Seit Jahren beobachte ich ein sich publizistisch nennendes Projekt im Internet, das sich als erzkonservatives Online-Magazin ausgibt, in Wirklichkeit aber eine Kuriosität und Abstrusität nach der anderen von sich gibt. Permanent werden dort Prophezeiungen gemacht, von denen man schon im Moment des Erscheinens weiß, dass sie nicht eintreffen werden. Das ist wirklich sehr lustig. Mal wird prophezeit, dass die AfD bei den Wahlen in den neuen Bundesländern tsunamiartig alle Wahlen als stärkste Partei gewinnen und damit das alte Parteiensystem hinwegfegen wird, dann wird prophezeit, dass Donald Trump die US-Wahlen bereits sicher gewonnen habe oder – nur wenig später – doch noch gewinnen könne. Man weiß es eben nicht und wie alle falschen Propheten stochert man blind in der Zukunft herum.
Ein konstantes Thema gibt es aber bei diesem Projekt und das ist das Erbetteln von Spenden. Während die Linken aus dubiosen Quellen mit Geld nur so überschüttet würden, sei das bei erzkonservativen Projekten leider nicht so, weshalb man das Projekt nun bald a) hinter einer Bezahlschranke verschwinden lassen müsse oder b) einstellen werde. Die leise Hoffnung, die da bei aufrechten Demokraten aufkeimt, erfüllt sich aber nicht, denn kurze Zeit später ist die Bezahlschranke schon wieder verschwunden und das Projekt wird eben nicht eingestellt. Man hat sich an diese periodisch wiederkehrende Bettelei schon gewöhnt. Es ist aber auch nicht ersichtlich, warum man das Projekt – vorausgesetzt man wäre ein Erzkonservativer – überhaupt fördern sollte. Einen publizistischen Mehrwert gegenüber anderen vergleichbaren Projekten bietet es nicht. Warum dann nicht gleich diese intellektuell durchaus ambitionierteren Projekte nutzen? Was bleibt ist ein humoristisch zu nennender Blick auf die Welt, etwa was Religion, Immigranten und Geschlechterverhältnisse betrifft. Wollte man als Kabarettist ein Zerrbild eines patriarchalischen, aus der Welt gefallenen Charakters zeichnen, man könnte es nicht besser machen. Das hat schon was, auch wenn es in der Simplizität der Gedankenführung manchmal etwas ermüdet.
Jüngst erschien ein Artikel des Betreibers dieses Projekts mit dem appellativen Titel „Katholische Frauen: Wusste Jesus nicht, dass es mal eine Alice Schwarzer geben würde?“ Kommentiert werden soll so die Weltsynode der Katholiken und die bedauernde Stellungnahme des ZdK dazu, dass leider Beschlüsse zu weitergehenden Fortschritten für die Frauen in Kirchenämtern ausgeblieben seien. Das findet der erzkonservative Kommentator natürlich fast schon erwartungsgemäß gut, denn Jesus habe explizit nur Männer für kirchenleitende Funktionen bestimmt:
Im Grunde ist es ja auch ganz einfach: Kirchengründer Jesus Christus hatte vor gut 2000 Jahren zwölf MÄNNER als seine Jünger ausgewählt. MÄNNER! Glauben Sie nicht? In der Bibel werden sie namentlich genannt: Simon Petrus, Jakobus, Johannes, Andreas, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Thomas, Jakobus, Thaddäus, Simon, Judas. Das sind die Namen, nicht Monika, Heike, Astrid und Juliette.
