Israelisch-Palästinensische Perspektiven – Kunstraum hase29 Osnabrück

Israelisch-Palästinensische Perspektiven – eine Ausstellung samt Vortragsprogramm im Kunstraum hase29 Osnabrück

Vor dem Hintergrund des wiedererstarkenden Antisemitismus in Deutschland, der zunehmenden Bedrohung jüdischer aber auch muslimischer Menschen und angesichts der Polarisierung zwischen Personen, die entweder der israelischen oder der palästinensischen „Seite“ zuneigen, setzt der Kunstraum hase29 in Osnabrück mit dem umfangreichen Veranstaltungsprogramm „Israelisch-Palästinensische Perspektiven“ ein Zeichen der Solidarität und Verbundenheit mit den Opfern des durch die Hamas verübten Terrorakts vom 7. Oktober 2023 sowie mit den Opfern der daraus folgenden kriegerischen Handlungen in Israel und Gaza.

Das Veranstaltungsprogramm schafft einen Raum für Begegnung und Austausch, der differenzierte Perspektiven eröffnet und das Publikum dazu einlädt, sich mit der israelischen und palästinensischen Kultur auseinanderzusetzen. In Zeiten zunehmender Polarisierung möchten wir zu friedvollen und demokratischen allerdings auch durchaus kritischen Dialogen animieren und einen Beitrag zum interkulturellen Miteinander in der Friedensstadt Osnabrück leisten.

Rückblick Biennale 2011: Israel oder die Poetik des Politischen

Ein Rückblick auf den israelischen Pavillion auf der Biennale di Venezia 2011.

Zur Biennale di Venezia 2011 schrieb ich auch über den Pavillon Israels und ich zitiere das hier noch einmal, weil es inzwischen eine noch größere Aktualität bekommen hat:

Wie eine wirkliche radikale und überzeugende Poesie des Politischen aussieht, zeigt dieses Mal der Pavillon Israels. In all den Jahren zuvor fand ich diesen Pavillon immer zu reduziert, zu wenig aussagekräftig, zu uninspiriert. Das ist dieses Jahr ganz anders. Der Künstlerin Sigalit Landau ist es gelungen, einen ebenso poetischen wie politischen Pavillon zu gestalten, ebenso erzählerisch wie formal reduziert. So stelle ich mir Kunst der Gegenwart vor. Auch sie operiert mit einer Baustellensituation, mit cineastischen Elementen, die ich bei Anderen kritisiert habe. Aber sie tut es künstlerisch überzeugend. Es gelingt ihr, die komplexe Raumsituation des israelischen Pavillons im wahrsten Sinne zusammenzubinden. Und sie schafft eine Verbindung verschiedener Einzelwerke, die den Besucher überzeugt und zu künstlerisch vermittelten Erkenntnissen führt. ‚One man’s floor is another man’s feeling‘ steht auf dem Pavillon geschrieben. Wer den Pavillon betritt stößt zunächst in der unteren Ebene auf die Installation ‚King of the shepherds and the concealed part‘, die große Metallrohre durch das gesamte Gebäude führt. Dazu hat sie eine Wand aufgebrochen und die Rohre hindurchgeführt und diese dann weitergeleitet, so dass sie noch oben und nach draußen führen. Die Rohre verbinden alles, ein mechanisches Netzwerk des Wassertransports, zugleich eine Metapher für die schicksalhafte Verbindung der Menschen. Von der unteren Ebene führen zudem Wasserleitern hinauf zur dritten Ebene des Hauses. Noch auf der unteren Ebene stößt der Besucher dann auf die Videoarbeit ‚Azkelon‘, eine Verschmelzung der Namen Gaza und Ashkelon, zwei Städte, die durch eine Grenze getrennt sind, auch wenn sie am selben Strand liegen. „Azkelon“ zeigt junge Männer beim Spiel „Countries“, ein Spiel, bei dem man mit einem Holzmesser im Sand Grenzen markiert, durchbricht und erweitert. Ein anderes Video ‚Mermaids. Erasing tghe border of Azkalon‘ zeigt drei Frauen am Strand, die mit Händen und Fingernägeln Spuren in den Sand graben, die sofort wieder vom Meer verwischt werden. Geht man in das obere Stockwerk, sieht man die Videoarbeit ‚Salted Lake‘, die in Salz getränkte Schuhe auf einem gefrorenen See zeigen. Nur scheinbar geschieht in dieser Sequenz nichts, in Wirklichkeit sinken die Schuhe, da das Salz das Eis zum Schmelzen bringt, immer tiefer ein bis sie versinken. Auf der sich anschließenden zweiten Ebene sieht man die Installation ‚Salt bridge summit‘ mit zwölf Laptops auf einem runden Konferenztisch, die unter dem Tisch in einem Kabelgewirr verbunden sind. Auf den Bildschirmen der Laptops sieht man die Beine und Schuhe der Konferenzteilnehmer. Ein kleines Mädchen krabbelt unter dem Tisch und verbindet alle Schnürsenkel der Schuhe zu einem großen Kreis. Diesen Schuh-Kreis wird der Besucher als Installation „O my friends, there are no friends“ im Hinterhof des Pavillons wieder finden. Aber es sind Bronze-Schuhe auf einem Nicht-Monument, das eine Erinnerung festhält.

