Der Krieg der Bilder oder: Karikatur und Israelhetze

Die Rolle von Karikaturen im Krieg der Bilder nach dem 7. Oktober.

Im Augenblick arbeite ich an einem Aufsatz über den Einsatz von politischen Karikaturen in den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten. Es sind schreckliche Karikaturen, voller Vorurteile, Stereotypen und Hass – natürlich nicht vergleichbar mit den entsetzlichen Fotos, die die mörderischen Terroristen selbst auf den Social-Media-Kanälen gepostet haben. Schrecklich sind die Karikaturen, weil sie mit Wissen und in einem gewissen zeitlichen Abstand zu den Horrortaten kalt am Schreibtisch entstanden sind. Irgendwo, Hunderte Kilometer vom Geschehen entfernt, sitzt jemand (es sind fast immer Männer) und freut sich über die Ereignisse oder verwünscht die Folgen

Im Kampf der Palästinenser gegen den Staat Israel haben Karikaturen eine lange Tradition, sie gehen weit über ein halbes Jahrhundert zurück und sind verbunden mit Namen wie Nadschi al-Ali, dem vielleicht bekanntesten palästinensischen Karikaturisten und seiner Figur des zehnjährigen palästinensischen Jungen Handala, der vor 54 Jahren zum ersten Mal gezeigt wurde. Diese Figur taucht im palästinensischen Kontext überall auf.

So auch jetzt auf den Karikaturen nach dem Massaker am 7. Oktober. Nun wird Handala so inszeniert, als sei ihm mit dem schrecklichen Geschehen endlich der Schlüssel zur Freiheit in die Hand gelegt. Und wenn man genau hinsieht, dann impliziert dieses kleine Bilddetail im Kontext des Massakers bereits den anvisierten Massenmord an den Juden in Israel. Denn der kleine palästinensische Handala, der gerade die Grenzmauer durchbrochen hat (so wie die palästinensischen Terroristen die Absperrungen des Gazastreifens), blickt über ein leergefegtes Land auf den Felsendom in Jerusalem, der wie eine Fata Morgana hinter der Staubwolke hervorlugt. Das ist der Kern der Botschaft vom Free Palestine.

Das Interessante an der Karikaturen auf der Plattform ist, dass sie sich chronologisch ordnen lassen. Wie haben arabische Karikaturisten auf das Massaker reagiert? Haben sie wirklich gedacht, wie Karikaturen vom 8.10. andeuten, nun sei Israel ein für allemal geschlagen, nun sei es den palästinensischen Paraglidern gelungen, den Davidsstern abstürzen zu lassen? Oder, wie ein anderer Karikaturist noch am 7.10. meint, nun müsse die israelische Armee die weiße Fahne hissen, denn sie sei von den Terrorkämpfern und ihren Raketen geschlagen worden? Nun habe sich der israelische Aggressor endgültig am Gazastreifen die Zähne ausgebissen? Fast schon ironisch ist die Karikatur, die unter dem Titel „Palestine resists“ Netanjahu (dargestellt als Nazi) mit Goliath und die Palästinenser mit David vergleicht. Da hat jemand die biblische Geschichte nicht verstanden. Denn David ist natürlich Jude, während Goliath ein Philister ist, also von jenem Volk, auf das sich die Palästinenser in ihrer Suche nach einer historischen Genealogie so gerne berufen.

Apropos Genealogie. Als die USA das Massaker unmissverständlich verurteilen, meint ein Karika-turist, Amerika habe kein Recht dazu, denn die Amerikaner hätten die Ureinwohner (also die In-dianer) auch gelyncht – so wie die Israelis die Araber. Nur dass die Araber die Kolonialisten des 7. Jahrhunderts in Palästina sind und die dortigen Ureinwohner vertreiben oder zur Konversion zwingen. Aber Geschichte ist nicht unbedingt die Stärke der Karikaturisten.

Schon wenige Tage später wird den arabischen Karikaturisten klar, dass der Preis, den das palästinensische Volk für seine von der Regierung beauftragten Terroristen zahlen wird, ein ungeheurer sein wird. Und sofort schlägt der Tonfall in den Karikaturen um, statt des Jubels über den gelungenen palästinensischen Widerstand ertönt nun eine visuelle Kakophonie gegen das israelische Militär. Man macht Rechnungen auf, die besagen, die palästinensischen Terroristen hätten am 7. Oktober doch nur einige wenige ermordet oder entführt und wenn man das mit den Missetaten der Israelis und der Einsperrung der Palästinenser im Gazastreifen vergleiche, sei das doch nur marginal. Und manche Karikaturisten greifen auf alte Arbeiten zurück, die sie schon zu früheren israelischen Gegenschlägen produziert hatten. Mit dem Raketeneinschlag neben dem christlichen Hospital im Gazastreifen wird der Ton noch einmal schriller – nun werden direkt die mittelalterlichen Stereotype von den kindermordenden Juden bedient, ein Lieblingsthema der arabischen Karikaturisten seit 60 Jahren. Und so zeichnet man ein jüdisches Mobile über dem Bett eines palästinensischen Kindes, nur dass die einzelnen Teile des Mobiles aus israelischen Raketen bestehen, die alle auf das Kind gerichtet sind.

