Wenn wir nur auf das obige Detail mit den vier Figuren blicken, dann könnten wir schnell erkennen, um wenn es sich handelt: ein Mann (von Beruf offenbar Zimmermann), eine Frau auf einem Esel reitend und ein Ochse, der die Gruppe begleitet. Da nicht auch noch ein Kind zu sehen ist, kann es sich nicht um die Flucht nach Ägypten handeln, sondern es muss der Weg des Heiligen Paares zur Volkzählung sein. Im Auftrag von Kaiser Augustus begeben sie sich am Vorabend der Geburt Jesu nach Bethlehem, um sich in die Verzeichnisse des römischen Reichs einzutragen. Warum Josef dazu seine überdimensionale Säge mitgenommen hat erschließt sich nicht, vielleicht dient sie dem ausführenden Künstler nur dazu, dass die Betrachter:innen ihn leichter identifizieren können.
Während wir also die herausgeschnittene Gruppe relativ gut der biblischen Erzählung zuordnen können, fällt das bei der Betrachtung des Gesamtwerkes deutlich schwerer. Pieter Bruegels Bild von 1566 ist 116×164 cm groß und trägt den Titel „Die Volkszählung von Bethlehem“ (Zoom-View-Bild bei Google ArtsandCultur). Das Gemälde befindet sich heute in den Königlichen Museen der Schönen Künste Belgiens in Brüssel. Dort gehört es zu den Meisterwerken der Sammlung im Bereich der Alten Kunst, die über zahlreiche Werke der Künstlerfamilie verfügt (u.a. auch eine andere Variante desselben Sujets aus der Hand des Sohnes von 1610).
Der Vater Pieter Bruegel der Ältere hatte sich bei seinem Werk entschieden, die Szene nicht in Judäa kurz vor der Zeitenwende spielen zu lassen. Sie wurde sozusagen „aktualisiert“ und spielt nun in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts und damit mitten in der Kleinen Eiszeit. Dementsprechend stoßen wir auf eine Schneelandschaft mit zugefrorenem Fluss und zahlreichen Details aus dem Dorfleben. Denn die sich anschließende Geburt Jesu geschieht eben: mitten im Leben der Menschen mit ihren Geschäften, dem prallen Leben und den Tätigkeiten des Handwerks. Man möchte gar nicht hinschauen, so realistisch zeichnet Bruegel das Alltagsleben.
Während wir uns trotz der Dramatik der Weihnachtserzählung („denn sie hatten keinen Raum in der Herberge“) an idyllische Weihnachten gewöhnt haben, sieht Bruegel nicht ein, warum er auf dem Kunstwerk nicht auch zeigen soll, wie wir an unseren Weihnachtsbraten kommen. Und so schlitzt ein Bauer
vor den interessierten Augen zweier Kinder einem Schwein den Hals auf und seine Frau fängt das Blut auf einer Pfanne ein. Das Haus im Hintergrund, das man für die Volkszählungsstelle deuten könnte, ist in Wirklichkeit eine Wechselstube, das Haus daneben eine eifrig frequentierte Kneipe.
Und irgendwo dazwischen findet in der kommenden Heiligen Nacht die Geburt des Herrn statt.