Sigalit Landaus Arbeit ist bei aller klaren Zielrichtung ihres Engagements in Sachen Israel und Palästina polyvalent bis ins letzte Detail. Es ist kein Agit-Prop, dem wir hier beiwohnen, sondern eine die Wirklichkeit verändernde Kraft der Poesie. Man kann jede Arbeit einzeln betrachten oder man kann die Arbeiten kontextualisieren – untereinander und im größeren politischen und geografischen Zusammenhang.

Daher bin ich gespannt, wie der Beitrag im Pavillon von Israel 2024 aussehen wird, für den die Kuratorinnen Mira Lapidot und Tamar Margalit die Künstlerin Ruth Patir eingeladen haben.

Yael Bartana

Beobachtungen zum deutschen Beitrag auf der Biennale di Venezia 2024

Im Herbst 2011 schrieb ich in tà katoptrizómena über den polnischen Pavillon auf der Biennale in Venedig:

Atemberaubend ist der polnische Pavillon, der von der Utopie eines Wiederauflebens eines Jewish Renaissance Movements handelt. Die Künstlerin YAEL BARTANA sinnt uns die Rückkehr der aus Polen vertriebenen Juden als scheinbares politisches Programm an. Was wäre, wenn nicht Israel, sondern Polen der neue Zufluchtsort jener wäre, deren Großeltern einmal das Land vor dem Naziterror verlassen mussten? Die Ästhetik, mit der sie diese politische Programmatik inszeniert, ist dabei bewusst an die Parteitagspathetik der totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts angelehnt, so dass einem wirklich der Atem stockt. Ich stelle mir vor, etwas Ähnliches gäbe es in Deutschland oder im deutschen Pavillon: die Forderung der Rückkehr von 3,3 Millionen Juden zur Etablierung einer politisch-bedeutsamen Bewegung hierzulande. Wäre so eine Ausstellung überhaupt denkbar? Es zeigt auch den Mut Polens, dieses Risiko eingegangen zu sein. Aber es geht nicht nur um die Kontrastierung von politischer Idee und ästhetischer Inszenierung, sondern auch um die Frage, was Multikulturalismus in der Gegenwart bedeuten könnte, wie Identitätsbildung in einer globalisierten Welt funktionieren könnte. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist dabei nur ein Fokus, an dem man das diskutieren kann, die Fragestellung geht aber weit darüber hinaus. Ein provozierender und erkenntnisproduktiver Pavillon. [Mertin, Andreas (2011): Die 54. Biennale in Venedig. Spaziergänge auf der Insel der Kunst. In: tà katoptrizómena – Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 13, H. 73. Online verfügbar unter http://www.theomag.de/73/am367.htm.]