Unmittelbar antisemitisch wird es spätestens dann, wenn die in Gaza einschlagenden israelischen Raketen so dargestellt werden, dass sie von Tora-Rollen ummantelt sind, die dann (muss man sagen: natürlich?) ein palästinensisches Kind mit dem Tode bedrohen

Als dann die den Terror verherrlichenden Stimmen auf Facebook gesperrt werden, hetzt man gegen die westlichen Medien, die einseitig auf Seiten Israels und der Unterdrücker stünden. Und so wird jedes aktuelle Ereignis in die vertraute Bilderwelt eingearbeitet.

Aber es gibt natürlich auch die anderen Bilder, zunächst die aus einer Äquidistanz, von einem neutralen Standpunkt, der das Leiden bei allen Zivilisten in den Blick nimmt. Aber diese Position leidet selbst unter seinem Relativismus, denn es muss die notwendige Empathie angesichts des Geschehens am 7. Oktober abmildern zugunsten einer relativistischen Abwägung.

Und schließlich gibt es die empathischen und zugleich besonnenen Karikaturisten, die den Wahnsinn benennen und zugleich die Folgen aufzeigen. Positiv aufgefallen ist mir dabei Marian Kamensky, der heute in Wien lebt und auf eine lange Karriere als Karikaturist zurückblicken kann. Schon mit seinem ersten Bild am 7.10. konterkariert er die Aktionen der wahnsinnigen Terroristen, indem er sie statt in einen Tunnel in das offene Rohr eines israelischen Panzers laufen lässt. Er hält die Hamas schlicht für hirnlos (brainless) wie er auf einer späteren Karikatur zeigt.

Greta Thunberg, how dare you?

Die Empathielosigkeit Greta Thunbergs gegenüber den Opfern in Israel diskreditiert ihr politisches Engagement.

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg solidarisiert sich wiederholt im Rahmen der Fortsetzung ihrer wöchentlichen Aktionen mit dem Gazastreifen. Das ist im Rahmen der Meinungsfreiheit vielleicht ihr Recht, beweist aber eine bemerkenswerte Empathielosigkeit gegenüber den vorangegangenen Ereignissen. Thunberg ordnet sich ein in eine Tradition der Linken, die sich mit Palästinenser:innen solidarisieren, weil sie sie für die Unterdrückten im Konflikt im Nahen Osten halten, und empathielos gegenüber der Geschichte der Juden und Jüdinnen reagieren, das Existenzrecht Israels ignorieren oder sogar bestreiten. Auffällig ist zunächst, dass die Hamas selbst gar nicht erwähnt wird. Ähnlich wie bei linken Reaktionen in Deutschland bemüht man sich, zwischen Palästinensern und der Hamas zu unterscheiden. Die Hamas ist aber nicht nur eine palästinensische islamistische Bewegung, sie wurde auch von der Mehrheit der Bevölkerung im Gaza-Streifen 2006 an die Macht gebracht. In Deutschland waren es nach 1945 die Rechten, die immer zwischen den Deutschen und den Nazis unterschieden und suggerierten, nicht die Deutschen, sondern nur die Nazis seien für die Verbrechen verantwortlich. Das ist aber eine schiefe Perspektive und wird auch in der Übertragung auf die Verhältnisse im Nahen Osten nicht plausibler. Es wäre schon sinnvoll, auch in der Berichterstattung immer von der palästinensischen Hamas zu schreiben. Man kann die Palästinenser:innen nicht pauschal exkulpieren, indem man so tut, als hätten sie mit der Hamas nichts zu tun. Ja, auch viele Palästinenser:innen leiden unter der palästinensischen Hamas, die nach der Machtergreifung 2007 begann hat, ihr eigenes Volk zu unterdrücken. Das muss benannt werden. Und dennoch ist es eine an der Macht befindliche palästinensische Regierung, in deren Auftrag im Oktober tausende Zivilisten in Israel angegriffen wurden. Und deren Schergen verübten ein Massaker. Das wurde in der Narratio etwa der demokratischen Sozialisten in den USA schon Anfang des Jahres vorbereitet, indem sie von der Nichtunterscheidbarkeit von Militär und Zivilbevölkerung in Israel sprachen. Unter Verweis auf die Siedlerbewegung werden alle Israelis zu legitimen Zielen erklärt. Die Folgen davon erleben wir aktuell.

