen kreisen. Im Blick auf eine derartige ferne Zukunft eines im Weltraum reisenden perfekten Menschen wäre die Besinnung auf heutiges Leid oder das Leid der nächsten Generationen bedingt etwa durch den Klimawandel durchaus zu vernachlässigen. Denn letztlich kommt es nur darauf an, dass irgendwann ein optimierter Mensch alle Beschränkungen überwindet. Dafür kann man auch den Tod von 75% der Weltbevölkerung in Kauf nehmen. Langfristigkeit meint dann eben nicht die nächsten 2000 Jahre, sondern Millionen oder Milliarden Jahre.

„If one takes a cosmic view of the situation, even a climate catastrophe that cuts the human population by 75 per cent for the next two millennia will, in the grand scheme of things, be nothing more than a small blip – the equivalent of a 90-year-old man having stubbed his toe when he was two.“ – „It might be ‘a giant massacre for man’, he adds, but so long as humanity bounces back to fulfil its potential, it will ultimately register as little more than ‘a small misstep for mankind’.”

Es ist letztlich die Logik von Kriegsherren, die da durchschimmert, denen es egal ist, wie viele Menschen sie opfern, Hauptsache am Ende steht der Sieg. Und zu diesen Kriegsherren gehören Elon Musk oder auch ein Glücksritter wie Sam Bankman-Fried. Sie fördern die Philosophie des Longtermism mit Millionen US-Dollar. Einig sind sich Short-Termisten und Long-Termisten darin, dass sie sich um die Klimakrise nicht zu sorgen brauchen, zumindest so lange nicht, wie ihre eigenen Konzepte davon nicht betroffen sind.

Hugenottisches Stillleben

Der Pariser Louvre zeigt eine faszinierende Ausstellung zum Thema „Stillleben“. Unter den Exponaten findet sich auch ein Kunstwerk der hugenottischen Malerin Luise Moillon.

Stilleben von Louise Moillon, 1633

Hanno Rauterberg bespricht gerade emphatisch in der ZEIT eine Ausstellung im Pariser Louvre. Er stellt seine Besprechung unter den Titel „O heiliges Gemüse! Selbst der Spargel wird zum Zeichen der Transzendenz“. Die Pariser Ausstellung trägt den Titel Les Choses – Une histoire de la nature morte und ist bis zum 23. Januar zu sehen. Der Louvre schreibt zur Ausstellung:

Die von Laurence Bertrand Dorléac kuratierte Ausstellung Things schlägt eine neue Sichtweise auf ein Genre vor, das lange Zeit als untergeordnetes Genre angesehen wurde, dessen Name – „Stillleben“ – an sich schon faszinierend ist. Darstellungen von Dingen, die bis in prähistorische Zeiten zurückreichen, sind ein wunderbares Fenster in die Geschichte. Künstler waren die ersten, die die Dinge ernst nahmen, indem sie ihre Präsenz erkannten, sie mit Leben erfüllten, ihre Formen und Bedeutungen, ihre Kraft und ihren Charme verherrlichten. Sie haben die Fähigkeit von Objekten eingefangen, unsere Vorstellungskraft zu beflügeln – uns glauben, zweifeln, träumen oder handeln zu lassen. Die Ausstellung greift das Stillleben-Genre aus der Perspektive des andauernden Dialogs zwischen vergangenen und gegenwärtigen Künstlern auf. Es wirft ein neues Licht auf unsere Verbundenheit mit materiellen Dingen und deckt die Kunstgeschichte von prähistorischen Äxten bis zu Chardin, Manet und den Readymades von Marcel Duchamp ab.

Unter den gezeigten Artefakten ist nun auch eine Arbeit von Luise Moillon (1610-1696), die zu den berühmtesten französischen Stillleben-Malerinnen des 17. Jahrhunderts zählt und aus einer Familie hugenottischer Maler stammt.

Jesus in der israelischen Kunst

Hinweis auf die Seiten einer Ausstellung von 2016/17 im Israel-Museum mit israelischen Bildern zu Jesus.