Umso erfreuter war ich, als ich las, dass Çağla Ilk, die Kuratorin des Deutschen Pavillons auf der Biennale di Venezia 2024, u.a. YAEL BARTANA für die künstlerische Präsentation ausgewählt hat. Yael Bartana ist eine der renommiertesten Künstlerinnen dieser Welt und zugleich eine herausragende Repräsentation der israelischen Gegenwartskunst.

Titel und Thema des gesamten deutschen Beitrags lautet „Thresholds“ (Schwellen). Im Interview mit der taz sagte die Kuratorin:

„Wir erleben gerade in Deutschland, wie extrem Menschen in einem nationalstaatlichen, territorialen Denken verhaftet sein können, das unseren Diskurs über Geschichte und damit auch über Zukunft beherrscht. Wir werden das nicht ändern, aber wir können zumindest andere Vorschläge machen. Veränderung fängt da an, wo ich mir der Vorläufigkeit meiner Position bewusst werde. Der Ort dafür ist die Türschwelle zwischen zwei Räumen … Im Deutschen Pavillon kommen mit Yael Bartana und Ersan Mondtag zwei Künst­le­r:in­nen zusammen, für die die Auseinandersetzung mit den zeichenhaften Fragmenten der Vergangenheit und die politische Auseinandersetzung mit den Bildwelten der Gegenwart auf extrem unterschiedliche Art wesentlich ist.“

Das lässt auf einen interessanten Beitrag hoffen, zumal die Kuratorin den ästhetisch vorbelasteten deutschen Pavillon um eine Klangintervention auf der Insel La Certosa erweitert hat. Mit Jan St. Werner, Nicole L’Huillier, Robert Lippok und Michael Akstaller werden sich vier Künstler:innen auf unterschiedliche Art mit der akustischen Entgrenzung von Räumen beschäftigen.

Über die Tradition muslimischer Judenfeindschaft

Der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi im Gespräch über die Juden im Koran und in der Perspektive muslimischer Gesellschaften.

Ourghi, Abdel-Hakim (2024): »Eine heikle Angelegenheit«. Über die Tradition muslimischer Judenfeindschaft. In: Jüdische Allgemeine, 07.01.2024.

Online verfügbar unter https://www.juedische-allgemeine.de/politik/eine-heikle-angelegenheit/

Weihnachten in Kriegszeiten

Weihnachten findet nicht nur an idyllischen Orten statt.

Ginge es bei den Karikaturen der arabischen Karikaturisten nicht völlig faktenfrei um den durch und durch kommerzialisierten Santa Claus der US-amerikanischen Weihnachtsindustrie (der auch in der westlichen Welt nur in den allerseltensten Fällen zu den wirklich Armen kommt), sondern um das von Lukas beschriebene Geschehen der Zeitenwende, das dort in der heutigen Westbank, also in Bethlehem lokalisiert wird, und wollte man es mit den Ereignissen im Gaza-Streifen verbinden, dann müsste man es mit einem Weihnachtsbild wie dem von Albrecht Altdorfer verknüpfen. Zumindest zeigt sich bei Altdorfer, wie stark auf den arabischen Karikaturen die Weihnachtsbotschaft verzerrt wird. Bei Altdorfer finden wir keine Idylle, keinen fetten Weihnachtsmann, der freigiebig seine Geschenke verteilt, hier wird jene Situation deutlich, in der Menschen in äußerst verzweifelter Situation keinen Platz mehr in irgendeiner Herberge finden.

Gleiches gilt für das Bild aus der Donauschule, das Wolf Huber zugeschrieben wird. und vielleicht die kleine Eiszeit spiegelt.

Die Unwirtlichkeit der Situation führt aber nicht dazu, dass das Weihnachtsgeschehen gar nicht erst stattfindet, sondern es vollzieht sich geradean einem solchen Ort. Das ist das Besondere der Weihnachtserzählung, dass sie eben nicht in der Großstadt, sondern im irgendwo stattfindet, dass sie uns nicht irgendwelche glitzernden Geschenke verspricht, keinen eitlen Tand oder irgendwelche Luxusgüter. Hier kommt aber auch nicht, wie manche meinen, ein geopolitischer Befreier zur Welt, der nun die Palästinenser in ihren Befreiungskampf oder in den Märtyrertod führt. All das ist nicht mit der Weihnachtserzählung verbunden.

