Und das nennt ihr „Blasphemie“?

Die Erregung um das re-inszenierte Fresko von Leonardo da Vinci bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele ist bigott. Die queere Bewegung hat alles Recht der Welt, sich auf Leonardo zu berufen.

Die Rechten der Welt, die reaktionären Verteidiger des christlichen Abendlandes schäumen, weil während der Eröffnung der olympischen Spiele vor Milliarden Menschen dargestellt wurde, dass Gott auch LGBT-Menschen zum Abendmahl eingeladen hat. Dies feiert zu meinem Gedächtnis hatte der Herr gesagt und Pariser Drag-Queens und Trans-Menschen haben sich – zumindest in einer an Leonardo da Vinci angelehnten Inszenierung – darangehalten.

Nun kann man gut fragen, ob sie hier wirklich – wie die Verteidiger des christlichen Abendlandes unterstellen – das Abendmahl zelebrieren, oder die Zelebration nicht doch einem ikonischen Bild eines Künstlers gilt, von dem man nun bei aller Ungewissheit der Fakten, eines sagen kann: er hat abweichend von den sexuellen Normen gelebt. Er war entgegen allen Konventionen seiner Zeit nicht verheiratet, er hatte gegen alle Konventionen keine Kinder, er war von Anfang an von sehr jungen Knaben und Männern umgeben, die ihm treu ergeben waren bis ans Lebensende. Und er war zumindest einmal wegen Homosexualität angeklagt (und wurde freigesprochen, weil die Anzeige anonym war). Wenn Leonardo da Vinci aber eines ganz sicher nicht war, dann dies: spießbürgerlich.

Das Christentum, das über die längste Zeit seines Bestehens die verfolgt oder auch verbrannt hat, die seinen Normen nicht folgten, hat kein Recht, sich affirmativ auf Leonardo da Vinci zu beziehen und so zu tun, dass man in seinen religiösen Gefühlen verletzt würde, wenn LGBT-Menschen Leonardos Bilder re-inszenieren. Die Konzeption des Mailänder Abendmahls ist eine spezifische Erfindung von Leonardo. Er verabschiedet sich von der antijudaistischen Norm, bei der ein Jude herausgestellt auf der anderen Seite des Tisches als „Anderer“ der Verachtung preisgegeben wird. Bis in die Gegenwart ist es dem Christentum nicht gelungen, sich Leonardos Haltung wirklich anzueignen. Auch deshalb kann sich die queere Community auf ihn berufen.

Das Abendmahl, das Jesus Christus gefeiert hat, hat nun ganz sicher nicht so ausgesehen, wie das Letzte Mahl, das Leonardo da Vinci 1498 in Mailand ikonisch geschaffen hat (das gilt für nahezu alle Abendmahlsbilder der Kunstgeschichte – sie sind visuelle Poesie, keine Dokumentations-Fotografie). Zu Jesu Zeiten saß und aß man halbliegend im römischen Stil, wovon die Mosaiken von Ravenna noch einigermaßen Auskunft geben.

Wäre das Mosaik von Ravenna Vorbild für die Pariser Inszenierung genommen worden, hätten die Konservativen es vermutlich gar nicht wiedererkannt – außer am Heiligenschein vielleicht. Aber den kann man ja auch mal mit einer Oblate verwechseln wie ich gelesen habe. Und so schimpft man nun auf die LGBT-Community und träumt davon, was man mit denen anstellen würde, wenn man noch wie im Mittelalter die Macht hätte.

Und was das konkret bedeutet, kann man bei dem französischen Philosophen, Humanisten und Essayisten Michel de Montaigne (1533-1592) nachlesen. Er berichtet in seinem Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581, wie in Rom seinerzeit mit queeren Häretikern umgegangen wurde, die eine kirchliche Feier imitierten:

„Römische Kirchenrechtler sagten mir, da die andere Vereinigung, jene von Mann und Frau, nur durch die Ehe legitimiert werde, seien diese Schlaumeier auf die Idee verfallen, ihre hiervon abweichende Art würde, wenn durch die Rituale und heiligen Handlungen der Kirche sanktioniert, gleichermaßen legitim. Acht, neun Portugiesen dieser kuriosen Sekte hat man jedoch verbrannt.“

Da können die Künstler:innen aus Paris ja froh sein, dass wir heute in anderen Zeiten leben, es gibt zwar Shitstorms, aber keine Autodafés mehr. Aber wenn man könnte, da bin ich mir sicher, würde die rechte Meute gerne die Queeren wieder auf den Scheiterhaufen schicken.