Da hat der gute Mann recht, d.h. nicht ganz, Jesus wollte gar keine Kirche gründen, denn er rechnete ja noch damit, innerhalb einer Generation zurückzukehren. Erst die nachfolgenden Generationen mussten mit der fatalen Parusie-Verzögerung fertig werden und Institutionen etablieren. Aber Jesus hat tatsächlich nach den Berichten der Jahrzehnte nach seinem Tod entstandenen Evangelien und den Paulusbriefen nur Männer in seinem Funktionärskreis gehabt. Das müssen wir ernst nehmen und sollten an Jesu Willen keinerlei Abstriche machen. Das hat freilich für Erzkonservative dramatische Folgen, an die sie in ihrer positivistischen, um nicht zu sagen fundamentalistischen Bibellektüre vermutlich nicht gedacht haben. Jesus hat nämlich nicht nur Männer berufen, sondern explizit beschnittene Männer! Ganz sicher ist kein unbeschnittener Mann unter den Berufenen. Es ist nicht ganz einzusehen, dass das eine (die Männlichkeit) zum Kriterium der Berufung gemacht wird, und das andere (die Beschneidung) nicht. Jesus hat aber nicht nur beschnittene Männer berufen, sondern explizit und unter besonderer Betonung ausgerechnet zwölf Juden! Auch das wäre damit in den Kriterienkatalog zur Berufung aufzunehmen. Aber damit noch nicht genug. Jesus beruft keinesfalls römischen Juden, sondern explizit regionales Personal, wohnhaft rund um den See Genezareth, und zwar solche Leute, die weitgehend als Fischer tätig waren. Auch das wäre künftig bei der Berufung mit zu berücksichtigen. Denn es bedeutet zugleich, dass Jesus ausschließlich(!!) People of Color berufen hat. Kein einziger Weißer unter den Berufenen, das kann doch kein Zufall sein! Jesus weiß, was er macht! Man wird also dieses Kriterium als bindend ansehen müssen. Es gibt sicher noch weitere Charakteristika, die die zwölf Erstberufenen auszeichnen. Zum Beispiel, dass zum Apostel nur gewählt wurde, wer Jesus auch wirklich persönlich begleitet und nicht nur von ihm gehört hat (weshalb Paulus kein Apostel werden konnte). Aber das hätte das Phänomen der männlichen Kirche schnell beendet, denn nach kurzer Zeit gab es keine Augenzeugen mehr und man musste dieses bei der Nachwahl des Judas Iskariot aufgestellte Kriterium aufweichen. Aber das hat Jesus als Gott dies alles vorausgesehen, sonst wäre er ja nicht Gott.
Und weil Jesus alles weiß, müssen seine angeblichen, in Wirklichkeit aber frei erfundenen Kriterien auch eingehalten werden:
… in der gängigen Auslegung der katholischen Kirche – mit immerhin 1,4 Milliarden Gläubigen weltweit – ist es die Rolle des Mannes, den Glauben weiterzutragen, und die Rolle der Frau ist es, das menschliche Leben weiterzugeben. Punkt!
Da sollte der gute Kolumnist aber noch mal sowohl in den Religionsunterricht wie in den Aufklärungsunterricht gehen. Denn das von ihm Behauptete ist schlicht falsch (selbst wenn es von 6 Milliarden Menschen vertreten würde). Er hat schlicht in der Schule nicht aufgepasst. Paulus lässt munter Frauen den Glauben weitertragen (z.B. nach den Paulusakten die Heilige Thekla von Ikonium. Oder nach Römer 16,7 die Junia). Ob sie explizit Apostel genannt wurden, ist umstritten, aber der Kolumnist behauptet ja nur, Frauen hätten nicht die Aufgabe gehabt, den Glauben weiterzutragen. Das ist nicht zuletzt eine unerträgliche Beleidigung aller frühen Märtyrerinnen der Christenheit (Justina von Padua, Lucia von Syrakus, Agnes von Rom, Dorothea von Kappadokien, Felicitas und Perpetua, Agatha aus Sizilien, Agnes von Rom, Cäcilia von Rom, Anastasia aus Serbien, um nur einige wenige zu nennen). Sie alle tragen durch ihr Leben, ihre Lehre und ihr Leiden den Glauben weiter.
Und dass nur Frauen das menschliche Leben weitergeben, ist nun derartig falsch, dass man sich fragt, woher der Autor diese Erkenntnis hat. Sicherlich nicht aus dem Aufklärungsunterricht. Selbst die Jungfrau Maria konnte nicht allein schwanger werden.