Aber die Geburt des Gottessohnes ereignet sich dort, wo sonst niemand hingehen würde, er ereignet sich am unwahrscheinlichen Ort. Das ist zumindest die Hoffnung der Christen.

Santa Claus im Nimmerland

Blickt man auf die israelkritischen Karikaturen arabischer Karikaturisten stößt man aktuell häufig auf Santa Claus. Aber wen besucht der Weihnachtsmann eigentlich?

Dafür, dass die am Nahost-Konflikt beteiligten Parteien mit den Erzählungen des Christentums aus nachvollziehbaren Gründen sehr wenig bis gar nichts zu tun haben, und die Islamisten zudem westliche Werte im Allgemeinen eher als dekadent ablehnen, überrascht es doch, wie häufig christliche Brauchtümer und Folklore zumindest auf den israelkritischen Karikaturen vorkommen.

93% aller Palästinenser:innen sind muslimischen Glaubens, nur 6% sind christlichen Glaubens, freilich nicht im Gazastreifen. Dort ist der Anteil der Christ:innen von 15% im Jahr 1950 auf 0,05% im Jahr 2022 gesunken. Die Christ:innen dort sind zumal vor allem orthodox, bei denen Weihnachten erst am 6. Januar gefeiert wird. Wenn also auf den Karikaturen  der Israelkritiker:innen Santa Claus am 11. oder 18.12. 2023 den Gazastreifen besucht, fragt man sich doch, wen er da besuchen will: alle Menschen guten Willens? Das kann er machen, aber warum? Konsequenterweise wird Santa Claus auf einer anderen Karikatur von einem israelischen Soldaten auf die Knie gezwungen und durchsucht. Mir käme ein Santa Claus Anfang Dezember im Gazastreifen auch merkwürdig vor. Zumal die arabischen Karikaturisten sich immer auf die kommerzielle amerikanische Santa Claus Figur beziehen – der mit den glitzernden Geschenken.

Wenn in Bethlehem die Weihnachtsfeiern aus durchschaubaren Gründen (vor allem aus Solidarität mit Gaza) eingeschränkt oder abgesagt werden, dann spielt das auch auf den Karikaturen eine Rolle. Wir blicken z.B. auf eine Krippengeschichte mit den Hirten (und Ochs und Esel!), den Hl. drei Königen, die freilich von israelischen Panzern umzingelt werden, während am Himmel die Flugzeuge der IDF ihre Raketen als Sterne schicken. Fehlt nur noch der Hinweis auf den bethlehemitischen Kindermord, um die Szene zu vollenden. (Die Hirten sind übrigens Palästinenser, die Könige aber keine Adligen aus Katar oder Saudi-Arabien.) Bei einem eher äquidistanten Karikaturisten besucht der amerikanische Weihnachtsmann Gaza, aber niemand kann ihn dort empfangen, weil Gaza zerbombt ist.

Auch auf den israelsolidarischen Karikaturen spielt Weihnachten bzw. Santa Claus eine Rolle, nur ist es stimmiger. Hier hat sich im Gefolge eines Weihnachtsmanns, der Geschenke verteilt, ein Hamas-Terrorist eingeschlichen, ein Hinweis auf historische bzw. aktuell angedrohte Attentate auf Weihnachtsmärkte in Europa. Auf einer anderen Karikatur gibt es einen „Clash of cultures“: während der Weihnachtsmann Geschenke bringt, transportiert der Hamas-Terrorist nur Raketen. Mit einer Ausnahme geht es aber bei keiner der Karikaturen um die im Lukasevangelium erzählten Ereignisse. Vielmehr wird der kommerzialisierte Santa Claus als Geschenkebringer aufgegriffen. Warum dieser Geschenke in den Gazastreifen bringen sollte, statt für Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen, erschließt sich nicht. Aber eigentlich geht es ja auch nur darum, den westlichen Adressat:innen  ein schlechtes Gewissen zu machen – ganz egal womit.