Ephraim Moses Lilien, Passover
Ephraim Moses Lilien, Passover

Dietrich Neuhaus, unser früherer Mitherausgeber, machte mich darauf aufmerksam, dass es 2016/17 im Israel-Museum eine Ausstellung gegeben hat, die sich mit „Jesus“ in der jüdischen Kunst beschäftigt. Diese Ausstellung ist in großen Teilen weiterhin online zugänglich und ist auch sehr gut kommentiert. Zu finden ist sie unter dieser Adresse. Die Ausstellung trägt den Titel „Behold the Man. Jesus in Israeli Art“. Ausgestellt wird natürlich einiges von Marc Chagall, das ist unvermeidlich, aber auch Werke von Maurycy Gottlieb, E. M. Lilien, Reuven Rubin, Igael Tumarkin, Moshe Gershuni, Motti Mizrachi, Menashe Kadishman, Michal Na’aman, Adi Nes und Sigalit Landau. Letztere kennen die Leser:innen des Magazins für Theologie und Ästhetik, weil ein Werk von ihr Teil der documenta-Begleitausstellung von 2012 war und seinerzeit von Karin Wendt im Magazin vorgestellt wurde (Embodying Art. Sigalit Landau).

Natürlich ist man bei derartigen Ausstellungen weitgehend auf figurative Kunst verwiesen. Das ist ihr elementarer Nachteil. Nur wenige Arbeiten können sich davon lösen. Jenen großen Zyklus, den man sich in der Ausstellung gewünscht hätte, findet man dort leider nicht: Barnett Newmans „The Stations of the Cross – Lema Sabachthani“. Aber Barnett Newmanns Werk ist auch keine israelische Kunst.

Quelle: Datei:National Gallery of Art – Barnett Newman – The Stations of the Cross – Lema Sabachthani
(5946553792).jpg –
https://de.wikipedia.org

Dafür finden sich viele andere interessante und nachdenkenswerte Arbeiten in der Ausstellung. Eine davon will ich kurz vorstellen, weil ich den Künstler bisher nicht kannte und er als dezidiert zionistischer Künstler einen spezifischen Gebrauch vom Jesus-Thema macht: Ephraim Moses Lilien (1874–1925). Das Israel-Museum schreibt zur Vorstellung des Künstlers und des ausgestellten Werkes mit dem Titel „Passover“:

Es war Ephraim Moses Lilien (1874–1925), der in die traditionelle jüdische Gesellschaft hineingeboren wurde und als Künstler in den kulturellen Zentren Mitteleuropas auftauchte, der die visuelle Darstellung des Zionismus in seinen frühen Jahren prägte. Als einzigartige Verschmelzung von Erotik und Fantasie des Jugendstils (Art Nouveau) mit frühem zionistischem Pathos und Idealismus gelang es Liliens Kunst, jüdische und christliche Symbole, Orientalismus und Einflüsse aus dem alten Ägypten und Assyrien zu kombinieren. Dieser eklektische Ost-West-Stil, der als Judenstil bezeichnet wird, wurde zu seinem persönlichen Markenzeichen. Liliens nationaljüdische Kunst schwingt auf subtile Weise mit der christlichen Idee mit, dass die Rückkehr der Juden nach Zion eine Vorbedingung für das Zweite Kommen war, was viele Christen dazu veranlasste, den Zionismus mit der Erlösung in Einklang zu bringen. Ohne Jesus darzustellen, umfassen seine Illustrationen Dornenkronen, Kreuzigungen und mit Maria verbundene Ikonographien. Diese Motive sind von zionistischer Bedeutung durchdrungen, ob sie nun als Zeichen für jüdisches Leiden in der Diaspora dienen oder eine stolze Entschlossenheit verkünden, eine nationale Wiederauferstehung im Land Israel zu erreichen.

Und das macht das Bild tatsächlich zu einem überaus herausfordernden Bild, das einen nicht kalt lässt, sondern zur je eigenen Stellungnahme nötigt. Das finde ich gut.

Eine reale Chance

Ein lesenswerter Essay von Richard Herzinger

Richard Herzinger sieht in einem Essay die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit für eine weltweite Demokratiebewegung, die den Feinden der offenen Gesellschaft entgegentritt. Der lesenswerte Essay findet sich hier.

Lesetipp