Kulturindustrie II. Eine weitere Reiseerfahrung

Ein weiterer Beitrag zur kulturindustriellen Präfigurierung unseres Blicks.

Mitte September 2023 bin ich im Rahmen einer privaten Reise in Padua. Auch dort geht die Kolonisierung der Lebenswelten weiter und auch hier versucht die Kulturindustrie bzw. in diesem Fall die religiöse Verwaltung die authentische ästhetische und religiöse Erfahrung von Artefakten in den Griff zu bekommen und die Wahrnehmung der Besucher:innen kontrolliert zu steuern. Bisher war nämlich das Baptisterium des Domes in Padua nach Entrichtung eines Eintrittsgeldes frei zugänglich. Man zahlte seinen Obolus und konnte sich nun dem Hauptwerk von Giusto de’ Menabuoi widmen. Er ist ein Maler aus der zweiten Generation nach Giotto. 1370 zieht Menabuoi nach Padua und steigt dort zum Hofmaler der örtlichen Herrscherfamilie der Carraresi auf. In diesem Zusammenhang erhält er den Auftrag, das Baptisterium des Domes als künftige Grabkapelle der Carraresi auszumalen. Und am Ende steht ein in sich stimmiges komplexes Werk, das die Betrachter:innen jedes Mal fasziniert und zu eigenen Entdeckungen einlädt.

Nun aber läuft alles anders. Man muss sich im Dom-Museum anmelden, bekommt dann einen Time-Slot zugewiesen, indem eine audiovisuelle Führung durchgeführt wird, die einen ideologisch (d.h. religiös-katholisch) und ästhetisch präfiguriert. Zunächst wird man in einen Saal geführt, der eine Multimedia-Show enthält, die einem Grundlagen des Christentums bzw. des Katholizismus anhand der Bilder beibringt. Darauf hätte ich gerne verzichtet. Mag sein, dass die Bildung weltweit so weit herabgesunken ist, dass ein großer Teil der Menschheit Kunstwerke wie dieses nicht mehr aus sich heraus verstehen kann, aber diese katholische Dröhnung ist wirklich zu viel. Seit der Moderne sind Kunstwerke nicht mehr Ideologie-Schleudern, sondern eigenständige Artefakte mit einer eigenen Sprache und Botschaft. Das gefällt den alten Herren nicht und so suchen sie die Artefakte wieder in den religiösen Kosmos einzufangen, indem sie die Besucher:innen religiös belehren und einnorden.

Und wenn man dann endlich in die Kapelle tritt, so sind die Bilder nicht frei zugänglich, sondern unterliegen einer gesteuerten Wahrnehmung. Man kann seinen Blick nicht frei schweifen lassen, weil nur das, worüber der Audioguide gerade redet, auch erleuchtet wird, der Rest liegt im Dunkeln. Und die Menschen sind schon so zugerichtet, dass sie das auch noch als freundliche Hilfestellung empfinden. Das ist es aber nicht, sie werden eben nicht zu eigener Wahrnehmung emanzipiert, sondern, ganz im Gegenteil, gesteuert – ganz zu ihrem Besten natürlich. Ja, Kunstwahrnehmung ist manchmal etwas anstrengend, herausfordernd und voraussetzungsreich. Aber die neuen kulturindustriellen Vermittlungsstrategien verhindern, dass überhaupt jemand authentische oder sagen wir besser: individuelle Erfahrungen machen kann. Immer treten Apparate zwischen das Werk und das Subjekt, letztlich könnte man genauso gut zu Hause eine Dokumentation auf Arte schauen. Traurige Zeiten.