Kunst Religion Israel

Das Heft 146 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik ist erschienen. Es hat zwei Schwerpunkte: das Thema Kunst und Religion sowie den aktuellen Konflikt im Nahen Osten.

Editorial

VIEW

Der verborgene Gott und die Falten der Welt
Philippe Descolas Bildtheorie und einige notwendige Aufbrüche in der Theologie
Wolfgang Vögele [20 S.]

Staunen – Verstehen – Glauben
Bemerkungen zur theologisch-kunsthistorischen Führung im Museum
Wolfgang Vögele [24 S.]

Kunst und Religion
Plädoyer für eine Begegnung auf Augenhöhe
Andreas Mertin [16 S.]

✡ ISRAEL ✡

Bilderstreit oder: Der kleine Prinz im Nahostkonflikt
Israelkritik und Antisemitismus in aktuellen Karikaturen aus aller Welt
Andreas Mertin [32 S.]

Über Israel reden
Zwei Buchhinweise
Redaktion [2 S.]

Christen, Juden, Israel
Eine Collage von Kirchentexten aus aktuellem Anlass
Redaktion [8 S.]

„Es würde mich glücklich machen“
Israel, der Fotograf Max Jacoby und ein Essay von Heinrich Böll
Karin Wendt [8 S.]

Wir müssen sie beim Wort (und Bild) nehmen!
Gegen die grassierende Kultur der Unkultur in der Popkultur
Andreas Mertin [6 S.]

Meldung: Drittälteste Kirche der Welt beschädigt
Wenn Kunstzeitschriften zu Ideologieschleudern werden
Andreas Mertin [4 S.]

CAUSERIEN

Ein theologischer Kipppunkt zum Antijudaismus?
Gedanken über einen niedergeschriebenen, aber nicht ausgesprochenen Satz
Andreas Mertin [18 S.]

Ein bitteres Déjà-vu: Blindness and Insight II
Zwei unterschiedliche Rücktritte im Abstand von 13 Jahren
und warum sie dennoch miteinander zusammenhängen
Andreas Mertin [6 S.]

Nacht über der documenta
Ein Einwurf
Andreas Mertin [6 S.]

Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles! Ach wir Armen!
Geschichten von goldenen Momenten und helfenden Händen
Andreas Mertin [16 S.]

RE-VIEW

Unter Beteiligung
Buchhinweise
Redaktion [1 S.]

POST

Bilderflut: Die KI als Bildgenerator
Kleine Spielereien zur Entspannung
Andreas Mertin [10 S.]

Der Krieg der Bilder oder: Karikatur und Israelhetze

Die Rolle von Karikaturen im Krieg der Bilder nach dem 7. Oktober.

Im Augenblick arbeite ich an einem Aufsatz über den Einsatz von politischen Karikaturen in den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten. Es sind schreckliche Karikaturen, voller Vorurteile, Stereotypen und Hass – natürlich nicht vergleichbar mit den entsetzlichen Fotos, die die mörderischen Terroristen selbst auf den Social-Media-Kanälen gepostet haben. Schrecklich sind die Karikaturen, weil sie mit Wissen und in einem gewissen zeitlichen Abstand zu den Horrortaten kalt am Schreibtisch entstanden sind. Irgendwo, Hunderte Kilometer vom Geschehen entfernt, sitzt jemand (es sind fast immer Männer) und freut sich über die Ereignisse oder verwünscht die Folgen

Im Kampf der Palästinenser gegen den Staat Israel haben Karikaturen eine lange Tradition, sie gehen weit über ein halbes Jahrhundert zurück und sind verbunden mit Namen wie Nadschi al-Ali, dem vielleicht bekanntesten palästinensischen Karikaturisten und seiner Figur des zehnjährigen palästinensischen Jungen Handala, der vor 54 Jahren zum ersten Mal gezeigt wurde. Diese Figur taucht im palästinensischen Kontext überall auf.

