Ein weiteres Detail auf dem gerade von mir betrachteten Bild ist noch bemerkenswert. Und das ist der violette Schal, der quer über dem gut eingewickelten Jesuskind im Weidenkorb liegt. Es hat eine merkwürdige Form und wirkt wie zufällig abgelegt, ist aber natürlich wie immer auf spätmittelalterlichen Kunstwerken sorgfältig inszeniert.
Schaut man noch einmal auf das vorherige Bilddetail des Hl. Josef, dann erkennt man, dass das abgelegte Stück Stoff zur Kleidung des „Nährvaters“ gehört. Aber um welches Kleidungsstück handelt es sich? Die Form zeigt uns nun, dass es sich wohl um ein Beinkleid handelt, also quasi die Hose des Josef. Demnach hätte dieser sein Beinkleid ausgezogen, um das Neugeborene vor der Kälte zu schützen.
Tatsächlich finden wir vor allem in bestimmten rheinischen Traditionen dieses Motiv, bei dem sich Josef von Teilen seiner Beinkleidung trennt, um das Neugeborene besser auszustatten und vor der Kälte zu schützen. Die Web Gallery of Art schreibt dazu:
Was wir hier finden, ist die Geschichte von ‚Josephs Strümpfen‘. Der Vater Jesu sitzt am unteren Rand des Panels und schneidet eine seiner Leggings auf. Bestimmte … Weihnachtslieder erzählen, dass das Christ-Kind in Stoff aus dieser Unterwäsche gewickelt wurde. Aachens Kathedrale besaß einst als Relikt „Josephs Strümpfe“, die um 1400 Gegenstand intensiver Verehrung waren.
Träfe das zu, wäre auch der frierende Josef mit den Handschuhen aus der von mir betrachteten Tafel des Jahres 1437 zumindest unter seinem Mantel ohne Hose, eine Vorstellung nicht ohne Ironie. Wenn aber bereits 1400 und früher das frierende Christuskind ein Thema der Kunst war, kann es sich nicht auf die klimatischen Veränderungen im 15. Jahrhundert beziehen, sondern ordnet sich in eine kunstgeschichtliche Tradition ein. 1385, so lerne ich, schreibt ein sog. Werner der Schweizer in seinem Marienleben:
„Maria wand ir kindelin / in aerm klainu tüchelin, / Die man noch lat ze Ache sechen: / Ich warn und han es horen jechen. / Das su mit rechten maeren / Josephes hossen waeren / Zwai graewu tuchelu da sint. / Siner windelin, die man da vint.“