Im Rahmen einer Kritik an der europäischen Kolonialpolitik wird der Staat Israel sowohl als Profiteur des Kolonialismus wie auch selbst als kolonialistische Macht dargestellt, weshalb er zu bekämpfen sei. Das ist aber eine verkürzte Sicht. Als ob nicht die arabischen Palästinenser:innen selbst die Erben einer großen kolonialen Bewegung wären, die Mitte des 7. Jahrhunderts Palästina eroberte. Kolonialismus kann nicht auf das 19. und 20. Jahrhundert begrenzt werden, er durchzieht die gesamte Geschichte. So wie die europäische Kolonialgeschichte nicht erst im 15. Jahrhundert beginnt, beginnt auch die Kolonialgeschichte im Nahen Osten viel früher. Anders aber, als es die Bibel darstellt, ist die Bildung der jüdischen Staaten in der Antike nicht Ergebnis einer kolonialen Eroberung, sondern einer Ausdifferenzierung der regionalen Bevölkerung.

Indem Greta Thunberg auf ihrem Foto nun die Solidarität mit den Palästinenser:innen mit dem Engagement für die Umweltbewegung verknüpft hat, schädigt sie letztere. Wäre das Eintreten für bestimmte nationalistische Gruppen in Palästina das Schibboleth des Engagements für die Umwelt, werden alle, denen die Solidarität mit Israel und die Erinnerung an Millionen in der Shoa getöteter Juden und Jüdinnen unverzichtbar ist, ausgeschlossen. Hier werden zwei ethische Dilemmata auf fatale Weise miteinander verknüpft.

Aufgabe aller Erziehung ist, so hat es Theodor W. Adorno 1966 in seinem berühmten Rundfunkvortrag gesagt, dass Auschwitz sich nicht wiederhole.

„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.“

Auch Greta Thunbergs nachgeschobene Erklärung, sie sei natürlich gegen Antisemitismus, macht es nicht besser, im Gegenteil. Dass sie gegen Antisemitismus sind, erklären auch fast alle. Antisemitismus wird nicht durch formelhafte Bekenntnisse aufgehoben, sondern misst sich an den Folgen, die bestimmte Äußerungen haben. Der auf dem Foto von Thunberg sichtbare Slogan „Free Palestine“ lässt sich mit aller Vernunft nur so deuten, dass Palästina von Israel (und den Juden) befreit werden soll. Das ist eine völkerrechtswidrige Forderung, die man als israelbezogenen Antisemitismus charakterisieren muss. Dem entkommt man nicht, indem man abstrakt erklärt, man sei aber doch gegen Antisemitismus. Nach dem Motto: Ich habe nichts gegen Juden, viele meiner Freunde sind Juden, aber Juden (oder Israelis) gehören nicht nach Palästina. Man muss nicht Vertreter der IHRA-Definition des Antisemitismus sein, um darin israelbezogenen Antisemitismus zu erkennen. Das humanistische Schibboleth für alle ist hier notwendig die Anerkennung des völkerrechtlich verbürgten Existenzrechts Israels.

Anders als manche in den konservativen Medien es jetzt darstellen, diskreditiert das in seiner Abstraktheit und Empathielosigkeit fatale exklusive Engagement Greta Thunbergs für die palästinensische Sache nicht das Engagement der jungen Generation für die Klimawende. Man muss nur – anders als Thunberg es getan hat – das eine vom anderen trennen. Auch wer in Sachen Palästina zu anderen Schlussfolgerungen als Greta Thunberg kommt, ja ihnen diametral widerspricht, bleibt dennoch auf das Engagement zugunsten einer Klimawende verpflichtet – so ambivalent und schwierig das nach den jüngsten Äußerungen der internationalen (nicht der deutschen) FFF-Bewegung auch geworden ist. Es fällt freilich schwer, sich in (internationalen) Organisationen zu engagieren oder auch mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn ih­nen das Schicksal einer Religion und eines ganzen Landes egal ist.

Rechtsfragen

Was ist Recht und was ist Unrecht bei den Ereignissen in Israel und bei den Diskussionen zum Thema Naher Osten?