So auch jetzt auf den Karikaturen nach dem Massaker am 7. Oktober. Nun wird Handala so inszeniert, als sei ihm mit dem schrecklichen Geschehen endlich der Schlüssel zur Freiheit in die Hand gelegt. Und wenn man genau hinsieht, dann impliziert dieses kleine Bilddetail im Kontext des Massakers bereits den anvisierten Massenmord an den Juden in Israel. Denn der kleine palästinensische Handala, der gerade die Grenzmauer durchbrochen hat (so wie die palästinensischen Terroristen die Absperrungen des Gazastreifens), blickt über ein leergefegtes Land auf den Felsendom in Jerusalem, der wie eine Fata Morgana hinter der Staubwolke hervorlugt. Das ist der Kern der Botschaft vom Free Palestine.

Das Interessante an der Karikaturen auf der Plattform ist, dass sie sich chronologisch ordnen lassen. Wie haben arabische Karikaturisten auf das Massaker reagiert? Haben sie wirklich gedacht, wie Karikaturen vom 8.10. andeuten, nun sei Israel ein für allemal geschlagen, nun sei es den palästinensischen Paraglidern gelungen, den Davidsstern abstürzen zu lassen? Oder, wie ein anderer Karikaturist noch am 7.10. meint, nun müsse die israelische Armee die weiße Fahne hissen, denn sie sei von den Terrorkämpfern und ihren Raketen geschlagen worden? Nun habe sich der israelische Aggressor endgültig am Gazastreifen die Zähne ausgebissen? Fast schon ironisch ist die Karikatur, die unter dem Titel „Palestine resists“ Netanjahu (dargestellt als Nazi) mit Goliath und die Palästinenser mit David vergleicht. Da hat jemand die biblische Geschichte nicht verstanden. Denn David ist natürlich Jude, während Goliath ein Philister ist, also von jenem Volk, auf das sich die Palästinenser in ihrer Suche nach einer historischen Genealogie so gerne berufen.

Apropos Genealogie. Als die USA das Massaker unmissverständlich verurteilen, meint ein Karika-turist, Amerika habe kein Recht dazu, denn die Amerikaner hätten die Ureinwohner (also die In-dianer) auch gelyncht – so wie die Israelis die Araber. Nur dass die Araber die Kolonialisten des 7. Jahrhunderts in Palästina sind und die dortigen Ureinwohner vertreiben oder zur Konversion zwingen. Aber Geschichte ist nicht unbedingt die Stärke der Karikaturisten.

Schon wenige Tage später wird den arabischen Karikaturisten klar, dass der Preis, den das palästinensische Volk für seine von der Regierung beauftragten Terroristen zahlen wird, ein ungeheurer sein wird. Und sofort schlägt der Tonfall in den Karikaturen um, statt des Jubels über den gelungenen palästinensischen Widerstand ertönt nun eine visuelle Kakophonie gegen das israelische Militär. Man macht Rechnungen auf, die besagen, die palästinensischen Terroristen hätten am 7. Oktober doch nur einige wenige ermordet oder entführt und wenn man das mit den Missetaten der Israelis und der Einsperrung der Palästinenser im Gazastreifen vergleiche, sei das doch nur marginal. Und manche Karikaturisten greifen auf alte Arbeiten zurück, die sie schon zu früheren israelischen Gegenschlägen produziert hatten. Mit dem Raketeneinschlag neben dem christlichen Hospital im Gazastreifen wird der Ton noch einmal schriller – nun werden direkt die mittelalterlichen Stereotype von den kindermordenden Juden bedient, ein Lieblingsthema der arabischen Karikaturisten seit 60 Jahren. Und so zeichnet man ein jüdisches Mobile über dem Bett eines palästinensischen Kindes, nur dass die einzelnen Teile des Mobiles aus israelischen Raketen bestehen, die alle auf das Kind gerichtet sind.