So aber bleibt es bei der suprematischen Erregung: es geht um die Vorherrschaft des Mannes beim Abendmahl. Da haben nur echte Männer etwas zu suchen – queere Menschen und Drag-Queens sind ausgeschlossen. Und diese Ansicht ist, da sie ein falsches Gottesbild abgibt, nun wirklich blasphemisch. Wer behauptet, Gott würde keine Frauen, Queere oder Drag-Queens zum Mahl einladen, um es auf ihre kulturspezifische Art zu feiern, lästert Gott (das an die Adresse von Bischof Oster). Es ist ein Eingriff in die Souveränität Gottes.

Popkulturell, um auch das zu notieren, ist die visuelle Aneignung von Leonardos Personengruppe ein gar nicht so seltenes Phänomen. Nahezu jede Fernsehserie, die kultischen Charakter hat, re-inszeniert irgendwann Leonardos Bild oder stellt ein Foto-Shooting nach dem Bild online. Das ist eine Hommage an den Künstler, keine Erinnerung ans biblische Abendmahl. Es spielt mit dem kulturellen Wissen der (jugendlichen) Fans: sie sollen schauen, wie das berühmte Fresko von Leonardo umgesetzt wurde. Wo ist Judas platziert und mit welcher Filmfigur wird er assoziiert, wer spielt Petrus und wer den Lieblingsjünger Johannes? Das hat seit Jahrzehnten Tradition und markiert eine kulturelle Kompetenz, über die offenbar jene nicht verfügen, die nun gegen die Pariser Inszenierung protestieren. Sie erweisen sich als kulturell ungebildet, weil sie nicht wissen, was in der Gegenwart Stil ist.

Auf jener Plattform, die immer einer (rechten) Schwarmintelligenz bedarf, um denken zu können, schreibt ein Kolumnist Folgendes:

… entsprach es einfach der „Vielfalts“-Definition der Pariser Regie, sich vor der ganzen Welt zu entblößen und zu zeigen „seht, wie wir unsere Religion mit Füßen treten…“?

Ich weiß nicht, was die Schwarmintelligenz unter ‚unsere Religion‘ versteht. Vom Sinn des Satzes kann es sich ja nur auf die französische Religion beziehen (kaum auf die antike olympische Religion des Zeus). Aber in Frankreich herrscht die Laizität, da gibt es keine „unsere Religion“. Und die olympischen Spiele sind kein katholischer Weltjugendtag, bei dem die rechte Weltanschauung präsentiert werden kann. Bei den olympischen Spielen artikulieren und wetteifern Menschen aus der ganzen Welt in ihrer ganzen Vielfalt. Und entblößt hat sich die Pariser Regie schon gar nicht. Wer kommt auf solche Worte und welche Bilder zirkulieren in seinem Kopf?

Dem staunenden Publikum wurde …  eine spöttische Live-Inszenierung des letzten Abendmahls Jesu Christi präsentiert, arrangiert nach dem berühmten Gemälde da Vincis.

Wie schon gezeigt, ist das unwahr. Das Fresko des sich nicht an den sexuellen Normen seiner Zeit orientierenden Künstlers Leonardo da Vinci stand im Zentrum, und ihm gegenüber dürfen alle Menschen zeigen, wie sehr sie ihn verehren, deuten oder sein Werk sich aneignen. Sogar ehemalige Jesuitenschüler wie Luis Buñuel dürfen das:

Am Schluss schreibt der Kolumnist: Und der Himmel weinte die ganze Zeit. Armes Olympia! Ich glaube freilich nicht, dass der der Diversität zugeneigte Zeus, zu dessen Ehren Olympia ja stattfindet, so reagiert hätte. Eher wohl nicht.

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