Ab und an ist es ganz gut, von Juristen auf den Boden der (Rechts-) Tatsachen geholt zu werden. Es ist ja das eine, was einem das das eigene, oft durch Moral bestimmte (Rechts-) Gefühl sagt, was man in der konkreten Situation des Nahost-Konflikts sagen darf bzw. sollte und was nicht, was man bekunden kann und was strafbare Billigung von Straftaten wäre. Da ist es gut, wenn Experten einem die Sachlage erläutern. Zu diesen Experten zählt unbestritten der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer. Auf Legal Tribune Online gibt es eine Kolumne, die sich „Eine Frage an Thomas Fischer“ nennt, und in der er aktuelle Fragen des Rechts und der Rechts-Kultur erörtert. Aktuell lautet die Frage „Ist der Jubel über Terror strafbar?“ Ich empfehle seine Darlegungen sehr zur Lektüre. Sein Fazit lautet:

1. Das Bejubeln von konkreten bzw. von hinreichend konkretisierbaren Tötungsdelikten der „Hamas“-Miliz in Israel ist nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar.
2. Die öffentliche Verbreitung der Parole „from the river to the sea / Palestine will be free“ ist im konkreten Bedeutungszusammenhang nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar. …
3. Allgemeine „Solidaritäts“-Bekundungen mit den politischen, humanitären oder rechtlichen Anliegen „der Palästinenser“ oder einzelner Gruppen von ihnen sind nicht strafbar, sondern unterfallen Art. 5 Abs. 1 GG. Entsprechende öffentliche Demonstrationen sind über Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG auch dann gerechtfertigt, wenn die dort vertretenen politischen Positionen einer Mehrheit der (deutschen) Bevölkerung abwegig erscheinen. Die palästinensische Flagge ist kein Kennzeichen der Organisation Hamas und daher nicht nach § 86a StGB strafbar.

Aus der Perspektive des Völkerrechts räumt Wolff Heintschel von Geinig im Gespräch mit der taz mit einigen auch von den Medien eifrig kolportierten Vorurteilen auf: „Es ist nach dem humanitären Völkerrecht nicht verboten, bei Angriffen gegen zulässige militärische Ziele auch Zivilpersonen oder zivile Objekte in Mitleidenschaft zu ziehen … Selbst hohe Verluste unter der Zivilbevölkerung müssen also nicht per se rechtswidrig sein.“ Zur Frage der Völkerrechtswidrigkeit der Aufforderung an die Bevölkerung, in den Süden zu gehen: „Selbst das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sagt, dass dieses Verbot nicht mehr gilt, wenn es der Sicherheit der betroffenen Zivilpersonen dient oder überragende militärische Gründe dies fordern. Und hier haben die Israelis gute Argumente auf ihrer Seite.“ Grundsätzlich aber gelte das humanitäre Völkerrecht aber für alle am Konflikt Beteiligten: „Das humanitäre Völkerrecht findet gleichmäßig auf alle Konfliktparteien Anwendung. Es kann nicht eine Konfliktpartei erklären, sich darum nicht mehr zu scheren, weil es der Gegner auch nicht tue.“

Zur Codeformel „Free Palestine“

Was meint jemand eigentlich, wenn er von „Free Palestine“ redet? Über die schrecklichen Implikationen einer politischen Formel.

Inzwischen mehren sich die Bekundungen mancher als prominent Geltender, die durch Tweets oder Fotos trotz der Gräueltaten der Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung ihre Solidarität mit den Palästinensern bekunden. Sie machen das, indem sie sich auf die eine oder andere Art und Weise des Slogans „Free Palestine“ bedienen.

Direkt am zweiten Tag der verbrecherischen Angriffe der Hamas auf die Bewohner (und Gäste) Israels tat dies die Rapperin Nura auf Instagram, indem sie einen Screenshot aus ihrem neuesten Musikvideo postete, der sie und ihre Sänger:innen vor dem Slogan „Free Palestine“ zeigte. Das war eine empathielose Geste, im besten Fall war sie nur gedankenlos, viel wahrscheinlicher gerade im Blick auf die abgeschlachteten Opfer bösartig.

Der Fußballer Mesut Özil, der schon öfter mit merkwürdigen Stellungnahmen aufgefallen war, bittet am 13.10.2023 auf X unter dem Hashtag #FreePalestine um Frieden im Nahen Osten, und postet dabei eine Fotomontage, die ihn vor dem Felsendom vor den miteinander verschränkten Fahnen der Türkei und der Palästinenser zeigt – Israel kommt nicht (oder allenfalls in Gestalt eines Soldaten) vor. Das zeigt in welche Richtung das freie Palästina gedacht wird: frei von Juden und Israelis. Bei Özil kann nicht mehr von Unbedachtheit gesprochen werden, es ist die bewährte Agitation, die sich nur vordergründig als humanitäre Geste kaschiert. Schon die Ästhetik des Bildes ist pure AgitProp-Ästhetik allein im Dienst der palästinensischen Sache.