Unmittelbar antisemitisch wird es spätestens dann, wenn die in Gaza einschlagenden israelischen Raketen so dargestellt werden, dass sie von Tora-Rollen ummantelt sind, die dann (muss man sagen: natürlich?) ein palästinensisches Kind mit dem Tode bedrohen

Als dann die den Terror verherrlichenden Stimmen auf Facebook gesperrt werden, hetzt man gegen die westlichen Medien, die einseitig auf Seiten Israels und der Unterdrücker stünden. Und so wird jedes aktuelle Ereignis in die vertraute Bilderwelt eingearbeitet.

Aber es gibt natürlich auch die anderen Bilder, zunächst die aus einer Äquidistanz, von einem neutralen Standpunkt, der das Leiden bei allen Zivilisten in den Blick nimmt. Aber diese Position leidet selbst unter seinem Relativismus, denn es muss die notwendige Empathie angesichts des Geschehens am 7. Oktober abmildern zugunsten einer relativistischen Abwägung.

Und schließlich gibt es die empathischen und zugleich besonnenen Karikaturisten, die den Wahnsinn benennen und zugleich die Folgen aufzeigen. Positiv aufgefallen ist mir dabei Marian Kamensky, der heute in Wien lebt und auf eine lange Karriere als Karikaturist zurückblicken kann. Schon mit seinem ersten Bild am 7.10. konterkariert er die Aktionen der wahnsinnigen Terroristen, indem er sie statt in einen Tunnel in das offene Rohr eines israelischen Panzers laufen lässt. Er hält die Hamas schlicht für hirnlos (brainless) wie er auf einer späteren Karikatur zeigt.

Greta Thunberg, how dare you?

Die Empathielosigkeit Greta Thunbergs gegenüber den Opfern in Israel diskreditiert ihr politisches Engagement.

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg solidarisiert sich wiederholt im Rahmen der Fortsetzung ihrer wöchentlichen Aktionen mit dem Gazastreifen. Das ist im Rahmen der Meinungsfreiheit vielleicht ihr Recht, beweist aber eine bemerkenswerte Empathielosigkeit gegenüber den vorangegangenen Ereignissen. Thunberg ordnet sich ein in eine Tradition der Linken, die sich mit Palästinenser:innen solidarisieren, weil sie sie für die Unterdrückten im Konflikt im Nahen Osten halten, und empathielos gegenüber der Geschichte der Juden und Jüdinnen reagieren, das Existenzrecht Israels ignorieren oder sogar bestreiten. Auffällig ist zunächst, dass die Hamas selbst gar nicht erwähnt wird. Ähnlich wie bei linken Reaktionen in Deutschland bemüht man sich, zwischen Palästinensern und der Hamas zu unterscheiden. Die Hamas ist aber nicht nur eine palästinensische islamistische Bewegung, sie wurde auch von der Mehrheit der Bevölkerung im Gaza-Streifen 2006 an die Macht gebracht. In Deutschland waren es nach 1945 die Rechten, die immer zwischen den Deutschen und den Nazis unterschieden und suggerierten, nicht die Deutschen, sondern nur die Nazis seien für die Verbrechen verantwortlich. Das ist aber eine schiefe Perspektive und wird auch in der Übertragung auf die Verhältnisse im Nahen Osten nicht plausibler. Es wäre schon sinnvoll, auch in der Berichterstattung immer von der palästinensischen Hamas zu schreiben. Man kann die Palästinenser:innen nicht pauschal exkulpieren, indem man so tut, als hätten sie mit der Hamas nichts zu tun. Ja, auch viele Palästinenser:innen leiden unter der palästinensischen Hamas, die nach der Machtergreifung 2007 begann hat, ihr eigenes Volk zu unterdrücken. Das muss benannt werden. Und dennoch ist es eine an der Macht befindliche palästinensische Regierung, in deren Auftrag im Oktober tausende Zivilisten in Israel angegriffen wurden. Und deren Schergen verübten ein Massaker. Das wurde in der Narratio etwa der demokratischen Sozialisten in den USA schon Anfang des Jahres vorbereitet, indem sie von der Nichtunterscheidbarkeit von Militär und Zivilbevölkerung in Israel sprachen. Unter Verweis auf die Siedlerbewegung werden alle Israelis zu legitimen Zielen erklärt. Die Folgen davon erleben wir aktuell.

