„Was ist mehr wert, Kunst oder Leben?“ fragte eine Klima-Aktivistin, die heute symbolisch ein Bild von Vincent van Gogh mit Tomatensoße übergoss.
Ehrlich gesagt, muss ich da nicht lange überlegen. Wer die Kultur gegen die Natur ausspielt, dürfte auch nicht viel Vertrauen in Sachen Natur verdienen. Es ist pubertär, die Werte anzugreifen, die man nicht versteht. Grundsätzlich gehört beides aber ganz unterschiedlichen Lebensbereichen an.
Ich verweise ja an dieser Stelle immer gerne auf eine der schönen Geschichten von Bertolt Brecht über Herrn Keuner:
„Herr Keuner sah irgendwo einen alten Stuhl von großer Schönheit der Arbeit und kaufte ihn. Er sagte: Ich hoffe auf manches zu kommen, wenn ich nachdenke, wie ein Leben eingerichtet sein müßte, in dem ein solcher Stuhl wie der da gar nicht auffiele oder ein Genuß an ihm nichts Schimpfliches noch Auszeichnendes hätte.“
Das ist es, was Kunst und Kultur leisten: uns einen Eindruck davon zu geben, wie ein Leben aussehen würde, das vom Zwang entbunden wäre.
In der Sache aber ähnelt die Geste der Klimaaktivisten aber eher jener des Bankräubers, der seine Waffe auf einen Unschuldigen richtet und dann laut schreit: „Geld oder Leben“ und davon überzeugt ist, dass dem so bedrohten das Leben wichtiger ist, während ihm, dem Räuber das Leben des Anderen gar nichts wert ist und das Geld, das er haben will, um so mehr.
Letztlich ist aber selbst die Formel „Kunst oder Leben“ falsch, denn faktisch entbehrt das so bezeichnete „Leben“ jeglicher näheren Bestimmung: eigentlich meint es: „Kunst oder Überleben“ – denn nur so bekommt die Formel einen Sinn. Im besten Fall ist gemeint, wenn das Überleben nicht mehr garantiert ist, mache auch die Kunst keinen Sinn mehr. Umgekehrt wird ein Sinn daraus. Und wir wissen aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts, dass die, die sagten „Kunst oder Leben“ den so Erpressten später beides nahmen. Man sollte sich deshalb auf diese Alternative nicht einlassen. Am Ende werden sie nicht nur die Kunst symbolisch angreifen, sondern auch Menschen – und irgendwann werden sie Ernst machen und auch die Kunst und die Menschen direkt angreifen. Die Geschichte der RAF ist ein sinnfälliges Beispiel dafür.