All das verweist darauf, dass wir uns nicht nur in einem militärischen Konflikt im Nahen Osten wiederfinden, sondern auch in einen weltweiten Krieg mit Bildern, Worten und vor allem Slogans verwickelt sind. Worte und Bilder werden zu Waffen, der humanitäre Impuls als solcher wird zweitrangig.

Ich möchte deshalb auf eine Analyse des Slogans „Free Palestine“ verweisen, eine Auslegung, die ich teile. Ich fand sie auf dem empfehlenswerten Blog „Chaims Sicht“. Dort veröffentlicht Chajm Guski regelmäßig des Nachdenkens werte Impulse. Im Blogbeitrag „Ein leeres Land?“ setzt er sich am 12. Oktober 2023 mit dem Slogan „Free Palestine“ auseinander. Und er macht das unter dem m.E. zutreffenden Teaser: „Manchmal muss man Dinge bis zum Ende denken, um zu verstehen, um was es eigentlich geht.“ Er fragt, wie muss man sich das denken mit dem freien Palästina? Wie geht das praktisch, wenn eine Zwei-Staaten-Lösung nicht angestrebt und von der Hamas auch explizit abgelehnt wird? Wovon befreit man das Land? Und er sagt zu Recht: die Hamas-Lösung besteht darin, die israelische Bevölkerung auszulöschen. Das ist Genozid. Die zweite „Lösung“ wäre die Rückkehr der Juden in die Länder, aus denen sie gekommen sind. Aber was heißt das? Rückkehr in die arabischen Länder, aus denen sie gewaltsam vertrieben wurden? Bekommen sie dann den Besitz zurück, so wie die Palästinenser den Besitz zurückfordern, den sie angeblich vor 1948 hatten? Wenn aber ein Teil der jüdischen Bevölkerung im Land verbliebe, wie würde man mit ihnen umgehen? So wie mit anderen minoritären Gruppen in den arabischen Ländern? Fragen über Fragen. Lesen Sie den ganzen Beitrag ….>

Kunst und Kritik

Was sollte Kunstkritik auszeichnen und inwiefern beeinflussen die Inhalte das Urteil über das Kunstwerk?

Kunstkritik ist zugegebenermaßen ein außerordentlich schwieriges Geschäft. Oft verwechselt man den eigenen Geschmack mit einem Kunsturteil, noch häufiger verwechselt man den Inhalt der Kunst bzw. eines Kunstwerks mit dessen künstlerischer Qualität. Wenn sich also etwas mit der Ukraine, dem Klimawechsel oder dem Globalen Süden beschäftigt, stellt man sich die Kunstfrage gar nicht mehr (Was an diesem Objekt ist eigentlich Kunst?), sondern reagiert darauf, dass Künstler:innen sich überhaupt mit diesem spezifischen Thema beschäftigen. Würde man dem folgen, wäre Kunst abhängig von der Bedeutung seines Darstellungsgegenstandes. Ein Kunstwerk einer Kreuzigung wäre dann bedeutsamer als ein Kunstwerk eines Pissoirs, ein MeToo-Kunstwerk wichtiger als eine Landschaftsdarstellung. Das mag kulturgeschichtlich ab und an der Fall sein (aber nicht immer, wie Marcel Duchamps Urinoir belegt), künstlerisch gilt es aber nicht, ganz im Gegenteil. In der Kunst sind alle Themen und Inhalte nur Anlässe (außerästhetische Substrate), anhand derer Künstler:innen ihr Werk entwickeln. Ob das Werk künstlerisch herausragt, wird an seiner formalen Durchdringung und nicht an der Bedeutsamkeit seines Inhalts entschieden. Dass wird im deutschen Feuilleton oft übersehen. Dann wird die bloße Tatsache, dass sich jemand auf den Ukraine-Krieg bezieht, schon zum künstlerischen Argument. Dass ist auch dort der Fall, wo es etwa um Tierrechte geht. Ein Artefakt wird aber nicht besser oder schlechter, wenn es sich für oder gegen Tierrechte einsetzt. Die Künstler:innen werden uns vielleicht sympathischer, wenn wir ihr Anliegen teilen, aber das macht ihre Kunst nicht qualitätvoller.

Zum zweiten: Künstler:innen nutzen außerästhetische Substrate, um ihr Werk zu gestalten, Farben, Formen, Themen, Erzählungen, Bilder, Klänge usw. usf. Es gehört zur Kompetenz in der Kunstkritik, nicht nur zwischen Kunst und Darstellungsgehalt unterscheiden zu können, sondern auch, den Darstellungsgehalt selbst korrekt einzuordnen, z.B. die Ikonographie. Das ist ein Teil der Bildung, die für die Kunstkritik Voraussetzung ist.