Im Rahmen einer Kritik an der europäischen Kolonialpolitik wird der Staat Israel sowohl als Profiteur des Kolonialismus wie auch selbst als kolonialistische Macht dargestellt, weshalb er zu bekämpfen sei. Das ist aber eine verkürzte Sicht. Als ob nicht die arabischen Palästinenser:innen selbst die Erben einer großen kolonialen Bewegung wären, die Mitte des 7. Jahrhunderts Palästina eroberte. Kolonialismus kann nicht auf das 19. und 20. Jahrhundert begrenzt werden, er durchzieht die gesamte Geschichte. So wie die europäische Kolonialgeschichte nicht erst im 15. Jahrhundert beginnt, beginnt auch die Kolonialgeschichte im Nahen Osten viel früher. Anders aber, als es die Bibel darstellt, ist die Bildung der jüdischen Staaten in der Antike nicht Ergebnis einer kolonialen Eroberung, sondern einer Ausdifferenzierung der regionalen Bevölkerung.

Indem Greta Thunberg auf ihrem Foto nun die Solidarität mit den Palästinenser:innen mit dem Engagement für die Umweltbewegung verknüpft hat, schädigt sie letztere. Wäre das Eintreten für bestimmte nationalistische Gruppen in Palästina das Schibboleth des Engagements für die Umwelt, werden alle, denen die Solidarität mit Israel und die Erinnerung an Millionen in der Shoa getöteter Juden und Jüdinnen unverzichtbar ist, ausgeschlossen. Hier werden zwei ethische Dilemmata auf fatale Weise miteinander verknüpft.

Aufgabe aller Erziehung ist, so hat es Theodor W. Adorno 1966 in seinem berühmten Rundfunkvortrag gesagt, dass Auschwitz sich nicht wiederhole.

„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.“

Auch Greta Thunbergs nachgeschobene Erklärung, sie sei natürlich gegen Antisemitismus, macht es nicht besser, im Gegenteil. Dass sie gegen Antisemitismus sind, erklären auch fast alle. Antisemitismus wird nicht durch formelhafte Bekenntnisse aufgehoben, sondern misst sich an den Folgen, die bestimmte Äußerungen haben. Der auf dem Foto von Thunberg sichtbare Slogan „Free Palestine“ lässt sich mit aller Vernunft nur so deuten, dass Palästina von Israel (und den Juden) befreit werden soll. Das ist eine völkerrechtswidrige Forderung, die man als israelbezogenen Antisemitismus charakterisieren muss. Dem entkommt man nicht, indem man abstrakt erklärt, man sei aber doch gegen Antisemitismus. Nach dem Motto: Ich habe nichts gegen Juden, viele meiner Freunde sind Juden, aber Juden (oder Israelis) gehören nicht nach Palästina. Man muss nicht Vertreter der IHRA-Definition des Antisemitismus sein, um darin israelbezogenen Antisemitismus zu erkennen. Das humanistische Schibboleth für alle ist hier notwendig die Anerkennung des völkerrechtlich verbürgten Existenzrechts Israels.

Anders als manche in den konservativen Medien es jetzt darstellen, diskreditiert das in seiner Abstraktheit und Empathielosigkeit fatale exklusive Engagement Greta Thunbergs für die palästinensische Sache nicht das Engagement der jungen Generation für die Klimawende. Man muss nur – anders als Thunberg es getan hat – das eine vom anderen trennen. Auch wer in Sachen Palästina zu anderen Schlussfolgerungen als Greta Thunberg kommt, ja ihnen diametral widerspricht, bleibt dennoch auf das Engagement zugunsten einer Klimawende verpflichtet – so ambivalent und schwierig das nach den jüngsten Äußerungen der internationalen (nicht der deutschen) FFF-Bewegung auch geworden ist. Es fällt freilich schwer, sich in (internationalen) Organisationen zu engagieren oder auch mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn ih­nen das Schicksal einer Religion und eines ganzen Landes egal ist.