In den Anfängen der Christenheit war man sich nicht sicher, ob da nicht doch neben der Taube als Symbol des Heiligen Geistes ein durchaus männlich zu deutender virtus Altissimi beteiligt war. So stellt es zumindest die älteste Marienkirche der Welt, Santa Maria Maggiore in Rom, 432-440 der lateinischen Übersetzung folgend und sie missverstehend (Spiritus Sanctus … et virtus Altissimi) dar. Aber das fünfte Jahrhundert der Christenheit ist natürlich nicht maßgebend. In der katholischen Christenheit mit immerhin 1,4 Milliarden Gläubigen wird das menschliche Leben seit jeher ohne männliche Beteiligung weitergegeben. Was für ein schlechter Witz, über den man als Protestant natürlich lachen kann, aber sollte nicht auch der konservative Katholizismus anders über Männer und Frauen reden?
In Padua, der Stadt, die unter dem Patronat der Heiligen Justina steht, wurde die erste Frau der Welt promoviert und ihr wurde eine Professur angetragen, die sie aber ausschlug, um ins Kloster zu gehen und von dort aus den Glauben an Jesus Christus weiterzutragen. Dort liegt sie auch auf dem Friedhof der Kirche Santa Giustina beerdigt. („1678 promovierte Elena Lucrezia Cornaro Piscopia (1646 – 1684) als weltweit erste Frau, und zwar an der Universität von Padua zum Dr. phil.“ Aber schon damals verweigerte ihr die katholische Kirche einen theologischen Doktorgrad mit der Begründung, dass eine Frau in der Kirche zu schweigen habe. Dabei dürfte der Bildungsgrad von Elena Lucrezia Cornaro Piscopia, die in Latein und Griechisch, Hebräisch, Französisch und Spanisch ausgebildet war, Mathematik, Philosophie und Theologie studiert hatte, und über aristotelische Logik promovierte, deutlich über dem nahezu aller berufenen katholischen Männer liegen. Zumindest über der des deutschen Papstes Benedikt, dem Umberto Eco eine Bildung auf dem Niveau eines Dorfschullehrers attestierte. Aber der Kolumnist weiß es natürlich besser, denn der Herr hat ja in seiner weisen Voraussicht allen Frauen den Zugang zu Bildung und Lehre untersagt. Sonst hätte er selbstverständlich auch Frauen in den Jüngerkreis berufen. Was für ein Schwachsinn.
Weniger schwachsinnig finde ich natürlich die den Artikel beendende Aufforderung an alle katholischen Frauen, evangelisch zu werden. Das ist doch ein Wort. Der Verfasser ist selbst Konvertit, also ein Immigrant in den Katholizismus, er ist aus dem Ostwestfälischen in die Arme der römischen Weltkirche geflüchtet. Und weil er sich da nicht wohlfühlt, wenn nicht echte Männer den Glauben und echte Frauen das Leben weitergeben, möchte er alle re-migrieren, die das anders sehen als er. Man konvertiert schließlich nicht, um bei der neuen Kirche am Ende dasselbe vorzufinden wie in der alten: Synodal- und Regionalprinzip und Frauenemanzipation. Da hätte man ja gleich ostwestfälisch bleiben können. Er jedenfalls will nicht zu einer rocktragenden Figur am Kreuz aufschauen, die sich ihrer Rolle als lebensspendender Frau verweigert und lieber den Glauben an Jesus Christus weiterträgt. Und oh Wunder, die Geschichte wurde schon erzählt, bevor es den bösen Protestantismus gab. Die frühesten Darstellungen aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts(!) zeigen sie als junge Frau, bärtig und gekrönt, mit deutlich weiblichen Gesichtszügen und Körperformen, in langem Rock und mit Stricken ans Kreuz gebunden. Was für ein gestaltgewordener Alptraum für ostwestfälische Konvertiten