Man kann kunstgeschichtlich etwa die Leistung Donatellos bei der Darstellung der Maria Magdalena nur angemessen würdigen, wenn man zum einen weiß, wer Maria Magdalena überhaupt ist, wie sie in der Bibel und in späteren Legenden dargestellt wird und wie andere Künstler vor Donatello mit diesem Stoff umgegangen sind. Wer daher Maria Magdalena irrtümlicherweise für eine Figur aus der Orestie oder aus den homerischen Erzählungen hält, wird auch seine Leser:innen in seiner Kunstkritik in die Irre führen, weil seine Maßstäbe dann die falschen sind. Oftmals sind solche Zuordnungen von Stoffen gar nicht so einfach, wie ein luzider Hinweis von Karl dem Großen und seinem Hoftheologen Theodulf von Orléans in den Libri Carolini zeigt. Sie fragten, wie man mit zwei Kunstwerken umgehen soll, von denen eines Venus und Cupido und das andere Maria und Christuskind zeigt, man aber nicht weiß, an welches Bild welcher Titel gehört – und welches damit zu verehren ist. Sie plädieren für ein schlichtes Kunsturteil.

Nun aber zum Auslöser meines Beitrages. In der taz stellt Tim Mustroph die Kunst der jüngst verstorbenen Lin May Saeed vor, die im Kolbe-Museum ausgestellt wird. Der angesehenen Künstlerin geht es auf der inhaltlichen Seite um das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren, spezifischer um Tierrechte. Formal arbeitet sie u.a. mit der Darstellung von Tieren mit Hilfe des Materials Styropor. Die Kunstkritik widmet nun sehr viele Aufmerksamkeit dem kritischen Engagement der Künstlerin, nicht zuletzt auch dort, wo es sich mit dem künstlerischen Engagement überschneidet. Manchmal schießt die mitfühlende Kunstkritik dann aber doch übers Ziel hinaus.

Saeeds Figuren (sind oft) überlebensgroße Hunde und Schakale, die sie aus dem Werkstoff Styropor herausschält. Der Werkstoff ist bewusst gewählt, als subtile Klage gegen die Vermüllung der Natur: Styropor ist nicht biologisch abbaubar, die Kunst aus ihm ist daher toxisch.

Die Logik dahinter stimmt in doppelter Hinsicht nicht. Zum einen bedarf es einer anderen Begründung für den Werkstoff als ausgerechnet den Protest gegen die Vermüllung der Natur. Das hat ja die gleiche Evidenz, als wenn ich besonders viel mit dem Flugzeug fliegen würde, um gegen den zunehmenden Flugverkehr zu protestieren. Das ist ein performativer Selbstwiderspruch. Ich kämpfe gegen ein Problem, indem ich es vergrößere – wie subtil. Das hat etwas von den Verschärfungstheorien der RAF, wonach die Zustände erst noch viel schlimmer werden müssten, bevor die Revolution eintreten könne. Und zum zweiten: Styropor ist (vielleicht) biologisch nicht abbaubar, aber deshalb ist es noch lange nicht toxisch. Dem Styropor beigemischte Flammschutzmittel können giftig sein, aber nicht das Styropor selbst. Ob Mehlwürmer Styropor nicht doch verzehren und in CO2 und verrottbares Gut umsetzen können, wird seit 2015 erforscht. Aber selbst wenn Styropor nicht abbaubar und toxisch wäre, würde damit keinesfalls auch die Kunst toxisch. Das ist ein Denkfehler, denn man verwechselt das Objekt mit der Kunst.

Das Museum liefert nun eine etwas anders geartete, aber ebenso wenig plausible Erklärung:

Auch werden in ferner Zukunft nicht Bronze oder Marmor als bildhauerisches Material Zeugnis menschlichen Schaffens ablegen, da sie verfallen sein werden. Styropor hingegen bleibt intakt. Deshalb ist dieser auf Erdöl basierende, biologisch nicht abbaubare Kunststoff der von Lin May Saeed bevorzugte Werkstoff für ihre Arbeiten.

