Greta Thunberg, how dare you?

Die Empathielosigkeit Greta Thunbergs gegenüber den Opfern in Israel diskreditiert ihr politisches Engagement.

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg solidarisiert sich wiederholt im Rahmen der Fortsetzung ihrer wöchentlichen Aktionen mit dem Gazastreifen. Das ist im Rahmen der Meinungsfreiheit vielleicht ihr Recht, beweist aber eine bemerkenswerte Empathielosigkeit gegenüber den vorangegangenen Ereignissen. Thunberg ordnet sich ein in eine Tradition der Linken, die sich mit Palästinenser:innen solidarisieren, weil sie sie für die Unterdrückten im Konflikt im Nahen Osten halten, und empathielos gegenüber der Geschichte der Juden und Jüdinnen reagieren, das Existenzrecht Israels ignorieren oder sogar bestreiten. Auffällig ist zunächst, dass die Hamas selbst gar nicht erwähnt wird. Ähnlich wie bei linken Reaktionen in Deutschland bemüht man sich, zwischen Palästinensern und der Hamas zu unterscheiden. Die Hamas ist aber nicht nur eine palästinensische islamistische Bewegung, sie wurde auch von der Mehrheit der Bevölkerung im Gaza-Streifen 2006 an die Macht gebracht. In Deutschland waren es nach 1945 die Rechten, die immer zwischen den Deutschen und den Nazis unterschieden und suggerierten, nicht die Deutschen, sondern nur die Nazis seien für die Verbrechen verantwortlich. Das ist aber eine schiefe Perspektive und wird auch in der Übertragung auf die Verhältnisse im Nahen Osten nicht plausibler. Es wäre schon sinnvoll, auch in der Berichterstattung immer von der palästinensischen Hamas zu schreiben. Man kann die Palästinenser:innen nicht pauschal exkulpieren, indem man so tut, als hätten sie mit der Hamas nichts zu tun. Ja, auch viele Palästinenser:innen leiden unter der palästinensischen Hamas, die nach der Machtergreifung 2007 begann hat, ihr eigenes Volk zu unterdrücken. Das muss benannt werden. Und dennoch ist es eine an der Macht befindliche palästinensische Regierung, in deren Auftrag im Oktober tausende Zivilisten in Israel angegriffen wurden. Und deren Schergen verübten ein Massaker. Das wurde in der Narratio etwa der demokratischen Sozialisten in den USA schon Anfang des Jahres vorbereitet, indem sie von der Nichtunterscheidbarkeit von Militär und Zivilbevölkerung in Israel sprachen. Unter Verweis auf die Siedlerbewegung werden alle Israelis zu legitimen Zielen erklärt. Die Folgen davon erleben wir aktuell.

Im Rahmen einer Kritik an der europäischen Kolonialpolitik wird der Staat Israel sowohl als Profiteur des Kolonialismus wie auch selbst als kolonialistische Macht dargestellt, weshalb er zu bekämpfen sei. Das ist aber eine verkürzte Sicht. Als ob nicht die arabischen Palästinenser:innen selbst die Erben einer großen kolonialen Bewegung wären, die Mitte des 7. Jahrhunderts Palästina eroberte. Kolonialismus kann nicht auf das 19. und 20. Jahrhundert begrenzt werden, er durchzieht die gesamte Geschichte. So wie die europäische Kolonialgeschichte nicht erst im 15. Jahrhundert beginnt, beginnt auch die Kolonialgeschichte im Nahen Osten viel früher. Anders aber, als es die Bibel darstellt, ist die Bildung der jüdischen Staaten in der Antike nicht Ergebnis einer kolonialen Eroberung, sondern einer Ausdifferenzierung der regionalen Bevölkerung.

Indem Greta Thunberg auf ihrem Foto nun die Solidarität mit den Palästinenser:innen mit dem Engagement für die Umweltbewegung verknüpft hat, schädigt sie letztere. Wäre das Eintreten für bestimmte nationalistische Gruppen in Palästina das Schibboleth des Engagements für die Umwelt, werden alle, denen die Solidarität mit Israel und die Erinnerung an Millionen in der Shoa getöteter Juden und Jüdinnen unverzichtbar ist, ausgeschlossen. Hier werden zwei ethische Dilemmata auf fatale Weise miteinander verknüpft.

Aufgabe aller Erziehung ist, so hat es Theodor W. Adorno 1966 in seinem berühmten Rundfunkvortrag gesagt, dass Auschwitz sich nicht wiederhole.

„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.“

Auch Greta Thunbergs nachgeschobene Erklärung, sie sei natürlich gegen Antisemitismus, macht es nicht besser, im Gegenteil. Dass sie gegen Antisemitismus sind, erklären auch fast alle. Antisemitismus wird nicht durch formelhafte Bekenntnisse aufgehoben, sondern misst sich an den Folgen, die bestimmte Äußerungen haben. Der auf dem Foto von Thunberg sichtbare Slogan „Free Palestine“ lässt sich mit aller Vernunft nur so deuten, dass Palästina von Israel (und den Juden) befreit werden soll. Das ist eine völkerrechtswidrige Forderung, die man als israelbezogenen Antisemitismus charakterisieren muss. Dem entkommt man nicht, indem man abstrakt erklärt, man sei aber doch gegen Antisemitismus. Nach dem Motto: Ich habe nichts gegen Juden, viele meiner Freunde sind Juden, aber Juden (oder Israelis) gehören nicht nach Palästina. Man muss nicht Vertreter der IHRA-Definition des Antisemitismus sein, um darin israelbezogenen Antisemitismus zu erkennen. Das humanistische Schibboleth für alle ist hier notwendig die Anerkennung des völkerrechtlich verbürgten Existenzrechts Israels.

Anders als manche in den konservativen Medien es jetzt darstellen, diskreditiert das in seiner Abstraktheit und Empathielosigkeit fatale exklusive Engagement Greta Thunbergs für die palästinensische Sache nicht das Engagement der jungen Generation für die Klimawende. Man muss nur – anders als Thunberg es getan hat – das eine vom anderen trennen. Auch wer in Sachen Palästina zu anderen Schlussfolgerungen als Greta Thunberg kommt, ja ihnen diametral widerspricht, bleibt dennoch auf das Engagement zugunsten einer Klimawende verpflichtet – so ambivalent und schwierig das nach den jüngsten Äußerungen der internationalen (nicht der deutschen) FFF-Bewegung auch geworden ist. Es fällt freilich schwer, sich in (internationalen) Organisationen zu engagieren oder auch mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn ih­nen das Schicksal einer Religion und eines ganzen Landes egal ist.