Was immer das besagen soll (und wie fern die Zukzbft auch sein mag), es trifft nicht zu. Styropor lässt sich leicht vernichten, ich will keinem Ikonoklasten Tipps geben, aber mit Hilfe von Aceton bleibt von den Arbeiten der Künstlerin wenig übrig. Das wäre bei Bronze oder Marmor nicht so. Marmor, um nur das anzumerken, ist vor 30 Millionen Jahren entstanden und wird seit 2600 Jahren abgebaut. Man sollte diese Stoffe im Blick auf ihre Beständigkeit nicht in einen Vergleich mit Styropor bringen. Die kleine Bronzeskulptur von Helmut Lander, die vor mir auf dem Schreibtisch steht, wird jede Styroporskulptur überleben – wir werden es nur alle nicht mehr erleben.

Als Theologe fand ich noch folgende Beschreibung in der Kunstkritik amüsant:

Auch biblische Geschichten animierten die Künstlerin. Sie zeigt den heiligen Hieronymus in genau dem Moment, in dem er einem hinkenden Löwen einen Dorn aus der Pfote zieht. Der bleibt der Legende nach zum Dank bei den Mönchen. Er muss dort Wachdienst schieben, wird später wegen eines vermeintlichen Fehlers sogar bestraft, bis sich zum Ende alles fein auflöst.

Ist das nicht schön, wie die gute alte Bibel immer wieder (auch für den Theologen) überraschende Geschichten zu erzählen weiß? Und der geschilderte Löwe ist sicher froh über sein Schicksal, ergeht es ihm doch ganz anders als dem im vierzehnten Kapitel des Richterbuches erwähnten Löwen, den Simson komplett zerreißt. „Da kam der Geist des Herrn über Simson, und Simson zerriss den Löwen mit bloßen Händen, als würde er ein Böckchen zerreißen“. Albrecht Dürer hat dieser Szene eine sehr schöne Grafik gewidmet, die freilich auf Tierrechte wenig Rücksicht nimmt. Im Vergleich dazu hat der Löwe des Hieronymus noch Glück gehabt – bei biblischen Helden weiß man ja nie genau, woran man ist.

Aber in welchem Buch der Bibel finden wir eigentlich die ‚biblische Geschichte‘ von Hieronymus und dem Löwen? Erraten, in gar keinem, weil der Kirchenvater Hieronymus im ausgehenden 4. und beginnenden 5. Jahrhundert nach Christus zu den Übersetzern der Bibel gehörte und weder zu ihren Verfassern noch zum dargestellten Inhalt! So kann er schlecht in der Bibel vorkommen und dort für ein besseres Mensch-Tier-Verhältnis eintreten. Auch diesem Mensch-Tier-Verhältnis hat Albrecht Dürer ein schönes, freilich im Blick auf die Legende allzu idyllisches Bild gewidmet.

Denn so gemütlich als Tischvorleger war das Leben für den Löwen des Hieronymus nicht, er wurde (geradezu widernatürlich) zum Schutztier eines Esels ernannt, musste nach dessen Diebstahl sogar dessen Funktion als Lasten­träger übernehmen (da die Mönche ihn verdächtigten, den Esel gefressen zu haben) und wurde erst spät rehabilitiert. Erzählt wurde diese Legende aber nicht vor dem 8. Jahrhundert nach Christus und damit etwa 700 Jahre nach deb biblischen Schriften. Biblisch ist an der Geschichte wenig, aber sie ist natürlich – wie bei allen mittelalterlichen Geschichten – voller Bezüge auf die Bibel. Wer die Geschichte des zahmen Löwen in ihrer ganzen Schönheit nachlesen will, kann dies in der Legenda aurea des Jacobus de Voragine tun, die seit dem 13. Jahrhundert die Heiligengeschichten popularisierte.

Die sich mir in dieser Ausgestaltung der Legende aufdrängende Frage ist aber die, welche Tier-Rechte der Esel eigentlich gegenüber dem Löwen hat? Und welcher Gerichtshof wäre in der Lage, einen solchen Prozess zwischen zwei Tieren oder gar zei Tierarten zu führen? Sonst bleibt die ganze Debatte über Tierrechte doch letztlich wiederum nur eine anthropozentrisch beschränkte. Biblisch heißt es, dass erst in der Heilszeit den Tieren gegeneinander Rechte eingeräumt werden.

„Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinanderliegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder.“

P.S.: Damit keine Missverständnisse entstehen: Natürlich kann die Kunst bestimmten kontroversen Themen eine größere öffentliche Aufmerksamkeit zukommen lassen, sie kann verdichtete Bilder für komplexe Szenarien schaffen (wie Picasso mit „Guernica“ für die verbrecherische Attacke auf die spanische Zivilbevölkerung oder Caspar David Friedrich mit dem „Mensch am Meer“ für die Romantik). Das ist seit 2000 Jahren eine der großen Leistungen von Kunst. Das soll hier nicht bestritten werden. Der Anlass für ein Kunstwerk sollte unseren Blick aber nicht trüben, wenn es um ein Kunsturteil geht. Picassos „Massaker in Korea“ ist ganz sicher aus Engagement entstanden – aber es ein schlechtes Werk. Und es gibt so unzählig viele Kunstwerke, die aus Engagement geboren wurden, aber es eben nicht verdienen, Kunst genannt zu werden. Diese Frage stellt sich nun im vorliegenden Fall nicht, es ist gute Kunst, die von Lin May Saeed in der Ausstellung präsentiert wird. Aber wenn ich ganz ehrlich bin und nur mein subjektives Geschmacksurteil äußern sollte: der Hund von Alberto Giacometti überzeugt mich weiterhin mehr. Aber es ist nur ein Bronze-Werk, man könnte also abwarten, was zuerst verfallen wird.

Filmische Passionen

Das Heft 145 des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik ist erschienen. Es ist eine Festschrift für die Theologin und Cineastin Inge Kirsner und beschäftigt sich mit dem Kino und dem Film in unterschiedlichen Perspektiven. .

Inhaltsverzeichnis

Editorial

Inge Kirsner schreibt in tà katoptrizómena
Ein Überblick
Die Redaktion [4 S.]

CINEMA

Kino Essay
Inge Kirsner gewidmet zum 60. Geburtstag
Armin Münch [6 S,]

Time Movies
Vier Filmbeschreibungen
Karsten Visarius [10 S.]

„100 Years“
The Movie you will never see
Andreas Mertin [16 S.]

„Du hast nichts gesehen in Hiroshima“
Oppenheimer – Hiroshima mon amour – Past lives
Jörg Herrmann [10 S.]

Missing the ‚Big Picture‘, oder: Wieder nichts gelernt!
Unschlüssige Bemerkungen zu Burn after Reading
Hans-Ulrich Gehring [8 S.]

Igor Levit – No Fear
Ein Film von Regina Schilling
Harald Schroeter-Wittke [6 S.]

Clint Eastwoods „Gran Torino“
Mein Lieblingsfilm
Hans-Martin Gutmann [10 S.]

Alltagspoesie
Die Japan-Filme Doris Dörries
Gotthard Fermor [8 S.]

Einfälle in der Nacht
Erfahrungen mit dem Französischen Kino
Reinhard Lambert Auer [6 S.]

Wettlauf um Box 808
Der neue Roman von Tom McCarthy
Ludwig Laibacher [4 S.]

Die Welt, die sich selber sehen möchte
Eberhard Schwarz [6 S.]

Zum Bilde Gottes schuf er – sie: „Transamerica“
Film-Predigt über Galater 3, 27-28
Klaus Pantle [6 S.]

Selbstgewinn durch Selbstverlust
Eine Film-Kunst-Kunst-Predigt zu Joh 21, 15-19
Thomas Erne [4 S.]

Bist du eine Hauptfigur, eine Nebenfigur oder nur ein Outtake und nie im Bilde in deinem Leben?
Sophie Linnenbaums Filme als Korrespondenz zwischen Film- und realen Welten
Marion Keuchen [6 S.]

Bibelfeste Terroristen, laichende Aale und eine frustrierte Polizeichefin
Syllas Tzoumerkas Film „Das Wunder im Meer von Sargasso“
Richard Janus [4 S.]

Angst, Glaube und Liebe
in M. Night Shyamalans „The Village“
Jan Christian Pinsch [6 S.]

„Eine traurige Entwicklung“
Ein Dokument aus der Hammer-Zeit …
Stefanie Schäfer-Bossert [4 S.]

Linsenstraße 21 ähh bis zett
Der Film zum Clowninar
Gisela Matthiae [2 S.]

Von Giotto bis Matrix
Eine visuelle Buchbegehung aus aktuellem Anlass
Andreas Mertin [14 S.]

Toscano
Ein kleiner Mythos aus aktuellem Anlass
Andreas Mertin [4 S.]

RE-VIEW

Kunsttheorie
Eine Rezension
Andreas Mertin [6 S.]

„Going to Extremes in Biblical Rewritings“
Eine Rezension
Claudia Bergmann (4 S.)

Unter Beteiligung
Buchvorstellungen
Redaktion (2 S.)

POST

„Es ist mir längst klar, dass nichts bleibt wie es war“
Wenn ein Sänger ihre Fans überrascht – Zur Kultur der Ambivalenzen
Andreas Mertin [8 S.]

In Effigie oder: Du sollst Dir kein Bildnis machen!
Zur neuesten Form des religiösen Ikonoklasmus
Andreas Mertin [4 S.]